Читать книгу Schamanismus bei den Germanen - Thomas Höffgen - Страница 14

Die neun Welten

Оглавление

Der Weltenbaum strukturiert das Universum. Er ist die „All-Säule“, an deren Ästen die Seele des Schamanen in die verschiedenen Weltebenen klettert. Meistens unterteilt der Weltenbaum den Kosmos in drei Dimensionen, es können aber auch neun (3x3) oder zwölf (3x4) sein. In der germanischen Mythologie gibt es neun Welten, so weissagt die Seherin der Edda:

neun Welten gedenk ich, neun Ästen

des herrlichen Weltenbaums unter der Erde.

(Völuspa 3)

Zwar ist an keiner Stelle genau überliefert, wie sich die neun Welten Yggdrasils konstituieren. Doch werden in der germanischen Mythologie verschiedene Weltennamen genannt und kontextualisiert, die sich durchaus sinnvoll zusammenfassen lassen. Von einem ‚genormten Weltenbaum‘ ist bei den Germanen ohnehin nicht auszugehen, sondern von stammgebundenen individuellen Ausformungen (Varianten) ein und derselben Sache (Mythologem). Bei der folgenden Darstellung handelt es sich um eine Rekonstruktion der neun Welten Yggdrasils unter Einbezug der Ausführungen von Snorri Sturluson:

OBERE WELT

1. Asgard heißt die prunkvolle Wohnstätte des Göttergeschlechtes der „Asen“, zwölf Himmelsburgen aus Gold und Silber, umgeben von gigantischen Mauern. Hier hat Odin seinen Hochsitz. Hierhin kommen die Helden – die Einherjer – nach dem Tode: Zu Odin (Walhall) oder Freyja (Folkwang). Die Regenbogenbrücke Bifröst reicht von Asgard in die Menschenwelt Midgard.

2. Wanenheim ist der Name der Wohnstätte der Wanen, des zweiten Göttergeschlechtes der Germanen. Hier haben die Geschwister Frey („Herr“) und Freyja („Herrin“) ihren Sitz, alte, vielleicht vor-indoeuropäische Fruchtbarkeitsgötter. Freyja ist auch die Göttin der Liebe und der Magie, die ‚Venus des Nordens‘.

3. Lichtalbenheim ist der Ort, an dem die Lichtalben leben, also das Feenreich. Alben bzw. Elfen sind Naturgeister, die in den Phänomenen erscheinen, in Pflanzen, Steinen oder Bächen. Sie sind lieblich-zarte Lichtwesen, die an Sonnenstrahlen erinnern und im Morgentau tanzen. Beim „Álfablót“ brachten die Germanen ihnen Opfer dar.

MITTLERE WELT

4. Midgard heißt die Menschenwelt, die Welt, wie wir sie kennen. Midgard ist zugleich die Bezeichnung für die Hecke, die das germanische Gehöft vom Wald abgrenzt, bezeichnet also den vom Menschen kultivierten Lebensraum im Gegensatz zur Wildnis. Im mythologischen Bewusstsein der Germanen wird Midgard von der Midgardschlange umschlungen.

5. Jötunheim ist das Reich der Riesen, Elementarwesen, die die Naturgewalt verkörpern. Jötunheim wiederum liegt in Utgard, das ist die „Außenwelt“, die Welt außerhalb von Midgard. In der Volksdichtung werden Riesen in Zusammenhang gebracht mit den wilden Leuten, also Menschen, die aus rituellen Gründen den vertrauten Lebensraum verlassen und „aus-Midgard-heraus-treten“.

6. Muspellsheim liegt im Süden, wo das Feuer dominiert; hier leben die Feuergeister und Feuerriesen. Die Funken des Feuerlandes sind die Gestirne am Firmament: Sonne, Mond und Sterne. Das Feuer ist aber auch ein Symbol für die Erkenntnis und die Wesensschau, den Geistesblitz, man denke nur an die Erfindung des Feuermachens mit dem Feuerstein.

UNTERE WELT

7. Schwarzalbenheim wird die Wohnstätte der Zwerge, Kobolde und Erdgeister genannt. Diese Wesen leben unterirdisch in Höhlen und Gebirgen oder unter Bäumen, sind zauberkundig und kräftig und manchmal etwas eigenwillig. Sie lieben (Edel-)Metalle und Waffen und sind vorzügliche Schmiede. Schwarzalben sind nicht ‚schwarz‘ im Sinne von ‚bösartig‘, sondern ‚erdverbunden‘.

8. Niflheim liegt im Norden, wo das Eis ist. Ein Wolkenschleier zieht sich über diesen Ort: Niflheim heißt „Nebelheim“. Volkstümlich wird der Herbst- bzw. Winternebel mit dem Erscheinen der Geister assoziiert. Doch nicht nur kalter Nebel steigt hier auf, sondern auch kochend-heißer Dunst: In Niflheim entspringt die heiße Quelle Hvergelmir („brodelnde Quelle“), die alle Flüsse speist.

9. Hel ist sowohl der Name des unterirdischen Totenreichs, als auch von dessen Herrscherin. Eine goldene Jenseitsbrücke – eine Schamanenbrücke – führt die Seelen der Verstorbenen zu diesem Ort. „Hel“ ist verwandt mit dem Wort „Hölle“. Doch mitnichten droht hier ewige Verdammnis; diese Vorstellung ist christlich. Vielmehr heißt „Hel“ (indogerm *kel) „verhüllen, verbergen, schützen“.

Schamanismus bei den Germanen

Подняться наверх