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Auria

Galata, August 1096

Den Tag über herrschte in dem sonst vor Geschäftigkeit schwirrenden Viertel der Amalfitaner eine geradezu gespenstische Ruhe. Entgegen Aurias Hoffnungen wäre es noch schwieriger gewesen, durch die wohlgehütete Tür in die Freiheit zu gelangen, als an anderen Tagen, wo Warenträger oder Händler in dem Haus der Pantaleones ein- und ausgingen. Doch die Gelegenheit, das prächtige, aber beengende Haus zu verlassen, ergab sich unversehens. Als Pantaleone am Abend zurückkehrte, sah man ihm die Erschöpfung an.

»Es ist ein großes Elend. Viele der Franken sind verletzt oder sehr erschöpft und haben es kaum bis hierher geschafft. Aber Alexios Komnenos lässt sie nicht in die Stadt, und so sind ihnen auch das Xenodochium oder die kleineren Nosokomien verschlossen. Um Gottes Willen und zur Ehre unseres Schutzpatrons St. Andreas haben wir Amalfitaner daher beschlossen, sie in das Infirmarium unseres Kontors aufzunehmen. Wir sind ja nicht so hartherzig wie die Venezianer.« Unvermittelt fixierte sein kühler Kaufmannsblick Auria. »Ich denke, du solltest zu den frommen Brüdern gehen und ihnen bei ihrer Arbeit helfen. Da kannst du bereits die ersten Dinge lernen, die dir später in Jerusalem von Nutzen sein mögen.«

Auria schluckte. Sie sollte stinkende und siechende Menschen pflegen? Dass es harte Arbeit sein würde, konnte sie sich denken. Die Benediktiner waren es gewohnt, sich bei Sonnenaufgang zur Laudes zu erheben und bis zum letzten Stundengebet, der Komplet, auszuharren. Dann wurde die kurze Nacht dazwischen noch von der Vigil unterbrochen. Auria kannte diese Regeln von den Mönchen aus Montecassino, die sich häufig in Amalfi aufhielten. Sie schauderte innerlich bei dem Gedanken, dass man so etwas auch von ihr fordern könnte. Andererseits, fiel ihr ein, wäre es endlich eine Gelegenheit, der Eintönigkeit ihres Gefängnisses zu entrinnen. Sie überlegte kurz, dann schlug sie bescheiden die Augen nieder. »Wenn es dein Wunsch ist, bin ich natürlich bereit«, bestätigte sie.

Pantaleone sah sie einen Augenblick kritisch an. Anscheinend hatte er mit härterem Widerstand gerechnet. Dann zuckte er die Schultern. »Sehr schön. Du machst deinem Vater alle Ehre. Ich werde dich morgen selbst zum Infirmarium bringen.«

Noch am Abend machte sich Auria über ihre Kleidertruhe her. Sie benötigte etwas Auffälliges, was das Interesse der Männer weckte, aber doch unter einem einfachen Umhang verborgen werden könnte. Die Mönche hätten für schicke oder gar herausfordernde Kleider sicherlich kein Verständnis, aber vielleicht gelang es ihr, sich aus dem Infirmarium zu schleichen, dann musste sie passend gekleidet sein für das goldene Konstantinopel. Schließlich entschied sie sich für ein eng anliegendes Kleid aus feinem mit Waid gefärbtem Leinen. Das dunkelblaue Gewand brachte ihre goldenen Haare vorteilhaft zur Geltung und ließ auch genug von ihren weiblichen Rundungen sehen. Darüber würde sie ihren einfachen rostbraunen Umhang tragen.

So fand Pantaleone sie am nächsten Morgen bereits vollständig angekleidet und vorbereitet. »Ich sehe, du bist schon eifrig bereit für deinen Dienst«, lobte er, immer noch erstaunt von der Fügsamkeit seiner Schutzbefohlenen.

»Jedenfalls bin ich heute früher aufgestanden als Laura«, bemerkte sie mit leichter Schadenfreude. Ihre Leibmagd und Aufpasserin sah noch ziemlich zerknautscht und müde aus. Selbstverständlich würde auch sie im Kloster helfen müssen.

Es war bereits warm, als sie auf die Straße traten, und Auria zweifelt zum ersten Mal daran, ob es eine gute Idee gewesen war, sich mit Kleid und Umhang zu versehen. Pantaleone schritt derweil, von ihren Zweifeln nichts ahnend, rasch voran. Das Infirmarium befand sich direkt neben der gleichnamigen Kirche Sant’Andrea. Als Infirmarium war es, anders als ein Hospitium pauperi, der Pflege der kranken Mönche vorbehalten und nicht gedacht, Fremde zu beherbergen. Bei Bedarf wurden auch Amalfitaner Kaufleute und ihre im Kontor lebenden Angehörigen aufgenommen. Schließlich lebte der kleine Konvent von den Spenden der Händler. Doch nun hatten die Amalfitaner beschlossen, auch verwundete Kreuzfahrer aufzunehmen, und natürlich waren die Brüder von Santa Andrea mit dem Strom von Elend überfordert. »Es ist ein gottgefälliges Werk, den Verwundeten aus dem Heer des Herrn zu helfen«, erklärte Pantaleone noch einmal ernst, bevor er an die dunkle Holztür des Konvents klopfte.

Das Spital zu Jerusalem

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