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1. Kapitel

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Berlin, Mai 1998

Karlheinz Huber, Beamter der BStU, also des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, betrachtete nachdenklich das unvollständig zusammengeklebte Blatt Papier, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Es stammte mit Sicherheit aus der Akte eines sogenannten „IM-Vorgangs“. In diesen Vorgängen wurde die Anwerbung und Führung sogenannter IMs, im Volksmund ganz einfach Spitzel genannt, schriftlich festgehalten.

Das Blatt hatte man aus „beschädigtem Schriftgut“ zusammengestellt. Also aus in aller Eile zerrissenen Papieren, die im MfS, dem Ministerium für Staatssicherheit, anlässlich der Wende sichergestellt worden waren.

Eines von vielen Schriftstücken dieser Art. Jedoch der darauf vermerkte Deckname „Travertin“, war früher bereits auf einem Mikrofilm aufgetaucht. Und dieser Film zeigte möglicherweise eine Liste der zu DDR Zeiten im Ausland tätigen Agenten.

Huber hatte sich inzwischen an die seltsam anmutenden Abkürzungen wie RV für Reiseverkehr oder EH für Erich Honecker gewöhnt. Ebenso wie an Umschreibungen wie „Zielstellung“ oder „legendisieren“. Aber die Bezeichnung „Imperialistische Spionage“ fand sich nur selten in solchen Akten und fiel deshalb besonders auf.

Das hatte im DDR-Jargon normalerweise bedeutet, dass jemand als Agent für einen westlichen und damit feindlichen Staat arbeitete.

Eine nicht näher definierte Aktion hatte im „Operationsgebiet“ (abgekürzt „OG“, die im MfS gebräuchliche Bezeichnung für Westdeutschland) stattgefunden. Genauer gesagt in Freiburg im Breisgau. Am 10. Mai 1985. Der Name des Spitzels hatte Armin Schuppers gelautet. Auch seine Fingerabdrücke waren vorhanden. Jedoch weitere Angaben, wie ein Bild oder eine Personenbeschreibung, fehlten.

Hubers Nachforschungen in alten Zeitungen hatten ergeben, dass am 11. Mai 1985 in Freiburg ein offenbar am Vortag erschossener Hotelgast tot aufgefunden worden war.

Grund genug, nach Freiburg zu reisen, um vor Ort Aufklärungsarbeit zu leisten.

***

Kommissar Max Krüger hatte es sich nicht nehmen lassen, den Beamten aus Berlin persönlich in Freiburg zu empfangen und zu betreuen. Sie hatten einige Telefonate geführt, bevor das Treffen stattfand.

Ein Foto des Opfers existierte nicht. Zumindest keines, auf dem sein Gesicht erkennbar gewesen wäre. Den gemeinsamen Anhaltspunkt bildeten die Fingerabdrücke. Huber hatte sie in seinem Aktenfragment gefunden und Krüger in den Unterlagen des ungeklärten Falles.

Während sich Erwin Rohr, der Leiter der Spurensicherung in Freiburg, mit den vom BstU gelieferten Prints ins Labor verzog, blätterte Huber die Akte aus dem Archiv der Freiburger Polizei durch.

Diese Berichte kannte Krüger auch bloß rudimentär. Der Vorfall hatte sich lange vor seiner Zeit in Freiburg ereignet. Darüber, dass eine Untersuchung des Fundortes nach dreizehn Jahren kaum noch neue Erkenntnisse bringen konnte, waren er und Huber sich im Klaren.

Trotzdem wollte Huber versuchen, Personal des Hotels aus dieser Zeit zu finden und zu befragen. Mit etwas Glück arbeitete vielleicht sogar heute noch jemand im Hotel, der die Sache miterlebt hatte. Und der sich an Fakten erinnerte, die damals niemand aufgeschrieben hatte. Zum Beispiel, aus welchem Grund das Opfer Freiburg besucht hatte?

Das Hotelpersonal war natürlich befragt worden. Jedoch der Schwerpunkt der Fragen, hatte eher auf dem Vorgang selbst, gelegen. Woher das Opfer stammte, konnte seinerzeit offenbar überhaupt nicht geklärt werden.

Allerdings, als Erstes sollte Rohr die Übereinstimmung der Fingerabdrücke klarstellen.

Huber hoffte, durch diese Nachforschungen neue Erkenntnisse über die Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit im Westen zu erhalten. Und die Polizei in Freiburg sollte mit neuem Elan versuchen, den Mörder zu finden.

Rohrs leicht verwirrt wirkender Gesichtsausdruck, als er Krügers Büro betrat, ließ bereits auf Ungewöhnliches schließen. „Tut mir leid, meine Herren! Die Fingerabdrücke sind völlig verschieden“, ließ er die Bombe platzen. Es handelt sich mit Gewissheit um zwei Personen.

Rohr schüttelte auf die in den Raum geworfene Frage Hubers, ob ein Irrtum möglich sei, kaum merklich den Kopf.

Stille.

Rohr räusperte sich. „Womöglich könnten die einen die Prints des Mörders sein“, mutmaßte er. „Wir lassen sie gerade noch einmal durch das AFIS (Automatisches-Fingerabdruck-Identifikations-System) laufen. Obwohl der erste Durchgang nichts gebracht hat“, schwächte er ab.

„Nun ja, ausschließen lässt es zwar kaum“, antwortete Huber nachdenklich. „Aber die Fingerabdrücke eines Liquidators offen in einer solchen Akte. Das kann ich mir nicht vorstellen.“

Krüger horchte auf: „Liquidator? Hat es sowas gegeben?“

„Beweise gibt es dafür keine.“ Huber zuckte mit den Schultern. „Aber solche Tötungen im Ausland haben stattgefunden. Irgendjemand musste die ausführen. Dass das Regime die Killer sozusagen auf dem freien Markt rekrutiert hat, halten wir für unwahrscheinlich. Es ist aber natürlich trotzdem möglich.“

„Also ist der Stand der Erkenntnisse nicht besonders hoch“, brummte Krüger, um es möglichst höflich auszudrücken.

Huber nickte. „Wir sind auch keine Behörde, die aktiv ermittelt. Wir sichten Akten und werten sie aus. Kleine Ausnahmen, so wie heute, bestätigen bloß die Regel!“

Krüger nickte verständnisvoll. „Ich sehe mir das Hotel auf jeden Fall an. Wollen Sie vielleicht mitkommen, damit Ihre Reise nicht ganz umsonst bleibt?“

Huber nickte. „Ja, gerne!“

„Es ist nicht weit. Wir können zu Fuß gehen“, schlug Krüger vor.

Straße und Hausnummer fanden sie ohne Mühe. Allerdings standen sie vor einem Schuhgeschäft. Von einem Hotel keine Spur. Das Gebäude wirkte nicht wie frisch renoviert. Der Umbau musste also schon kurz nach dem Vorfall stattgefunden haben.

„Reinfall auf der ganzen Linie“, konstatierte Huber. „Wenn schon, denn schon. Einfach nur Pech mit diesem Fall. Wenn erstmal der Wurm drin ist …“

„Sieht ganz so aus“, gab ihm Krüger Recht. „Hier ist auf jeden Fall nichts mehr zu holen.“

Huber sah auf seine Uhr. „Ich wollte ja eigentlich bis morgen bleiben. Aber ich sehe gerade, dass ich den Nachmittagszug noch schaffen könnte!“

„Soll ich Sie begleiten?“, fragte Krüger.

„Nein danke! Mein Hotel ist direkt um die Ecke, und den Weg zum Bahnhof habe ich mir gemerkt.“

Huber streckte die Hand aus. „Auf Wiedersehen, Herr Kommissar. Wenn Sie mich auf dem Laufenden halten könnten, wäre ich Ihnen dankbar!“

Krüger versprach es und ließ ihn ziehen. Nachdenklich betrachtete er das Gebäude. Nur Pech? Oder es hatte jemand sehr gründlich die Spuren verwischt, ging ihm durch den Kopf.

Wie auch immer. Außer den Fingerabdrücken aus Berlin hatte er nichts Neues. Die konnten von irgendjemandem stammen. Möglicherweise sogar eine bewusst gelegte, falsche Fährte. Und falls die Person, zu der die Prints gehörten, doch noch auftauchen sollte? Was würde das beweisen? Eigentlich nichts.

Nur ein konkreter Treffer im AFIS, mit entsprechendem Hintergrund, könnte vielleicht eine neue Spur ergeben.

Krüger setzte sich in ein Café, um darüber nachzudenken, wo er sonst ansetzen könnte. Auf jeden Fall rausfinden, wem das Gebäude gehörte. Wann genau wurde es renoviert? Ob sich auch nur der Hauch einer Verbindung zur DDR finden ließ? Immerhin denkbar. Außerdem sollte er die gesamte Akte unter diesem Aspekt gründlich durcharbeiten lassen. Am besten von jemandem, der sie noch nicht kannte. Also beispielsweise von ihm selbst, spann er den Gedanken weiter.

Er konnte den Hefter am Abend nach Hause mitnehmen und ihn seiner Lebenspartnerin Elisabeth zeigen. Sie hatte die ausgezeichnete Gabe, seltsame Vorgänge und Ungereimtheiten leicht zu erkennen. Klar war es verboten, Ermittlungsakten mit Außenstehenden zu besprechen. Aber Krüger hatte sich längst damit abgefunden, dass nicht immer alles perfekt sein konnte.

Und Elisabeth schwieg eisern, das wusste er inzwischen. Zumindest über den Inhalt der Akten nach außen. Ihn selbst in schwierige Diskussionen aufgrund seiner Schlüsse zu verwickeln blieb hingegen etwas, das sie liebte. Dieses Vorgehen hatte ihm schon mehrmals neue Ansätze beschert, auf die er allein kaum gekommen sein dürfte.

Die Besitzverhältnisse der Gebäude, die das ehemalige Hotel umfasst hatte, konnte Grünwald abklären. Der mochte solche Aufgaben.

Ob der damals schon bei der Truppe in Freiburg gearbeitet hatte? Vermutlich kaum. Und Sieber erst recht nicht. Der war noch ein Jahr jünger. Außerdem müsste ihm ein von den beiden verfasster Bericht in der Akte sofort aufgefallen sein. Und Michélle? Die zählte keine dreißig Jahre. Also ganz klar nicht. Blieb noch Polizeirat Vogel, der Chef der Freiburger Kripo. Den würde er fragen müssen.

Wie es bei Erwin Rohr aussah, konnte Krüger sich denken. Der hätte ihn bestimmt darauf hingewiesen, wenn er den Tatort damals selbst untersucht hätte.

Und Doktor Holoch, der Pathologe? Über ihn wusste Krüger kaum etwas. Aber in der Akte wurde natürlich auch vermerkt, wer damals den Bericht der Rechtsmedizin verfasst hatte. Das konnte Krüger einfach nachsehen. Allerdings musste er unbedingt vermeiden, dass sein Chef davon erfuhr, dass Krüger ab und zu, Akten nach Hause mitschleppte.

Wenngleich er sich kaum vorstellen konnte, dass Vogel, der bei den Besprechungen stets die Verschwiegenheit aller Beteiligten als wichtiges Kriterium betonte, noch niemals mit seiner Frau über einen Fall gesprochen hatte.

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