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4. Auslegung völkervertraglichen IPR

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a) Die Auslegung völkervertraglicher Kollisionsnormen folgt besonderen Regeln, die sich aus ihrer Natur als internationales Einheitsrecht ergeben.

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Es darf nicht ohne weiteres von der Begriffsbedeutung eines verwendeten Rechtsbegriffes im deutschen Recht ausgegangen werden; vielmehr ist einer einheitlichen, „vertragsautonomen“ Auslegung der Vorzug zu geben, um die einheitliche Auslegung in den Vertragsstaaten sicherzustellen.

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b) Dennoch kommt dem Wortlaut der Regelung stärkere Bedeutung zu, als im nationalen Recht; die am Wortlaut orientierte Auslegung bietet die beste Gewähr, dass sich keine aus der jeweiligen lex fori entlehnte Teleologie einschleicht, die das Übereinkommen in Wirklichkeit nicht anstrebt. Jedoch ist zur Vermeidung einer Orientierung an Begrifflichkeiten des eigenen Rechts der Wortlaut in den verschiedenen offiziellen Vertragssprachen zu untersuchen; bei Haager Abkommen, die überwiegend nur in Englisch und Französisch erstellt werden, ist dies zu bewältigen; bei EWG-/EG-Übereinkommen mit zunehmendem Teilnehmerkreis stellte sich eine von einzelnen nicht mehr zu bewältigende Aufgabe; das resultierende Problem ist bei den den Übereinkommen nachfolgenden EG-/EU-Verordnungen nicht geringer, zumal die Sprachversionen oft grundlos voneinander abweichen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die rechtsvergleichende Methode der Auslegung. Systembegriffe in den verschiedenen Sprachen haben oft ihre Wurzel in Systembegriffen des zugehörigen nationalen Rechts. Die Erkenntnis der Wortbedeutung kann dann nicht als philologische Aufgabe verstanden werden, sondern ist vor allem rechtsvergleichende Aufgabe.

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Allerdings verwenden völkervertragliche Übereinkommen gelegentlich bewusst neutrale, in der zur jeweiligen Sprache gehörigen Rechtsordnung nicht besetzte Begriffe, um divergierende Auslegungen zu vermeiden. Dies setzt voraus, dass schon bei der Aushandlung des Übereinkommens die Probleme erkannt wurden, und beschränkt sich daher auf Sternstunden der internationalen Vertragspraxis. So haben die jüngeren Haager Übereinkommen den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts aufgegriffen, der als Kompromissformel zwischen dem – jeweils unterschiedlichen – deutschen, schweizerischen und österreichischen Wohnsitz, den romanisch-französischen Begriffen der résidence und des domicile (bzw italienisch residenza, domicilio und spanisch residencia, domicilio) sowie dem Common Law-Verständnis von residence und domicile sogar Eingang in nationale IPR-Kodifikationen gefunden hat (vgl Art. 14 Abs. 1 Nr 2).

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c) Historische Auslegung kann für die einheitliche Anwendung von Nutzen sein; Quellen der historischen Auslegung sind jedoch meist nur die – nicht immer veröffentlichten – Materialien des jeweiligen Übereinkommens, in Einzelfällen auch Materialien, die auf eine Querverbindung zwischen mehreren (insbesondere Haager) Übereinkommen hinweisen. Wie jede historische Auslegung findet auch die Quellenauslegung bei Völkerverträgen ihre Grenze dort, wo die Rechtstatsachen dem Wandel der Zeit unterliegen.

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d) Systematische Auslegung ist meist wenig fruchtbar; völkervertragliche Kollisionsnormen stehen selten in einem über den jeweiligen Vertrag hinausweisenden Zusammenhang.

Zwischen dem KSÜ und dem Haager Kindesentführungsübereinkommen besteht insofern ein Zusammenhang, als die Fortdauer der Zuständigkeit in Fällen der Kindesentführung (Art. 7 KSÜ) auf die Jahresfrist in Art. 12 KEntfÜ abgestimmt werden sollte und deshalb die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Verbringungsstaat nicht – wie früher – schon nach 6, sondern erst nach 12 Monaten anzunehmen ist.

Andererseits sind systematische Brüche mit dem eigenen nationalen Kollisionsrecht ggf hinzunehmen, um eine einheitliche Anwendung zu sichern.

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e) Teleologische Auslegung bedeutet bei völkervertraglichen Kollisionsnormen die schwierige Suche nach gemeinsamen Normzwecken aus der Sicht der Vertragsstaaten. Einerseits soll auch im Einheitsrecht die hinter der Kollisionsnorm stehende Wertung entscheiden. Andererseits muss sich der nationale Rechtsanwender davor hüten, die Norm in das Gefüge seiner eigenen Rechtsordnung hinein zu interpretieren. Häufig wird bei jüngeren Übereinkommen die teleologische Interpretation nicht ohne die historische Methode auskommen, indem sie den Quellen die Zielsetzungen entnimmt und die Wege, auf denen die Zielsetzungen erreichbar sind, überzeugend entwickelt. Bei dem relativ großen und daher rechtssoziologisch sehr inhomogenen Kreis der Haager Vertragsstaaten kann es daher schwierig sein, gemeinsame Teleologien zu finden.

Literatur:

zu Kollisionsnormen im deutschen Recht: Staudinger/F.Sturm/G.Sturm (2012) Einl. 388-397 zum IPR; eine ein- bis zweijährlich überarbeitete Sammlung praktisch relevanter völkerrechtlicher Abkommen zu IPR und IZPR findet sich in Jayme/Hausmann Internationales Privat- und Verfahrensrecht (18. Aufl., 2016); eine chronologische Auflistung aller aktuellen Haager Abkommen/Übereinkommen mit Details zu Geltung und Vorbehalten: www.hcch.net.

Teil I IPR: Grundlagen§ 1 Einführung und Abgrenzung › F. Die Funktion des IZPR/EuZPR

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