Читать книгу Ohnmacht - Stefan Zeh - Страница 16

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Als Kern am späten Abend seine geräumige 4-Zimmerwohnung in der Landolinsgasse in Esslingen betrat, war er völlig fertig. Er ließ sich auf das Sofa plumpsen und schloss die Augen.

„Harter Tag?“ Seine Frau Sandra kam aus der Küche und blieb vor ihm stehen.

„Wenn du wüsstest“, seufzte Kern und öffnete die Augen.

„Ein Glas Wein?“

„Gerne.“ Kern konnte im Moment durchaus einen Schluck vertragen. Sandra verschwand in der Küche und kam mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurück. Kern beobachtete, wie sie beide Gläser befüllte und ihm anschließend eines reichte.

„Bist ein Schatz. Ich danke dir.“ Kern nahm das Glas zur Hand und trank einen kräftigen Schluck. Er betrachtete seine Frau. Sie hatte schulterlanges, blondes Haar, das sie offen trug, und ein hübsches Gesicht mit dunkelbraunen Augen, die ihn immer wieder faszinierten. Er kannte kaum jemanden, der so dunkle Augen hatte wie Sandra. Vor allem nicht in Kombination mit den hellen Haaren. Sie trug ein langärmliges, pinkfarbenes Pyjamaoberteil mit Rippenbündchen und eine schwarz-weiß gemusterte Pyjamahose. Sie sah toll darin aus.

„Was ist los, Sheriff?“ Sie blickte ihn erwartungsvoll an.

„Ach, nichts weiter. Nur sehr viel zu tun.“ Kern mochte es nicht, seine Frau anzulügen, aber er wollte sie nicht beunruhigen. Sie kannte Kathrin und hatte ein gutes Verhältnis zu seiner Kollegin. Sandra zu erklären, dass sie vorübergehend suspendiert war wegen des Verdachts, in einen Mordfall verwickelt zu sein, wollte er ihr ersparen.

Sandra schien zu bemerken, dass er nicht die Wahrheit sagte, beließ es aber dabei. Eine Eigenschaft, die Kern an seiner Frau sehr schätzte. Sie hatte ein gutes Gespür für seine Bedürfnisse. Sie wusste, wann er reden wollte und sie wusste, wann sie besser nichts sagte. Hin und wieder gab es Streitigkeiten wegen seiner Arbeit und vor allem den damit verbundenen Überstunden. Einmal hatte es einen besonders heftigen gegeben, als er ihren gemeinsamen Hochzeitstag hinter die Arbeit gestellt hatte. Glücklicherweise konnten sie den gemeinsamen Abend nachholen und Kern sicherte ihr zu, sich künftig zu melden, wenn es durch einen Einsatz deutlich später werden sollte.

„Und bei dir?“ Kern bemühte sich um einen lockeren Tonfall.

„Wir versuchen gerade, die hohen Verluste aus den Vormonaten aufzufangen“, seufzte Sandra, die in einem Verlag arbeitete. Sie führte weiter aus, dass sie zuletzt eine Reihe Druckaufträge hatten stornieren müssen, aufgrund zu hoher Kosten. Kern versuchte zuzuhören, bekam aber nur die Hälfte mit. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu Kathrin und dem Mordfall. Nach Kathrins Suspendierung war ein heftiger Streit zwischen ihm und dem Kriminalrat ausgebrochen. Kern fand es ungeheuerlich, dass ihm Wullner die Infos des kriminaltechnischen Instituts, kurz KTI, vorenthielt, und ihn nicht von der Entscheidung, Kathrin zu suspendieren, unterrichtet hatte. Wullner rechtfertigte sich, dass die Entscheidung von oben kam und er sich lediglich einen Überblick über den aktuellen Stand der Ermittlungen verschaffte. Außerdem müsse auch eine Ermittlerin als Verdächtige in Betracht gezogen werden, wenn eine entsprechende Beweislage vorläge. Kern war beinahe aus der Haut gefahren, woraufhin Wullner drohte, ihn von dem Fall abzuziehen, wenn er nicht in der Lage sei, die Dinge objektiv zu betrachten. Zähneknirschend hatte Kern nachgegeben.

„Ich gehe ins Bett“, riss Sandra ihn aus seinen Gedanken und stand auf.

„Tut mir leid, ich bin gerade mit meinem Kopf ganz woanders.“

„Ich merk's.“ Zu seiner Erleichterung lächelte sie. „Macht nichts. Komm ins Bett, wenn du zu Ende gedacht hast.“ Kern sah ihr für einen Moment nach. Kaum, dass sie im Schlafzimmer verschwand, kehrten seine Gedanken zu dem Fall zurück.

Er war geschockt, als er von Kathrins Fingerabdrücken auf dem Baseballschläger erfuhr. Dennoch hielt er es für ausgeschlossen, dass Kathrin in die Sache verwickelt war. Er kannte sie. Sie arbeiteten seit vier Jahren zusammen und sie wäre niemals imstande, einen derart bestialischen Mord zu begehen. Cem und Jürgen sahen es genauso, jetzt galt es, entlastende Beweise zu finden. Nur würde es schwieriger werden ohne seine beste Ermittlerin.

Am späten Nachmittag hatte ihn der Bericht aus der Gerichtsmedizin erreicht.

Dieser war wesentlich schlimmer, als Kern zunächst angenommen hatte. Der Täter hatte mit einer Brutalität auf das Opfer eingedroschen, die Kern nur selten erlebte. Palmer hatte mehrere gebrochene Rippen, zertrümmerte Kniescheiben und eine eingeschlagene Schädeldecke. Früher oder später wäre er seinen Verletzungen erlegen. Der Täter musste einen unvorstellbaren Hass auf Palmer gehegt haben, wenn er mit einer solchen Brutalität auf ihn einschlug. In diesem Punkt war Kern sicher, das Motiv war persönlich. Die Todesursache war jedoch eindeutig der Kopfschuss, der wie eine Hinrichtung wirkte. Kern war nicht ganz klar, wie das zusammenpasste. Der Täter hätte keine Pistole gebraucht, er hätte sein Werk mit dem Schläger zu Ende bringen können. Aber aus irgendeinem Grund hatte er es nicht getan. Stattdessen rief er Kathrin an. Nur wieso? Welche Rolle spielte sie in der ganzen Geschichte? Sie hatte mehrfach zugesichert, Palmer nie begegnet zu sein und Kern glaubte ihr. Trotzdem schien ihr eine immense Bedeutung zuzukommen, wenn der Täter sie in die Wohnung lockte. Doch woher hatte der Täter, oder Palmer, ihre Nummer? Für Kern stand fest, dass die Tat von langer Hand geplant und anschließend so inszeniert worden war, dass Kathrin als die Täterin verdächtigt wurde. Hatte es mit einem ihrer früheren Fälle zu tun? Er musste das unbedingt überprüfen. Vielleicht hatte jemand geschworen, sich eines Tages an Kathrin zu rächen. Für was auch immer.

Ein weiteres Rätsel war, dass Palmer keine Kleidung trug. Hatte der Täter ihn bedroht und dann gezwungen, sich auszuziehen? Sollte das Opfer gedemütigt werden, oder war es ein symbolischer Akt? Fragen über Fragen. Es gab jede Menge Arbeit. Kern wusste, er durfte jetzt keine Fehler machen. Noch war Kathrin nur suspendiert, aber wenn es ihm nicht schleunigst gelang, den wahren Täter zu finden, konnte es für sie eng werden.

Ohnmacht

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