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Auria

Jerusalem, Dezember 1096

Die Arbeit im Heiligen Land unterschied sich nicht wesentlich von jener, die Auria bereits in dem Konvent von Galata kennengelernt hatte. Doch anders als dort, wo die Kranken oft zu zweit oder dritt in einem Bett lagen, lag hier sowohl in dem großen Männer- als auch dem etwas kleineren Frauensaal meist nur ein Patient in einem Bett. Auria staunte über diesen Luxus für die Kranken, aber sie sah noch andere Zeugnisse davon, mit welcher Hingabe man sich hier den Kranken zuwandte. Sie half meist im Männersaal aus, was ihr Mutter Agnes erlaubte, damit sie nun nach Jahren der Trennung in der Nähe ihres Vaters wäre.

Doch viel gemeinsame Zeit blieb ihnen trotzdem nicht vergönnt. Die Spitalbruderschaft und die dienenden Schwestern von St. Maria Magdalena kümmerten sich um alle Belange der Kranken. Sie mussten gewaschen und bekocht werden. Wunden mussten verbunden und manchmal auch chirurgisch versorgt werden. Dazu gab es einen Eingriffsraum.

»Was macht ihr dort drin?«, fragte Auria neugierig ihren Vater, den sie davor antraf. Giordano rief, anstelle zu antworten, einen weiteren Bruder herbei. »Das ist Bertrand«, stellte er ihn vor. »Eigentlich ein Ritter aus der Auvergne.«

Bertrand lachte auf. »Ja, in meinem letzten Leben war ich Ritter. Genauso wie Marcello.« Den fröhlichen Provenzalen hatte Auria bereits kennengelernt. Nun wusste sie auch, warum die beiden meist zusammensteckten. Die zwei Ritter die der Welt entsagt hatten fühlten sich natürlich zueinander gezogen.

»Sei doch so gut und erkläre meinem Töchterchen, was hier drin geschieht. Aber nicht zu ausführlich, du weißt ja, junge Mädchen sind zart besaitet.«

Auria schnaufte empört. »Ich habe bereits in Konstantinopel Verwundete gepflegt. Da habe ich jede nur erdenkliche Verletzung gesehen!«, prahlte sie. Von ihren sonstigen Abenteuern in der Hauptstadt hatte sie wohlweislich nicht berichtet und auch Laura schien bisher den Mund gehalten zu haben.

»Wir nähen Wunden, spalten Eiterbeulen, amputieren auch verletzte Arme oder Beine, wenn es nötig ist«, erklärte Bertrand. »Manchmal gibt es auch Splitter oder Pfeile zu extrahieren. Und Bruder Danolo kann sogar den Star stechen«, erklärte er. »Und Zähne ziehen wir auch.«

Auria musste bei dieser Aufzählung nun doch schlucken, nahm sich aber zusammen und lächelte den Ritter dankbar an. »Darf ich einmal dabei helfen?«

Der Ritter zog die Stirn kraus und blickte unschlüssig zu Aurias Vater hinüber. »Ja, also ich weiß nicht«, begann er.

Giordano schüttelte den Kopf. »Nein, das ist wirklich nichts für ein junges Mädchen, das Blut und die Schreie der Patienten. Das reicht wirklich, wenn du sie von draußen hörst.« Halb enttäuscht, halb erleichtert senkte Auria den Blick. Sie sträubte sich gegen die Bevormundung, aber das Leid der Menschen erschreckte sie auch und sie war sich nicht sicher, ob sie dem Anblick eines durchs Fleisch schneidenden Messers gewachsen wäre.

»Ich werde dir trotzdem erst einmal den Rest unseres Hospitals zeigen«, erklärte Bertrand gut gelaunt. Nacheinander führte er sie vorbei am Männersaal, der an der breiten Seite des Kreuzgangs zu ebener Erde lag. Ein eigenes Infirmarium zur Pflege der kranken Brüder, wie in der kleinen Benediktinerabtei in Galata, gab es nicht. Die kranken Brüder wurden bis zu drei Tagen in der eigenen Zelle gepflegt, spätestens dann kamen sie zu den erkrankten Armen und Pilgern und erhielten dieselbe Pflege wie diese. So war das Hospital gleichzeitig Infirmarium, hospitale pauperum, also Armenspital, und Xenodochium, eine Pilger- und Fremdenherberge, in einem. An den beiden anderen Hofseiten befanden sich das Refektorium der Brüder, eine Apotheke und eben jener Eingriffsraum, von dem aus ihre Besichtigung den Ausgang genommen hatte.

»Wir haben zwei Ärzte hier. Der eine ist Bruder Danolo, ein Benediktiner aus Salerno. Der andere arbeitet gegen Lohn für uns. Meister Platearius, der ebenfalls an der civitas salernitatis, der hoch gerühmten Medizinischen Schule des Klosters Montecassino, studiert hat«, erklärte Marcello stolz. Dazu gab es eine Küche, deren Rückwand an die Kirche Santa Maria Latina stieß. Besonders wies Bertrand sie auf die bunten Fresken in den Krankensälen hin. »Die hat Bruder Dudon gemalt«, erklärte er stolz. Die Kunstwerke konnten sich zwar nicht mit denen in der Kathedrale von Amalfi messen, aber sie gaben dem tristen Krankensaal doch ein fröhlicheres Aussehen. Und noch etwas fiel Auria gleich auf: Bei aller Arbeit und Mühe gab es einen Unterschied zu Santa Andrea in Galata. Die Männer und die wenigen Frauen von St. Magdalena bildeten eine große Gemeinschaft, in der der Geist ihres Meisters Gerhards, des »servus et minister hospitalis« – Sklave und Diener des Spitals, wie er sich selbst stets bescheiden nannte –, herrschte. Auria fühlte sich gleich aufgenommen in diese Gemeinschaft. Die Brüder strahlten eine überlegene Ruhe und gleichzeitig doch eine Nähe aus, die die junge Frau tief beeindruckten.

Das Spital zu Jerusalem

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