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3. Verhältnis zum deutschen IPR

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a) Die Konkurrenz zwischen deutschem IPR und völkerrechtlichem IPR beurteilt sich nach Art. 3 Nr 2.

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Völkervertragliches IPR geht dem deutschen IPR mit gleichem Regelungsbereich, insbesondere den Bestimmungen des EGBGB, vor und ist daher vor dem autonomen IPR zu prüfen. Voraussetzung ist, dass der jeweilige zeitliche, sachliche, räumliche und persönliche Anwendungsbereich des Abkommens eröffnet ist. Jüngere Abkommen, insbesondere zahlreiche Haager Übereinkommen, verstehen sich als „loi uniforme“ (franz. einheitliches Recht) und beanspruchen in jedem Vertragsstaat Geltung unabhängig davon, ob der Sachverhalt Bezüge zu einem anderen Vertragsstaat aufweist. Für solche Übereinkommen ist der räumliche Anwendungsbereich immer eröffnet, wenn Deutschland Vertragsstaat ist und keine zusätzlichen räumlichen Anwendungskriterien bestehen.

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Das KSÜ ist auf Schutzmaßnahmen (sachlicher Anwendungsbereich gemäß Art. 1, 3 KSÜ) über Kinder (persönlicher Anwendungsbereich gemäß Art. 2 KSÜ) anzuwenden; das auf die elterliche Verantwortung anwendbare Recht bestimmt es auch außerhalb von Schutzmaßnahmen (Art. 1 lit. c KSÜ). Der räumliche Anwendungsbereich ist zuständigkeitsrechtlich eröffnet, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat (Art. 5 KSÜ); auf die Staatsangehörigkeit des Kindes kommt es nicht an. Kollisionsrechtlich gilt das KSÜ auch, wenn das von Art. 16 ff KSÜ bestimmte Recht das eines Nichtvertragsstaats ist („loi uniforme“, Art. 20 KSÜ).

Kolisionsrechtlich ebenso uneingeschränkt ist der räumliche Anwendungsbereich des Haager Unterhaltsstatutprotokolls 2007, dessen Art. 2 die Anwendung des durch das Abkommen bestimmten Unterhaltsstatuts auch dann bestimmt, wenn dieses Recht das Recht eines Nichtvertragsstaates ist.

Das Haager Testamentsformübereinkommen ist – ebenfalls als loi uniforme – zeitlich anwendbar auf alle Erbfälle, in denen der Erblasser nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens verstorben ist (Art. 8 des Übk.), auch wenn die letztwillige Verfügung früher errichtet wurde; Art. 13 des Übereinkommens erlaubt jedoch jedem Vertragsstaat einen Vorbehalt, das Übereinkommen nur auf letztwillige Verfügungen anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten errichtet wurden.

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b) Es bestehen zwei Techniken der innerstaatlichen Inkraftsetzung von völkervertraglichem IPR.

aa) Der Gesetzgeber kann es bei der Ratifikation durch Bundesgesetz belassen, mit der Folge, dass die Kollisionsnormen des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrages unmittelbar anzuwenden sind. Dies hat den Vorteil, dass am völkervertraglichen Charakter der Norm kein Zweifel besteht und der Vorrang gegenüber deutschem IPR nach Art. 3 Nr 2 zweifelsfrei erkennbar ist. In der Praxis werden allerdings völkervertragliche Normen (die nicht im EGBGB stehen) leichter übersehen; erst recht gilt dies, wenn Deutschland einen Vorbehalt[84] gegen die Anwendung einer einzelnen Bestimmung erklärt hat, der nicht aus dem Konventionstext, sondern nur aus dem Zustimmungsgesetz erkennbar ist. Möglich wäre in diesem Fall eine Hinweisnorm im EGBGB, eine Technik, die der deutsche Gesetzgeber jedoch nur in Art. 3 Nr 1 für EuIPR nutzt.

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bb) Die andere Technik besteht in der Inkorporierung des Übereinkommens in deutsches IPR, insbesondere in das EGBGB. Dies hat den Vorteil leichter Erkennbarkeit; überdies wird bei den heute verbreiteten lois uniformes vermieden, dass in der Praxis der Völkervertrag irrtümlich nur im Verhältnis zu Vertragsstaaten angewendet wird.

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In Anwendung dieser Technik ist jedoch fraglich, ob gleichwohl für das Übereinkommen selbst der Vorrang nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 gilt; selbst wenn der inkorporierte Text völlig dem Übereinkommen entspricht, kann die Vorrangfrage bedeutsam werden, weil für Völkerverträge andere Auslegungsregeln gelten als für nationales IPR. Erst recht stellt sich die Konkurrenzfrage, wenn der inkorporierte Text vom Vertrag inhaltlich abweicht.

Unstrittig geht das Übereinkommen vor, soweit die inkorporierten Kollisionsnormen von dem Übereinkommen abweichen.

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Decken sich die inkorporierten Normen inhaltlich mit dem Völkervertrag, so wollen einige Autoren die inkorporierte Norm anwenden, da deren Anwendung den Vorrang völkervertraglichen Kollisionsrechts nicht verletze.[85] Nach zutreffender hM geht hingegen auch in diesem Fall die völkervertragliche Kollisionsnorm als solche vor; anderenfalls besteht die Gefahr, dass der völkervertragliche Charakter der Norm bei der Auslegung aus dem Blickfeld gerät. Die inkorporierte Norm hat nur eine Hinweisfunktion und ist Auffangnorm, soweit der zeitliche, räumliche, sachliche oder persönliche Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht reicht.[86]

Daher war der mit Inkrafttreten des Haager Unterhaltsstatutprotokoll 2007 aufgehobene[87] Art. 18 schon vorher praktisch bedeutungslos, da ihm das Haager Unterhaltsstatutübereinkommen 1973 als loi uniforme vorging. Ebenso waren Art. 26 Abs. 1 bis 4 aF nur eine scheinbare Inkorporierung des vorrangig und universell geltenden Haager Testamentsformübereinkommens, was Art. 26 Abs. 1 nunmehr voraussetzt. Inkorporierung kann hingegen eine bedeutende rechtsvereinheitlichende Funktion haben, wenn ein Übereinkommen nicht loi uniforme ist. So hat das Vereinigte Königreich das Zuständigkeitssystem des Brüsseler EuGVÜ (Vorgänger zu Brüssel I- und Ia-VO) durch Inkorporierung in den Civil Jurisdiction and Judgements Act weitgehend auch auf Fälle im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar gemacht.

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Etwas anderes gilt nur, wenn Abweichungen vom Übereinkommen bei Zeichnung oder Ratifikation zulässigerweise vorbehalten wurden. Möglich ist sogar, dass ein Vorbehalt dahingehend erklärt wird, ein Übereinkommen nicht unmittelbar, sondern nur transformiert – und ggf modifiziert – in Kraft zu setzen.

So hatte die Bundesrepublik Deutschland bei der Zustimmung zu dem Römischen EWG-Vertragsstatutübereinkommen (Rom I-Übereinkommen) erklärt, dass dessen Art. 1-21 innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung finden. Diese Artikel wurden mit redaktionellen Änderungen in Art. 27 ff aF inkorporiert. Dabei wurde Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens nicht übernommen (sedes materiae war Art. 34 aF), was nicht schon wegen des Inkorporierungsvorbehalts zulässig ist. Deutschland hatte jedoch gegen Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens einen nach Art. 22 Abs. 1 lit. a des Übk. zulässigen Vorbehalt erklärt. All dies ist gegenüber der dem Rom I-Übk. nachfolgenden Rom I-VO, die unmittelbar geltendes Recht und Vorbehalten nicht zugänglich ist, nicht möglich. Da auch die Rom I-VO als loi uniforme konzipiert ist, waren Art. 27 ff aufzuheben.

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c) Nur ein Scheinproblem stellt sich, wenn der deutsche Gesetzgeber inkorporiertes völkervertragliches IPR durch ein späteres Gesetz ändert, ohne hierzu völkervertraglich befugt zu sein. Teilweise wird hier ein Konflikt mit dem Grundsatz lex posterior derogat legi anteriori (lat. ein späteres Gesetz hebt ein früheres auf) gesehen. Tatsächlich verhält es sich aber einfacher: Da der deutsche Gesetzgeber dem völkerrechtlichen Vertrag nicht durch Inkorporierung einseitig dessen Natur entziehen kann und daher weiter Art. 3 Nr 2 gilt, geht der – unbeschadet der Inkorporierung immer noch als solcher bindende – völkerrechtliche Vertrag auch einer späteren deutschen Kollisionsnorm zum selben Gegenstand vor.

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