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2. Kapitel

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Frank schrak hoch. Hatte er geschlafen, während die Blondine, die er gestern Abend auf seine Bude mitgeschleppt hatte, verschwand? Der Zettel auf dem Nachttisch mit einem Namen und einer Telefonnummer ließ ihn beruhigt zurücksinken. An seine Wertsachen kam ohnehin niemand so leicht heran. Das Bett stand auf dem Brett, unter dem das Geheimfach lag.

Trotzdem, unvorsichtig blieb es in seiner Situation. Alles, was er besaß, trug er mit sich oder es lag in diversen, mehr oder weniger, sicheren Verstecken.

Das möblierte Zimmer, das er seit immerhin drei Monaten, für seine Verhältnisse eine lange Zeit, bewohnte, vermietete ein zwielichtiger Typ. Der weder Wert auf Zahlungsbelege noch auf Anmeldung bei den Behörden legte. Bar und im Voraus blieb das Einzige, das zählte.

Eine Doku über Schatzgräber hatte ihn in die Gegend gelockt. Frank besaß zwar keinen Fernseher, jedoch stand in den meisten dieser Buden einer herum. Schatzsuche war illegal, klar, aber das war Frank schließlich selbst auch. Schon nur deshalb passte es zu ihm.

Nicht, dass er freiwillig so lebte. Er hatte studiert und danach als begabter Ingenieur in der Industrie gearbeitet. Knapp fünfundzwanzig, ungebunden, neugierig und vielseitig interessiert. Damals hatte ihm die ganze Welt offen gestanden. Bis es passierte: Sie hatte ihn von der ersten Sekunde an fasziniert. Hätte sie von ihm verlangt, von einem Dach zu springen, vermutlich hätte er es getan. Aber das war es nicht, was sie sich von ihm gewünscht hatte. Sie befand sich auf Auslandsreise. Im Westen.

Solche Reisen hatte man damals nur selten und nur vertrauenswürdigen Parteimitgliedern gewährt. Um sie wiederzusehen, hatte er ihr also einen guten Grund liefern müssen, damit man sie erneut ausreisen ließ. Zum Beispiel die Beschaffung von Informationen über Verfahren oder Anlagen, die sie nur durch direkten Kontakt erhalten konnte. Dass sie bei ihrer ersten West-Reise ausgerechnet auf einen jungen Ingenieur gestoßen war. Welch ein grandioser Glücksfall …

Frank, der damals allerdings noch Heinrich Lehmann geheißen hatte, interessierte das alles nicht wirklich. Wenn sie bloß wieder in seinen Armen liegen würde. Die paar Pläne, die er ihr bis dahin besorgt hatte, waren ohnehin längst zu Allgemeinwissen geworden. Wie hätten die irgendeinen Schaden anrichten können?

Das Wiedersehen hatte stattgefunden. Es ließ Frank in einen Liebestaumel versinken, wie er ihm niemals wieder erleben sollte.

Die Zeichnung, die er als Gegenleistung für diesen Traum beschafft hatte, sah doch bereits etwas moderner aus. Immer noch keine Sensation, aber immerhin. Seinen Job hätte es ihn bestimmt gekostet, wenn das bekannt geworden wäre. Und ob er jemals wieder eine Arbeit in einer Firma, die sich mit Forschung und Entwicklung beschäftigte, bekommen könnte? Vermutlich nicht.

Nach ein paar Tagen hatte er Besuch von einigen Herren in seltsam unmodischen Anzügen erhalten, die ihn anwerben wollten. Er hatte sie ausgelacht und als Witzfiguren bezeichnet. Die sich dazu noch einbildeten, irgendeine Rolle in der Welt zu spielen.

Ein Fehler, den er bitter büßen musste. Wieder einige Tage später hatte ihm jemand eine Pistole in den Rücken gedrückt, als er am Abend seine Bude aufschließen wollte. Von den zurückgekehrten Witzfiguren wurde er unsanft in die Wohnung geschoben.

Nachdem sie ihm die Bilder der brutal zusammengeschlagenen Waldtraut gezeigt hatten, war er auf alles eingegangen, was sie verlangten. Er hatte auch nicht mehr an ihrer Drohung gezweifelt, dass sie ihm sogar einen Finger von ihr schicken würden, wenn er nicht spurte.

Ab und zu hatte er einen Brief von ihr erhalten. Sie hatte von Verbesserungen ihrer Situation berichtet oder ihn gebeten, sich mehr anzustrengen, weil sie jeden Unmut des MfS auszubaden hatte.

Deshalb hatte er brav abgeliefert, was er kriegen konnte. Bis die Sache mit Malte passierte. Dass der Killer eigentlich ihn erledigen wollte, lag außerhalb jedes Zweifels. Sein Kontaktmann hatte ihn zu warnen versucht. Frank hatte es jedoch nicht ernstgenommen. Bloß weil Malte an diesem Tag unerwartet aufgetaucht war, ließ sich die Sache so hinbiegen, als ob sie tatsächlich ihn erwischt hätten.

Frank hatte niemals auch nur daran gedacht, irgendwelche Dinge über die DDR zu erfahren und sie im Westen einem Geheimdienst anzubieten. Wie auch? Er reiste nie in den Osten und hatte keinerlei direkten Kontakt zu Waldtraut oder zu anderen Ostbürgern. Bloß mit dem Kontaktmann hatte er sich im Lauf der Zeit einigermaßen angefreundet. Trotzdem verdankte Frank es nur reinem Zufall, dass er überlebt hatte. Und, dass das offenbar keiner der Witzfiguren aufgefallen war.

***

Für diesen Abend hatte Frank ein weiteres Treffen mit dem örtlichen Denkmalpfleger und einem interessierten Käufer. In der Nähe einer Fundstelle.

Der Denkmalheini hatte seine Laufbahn ausschließlich deshalb eingeschlagen, weil er im Laufe der Zeit von den Schätze die im Boden lagerten und niemandem gehörten, einen Teil für sich abzweigen wollte.

Der Denkmalpfleger glaubte, Frank in der Hand zu haben, weil er ihn beim Ausgraben von einigen Münzen erwischt hatte. Aber Frank hatte schnell gespürt, dass da noch etwas Anderes dahintersteckte. Die Gier, mit der der Mann die Münzen betrachtet hatte, ließ sich zu deutlich erkennen.

Nach kurzem Geplänkel hatten sie sich darauf geeinigt, das Frank weitersuchen durfte, wenn er bereit sei, den Erlös der Funde zu teilen.

Frank, als Fremder, konnte bei Tag suchen und sich notfalls als genauso harm- wie erfolgloser Hobby-Schatzsucher-Tourist ausgeben. Da der große Schatz bisher ausgeblieb, hielt sich Frank an diese Abmachung. Schließlich verwandelte der Denkmalpfleger inzwischen Franks Funde direkt in Bargeld.

Heute sollte eine, wie Frank vermutete, Gürtelschnalle an den Mann gebracht werden. Der Denkmalpfleger hatte etwas von einer Fibel geschwafelt, aber Frank wusste, dass er sich gerne mit Fachausdrücken wichtigmachte. Trotzdem schien dieses Stück etwas Besonderes darzustellen. Die Ehrfurcht des Beamten ließ sich förmlich spüren. Auf jeden Fall würde Frank genau darauf achten, ob ihn der Kerl über den Tisch ziehen wollte oder nicht.

Auch der Kunde betrachtete das Stück mit großer Begeisterung. „Kaum zu glauben! Eine keltische Gewandfibel!“, rief er aus.

Der Denkmalpfleger zuckte zusammen. „Nicht so laut“, versuchte er zu dämpfen.

Der Kunde sah sich um. „Ist doch keiner in der Nähe“, stellte er trocken fest.

Es war noch hell. Und der kleine Rastplatz an der Landstraße, der als Treffpunkt diente, wirkte tatsächlich menschenleer. Dass sich jemand im Gebüsch versteckte, blieb kaum zu erwarten.

Jedoch für Frank und den Denkmalheini, beide gewohnt, vorsichtig zu sein, trotzdem kein Grund, es auszuschließen. Wer sich länger in der Illegalität bewegte, entwickelte mit der Zeit entweder einen Instinkt für Gefahren oder er hielt sich nicht sehr lange.

Der Kunde schien von solchen Dingen weit entfernt. „Was soll sie denn kosten, Herr Meyer?“, wollte er wissen.

„Machen Sie einen Vorschlag“, brummte der als Meyer angesprochene Denkmalpfleger. „Diese Fibel ist eigentlich unbezahlbar und gehört ins Museum, das wissen Sie selbst!“

Der Kunde nickte. „Zehntausend?“, ließ er hören.

Frank, angenehm überrascht, entfuhr ein deutliches „Oh!“, was ihm erstaunte Seitenblicke, der anderen beiden eintrug.

„Ein Museum zahlt deutlich mehr“, brummte Meyer. „Und außerdem ist es dann legal.“

Der Kunde lachte glucksend. „Jedoch nur, wenn bisher kein Museum über den Fund Bescheid weiß, können Sie das Stück einfach so verkaufen. Das ist mir auch klar. Oder wofür halten Sie mich?“

Meyer zuckte mit den Schultern. „Wir könnten es zurücklegen und dann ganz offiziell ausgraben.“

„Okay, ich will mich ja nicht mit Ihnen streiten“, gab der Kunde nach. „Außerdem bin ich stets an weiteren Funden interessiert. Also, fünfzehn! Das ist die Grenze. Mehr geht nicht!“

Meyer nickte. „Einverstanden!“

Der Kunde zählte das Geld ab und Meyer nahm die Scheine ohne sichtbare Regung in Empfang.

„Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen können“, fügte der Kunde, bereits am Einsteigen, an.

Meyer hob die Hand und nickte zustimmend. „Klar! Ich melde mich.“

„Du siehst“, wandte sich der Denkmalheini an Frank. „Ich bin ehrlich zu dir, sonst wärst du nicht hier. Wir teilen brüderlich. Halbe-halbe, keine Alleingänge. Ich zeige dir, wo es sich zu suchen lohnt, du gräbst und lieferst!“

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hielt er ihm die Hälfte des Geldes unter die Nase.

Frank zupfte ihm die Scheine mit einer ausholenden Bewegung aus der Hand. „Stets Ihr braver Diener, Herr Meyer“, fügte er lächelnd an.

„So solltest du mich in Zukunft auch nennen!“, brummte dieser. „Und halt bitte die Klappe, wenn wir verkaufen. Ich sage dann …“ Er überlegte kurz. „Heiner zu dir. Unsere richtigen Namen braucht keiner zu wissen.“

Frank zuckte leicht zusammen. Er hielt den Denkmalpfleger für einen Trottel. Aber irrte er sich? Wollte der ihm zeigen, dass er mehr wusste? Oder nur ein blöder Zufall, dass er ihn ausgerechnet Heinrich nennen wollte? Seinen Taufnamen, den er seit Jahren geheim hielt?

***

Der nächste Tag, mild und sonnig, wie es sich für Anfang Juni gehörte, begann für Frank mit der Suche in einem idyllischen Tälchen, das ein munterer Waldbach in den Berg gegraben hatte. Das Tal stieg nur ganz sanft an und verlief mit kleinen Abweichungen immer nach Westen. Selbstverständlich stammte der Hinweis auf die Örtlichkeit vom Denkmalpfleger. Der vermutete, dass dieser Geländeeinschnitt in alten Zeiten als Weg gedient haben könnte. Das würde bedeuten, dass er zum Beispiel auch von Römern, die hier rund 500 Jahre lang geherrscht hatten, regelmäßig begangen wurde. Im Verlauf eines halben Jahrtausends geht so einiges verloren auf langen Märschen. Und nicht zu vergessen, dass bei vermuteter Gefahr, Reisende oft ihre Wertsachen kurzerhand an Ort und Stelle vergraben hatten, um sie vor Dieben zu schützen. Dass sie diese nicht immer zurückholen konnten, blieb immerhin zu vermuten.

Da der Bach bei jedem Unwetter für Veränderung sorgte, hatten die Ufer wenig Bestand. Wohl deshalb standen direkt am Wasser keine großen, alten Bäume.

Frank rief sich in Erinnerung, was ihm der Denkmalpfleger dazu erklärt hatte. „Auch wenn es heute kaum noch vorstellbar ist: Früher“, so hatte er doziert, „früher galt der Wald als der natürliche Feind des Bauern. Der sich das ihm mühsam abgetrotzte Ackerland immer wieder zurückzuholen versuchte. Jedoch nicht nur für die Bauern stellte der allgegenwärtige Urwald ein gewaltiges Hindernis dar. Sondern auch für Reisende, Truppen oder Händler.

Versuche, die Landschaft zu lesen! Stell dir vor, wie es damals ausgesehen haben könnte. Wo würde man sich ansiedeln? Zum Beispiel an Stellen, die über Wasser und Sonne verfügen. Aber nicht direkt an viel begangenen Wegen, wo man jederzeit damit rechnen musste, überfallen zu werden, in diesen unsicheren Zeiten.

Außer, man konnte sich durch Mauern und Befestigungen schützen. Für deren Bau und Verteidigung man allerdings eine gewisse Mindestanzahl an Menschen benötigte. Die dann auch entsprechend ein Stück Land in der Nähe zur Selbstversorgung finden mussten. Von Dienstleistungen konnte damals nur ein sehr geringer Teil der Leute leben. Solche Stellen findet man häufiger bei Übergängen an Flüssen oder an ähnlichen, durch natürliche Hindernisse begrenzten Arealen.

Selten, aber äußerst gefragt dürften freiliegende, senkrechte Felsen gewesen sein. In die man sich in Spalten oder Grotten zurückziehen und gut verteidigen konnte.

Doch diese Plätze sind alle längst abgegrast. Deshalb ist Fantasie gefragt! Zum Beispiel: Kleine, regelmäßig geformte Hügel bleiben stets interessant. Gräberfelder liegen nicht direkt am Wasser. Wo könnte in der Umgebung ein Heer das Lager aufgeschlagen haben? Man hat den Blick oder man hat ihn nicht. Das wirst du bald merken!“

Die „Ausbildung“ hatte in der privaten Garage des Denkmalpflegers stattgefunden. Er bewahrte offenbar einige Fundstücke, die er verkaufen wollte, in seinem Wagen auf. Weshalb behielt er für sich.

Frank vermutete, als Vorsichtsmaßnahme. Um für den Fall, dass man ihn mit einem Artefakt erwischte, eine plausible Ausrede parat zu haben. Ein ausgegrabenes Stück im Auto dürfte grundsätzlich weniger verdächtig sein, als eines, das zum Beispiel in seiner Wohnung gesehen wurde.

Der Denkmalpfleger zeigte ihm an verschiedenen Teilen, worauf er besonders achten sollte. Eine grüne Verfärbung wies auf Kupfer hin. Das zeichnete sich meistens bereits im Boden ab, bevor man auf die Artefakte stieß. Knotenmuster verwiesen auf Kelten. Römische Funde erkannte man an den Waffen und natürlich an der typischen Ausrüstung der Legionäre. Logischerweise konnte sich Frank nur einen Bruchteil der Tipps merken.

Was ihm jedoch trotzdem auffiel. Der Umstand, dass der Denkmalpfleger den Wagenschlüssel in einem Blechkasten verwahrte, der in der Garage an der Wand hing. Darin lag auch verschiedenes Werkzeug und offenbar einige Ersatzteile, die zu dem alten Benz gehörten. Er bemerkte Franks erstaunten Blick auf die Werkzeuge. „Ich repariere an ihm alles selbst“, ließ er stolz hören. „Ein absolut unverwüstlicher Diesel. Davon laufen in Afrika noch Tausende.“

Frank zeigte beeindruckt. „So einfach ist das nun auch wieder nicht“, versuchte er zu loben, ohne zu schmeicheln.

„Na, ja. Etwas Erfahrung ist natürlich schon nötig. Aber machbar ist es.“

***

Mit dem Detektor im Arm schlenderte Frank hin und her durch die Wiese am Bach. Kein Spaziergang. In der ersten Stunde grub er mehrere Kronenkorken und Abziehringe von Getränkedosen, einen Bügelverschluss und etliche rostige Konservendosen aus. Das interessanteste Teil bestand aus einem Stück Stoff, an dem ein Metallteil hing. Ein Druckknopf, wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellte.

Niemals hätte Frank geglaubt, dass so viel Müll einfach in die Natur geworfen wurde. Das Tal glich trotz seiner Idylle eher eine Müllhalde als einem Paradies.

Frank erkannte allmählich, was der Denkmalpfleger gemeint hatte: Die Landschaft ermöglichte oder verhinderte eine direkte Verbindung zwischen zwei Orten. Ortskundige kannten die besten Möglichkeiten. Mit der Zeit bildete sich mindestens ein Trampelpfad, dem andere Reisende auch ohne Führer folgen konnten. Gewisse Stellen auf diesen Wegen boten einfach Ort und Reiz für eine Rast. Deshalb sammelten sich die Abfälle vorwiegend an solchen Plätzen. In alter Zeit stellten Metalle einen hohen Wert dar und wurden nicht einfach weggeworfen. Sondern beispielsweise verloren, versteckt oder manchmal zusammen mit dem Besitzer begraben. Die modernen Abfälle, die sehr oft Metalle enthielten, überlagerten deshalb meistens die interessanten Fundstellen.

Frank schaltete den Detektor ab, zerlegte ihn und verstaute ihn im Rucksack. Zuerst erkunden, dann graben, sagte er sich. Müll sammeln war gewiss, zumindest im übertragenen Sinn, eine verdienstvolle Tätigkeit. Aber kaufen konnte man davon nichts.

Auf dem Kamm, der das Tal nach Süden begrenzte, hielt er Ausschau. Woher wären mögliche Feinde gekommen? Spielte das für seine Suche überhaupt eine Rolle?

Am ergiebigsten dürfte ein Gräberfeld aus friedlichen Zeiten sein. Geschmückte Skelette in Reih und Glied. Auf denen man seit Jahrhunderten achtlos herumspazierte.

Frank versuchte, sich vorzustellen wenn man einfach so, einen Meter tief in die Erde hineinschauen und sich der Schätze bemächtigen könnte. Es müsste doch einen Weg geben?

Auf der linken Talseite fiel ihm eine sanfte Erhebung auf. Die konnte durchaus von Menschenhand stammen. Je länger er sie betrachtete, desto klarer schien es. Wie sollte auf einer Anhöhe, die an dieser Stelle in eine klar begrenzte Ebene überging, auf natürliche Weise ein Hügel entstanden sein?

Der Weg schien zwar nicht besonders weit, führte jedoch von oben nach unten und wieder hinauf. Völlig nassgeschwitzt erreichte er den östlichen Kamm. Keine Spur mehr von einem Hügel. War er einer optischen Täuschung erlegen? Blödsinn, der Hügel existierte. Er ließ sich bloß nicht mehr erkennen, wenn man direkt darauf stand.

Entschlossen packte Frank die Sonde aus. Schon nach wenigen Schritten ertönte das erste Signal. „Na also“, brummte er vor sich hin, „geht doch!“

***

In Berlin blätterte zur gleichen Zeit der Rentner Michael Gerteis den Bericht durch, den er gerade im Briefkasten gefunden hatte. Verfasst von einem Karl Heinz Huber. Der Name sagte ihm nichts. Genauso wie er keine Ahnung hatte, wer ihm das Papier zugespielt hatte und wozu.

An Heinrich Lehmann, den sie als Agent Armin Schuppers im Westen „beschäftigt hatten“, erinnerte er sich.

Eine alte Geschichte, die mit einem Liquidierungsauftrag einen klaren Abschluss gefunden hatte. Weshalb ihn wohl jemand mit dieser ollen Kamelle beschäftigen wollte? Gerteis zuckte mit den Schultern. Begannen die Genossen mit beginnender Altersdemenz damit, ihre „Heldentaten“ zu verherrlichen?

Trotzdem las er die Seiten aufmerksam durch. Eine absolut glatt gelaufene Sache, was nicht immer der Fall gewesen war. Dieser Mann war praktisch ohne Aufsehen erledigt worden. In einem Hotel, das kurz nach der Aktion abgerissen wurde. Zufall? Das wusste Gerteis auch nicht genau. Es war üblich gewesen, Informationen nur an diejenigen weiterzugeben, die sie tatsächlich benötigten. Das hatte sich bewährt.

Gerteis stutzte. Fingerabdrücke? Von der Leiche des Agenten? Die angeblich nicht mit denen übereinstimmten, die in der Akte hinterlegt waren? Er selbst hatte diese Abdrücke besorgt, von einem Glas, das Lehmann bei einem Treffen benutzt hatte. Irrtum ausgeschlossen! Konnte sich nur um eine Schlamperei handeln.

Nicht auszudenken, wenn der noch am Leben wäre. Gerda hatte sich inzwischen zur erfolgreichen Landespolitikerin entwickelt. Lehmann hatte sie damals als Waldtraut Scholz gekannt.

Michael Gerteis erinnerte sich ganz besonders an die Aufmachung, die Mia, die extrem begabte Maskenbildnerin des MfS, Gerda alias Waldtraut verpasst hatte, um Lehmann zu täuschen. Erschreckend echt. Als wäre sie tatsächlich gnadenlos zusammengeschlagen worden. Wenn er es nicht besser gewusst hätte …

Na ja immerhin. Mia hatte keinerlei Fantasie benötigt, um sich vorzustellen, wie eine von Profis verprügelte Frau aussah. Sie hatte damals mehr als genug Anschauungsmaterial zur Verfügung.

Gerda war aktuell für die nächsten Wahlen auf Bundesebene nominiert. Der Weg zur Bundesministerin dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein. Dadurch erschien sie fast täglich in den Medien. Natürlich würde Lehmann sie erkennen, falls er noch am Leben sein sollte.

Ein absoluter Supergau. Für die Partei genauso wie für Gerda. In ihrer Position konnte bereits ein Verdacht, der sich nicht sofort und komplett ausräumen ließ, den erzwungenen Rücktritt bedeuten.

Und was konnte mit den vielen sorgfältig getarnten Genossen passieren, wenn sich diese Schleusen einmal geöffnet hatten?

Selbst wenn es sich nur um ein verschwindend kleines Restrisiko handelte: Konnte er es ignorieren? Dass auch er selbst in den Strudel geraten würde, wäre kaum zu vermeiden. Und als pensionierter Beamter im höheren Dienst bot das Leben mit gerade mal achtundsechzig Jahren Annehmlichkeiten, auf die er nur sehr ungern verzichten würde. Oder sie sogar gegen eine Zelle eintauschen.

Es gab nur eine Lösung. Er musste sich darum kümmern. Auch wenn er damit schlafende Hunde wecken sollte.

Ist sicher nur falscher Alarm, versuchte er, sich selbst zu beruhigen. Aber das schale Gefühl wollte nicht verschwinden. Irgendwie schien das Atmen schwieriger als sonst. Jedoch das lag wohl eher daran, dass er zu viel rauchte, schalt er sich selbst. Damit hatte Lehman ganz bestimmt nichts zu tun.

Codename Travertin

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