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10. KAPITEL ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS Goethes Eckermann als Kind. Die Dorfschule und Streit um Kirchenplätze für Moorbauern.

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IN BIBLIOTHEKEN UND ARCHIVEN suchte ich weiter nach schriftlichen Zeugnissen bäuerlichen Lebens im 18. Jahrhundert. Aber wie ein Sozialhistoriker einmal schrieb, waren die Bauern vor dem 19. Jahrhundert »eine stumme Schicht«. Ihre Probleme, stellte er fest, schlügen sich selten schriftlich nieder. »Des Schreibens unkundig oder ihm doch nicht zugetan, haben Bauern kaum Quellen hinterlassen: Es fehlen die Tagebücher, Briefe, Taxationen, Rechnungen und andere Unterlagen der Wirtschaftsführung, wie sie Gutsbesitzer verfasst haben. Diese Schwierigkeiten ändern aber nichts an der Grundtatsache, dass die deutsche Agrarwirtschaft auch im 18. Jahrhundert im wesentlichen Bauernwirtschaft war. Sie hat überall die ökonomische Grundlage der Landwirtschaft gebildet.«

Wesentlich besser dokumentiert ist Goethes Leben – und dort stieß ich immerhin auf jene Männer, die Goethe als Diener, Schreiber und Kutscher beschäftigte. Auch deren Väter sind keine Bauern gewesen, sie stammten meist aus den zünftigen und auch nicht mehr zunftgebundenen Handwerksberufen, waren Spengler, also Klempner, Bäcker, Regimentsmusiker, Korbmacher und Zeugmacher, also Wolltuchweber, ein Stubenmaler war dabei, schon damals ein Lehrberuf, ein Krämer und ein Schwertfeger, Letzterer ein spezialisierter Waffenschmied.

Aber dann fand ich Johann Peter Eckermann.

Der später durch seine »Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens« berühmt gewordene Eckermann hat sich immer dagegen verwahrt, er sei ein ›Diener‹ Goethes gewesen – vielmehr sah er sich selbst als Dichter und Freund, der bei editorischen und organisatorischen Aufgaben half. Bei den feineren Freunden des Ministers hat er dennoch immer ein wenig als Faktotum gegolten. Die Schriftsteller und Gelehrten in Goethes Umkreis spotteten über ihn, über seine literarischen Ambitionen und vor allem über seine mangelnde Bildung. Seine Herkunft war nämlich sehr ähnlich der von Goethes Dienern.

Tatsächlich hat Johann Peter Eckermann eine kurze Beschreibung seiner zwar nicht bäuerlichen, aber doch nahezu bäuerlichen Herkunft hinterlassen. Sie steht an prominenter Stelle, nämlich im Vorwort zu seinem berühmten Buch der Gespräche mit Goethe.

1792 ist Eckermann in Winsen an der Luhe, »einem Städtchen zwischen Lüneburg und Hamburg, auf der Grenze des Marsch- und Heidelandes«, wie er schreibt, geboren, »und zwar in einer Hütte, wie man wohl ein Häuschen nennen kann, das nur einen heizbaren Aufenthalt und keine Treppe hatte, sondern wo man auf einer gleich an der Haustür stehenden Leiter unmittelbar auf den Heuboden stieg«. Er hatte zwei Halbschwestern, die, als er selbst noch ein Kind war, schon in Dienst gegangen waren, und man kann sich vorstellen, dass dieses Dienen als Magd und Knecht allen Geschwistern als ihr Schicksal zugedacht gewesen ist.

Seine Mutter, so schrieb Eckermann, war besonders geschickt im Spinnen der Wolle und im Verfertigen von »bürgerlichen Mützen der Frauenzimmer«, mit dem sie ein wenig Geld in den Haushalt brachte. Der Vater war viel unterwegs, da er mit verschiedenen Waren »in seinem leichten hölzernen Schränkchen auf dem Rücken, in der Heidegegend von Dorf zu Dorf« wanderte und »mit Band, Zwirn und Seide hausieren« ging. Bei diesen Gängen über die Dörfer kaufte er »wollene Strümpfe und Beiderwand«, das war ein aus der braunen Wolle der Heidschnucken und leinenem Garn gewebtes Textil, das er »am jenseitigen Elbufer, in den Vierlanden« wieder zum Verkauf anbot. Auch handelte er »mit rohen Schreibfedern und ungebleichter Leinewand«, die er in den Dörfern aufkaufte, auf der Elbe nach Hamburg schipperte und dort verkaufte. »In allen Fällen jedoch musste sein Gewinn sehr gering sein«, schrieb Eckermann junior, »denn wir lebten immer in einiger Armut.«

Wir können aus dieser seltenen Quelle im Folgenden auch ersehen, wie nahe an der bäuerlichen Lebensweise ein Hausierer damals war. »Die Hauptquelle des Unterhaltes unserer kleinen Familie war eine Kuh, die uns nicht allein zu unserem täglichen Bedarf mit Milch versah, sondern von der wir auch jährlich ein Kalb mästeten und außerdem zu gewissen Zeiten für einige Groschen Milch verkaufen konnten.« Eckermann schrieb weiter davon, dass die Familie auf einem Stück eigenen Landes Gemüse für ihren Bedarf anbaute, jedoch kein Getreide für das Brot, das sie also kaufen mussten. Seine eigenen kindlichen Tätigkeiten sind, wie bei einem Bauernkind, nach Jahreszeiten verschieden. »Mit dem anbrechenden Frühling und sowie die Gewässer der gewöhnlichen Elb-Überschwemmungen verlaufen waren, ging ich täglich, um das an den Binnendeichen und sonstigen Erhöhungen angespülte Schilf zu sammeln und als eine beliebte Streu für unsere Kuh anzuhäufen. Wenn sodann auf der weit ausgedehnten Weidefläche das erste Grün hervorkeimte, verlebte ich in der Gemeinschaft mit anderen Knaben lange Tage im Hüten der Kühe. Während des Sommers war ich tätig in Bestellung unseres Ackers, auch schleppte ich für das Bedürfnis des Herdes das ganze Jahr hindurch aus der kaum eine Stunde entfernten Waldung trockenes Holz herbei. Zur Zeit der Kornernte sah man mich wochenlang in den Feldern mit Ährenlesen beschäftigt, und später, wenn die Herbstwinde die Bäume schüttelten, sammelte ich Eicheln, die ich metzenweise* an wohlhabendere Einwohner, um ihre Gänse damit zu füttern, verkaufte.«

Johann Peter Eckermann schrieb von diesen Arbeiten eines Kindes auf dem Dorf ohne Verlegenheit. Sie zeigen, dass seine Eltern ähnlich wie abhängige Bauern weder Wirtschaftskraft noch Status hatten. Es war selbstverständlich, dass ein Kind unter solchen Bedingungen höchstens im Winter, wenn die Familie seine Arbeitskraft entbehren und zudem das Schulgeld aufbringen konnte, zur Schule ging, wo er, wie er schrieb, »notdürftig lesen und schreiben lernte«.

Wie war es mit der Schule für die Moorbauernkinder in meinem Dorf? Hatte es überhaupt von Anfang an eine Schule gegeben? Brauchte man die Kinder nicht zur Arbeit? Konnte man sie lernen lassen? Die Schulchronik des Lehrers Offermann behauptet es. Und wirklich waren Moorbauern und Dorfgründer ja auch Pioniere, Menschen, die sich etwas zutrauten, die eine bessere Zukunft im Auge hatten, auch für ihre Kinder.

Anfangs wurde, wie auch in Eckermanns Fall, nur im Winter Schule abgehalten, »etwa von Oktober bis Ostern« – also zwischen dem Ende der Ernte und dem Beginn der Frühjahrsbestellung. Es gab eine Hauptschule bei der Kirche, das muss im Hauptort Steinau gewesen sein, zu dem damals fünf Bauerndörfer gehörten, darunter Bachenbruch, das nach dem hiesigen Moor benannt war. Übrigens hatte unser Dorf da, und noch viele Jahrzehnte nach der Gründung, keinen eigenen Namen und wurde meist nur »Anbau im Bachenbrucher Moor« genannt. Für die Kinder von dort war der Schulweg ein anderthalbstündiger Fußweg, es sei denn, man hätte sie gesammelt und mit Pferd und Wagen gefahren.

»Es stand den Eltern im Belieben«, schreibt der Chronist, »ob sie ihre Kinder Rechnen und Schreiben lernen lassen wollten oder nicht.« Wer mehr Schulgeld zahlte, bekam mehr Lehrstoff. »Infolge dessen blieb manches Kind, namentlich die Mädchen, ohne jede Ausbildung im Rechnen.«

Hauptfach war Religion. Dazu gehörte »der große Landeskatechismus« und das Auswendiglernen von »Sprüchen und Liederversen«, Lesen lernten die Kleinen mit der Fibel und dem lutherischen Katechismus, später kamen das Geschichtsbuch – eher ein Geschichtenbuch – hinzu, Gesangbuch und Bibel.

Das ist für den kleinen Johann Peter Eckermann sicher nicht anders gewesen. Sogar für mich stimmte es noch in den beiden ersten Schuljahren, wenn auch nicht mehr in dieser Ausschließlichkeit. So wurde das alte Gebot ›Ora et labora‹, ›Bete und arbeite‹, gut verankert: Sechs Monate lang Kirchenlieder, Gebete, die Zehn Gebote, das Vaterunser und die Bibel.

Eine ländliche Frömmigkeit hat sich in unserer Gegend daraus nicht entwickelt – wie es überhaupt mit der Kirche und den dortigen Pastoren gleich am Anfang nicht gut ging. Davon berichtet ein anderer Chronist des Dorfs.1

»Seitdem die ersten Siedler um das Jahr 1780 im ›Neuen Anbau‹ ihre armseligen Moorkaten bezogen hatten, herrschte ein gespanntes Verhältnis zu der Kirche in Steinau«, schrieb er. Der Grund war, dass die Plätze in der Kirche gekauft werden mussten und durch Vererbung über Generationen im Besitz der Familien waren. Aber die Mooranbauer »kümmerten sich wenig um angestammte Plätze und setzten sich, wo gerade Platz war. Ihr Benehmen war gröblich und unfein.« Schlimmer noch, sie wollten sich an den laufenden Kosten und Abgaben und den anfallenden Reparaturen nicht beteiligen. »Ja, sogar die Bezahlung des Brotes und Weines beim Abendmahl und die Beerdigungskosten blieben sie schuldig«, sodass sich der Pastor, bevor er einen von ihnen beerdigte, meist im Voraus bezahlen ließ. Den Meyerbauern waren bei der Ansiedlung durch die Obrigkeit sogenannte Freijahre zugestanden worden, in denen sie von bestimmten Abgaben befreit blieben, darunter auch kirchlichen. Trotzdem kam es »immer wieder zu Streitereien um die Abgaben und die Plätze in der Kirche«, obwohl ihnen sogar von amtlicher Seite 1784 »unter Federführung des hochwohlgeborenen Drostes von der Decken 40 Kirchplätze, und zwar 20 für Frauen und 20 für Männer« bezahlt wurden. Als Nächstes verweigerten die Neuankömmlinge die Beteiligung an einer Schuldentilgung für Kirchenreparaturen aus den 1770er-Jahren. Zu ihrer Widerborstigkeit trug vielleicht bei, dass sie oft erfolgreich war. Denn die Verteilung auf drei verschiedene Ämter in Sachen weltlicher, gerichtlicher und kirchlicher Zuständigkeit ließ selbst die Behörden nicht immer durchblicken, was rechtens sei. Jedenfalls beendete erst ein 1826 abgeschlossener Vergleich einen fünfundzwanzig Jahre währenden Gerichtsprozess zwischen den Siedlern und der Kirche. Die Kolonisten verloren auf ganzer Linie und unterschrieben »für sich und ihre Erben von jetzt an, unweigerlich, immerfort, wenn Kirchen-Anlagen im hiesigen Kirchspiele erforderlich sind und gemacht werden, die zu solchen Anlagen mit herbeygezogene Kopf- und Personensteuer … gleichmäßig mit den hiesigen Einwohnern beyzutragen«.

Unter dieses Dokument haben alle Siedler eine eigenhändige Unterschrift gesetzt. Offenbar hatte die Dorfschule inzwischen dafür gesorgt, dass in der zweiten Generation alle Bauern schreiben konnten – mindestens ihre Namen.

Das Schulgebäude, in dem schließlich auch ich saß und eins ums andere Jahr zu den größeren Tischen und Bänken aufrücken durfte, war schon das dritte im Dorf. Das erste von 1783 war abgebrochen, ein neues 1852 errichtet und in den 1880ern umgebaut und erweitert worden. Immer mehr Kinder aus den feuchten Katen und bald besseren Häusern überlebten, durch eine zureichende Ernährung und einen gewissen medizinischen Fortschritt, der selbst bis in diese Landesteile ausstrahlte. Seit 1849 hatte die Gemeinde einen eigenen Schulverein, und seit 1880 durften auch die Kinder aus Bachenbruch, die eigentlich in das Kirchdorf Steinau hätten gehen müssen, deren Weg zur Schule im neuen Dorf aber kürzer war, hier eingeschult werden. In dem 1907 neu errichteten Schulgebäude wurde ich dann eingeschult, auch dies noch eine ›Zwergschule‹ mit nur einem Klassenzimmer, die ›Schulstube‹, in der alle acht Jahrgänge gleichzeitig unterrichtet wurden. Auf der anderen Seite des Hauses wohnte die Familie des Lehrers, und auch in den 1950er-Jahren schloss sich an das Schulhaus noch ein niedriger, strohgedeckter Gebäudeteil an, offenbar stehen gelassen aus älterer Zeit, in dem Platz war für Futterdiele und Vieh. Unser Lehrer hielt nur noch ein paar Hühner und Schafe, für die er von den Bauern traditionell Heu und Stroh bekam. Am wichtigsten war allerdings die Torflieferung an den Lehrer durch die Bauern, das Heizmaterial für seine Wohnung und unsere Schulstube.

Seit 1860 wurde auch im Sommer unterrichtet – zumindest durften Kinder über elf Jahre, deren Kenntnisse als ausreichend angesehen wurden, zwölf Stunden wöchentlich zur Schule kommen, täglich zwei Stunden.

Ich erinnere mich an die Auflösung der Schule in den 1960er-Jahren, als solche dörflichen Zwergschulen geschlossen wurden. Schulmöbel, Landkarten und die Bücher der Leihbibliothek aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, Volksbibliothek genannt, sollten versteigert werden. Die alten Bücher waren in einem so guten Zustand, dass man sofort begriff, dass weder die Erwachsenen des Dorfs noch die Kinder jemals Zeit zum Lesen gefunden hatten. Tatsächlich war das Lesen noch in meiner Familie als Zeitverschwendung angesehen worden. Schließlich hätte man zur selben Zeit im Stall, im Haus oder auf dem Feld helfen können – und es eigentlich auch gemusst.

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