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4. Kapitel

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Michélle riss Kommissar Krüger aus seinen Gedanken. „Leiche, Chef“, rief sie ihm fast eine Spur zu fröhlich, zu.

„Unnatürlich?“, gab er knapp zurück.

„Erstochen, ja!“

„Gut, Frau Guerin.“ Krüger stockte immer noch leicht bei diesem Namen. Stets musste er aufpassen, sie nicht mehr Frau Steinmann zu nennen. „Beim Auto, wie immer!“

Während der Fahrt versorgte sie Krüger, der nur dann selbst fuhr, wenn es nicht anders ging, mit ersten Informationen.

„Männliche Leiche, offenbar Stichverletzung. Liegezeit mindestens zwanzig Stunden, noch kein Name, keine Verdächtigen. Fundort: Rastplatz an der Bundesstraße!“

„Und dort liegt er schon so lange unentdeckt?“, fragte Krüger nach.

Michélle nickte nur.

„In einem Fahrzeug?“, mutmaßte Krüger.

Sie zuckte mit den Schultern. „Die Kollegen sprachen von Gebüsch.“

„Möglicherweise nur abgeladen.“

„Wir sind gleich da“, gab Michélle ausweichend zurück.

***

Doktor Holoch, der Pathologe, nickte den beiden zu, als sie am Fundort eintrafen. Auf Krüger wirkte er oft distanziert, außer bei Michélle.

„Madame Guerin! Wie schön, Sie zu sehen!“, schleimte der Doktor, während er ihr die Wagentür aufhielt.

Krüger, noch auf dem Beifahrersitz, wusste nicht, ob Holochs Gehabe bloß dazu dienen sollte, ihn zu ärgern oder ob der es ehrlich meinte. Auf jeden Fall musste er zugeben, dass „Madame Guerin“ viel eleganter klang als sein vergleichsweise holperiges „Frau Guerin“.

„Herr Doktor“, brummte Krüger. Demonstrativ kurz.

Er erntete ein knappes, „Herr Kommissar“, von Holoch, der offenbar lieber weiter mit Madame schäkerte, als Krüger Respekt zu zollen. Immerhin bemühte sich eine junge, uniformierte Beamtin, auch seine Wagentür zu öffnen, was Krüger mit einem möglichst spöttischen Lächeln in Richtung des Rechtsmediziners zu unterstreichen versuchte.

Vergeblich. Der Pathologe konzentrierte sich vollständig auf Michélle. Krügers kleiner Triumph versickerte in der Bedeutungslosigkeit.

Schulterzuckend wandte er sich ab und prägte sich den Fundort ein. Ein typischer Rastplatz an der Landstraße. Mehrere Bäume, Birken oder Espen, wie Krüger vermutete. Darunter standen einige grob gezimmerte Tische und Bänke. Eine asphaltierte Fahrspur, flankiert von gekiesten Stellplätzen, durchschnitt den Platz. Keine Gebäude, keine Toilette, keine Wasserstelle, registrierte er. Links, in Fahrtrichtung, begrenzte ein mit Büschen bewachsener Abhang die Landstraße, die sich, nur durch wenige Meter vom Parkplatz getrennt, in der Ferne verlor.

Außerhalb der Bäume, auf der rechten Seite, breitete sich ein großer Acker aus, den man nicht hätte durchqueren können, ohne deutliche Fußabdrücke zu hinterlassen. „Immerhin“, brummte Krüger vor sich hin.

Ein weißes Stoffzelt bezeichnete die Stelle mit dem Toten. Krüger näherte sich vorsichtig, die Augen fest auf den Boden gerichtet. Jedes Mal stellte er sich vor, einen Gegenstand zu finden, den die Techniker übersehen hatten. Bisher ohne Erfolg, aber das nahm er hin.

Der Tote wirkte seltsam friedlich. Das war wohl seinen geschlossen Augen und dem üppigen Grün zuzuschreiben, das ihn umgab. Das Zelt erweckte den Eindruck eines geschützten, geschlossenen Raumes. Natürlich störte der hölzerne Messergriff, der aus der Brust ragte, die Idylle ein wenig. Aber auf den ersten Blick hätte man das auch für einen abgestorbenen Ast aus dem Gebüsch halten können.

Krüger rief sich selbst zur Ordnung. Geschlossene Augen bei einem Mordopfer?

***

Doktor Holoch wiederholte auf der ersten Besprechung, die noch am Fundort stattfand, im Wesentlichen die Dinge, die Krüger bereits von Michélle erfahren hatte. Die Todesursache schien so offensichtlich, dass kaum darauf zu hoffen war, dass die Obduktion nennenswerte, andere Erkenntnisse zutage bringen würde. Der Mann dürfte auf der Parkbank erstochen und danach hier im Gebüsch notdürftig versteckt worden sein. Soweit die Fakten.

Die geschlossenen Augen wiesen möglicherweise auf eine Bekanntschaft zwischen Opfer und Täter hin, vermutete Holoch.

Für Krüger keine wirklich neue Erkenntnis. Das ergab sich für ihn allein aus der von Holoch zuvor erwähnten Tatsache, dass das Opfer beim Angriff gesessen haben musste und keinerlei Abwehrverletzungen aufwies. Er äußerte jedoch nichts Negatives über Holochs Vermutung. Schon öfters hatte ihm der Doktor mit seiner eigenen Sicht auf die Indizien nützliche Impulse geliefert.

Eher beunruhigend fand Krüger den Umstand, dass dieser Fall das Potential hatte, einer jener aussichtslosen Fälle zu werden, die sich jahrelang hinziehen und die er nur zu gut kannte. Dann nämlich, wenn es sich beim Täter um einen Fremden oder sogar um einen Ausländer handelte, der bestimmt nie wieder hier auftauchte. Wie sollte man so jemanden finden?

„Danke Herr Doktor“, brummte der Kommissar Holoch zu, um sich gleich darauf an Erwin Rohr, den Chef der Spurensicherung, zu wenden. „Bei dir, Erwin?“

Rohr wirkte bekümmert. „Bei Kiesplätzen ist die Spurensicherung oft sehr schwierig. Einige Blutstropfen, die kaum weiterhelfen werden, konnten wir sichern. Auch die schwache Schleifspur, die zur Leiche führt, haben wir untersucht. Das Ergebnis dieser Untersuchung, nämlich den Ablageort, hätte sich auch ohne den ganzen Aufwand leicht erkennen lassen.“

Krüger nickte tröstend. „Fußspuren? Im Acker?“ Er deutete auf das weite Feld.

„Keine frischen. Aber wir arbeiten daran“, gab Rohr zurück.

Ohnehin unwahrscheinlich, dass sich der Täter zu Fuß entfernt hatte. Der Tatort lag schließlich an einer Landstraße im Grünen, die dem Durchgangsverkehr diente. Mitten in der Pampa, dachte Krüger. Aber in seinem Bericht tauchten solche Begriffe natürlich nie auf.

Als Großstadtmensch aus Frankfurt sollte man die Befindlichkeiten der Provinz zu berücksichtigen wissen, hatte ihm einer seiner früheren Vorgesetzten einmal beigebracht. Lange her. Wie hatte der doch gleich geheißen?

Ich schweife dauernd ab, wies Krüger sich selbst zurecht. Weshalb konnte er sich bloß nicht richtig auf den Fall konzentrieren?

War Holoch schuld, der ihm Michélle zu entziehen versuchte?

Blödsinn! Er liebte doch Elisabeth, seine neue Lebenspartnerin, wirklich. Michélle war bloß eine begabte Assistentin, der er Fachwissen vermittelte und sie auch auf Führungsaufgaben vorbereitete. Seine potentielle Nachfolgerin. Und dazu frisch verheiratet.

Außerdem war das Ganze ja nichts Neues. Holoch, der sonst kaum auf Frauen reagierte, hatte Michélle schon immer sehr bevorzugt behandelt. Sah er in ihr vielleicht ebenfalls ein Stück weit die Tochter, die er gerne gehabt hätte?

Krüger selbst würde dies auf keinen Fall jemals zugeben. Aber das der Doktor solche Gedanken hegte? Kaum vorstellbar. Wahrscheinlich ging es doch nur darum, zu provozieren. Das passte zu Holoch. Ein ausgezeichneter Fachmann, daran gab es für Krüger keinen Zweifel. Jedoch Einer, der es liebte, allen in seiner Umgebung laufend kleine Brocken Nonsens vor die Füße zu werfen. Sicher nur eine Art Schutzfunktion. Schutz vor dem Grauen seines Berufes. Oder konnte tatsächlich jemand in Holochs Position eine solch unvorstellbare Gelassenheit an den Tag legen ohne irgendwelche Ersatzhandlungen?

Krüger schüttelte den Kopf. Holoch mochte exzentrisch sein. Aber zu einem Übermenschen reichte es dann doch nicht.

Michélles helles Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. Natürlich stand sie dicht neben Holoch. Wo sonst, ärgerte er sich. Immerhin schrieb sie alle Fakten auf, so dass es kaum eine Rolle spielte, womit sich Krüger vor Ort beschäftigte.

Die junge Beamtin, die ihm die Türe aufgehalten hatte, sprach ihn schüchtern an. „Entschuldigen Sie, Herr Kommissar! Ich glaube, den Toten zu kennen. Nicht mit Namen, aber er arbeitet als Landesarchäologe, da bin ich mir ziemlich sicher!“

Holochs Präsenz verblasste augenblicklich. „Wie sicher?“, fragte Krüger zurück.

„Vor einigen Monaten hatten wir einen Skelettfund. Die Kochen waren aber schon ziemlich alt. Da habe ich den Herrn gesehen, als er die Fundstelle übernommen hat.“

„Dann könnte er ja ein Beamter sein“, nahm Krüger den Faden auf.

„Darüber weiß ich nichts, Herr Kommissar. Aber wenn Sie meinen.“

***

Am nächsten Tag konnte Krüger bereits mit ersten Ergebnissen aufwarten, die er Polizeirat Vogel berichtete. „Das Opfer, ein Beamter der Denkmalpflege, Jürgen Leimer, konnte zweifelsfrei identifiziert werden. Auch die Todesursache hat sich inzwischen definitiv bestätigt. Ein einziger Stich ins Herz.“

Vogel nickte. „Daran hatte Doktor Holoch von Anfang an festgehalten. Wie steht es mit der Fahrradspur, hat sich da was ergeben?“

Krüger nickte. „Ja. Jemand hat den Rastplatz mit einem Fahrrad durch den Acker verlassen, so viel steht fest!“

„Verlassen?“, wiederholte Vogel. „Könnte er nicht auch damit gekommen sein?“

Krüger räusperte sich vorsichtig. „Wir haben das Fahrrad am Ende der Spur gefunden, und es gibt nur die eine Spur, Herr Polizeirat.“

Vogel winkte ab. „Ja, klar!“

„Eigentlich ganz raffiniert“, erklärte Krüger. „Die Spur des Rades ist nicht zu übersehen, hilft jedoch am Ende wenig. Einen Fußabdruck, den wir auswerten und weiterverfolgen könnten, haben wir nicht. Deshalb setzen wir große Hoffnung auf den Fingerabdruck, der am Fahrrad sichergestellt werden konnte.“ Vogel sah ihn fragend an, deshalb ergänzte Krüger gleich: „Das Rad wurde flüchtig gereinigt. Deshalb gibt es nur einen brauchbaren Abdruck. Dieser ist allerdings von guter Qualität.“

Vogel wirkte zufrieden. „Einen Fehler machen alle, das ist unsere Chance“, stellte er fest.

Krüger wollte voreilige und dadurch möglicherweise falsche Schlüsse unbedingt vermeiden. „Es steht allerdings noch nicht fest, dass der Radler überhaupt etwas mit dem Delikt zu tun hat“, schwächte er ab.

Vogel stutzte kurz. „Das ist klar. Aber ich denke schon, dass man nicht grundlos durch einen Acker radelt und danach das Rad einfach liegenlässt. Noch dazu gereinigt.“

Da musste Krüger ihm Recht geben. „Ja, Herr Polizeirat!“

***

Frank Berger hatte den Rest des Tages und die folgende Nacht in seinem Zimmer verbracht. Schlaflos, ungeduldig wartend auf die stündlichen Nachrichten im Radio. An diesem Morgen beruhigte er sich nach und nach. Wenn die eine Spur von ihm hätten, wären sie längst da. Oder es hätte zumindest ein Zeugenaufruf im Radio laufen müssen.

Durch plötzliches Verschwinden würde er auch auffallen? Wahrscheinlich war es klüger, so zu tun, als ob nichts geschehen wäre? Kaum jemand wusste von seiner Beziehung zu diesem Denkmalpfleger. Und diejenigen, die es wussten, ihre gemeinsamen Kunden, würden die Klappe halten. Oder?

Der Gedanke, dass der Täter einer der Kunden sein könnte, ließe den Schluss zu, dass er, Frank, an dessen Stelle als Mörder angeschwärzt werden sollte.

Andererseits: Ihn kannte kaum jemand. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass man heimlich ein Foto von ihm geschossen hatte: Es blieb nicht mehr als ein Gesicht übrig. Dieser Frank Berger existierte ja nicht und war deshalb auch nicht auffindbar.

Noch einmal ließ er den Film in seinem Kopf ablaufen. Sah sich fröhlich pfeifend auf den Rastplatz rollen. Viel zu früh. Noch mehr als sonst. Nichts Auffälliges bemerkt.

Danach das Nickerchen, bis ihn der Idiot mit seinem Start geweckt hatte. Der Mörder? Oder auch nur ein zufälliger Zeuge, so wie er selbst? Der sich lieber aus dem Staub machte, anstatt die Bullen zu rufen? Das bedeutete, dass er nicht einmal sicher sein konnte, den Wagen des Täters gesehen zu haben.

Was war passiert, während er gepennt hatte? Geschrei oder ein Kampf konnten nicht stattgefunden haben. Davon wäre er aufgewacht. Bedeutete das, dass das Opfer nicht einmal mehr hatte schreien können?

Und das Motiv?

Ein Fundstück? Sie waren wertvoll, keine Frage. Jedoch dafür einen Mord riskieren? Und gleichzeitig den Lieferanten für immer verlieren?

Unwahrscheinlich. Je länger Frank über den Mord nachdachte, desto unwirklicher erschien ihm der Gedanke, dass das Leben des Denkmalpflegers von einem seiner Kunden ausgelöscht wurde. Zu Ende gedacht bedeutete das, dass Frank eigentlich überhaupt nichts wusste.

Wie konnte er seinen eigenen Abgang einstufen? Auf der Straße zu fliehen wäre vermutlich weniger auffällig gewesen. Aber dafür die Wahrscheinlichkeit, dabei gesehen zu werden, um ein Vielfaches höher.

Das Rad, das er zurückgelassen hatte, gehörte ihm nicht. Er hatte es „ausgeliehen“. Schon vor einiger Zeit. Immerhin möglich, dass die Polizei den richtigen Besitzer ermittelte und einige Zeit mit ihm beschäftigt sein würde. Und das die Presse über die Sache berichtete.

Einfach die Nerven behalten und nur reagieren, wenn es notwendig wurde. Das hatte man ihm in der Ausbildung beigebracht. Sorgfältiges Analysieren. Stillhalten, bis das Interesse abflaute.

Codename Travertin

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