Читать книгу Ohnmacht - Stefan Zeh - Страница 19

-12-

Оглавление

Kathrin stand mit verschränkten Armen vor Jürgen. „Und was bitte soll das bringen?“ Sie sah ihren Kollegen mit finsterer Miene an.

„Offenbar glaubt Wullner, oder sonst wer, den verschwunden Laptop bei dir zu finden.“

„Ich wüsste nicht, wie der Laptop in meine Wohnung gekommen sein soll.“ Ihre Stimme klang eisig.

Jürgen zuckte mit den Schultern. Er hielt Kathrin den Durchsuchungsbeschluss hin und wies die Beamten an, mit der Hausdurchsuchung zu beginnen. Kathrin entriss ihm die richterliche Verfügung, allerdings ohne sie einzustecken.

Jürgen verharrte einen Moment im Hausflur.

„Dann geh rein!“, rief sie trotzig.

„Es tut mir wirklich leid.“ Jürgen bedachte Kathrin mit einem mitfühlenden Blick.

„Schon gut“, murmelte sie. „Ist ja nicht auf deinem Mist gewachsen.“

Jürgen schüttelte den Kopf und ging an Kathrin vorbei zu der geöffneten Wohnungstür.

„Jürgen?“ Er drehte sich um. „Ich fahr solange zu Jeremy. Gib mir Bescheid, wenn ihr durch seid.“

„Mach ich.“ Er verschwand in Kathrins Wohnung.

Am liebsten wäre Kathrin in ihrer Wohnung geblieben, um darauf zu achten, dass jeder Beamte korrekt vorging und auf keinen Fall etwas beschädigte. Aber den Anblick, wie ihre persönlichen Sachen durchwühlt wurden, wollte sie sich nicht antun. Außerdem kannte und vertraute sie Jürgen und den anderen.

Sie ging genervt auf die andere Straßenseite, wo ihr weißer Peugeot 108 geparkt war. Sie fuhr mit quietschenden Reifen aus dem Parkplatz und raste in Richtung Innenstadt.

Was bildete sich dieser blöde Idiot ein? Sie schlug verärgert auf das Lenkrad. Erst suspendierte er sie vom Dienst, anschließend ordnete er eine Hausdurchsuchung an. Der verdammte Laptop konnte unmöglich in ihrer Wohnung liegen, das musste dem Kriminalrat doch klar sein, völlig egal was sich irgendwer in der Chefetage zusammenreimte. Sie konnte sich schließlich nicht selbst k. o. hauen und hätte auch gar nicht die Zeit gehabt, hin- und herzufahren. Aber offenbar durfte sie jetzt als Sündenbock herhalten. Sie war nicht nur sauer auf den Kriminalrat, sondern auch auf sich selbst. Hätte sie auf Kern gehört und gewartet, bevor sie die Wohnung von Palmer betrat, wäre ihr die ganze Misere erspart geblieben. Nicht, dass ihre Kollegen bei der Hausdurchsuchung etwas finden würden, aber sie hasste es, dass fremde Menschen in ihrer Privatsphäre schnüffelten.

Vor ihr schaltete die Ampel auf Gelb. Sie gab Vollgas und flitzte über die große Kreuzung. Seitlich ertönte wütendes Hupen. Kathrin ignorierte es. Sie war verdammt sauer und musste sich irgendwie abreagieren. Schließlich bog sie nach rechts in die Willy-Brandt-Straße ein und verlangsamte ihr Tempo. In der gesamten Stuttgarter Innenstadt sowie in Bad Cannstatt galt Tempolimit 40 und in jedem Tunnel stand ein Blitzer. Ein weiterer Bußgeldbescheid war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Zu ihrer Linken befand sich die neugebaute Haltestelle Staatsgalerie, die einen Blick auf das violette, pyramidenförmige Planetarium bot. Dahinter erstreckte sich die gigantische Baustelle von Stuttgart 21, die entgegen ihres Namens sicher nicht dieses Jahr fertig werden würde.

Kathrin fuhr durch den kleinen Tunnel in Richtung Bad Cannstatt.

Sie ging im Geiste nochmal die Tatnacht durch. Sie dachte an den Anruf von Dr. Palmer, wie verzweifelt er geklungen hatte. Sie dachte an den Moment, als sie das Gebäude in der Breitscheidstraße betreten hatte. War ihr dort irgendjemand aufgefallen? Hatte sie irgendetwas übersehen? Sie ging das Szenario inzwischen zum hundertsten Mal durch, auf der Suche nach irgendetwas, das sie übersah. Sie hatte die Wohnung betreten. Das einzige Geräusch, das sie vernommen hatte, war das Wimmern aus dem Nebenraum. Sie schaute sich um, konnte in der Dunkelheit aber niemanden entdecken. Dann war sie in das Esszimmer geschlichen und hatte in den Raum gespäht, wo Palmer ans Bett gefesselt lag. Der Anblick schockierte sie so, dass sie für einen Moment ihre Umgebung komplett ausgeblendet hatte. Sie betrat das Zimmer, und in diesem Augenblick erwischte sie ein wuchtiger Schlag auf den Hinterkopf. Der Mörder musste hinter der Tür gestanden haben. Hatte Palmer sie mit seinem Blick versucht zu warnen? Sie wusste es nicht, es war zu schnell gegangen. Alles woran sie sich erinnerte, war der angsterfüllte Ausdruck in seinen Augen.

Und der Schuss. Aber den hatte sie nicht wirklich gehört, nur halb benommen mitgekriegt.

Aber warum hatte der Täter Palmer gezwungen, sie dorthin zu locken? Es musste etwas Persönliches sein. Man wollte ihr Palmers Tod anhängen. Der Täter kannte sie. Und der Täter kannte Jeremy. Aber woher? Wenn es mit einem ihrer früheren Fälle zu tun hatte, so konnte Jeremy nicht darin vorgekommen sein, sie waren noch nicht so lange zusammen. Und dann ihre Fingerabdrücke auf dem Baseballschläger. Der Täter musste ihr, als sie bewusstlos war, den Baseballschläger auf die Handinnenseite gedrückt haben. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Anschließend hatte er Palmer mit ihrer Waffe erschossen und war abgehauen. Es musste sehr schnell gegangen sein. Kern traf nur zwanzig Minuten später in der Wohnung ein. Ihre einzige Chance war es, Beweise zu finden. Beweise, dass sie nicht die Täterin war. Die Kopfverletzung allein schien Wullner nicht zu überzeugen. Wo sollte sie anfangen? Außer Dienst waren ihre Möglichkeiten sehr eingeschränkt.

Sie drosselte erneut das Tempo, da entlang der Cannstatter Straße eine weitere Reihe von Blitzern standen, und erreichte schließlich Bad Cannstatt. Sie überquerte den Neckar und warf einen Blick nach rechts, wo zweimal im Jahr der Cannstatter Wasen stattfand. Im Moment war der große Platz allerdings leer. Sie ließ den Wilhelmsplatz hinter sich und bog nach links in die Wilhelmstraße ein.

Sie musste auf jeden Fall nochmal mit den Nachbarn sprechen. Jemand musste etwas bemerkt haben. Selbst wenn die Nachbarschaft den Schuss für einen Chinaböller gehalten hatte, so mussten doch viele aufgewacht sein und zumindest ein paar wenige nachgesehen haben. Es war schließlich ein dicht besiedeltes Wohngebiet. Sie entsann sich auch einer Kneipe, die nur ein Haus weiter lag. Die Gäste saßen zwar um die Uhrzeit und bei den eisigen Temperaturen sicher nicht draußen, aber vielleicht hatte jemand etwas mitbekommen. Vorausgesetzt die Kneipe war werktags geöffnet. Sie wusste, Kern würde nicht begeistert sein, wenn sie auf eigene Faust ermittelte. Aber das stundenlange Daheimsitzen machte sie wahnsinnig. Und die Vorstellung, dass in diesem Moment ihre gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt wurde, verursachte ihr Bauchschmerzen. Aber erst mal zu Jeremy. Sie brauchte dringend jemanden zum Reden.

Sie jagte ihren Peugeot die Schmidener Straße hoch. Kurz bevor sie das angrenzende Feld erreichte, wo zur Spargelsaison Hochkonjunktur herrschte, bog sie rechts ab und erreichte den Wohnblock Kleiner Ostring im Sommerrain, wo ihr Freund wohnte.

„Na du?“ Jeremy begegnete ihr mit einem mitfühlenden Blick. Sie hatte sich bereits telefonisch angekündigt und ihm die Situation von der Hausdurchsuchung knapp geschildert. Wie nicht anders zu erwarten, reagierte er geschockt.

„Hey.“ Sie warf sich Jeremy um den Hals. In diesem Moment kam Teddy, der kleine Chihuahua, herausgestürmt und begrüßte Kathrin lautstark kläffend. Kathrin löste sich aus der Umarmung und streichelte dem kleinen Hund sanft über den Kopf. Dieser schien Gefallen daran zu finden, tänzelte noch einen Moment um sie herum und verschwand dann in der Wohnung. Kathrin folgte ihm und Jeremy hinein. Jeremy bugsierte sie aufs Sofa und verschwand in der Küche, um ihr etwas zu trinken zu holen. Teddy folgte seinem Herrchen, aber als er feststellte, dass es kein Futter gab, machte er es sich in seinem Hundekörbchen bequem. Jeremy kehrte mit einem Glas Orangensaft zurück und stellte es ihr hin. Sie musterte ihn. Seine dunkelblonden, kurzen Haare und blauen Augen mit dem durchdringenden Blick fand Kathrin noch immer unglaublich anziehend. Er hatte eine schlanke, schmale Figur und war trotz der kühlen Temperaturen lediglich mit T-Shirt und Jogginghose bekleidet.

„Jetzt erzähl mal, wieso verdächtigen die dich?“ Er betrachtete sie aufmerksam. Eigentlich durfte Kathrin keine ermittlungsrelevanten Details preisgeben, schon gar nicht während sie suspendiert war, aber das war ihr im Moment egal. Daher schilderte sie Jeremy, was sie bisher herausgefunden hatten und wie es zu der Hausdurchsuchung gekommen war. Jeremy hörte ihr aufmerksam zu und nickte verständnisvoll.

„Also eigentlich können sie dir nichts anhaben“, erklärte er, als sie geendet hatte. „Die Hausdurchsuchung wird natürlich nichts ergeben, und die Verletzung an deinem Hinterkopf kannst du dir ja schlecht selbst zugefügt haben. Außerdem hat Herr Kern dich bewusstlos vorgefunden.“

„Das ja. Aber die Indizien sprechen gegen mich, das ist das Problem. Und da es bisher keine anderen Verdächtigen gibt, wird man mich und mein Umfeld gründlich überprüfen. Sie werden früher oder später auch dich befragen.“

„Ok.“ Jeremy wirkte bedrückt. „Ich weiß, dass du so etwas niemals tun würdest.“

Das wusste Kern auch, dachte Kathrin verdrießlich. Aber Freundschaftsbekundungen halfen nicht weiter. Sie war froh, dass Kern die Ermittlungen leitete, und hoffte, dass das so blieb. Kern war auf ihrer Seite, da hegte sie keine Zweifel. Und sie glaubte, dass er es so meinte, als sie sich auf dem Flur unterhielten und er versprach, jeden Stein umzudrehen, bis er den wahren Täter gefasst hatte.

„Für eine Anklage reicht das aber noch nicht, oder?“ Jeremy betrachtete sie beunruhigt.

„Die Informationslage ist momentan sehr dürftig, von daher eher nicht. Die Staatsanwaltschaft erhebt erst Anklage, wenn ausreichend Beweise gefunden wurden und sie die Ermittlungen einstellt. Unsere Leute stehen ja noch ganz am Anfang.“

„Oh Mann, ich hoffe, das klärt sich alles auf.“

„Wird schon.“ Kathrin verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. Eigentlich sollte Jeremy sie beruhigen und nicht andersherum, aber die Sache schien ihn ziemlich mitzunehmen.

Sie zog die Schuhe aus und lehnte sich an ihn. Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte das Gedankenkarussell, das seit der Suspendierung in ihrem Kopf rotierte, zu stoppen.

„Nicht, dass du nachher ins Gefängnis musst.“ Jeremy schien gleich vom Schlimmsten auszugehen.

„Ach was. Das renkt sich schon wieder ein.“ Kathrin fühlte sich nicht halb so sorglos und unbekümmert, wie sie sich gab. Aber sie hatte den Eindruck, wenn sie das Thema noch vertiefte, drehte Jeremy vollends durch, und das wollte sie vermeiden.

Ohnmacht

Подняться наверх