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IV. Entscheidungseinklang

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1. Ein Idealziel des IPR, das schon v. Savigny genannt hat, ist die Sicherung des Entscheidungseinklangs, der in zwei Richtungen gefordert sein kann.

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Einerseits soll die Entscheidung eines gleichartigen oder desselben Sachverhalts nicht von der Zufälligkeit des Gerichtsstandes abhängen. Bei Fällen mit Auslandsbezug, für deren Entscheidung eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte besteht, muss damit gerechnet werden, dass auch eines oder mehrere ausländische Gerichte eine internationale Zuständigkeit annehmen. Ziel ist hier der internationale Entscheidungseinklang. Es geht dabei um die Vermeidung widersprechender Entscheidungen, sei es im selben, sei es in vergleichbaren Fällen, die von den Rechtssuchenden und in der Öffentlichkeit als ungerecht empfunden würden.

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2. Andererseits ist der interne Entscheidungseinklang zu suchen. Angestrebt ist dabei eine harmonische Behandlung derselben Rechtsfrage durch alle damit befassten deutschen Gerichte und Behörden.

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Beispielsweise ist die Wirksamkeit einer Eheschließung nicht nur für rein eherechtliche Fragen bedeutsam, sondern beeinflusst ggf den Ehenamen (Passbehörden), Sozialhilfeansprüche (Sozialbehörden und -gerichte), Zeugnisverweigerungsrechte (alle Verfahrensordnungen) und die Erbfolge (Nachlassgericht). Wenn verschiedene Statute auf diese Fragen anwendbar sind, könnte es geschehen, dass die Ehe einmal als wirksam, einmal als unwirksam angesehen wird. Niemand könnte verstehen, wenn ein Ehepaar von einer deutschen Behörde als verheiratet, von einer anderen als unverheiratet angesehen wird.

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3. Entscheidungseinklang kann nie vollständig verwirklicht werden.

a) Den größten Beitrag zum internationalen Entscheidungseinklang kann die IPR-Gesetzgebung durch international vereinheitlichtes (völkervertragliches oder europarechtliches) IPR leisten; aber auch die Wissenschaft ist – in ihrer beratenden Funktion für die Gesetzgebung – aufgerufen, durch Kollisionsrechts-Vergleichung die Basis für zumindest ähnliche Kollisionsnormen in unterschiedlichen nationalen Kodifikationen zu schaffen.

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Durch das EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht vom 19.6.1980 (inkorporiert in Art. 27 ff aF) wurden die Kollisionsnormen des Vertrags-IPR in allen Mitgliedsstaaten vereinheitlicht. Art. 65 lit. b EGV aF, nun Art. 81 AEUV, setzte die Förderung der Vereinbarkeit der Kollisionsnormen der EU-Mitgliedsstaaten auf die Agenda und führt zunehmend zu einer Vereinheitlichung durch EU[32]-Verordnungen. Schon vor Inkrafttreten der IPR-Gesetze in Österreich, Deutschland und anderen Staaten seit den 1970er Jahren wurde für das Ehekollisionsrecht die nun in vielen Gesetzen übernommene Anknüpfungsleiter (vgl Art. 14) in der Wissenschaft entwickelt.

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b) Wenig förderlich für den Entscheidungseinklang ist hingegen die an sich dem Entscheidungseinklang gewidmete Methode der Rückverweisung (Art. 4 Abs. 1, dazu Rn 348 ff). Haben zwei Staaten in einem Fall spiegelbildliche Anknüpfungen und folgen beide der Rückverweisung, so wenden sie – höchst disharmonisch – jeweils eigenes Recht an. In völkervertraglichen- und europarechtlichen Instrumenten würde diese Methode die Vereinheitlichung und damit den Entscheidungseinklang wieder auflösen und wird daher nicht angewendet.

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c) In Anwendung der Kollisionsnormen sind die Möglichkeiten, internationalen Entscheidungseinklang zu erreichen, beschränkt. Ist die Verweisung objektiv bestimmt, so kann der Rechtsanwender das Ergebnis nicht korrigieren, selbst wenn er erkennt, dass die verwiesene Rechtsordnung oder ein anderer berührter Staat abweichend entscheiden würde. Ist jedoch die Verweisung flexibel, hat insbesondere der Richter eine engste Verbindung zu ermitteln, so kann er bei seiner Abwägung auch berücksichtigen, wo eine beteiligte Rechtsordnung den Schwerpunkt des Sachverhalts sieht. Dies führt umso mehr zu Entscheidungseinklang, als solche Schwerpunktanknüpfungen regelmäßig nicht in fremdes IPR, sondern direkt in fremdes materielles Recht verweisen, also Sachnormverweisungen sind (dazu Rn 358 ff). Auch die fakultative Berücksichtigung zwingenden Rechts einer an sich nicht berufenen Rechtsordnung (Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO) dient dem internationalen Entscheidungseinklang.

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d) Selten erlaubt auch das nach deutschem IPR anwendbare materielle Recht, eine nach einem fremden IPR anwendbare materielle Rechtsordnung zu berücksichtigen. Dies setzt voraus, dass die anwendbare Norm Ermessen einräumt, insbesondere die Beachtung von Interessen (häufig das Kindesinteresse im Familienrecht) erlaubt, der Auslegung zugänglich ist oder ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe (gute Sitten, grobe Unbilligkeit) enthält.

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e) Der interne Entscheidungseinklang wird vor allem dadurch erreicht, dass bestimmte Rechtsverhältnisse, deren Bestehen Tatbestandsmerkmal für mehrere Rechtsfragen ist, unabhängig von der jeweiligen Sachfrage beurteilt werden. Wichtiges Instrument hierzu ist die sog selbständige Anknüpfung von Vorfragen (zur Vorfrage Rn 497 ff).

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So wird in der geschilderten Situation (Rn 58) das Bestehen der Ehe in formeller und materieller Hinsicht nicht nach dem maßgeblichen öffentlichen Recht (Sozialrecht oder Passrecht), Erbstatut, Scheidungsstatut etc beurteilt, sondern einheitlich nach dem Eheschließungsstatut, auch wenn die Eheschließung nicht die Hauptfrage ist (was bei Anmeldung der Eheschließung oder im Aufhebungsverfahren der Fall wäre), sondern eine Vorfrage, also eine bloße tatbestandliche Voraussetzung einer anderen Rechtsfrage.

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