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III. Unselbständige Anknüpfung nach der lex causae

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1. Ausnahmsweise findet die Technik der unselbständigen Anknüpfung der Vorfrage Anwendung. Diese kommt nur für die Anknüpfung von Vorfragen im Tatbestand einer ausländischen materiellen Norm in Betracht. Die Erstfrage im deutschen IPR und die Vorfrage im ausländischen IPR können noch nicht nach einer lex causae beurteilt werden, da sie sich stellen, ehe eine lex causae ermittelt ist.

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2. Unselbständige Anknüpfung bedeutet die Beantwortung der Vorfrage nach dem Recht, welches die lex causae in ihrem IPR beruft. Es wird also – im Unterschied zur unmittelbaren Anwendung der lex causae – nicht deren materielles Recht auf die Vorfrage angewendet. Vielmehr wird die Vorfrage als eigenständig anzuknüpfende Frage, jedoch aus der Sicht eines Gerichts im Land der lex causae beurteilt. Meistens wird die unselbständige Anknüpfung zum äußeren Entscheidungseinklang führen.

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3. Eine unselbständige Anknüpfung findet nur ausnahmsweise statt, wenn der äußere Entscheidungseinklang in einem Bereich aus besonderen Gründen so wichtig wird, dass der innere Entscheidungseinklang zurücktreten muss. Das ist vor allem in einzelnen Personenstandsfragen der Fall, um für die Beteiligten unerträgliche Ergebnisse zu vermeiden.

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a) Im internationalen Namensrecht werden Vorfragen nach der Abstammung grundsätzlich unselbständig an das Namensstatut, also das Heimatrecht (Art. 10 Abs. 1) angeknüpft. Der Name hat Identifikations- und Ausweisfunktion; es ist sehr nachteilig, wenn jemand in Deutschland einen anderen Namen führt, als in seinem – vom Heimatstaat ausgestellten – Personalausweis vermerkt ist. Der Name hat eine Ordnungsfunktion: Zweck der Anknüpfung der Namensführung an das Personalstatut ist es, dass die Person auch aus deutscher Sicht den Namen führt, den sie nach ihrem Heimatrecht führt. Daher sind, soweit es um den Namen geht, familienrechtliche Vorgänge unselbständig anzuknüpfen und gleichfalls nach dem durch das Personalstatut berufenen Recht zu beurteilen.[5]

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b) Familienrechtliche Verhältnisse (Abstammung, Eheschließung) als Vorfragen des Staatsangehörigkeitserwerbs werden unselbständig angeknüpft, soweit nicht sogar unmittelbar das Familienrecht des betroffenen Staates – ohne Vorfragenanknüpfung – angewendet wird (vgl Rn 506 zur Adoption). Insoweit verlaufen nicht nur die individuellen Interessen ähnlich wie im Namensrecht; die Staatsangehörigkeit hat Ordnungsfunktion und kann nicht abweichend von der Sicht des betroffenen Staates beurteilt werden. Es kommt hier noch der völkerrechtliche Aspekt hinzu, dass ein Staat nicht eine Person als Staatsangehörigen eines anderen Staates ansehen kann, wenn der betroffene Staat dies nicht tut. Das kann dazu führen, dass ein Kind eine ausländische Staatsangehörigkeit von einem Elternteil erwirbt, der bei Anknüpfung nach Art. 19 aus Sicht des deutschen Rechts nicht Elternteil ist.[6]

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c) Vorfragen in einem von völkervertraglichen Kollisionsnormen berufenen Recht müssen ebenfalls unselbständig angeknüpft werden; das durch solche Verträge angestrebte Ziel der Vereinheitlichung der Rechtsanwendung ist nur durch äußeren Entscheidungseinklang sinnvoll zu verwirklichen.

Die Verwandtschaft als Vorfrage einer Unterhaltspflicht wurde unter Geltung des HUntStÜbk 1973 nach dem IPR der Rechtsordnung angeknüpft, die Art. 4 bis 6 HUntStÜbk 1973 beriefen. Sie wurde aber nicht unmittelbar nach den materiellen Vorschriften dieser Rechtsordnung beantwortet (vgl Rn 523 ff), weil Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens das Bestehen der für den Unterhaltsanspruch vorgreiflichen familienrechtlichen Beziehungen aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens ausklammert. Daran hat sich unter Art. 1 HUntStProt 2007 nichts geändert, auch wenn eine Art. 2 Abs. 2 HUntStÜbk 1973 entsprechende ausdrückliche Regelung fehlt. Das Unterhaltsstatut bestimmt Ob und Umfang des Anspruchs (Art. 11 HUntStProt 2007) aus einer Familienbeziehung (Art. 1 HUntStProt 2007), nicht aber deren Bestehen.

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Nicht zu vermeiden ist dagegen, dass Erstfragen, die in der Anwendung völkervertraglicher Kollisionsnormen auftreten, selbständig angeknüpft werden; Erstfragen können immer nur selbständig angeknüpft werden (Rn 508), weil in diesem Stadium der Prüfung noch keine lex causae ermittelt ist. Etwas anderes gilt, wenn die völkervertragliche Kollisionsnorm für eine Erstfrage eine interne Definition vornimmt, um den Rückgriff auf andere Rechtsordnungen zu vermeiden, der zu einer uneinheitlichen Anwendung führen würde.

Art. 15 iVm Art. 5 ff KSÜ setzen voraus, dass die betroffene Person ein „Kind“ ist. Art. 2 KSÜ definiert den Begriff des Kindes autonom.

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d) Ähnlich wie im völkervertraglichen IPR ergeben sich auch im EuIPR Vorfragen- und Erstfragenprobleme. Ausdrückliche Bereichsausnahmen verdeutlichen, dass die Kollisionsnormen einer Verordnung bestimmte Vorfragen nicht erfassen, sich also nach einem anders angeknüpften Recht beurteilen. Klar ist damit, dass diese Vorfragen nach nationalem IPR oder einem anderen, ihre Materie erfassenden europäischen oder völkervertraglichen Rechtsinstrument anzuknüpfen sind. Nicht eindeutig ist dagegen, ob bei nationalem IPR das IPR der lex fori (selbständige Anknüpfung) oder das der europarechtlich bestimmten lex causae (unselbständige Anknüpfung) anzuwenden ist.

ZB formuliert Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO eine Bereichsausnahme für die Vorfrage des Bestehens der Ehe (Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom III-VO), die nicht dem von Art. 5 ff Rom III-VO geregelten Scheidungsstatut unterliegt. Damit bietet sich eine selbständige Anknüpfung lege fori oder, ebenso wie im völkervertraglichen IPR, die unselbständige Anknüpfung an das IPR des vereinheitlichten Scheidungsstatuts an, um auch für die Vorfrage Entscheidungseinklang zu erreichen. Zwar fördert die unselbständige Anknüpfung das Ziel einheitlicher Entscheidung in allen Mitgliedstaaten; andererseits ist gerade bei der Ehe als Vorfrage der innere Entscheidungseinklang stark gestört. Bei Erstfragen im EuIPR führt auch die lex fori-Anknüpfung dann zu Entscheidungseinklang mit anderen Mitgliedstaaten, wenn sich die Frage in einem (anderen) kollisionsrechtlich oder materiell-rechtlich EU-rechtlich harmonisierten Rechtsgebiet stellt.

Ein Beispiel autonomer Ausfüllung einer Erstfrage durch Rückgriff auf vereinheitlichtes materielles Recht ergibt sich in Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, wo der „Verbraucher“ in derselben Weise definiert wird, wie bereits in zahlreichen verbraucherschützenden Richtlinien, die auch für § 13 BGB Pate standen. Gäbe es die Definition in Art. 6 Rom I-VO nicht, so müsste der Rechtsanwender für die Beantwortung der Erstfrage (Ist der Beteiligte X Verbraucher?) auf jene EU-rechtlich harmonisierten materiellen Regelungen zurückgreifen.

Literatur:

Gössl Die Vorfrage im Internationalen Privatrecht der EU, ZfRV 2011, 65; Henrich Die Wirksamkeit der Adoption als Vorfrage der Namensführung des Adoptierten, IPRax 1998, 96.

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