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David

Ikonium, Oktober 1096

Am Morgen darauf stellte David fest, dass der freie Platz vor der Baracke, die ihnen als Unterkunft gedient hatte, tatsächlich ein Markt war. Doch die Ware, die dort feilgeboten wurde, waren Menschen – er selbst und die übrigen unglücklichen Überlebenden des Volkskreuzzugs. Ein mittelgroßer Mann blieb vor David stehen und musterte ihn mit aufmerksamem Blick. Etwas in seinen Augen ließ David Hoffnung fassen. Anders als bei den übrigen Käufern, die sich bereits den ganzen Morgen um die Sklaven gedrängt hatten, ihnen mit den Fingern in den Mund fuhren, um den Zustand der Zähne zu überprüfen und dann unter den Schurz griffen, um die Muskeln der Beine zu betasten oder den Heilungszustand der Beschnittenen abzuschätzen, strahlten diese Augen etwas wie menschliche Wärme aus. David verstand kein Wort von dem, was der Mann, der einen schmalen weißen Turban und einen einfachen grauen Wollmantel trug, sagte. Doch der versuchte es erneut. Offensichtlich in einer anderen Sprache. Wieder schüttelte David den Kopf. Der Fremde strich sich mit der Rechten über den sorgfältig gestutzten Bart und wechselte in eine dritte Sprache, die David ebenfalls nicht verstand. Er selbst sprach Deutsch, Latein und Hebräisch, aber all das half ihm hier wenig. Doch unversehens wechselte der Mann in letztere Sprache. Er hatte einen merkwürdigen Akzent, den David nie zuvor vernommen hatte, aber es war eindeutig Hebräisch.

»Was machst du hier unter den Christen?«, fragte er. David war so erstaunt, dass er zunächst nur mit großen Augen glotzte und nichts erwiderte. Der Mann seufzte und wollte sich gerade abwenden. Mit aufsteigender Panik fragte er: »Du sprichst Hebräisch, Herr?« Das war endlich jemand, mit dem er sich verständigen konnte. Er durfte ihn nicht gehen lassen! Unter keinen Umständen wollte er wieder in den stinkenden Schuppen zurück, wo einen jeden Augenblick die Peitsche des Aufsehers treffen konnte! Der Mann wandte sich wieder ihm zu und seine Augen leuchteten zufrieden auf.

»Woher weißt du, dass ich nicht zu den Christen gehöre?«, fragte David. Der Fremde wies auf Davids Gewand.

»Kein Blut an den Beinkleidern«, erklärte er. »Aber ich frage mich, was für ein merkwürdiger Moslem du bist, der kein Arabisch, Persisch oder Türkisch spricht, sondern lediglich Hebräisch?«

Davids Gedanken überschlugen sich. Wenn doch nur dieser Mann ihn kaufte! Alles war besser als zu bleiben, auf dem Markt und in der Baracke. Aber wenn er ihm nun bekannte, dass er gar kein Moslem war, dann würde er ihn vielleicht stehen lassen? Doch seiner Intuition folgend, entschied er sich für die Wahrheit. »Ich bin Jude, Herr. Ich war Jude, Herr«, verbesserte er sich.

Der Fremde strich wieder über seinen Bart. Das schien eine Angewohnheit von ihm zu sein. »Habe ich mir doch gedacht. Und wie bist du an diesen traurigen Ort gekommen?«

»Ich komme von weit weg, die Kreuzfahrer haben meine Familie und meine Gemeinde überfallen. Mich haben sie, als ich verletzt war, für einen der ihren gehalten und mitgenommen. Und nun büße ich mit ihnen für ihre Sünden.«

»Sie haben deine Leute überfallen, bevor sie hier in das Reich Sultan Arslans eingefallen sind?«, vergewisserte sich der Fremde. »Bist du ein Grieche aus Konstantinopel? Deine Aussprache klingt mir fremd, als kämest du von weiter her.«

»So ist es, Herr«, bestätigte David. »Ich komme aus Magenza, im Reich König Heinrichs. Aber der weilt in Italien und konnte uns nicht schützen.«

»Nun, du sprichst immerhin eine Sprache, die ich verstehe. Und ich benötige einen Gehilfen. Sag, welches Handwerk hast du gelernt?«

David errötete. »Kein Handwerk, Herr. Ich war in der Talmudschule und habe lesen und schreiben gelernt. Und etwas über die Heilkunde.«

Die Züge des Fremden hellten sich auf. »Lesen und schreiben ist gut. Und Heilkunde ist sogar noch besser. Ich bin Arzt. Es gibt hier eine Darüssifa, ein Haus, das Sultan Arslan einrichten ließ, um Kranke und Arme zu pflegen.« Er betrachtete David wohlwollend. »Bei mir kannst du sogar etwas lernen. Über die Medizin und über den wahren Glauben.« David traute seinen Ohren nicht. Sollte sich sein Schicksal endlich zum Guten wenden? Hatte Gott ihn doch nicht vergessen?

Rasch wurden sich der Fremde und der Anführer der Sklaventreiber einig. Zufrieden kam er zu David zurück. »Die große Zahl an Sklaven drückte die Preise«, lachte er. »Du gehörst nun zu mir. Und merke dir gleich: Ich erwarte absolute Disziplin und dass du immer die Wahrheit sagst. Wie gerade eben, als du mir verraten hast, dass du ein Jude bist.« Er blickte David streng an und nickte zur Bekräftigung noch einmal. »Wie heißt du eigentlich?«, fragte er dann in milderem Ton.

»David«, antwortete der.

»Dann will ich dich Davud nennen. Das ist derselbe Name auf Persisch, meiner Muttersprache. Ich heiße Bahram.« Er nahm David am Arm und führte ihn vom Markt weg in Richtung des Hügels im Stadtzentrum. »Das ist das Zentrum von Ikonion. Kilidsch Arslan hat hier eine Külliye gestiftet. Dazu gehört neben der Darüssifa, also dem Haus zum Pflegen von Kranken und Armen, auch eine Armenküche, die man Imaret nennt. Und ein Badehaus, das Hamman heißt«, erklärte Bahram. »Das werden wir aufsuchen, wenn ich auf dem Markt ein paar neue Kleider für dich gekauft habe.« Er zog David weiter. »Das ist das Brunnenhaus.«

David nickte. »Das Sebil, nicht wahr?«, fragte er, sich an den Vortag erinnernd.

Bahram nickte freudig. »Du lernst schnell. All diese Einrichtungen gehören zur Külliye, doch deren Herzstück ist die Moschee. Die Eflatun-Cami. Die Külliye erstreckt sich über fast die Hälfte des Alâeddin genannten Hügels hier«, er wies mit der Hand den Hang hinauf zu der griechisch anmutenden Basilika, die David bereits bei ihrer Ankunft bemerkt hatte. »Den Hügel haben die Menschen vor Hunderten von Jahren aufgeschüttet, um den Göttern näher zu sein«, behauptete Bahram weiter. »Und nun sind dort auch die Koranschule und die höhere Schule, Mektep und Medrese, untergebracht. Kilidsch Arslan hat in seiner Weisheit dafür gesorgt, dass man hier nun vor den Einen, den wahren Gott treten kann! Und er hat Gelehrte aus Persien geholt, um sein Volk zu unterrichten. Ich selbst stamme aus Bagdad«, er schaute versonnen den Hügel hinauf. »Genau wie der große Dschuneid.« Er lächelte, als er Davids fragenden Gesichtsausdruck sah. »Von dem erzähle ich dir später einmal. Nun gehen wir auf den Markt. Der liegt hier gleich zu Füßen des Alâeddin.« Auf dem Markt kaufte Bahram neben einfachen Kleidern auch ein paar Nahrungsmittel. Davids Hunger erstaunte ihn sichtlich. »Hat man euch armen Seelen dann gar nicht zu essen gegeben?«, rief er aus. »Wie sollt ihr denn den Gott erkennen? Gott ist schließlich die Liebe, und unser Ziel ist die Vereinigung mit ihm und die Übergabe unseres Willens an den Willen Gottes!« David horchte auf. Der erste Teil hätte fast von Rabbi ben Ezer kommen können.

»Das ist es, was ihr über den einen Gott lehrt?«, fragte er erstaunt. Doch Bahram winkte ab. »Ich will dir später davon erzählen, wenn wir in der Tabhane sind.«

Zunächst führte er seinen neuen Sklaven in den Hammam und erst nachdem David gebadet und die neuen Kleider empfangen hatte führte er ihn in die Tabhane. Das war ein Gästehaus für reisende Mönche, soweit David verstand. Sein neuer Herr nannte sie Sufis und schien ebenfalls zu ihnen zu ­gehören. »Bereits al-Dschuneid, der Begründer unseres Ordens, Gott habe ihn selig, lehrte, dass man die Geheimnisse des Glaubens nicht offen aussprechen soll«, erklärte er David in der Stille seiner Kammer. »Sein Schüler al-Halladsch wurde in Bagdad der Ketzerei angeklagt, und die Fatwa der Rechtsgelehrten forderte seinen Tod. Man hat ihm eine Krone aufgesetzt, halb totgeschlagen und an ein Kreuz gehängt, bis er gestorben ist! Er war zwar zu weit gegangen, denn er behauptete von sich selbst, er sei die Wahrheit, und das steht nur Gott zu, ja, es ist einer seiner heiligen Namen. Aber er ist nicht der Einzige geblieben, der für seinen Glauben mit dem Leben bezahlt hat. Das ist auch der Grund, warum ich Bagdad verlassen habe. Und Sultan Arslan empfängt persische Gelehrte mit offenen Armen!«

Das Spital zu Jerusalem

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