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DIE PSYCHISCHE KRISE

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Die Teenager stehen kurz vor der ernsthaftesten psychischen Krise seit Jahrzehnten. Doch an der Oberfläche ist alles in Ordnung.«5 Schreibt die Psychologin Dr. Jean M. Twenge in ihrem Buch »Me, My Selfie and I«. Sie gehört zu den bekanntesten Generationenforscher:innen und stellt ein umfassendes Porträt der Generation Z dar. Ein Kernthema ihrer Studien ist der Einfluss von sozialen Medien auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen. Basierend auf großen Untersuchungen von Institutionen wie »Monitoring The Future« oder »YRBSS« (Youth Risk Behaviour Surveillance System) argumentiert sie, dass Jugendliche, die mehr Zeit online verbringen, unglücklicher sind als diejenigen, die mehr Zeit offline sind.6 Das ist erst mal nicht so überraschend, zumindest für mich. Oft hat man so was irgendwie schon gelesen oder gehört – gestiegene Selbstmordraten bei Jugendlichen, überproportionale Bildschirmzeit und wie sie unsere Psyche direkt beeinflusst.

Trotzdem ist das schon irgendwie komisch, als Betroffene zu sehen, wie das eigene Leid auf so trockene, wissenschaftliche Art verkürzt dargestellt wird. Für Außenstehende mag das eine interessante Information sein. Aber was bringt das? Zu wissen, dass »Jugendliche, die mehr Zeit vor Displays verbringen, mit größerer Wahrscheinlichkeit depressiv (werden)«?7

Depressionen und Angststörungen entstehen nicht auf Instagram, doch sie werden dort verstärkt. »Mehr junge Menschen erleben nicht nur depressive Symptome oder ein Gefühl der Angst, sondern eine klinisch diagnostizierbare schwere Depression.«8

Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse können uns aber auch helfen, denn sie können andere Menschen sensibilisieren und zum Nachdenken anregen. Psychische Krankheiten sind kein Zeichen von Schwäche – wir müssen sie ernst nehmen. Wenn man Husten hat, wartet man nicht, bis man zu hohes Fieber hat, bevor man ein Halsbonbon lutscht. Und genauso sollte es auch mit psychischen Krankheiten sein: dass man sich nicht erst Hilfe holt, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist.

Psychische Erkrankungen sind immer noch stigmatisiert und tabuisiert, Menschen zögern zu lange damit, einen Therapieplatz zu beantragen, weil sie denken, dass sie die Hilfe nicht verdient haben, oder weil sie sich dafür schämen. Offen darüber zu sprechen, kann dazu beitragen, das gesellschaftliche Bild von den Betroffenen zu verändern.

Vor allem in unserer Generation sind Angststörungen und Depressionen viel mehr akzeptiert als in anderen Bevölkerungsgruppen. Das liegt einerseits an gezielter Aufklärung und Enttabuisierung in den sozialen Medien, andererseits aber auch an der Meme-Kultur. Ein Teil von Social Media lebt und atmet von Memes über Depression and Anxiety: »I forgot you can’t make depression jokes outside of twitter lmao my coworker was like ›you ready for this year to be over?‹ I was like ›I’m ready for this life to be over.‹ He was like ›bro what?‹«9

Manchmal sage ich so ganz unbefangen vor älteren Menschen: »I want to kill myself.« Das ist dann auch gar nicht so wortwörtlich gemeint. Aber solche Sätze sind eine Befreiung. Indem wir Witze über unser Leid und unsere Unsicherheiten machen, werden sie für einen Augenblick ins Lächerliche gezogen. Für einen Moment existieren sie nicht, es ist eine kurze Befreiung, so wie das Meme selbst. Kurz wird wieder Dopamin ausgeschüttet und Boom!, zurück in der Realität. Was tun also? Ganz einfach, mehr Memes.

Einer meiner Exfreunde war memesüchtig. Das klingt erst mal total bescheuert, irgendwie niedlich, wie die kleine harmlose Schwester der »echten« Sucht. Es war aber gar nicht witzig, denn dahinter steckt sehr viel mehr: eine Einsamkeit, eine Unzufriedenheit oder das Gefühl, von niemandem wirklich verstanden zu werden. Wenn ein Bild, ein Post oder ein Video dann eine Emotion transportiert, mit der man sich identifizieren kann, dann ist man für einen kurzen Augenblick nicht mehr allein. Irgendwann wird aus der winzigen Ablenkung ein Ausweg aus dem Leben selbst. Jede Art von Sucht ist nur ein Hinauszögern und Verdrängen dessen, was wirklich belastend ist.

Manchmal verbringe ich Stunden und Stunden mit Scrollen. Ich ziehe mich zurück und habe das Gefühl, mein Leben zu verpassen. Aber nicht nur mein eigenes. Auch all die anderen. Heute kann ich immer sehen, was meine Freunde, lose Bekannte oder auch fremde Menschen machen. Ich hänge zu Hause rum und sie sitzen in Südafrika und betrachten den Sonnenuntergang. Ob sie wirklich innerlich lebendig sind? Ich jedenfalls spüre, na ja, irgendwie nichts.

Das Vergleichen mit anderen ist keine Erfindung aus dem Silicon Valley. Es entspringt einem uns Menschen intrinsischen Streben nach mehr. Und doch waren unsere Vergleichsmöglichkeiten früher viel begrenzter. Wir können heute alles Mögliche werden. Diesen Anspruch stellen wir zumindest an uns selbst. Doch die Realität sieht anders aus – wir werden niemals alles Mögliche sein können. Wenn alles in uns selbst läge, wenn wir wüssten, wie unser Leben aussehen würde, wenn wir nur diese Person wären, wenn es also keine Grenzen mehr von außen gäbe, dann würden wir ganz allein auch die Verantwortung für unser Scheitern tragen. Doch was ist an den Leben, die wir sehen, denn schon echt?

Jemand meinte mal zu mir: »Don’t compare your behind the scenes with someone else’s highlight reel.«

Aber wie? Das weiß ich auch noch nicht. Ich weiß, wie die großen Mechanismen in meinem Gehirn und in Google-Wolkenkratzern funktionieren, aber nicht, wie ich funktioniere. Ich weiß nur, dass in dieser Vorwärtsbewegung eine Kraft liegt.

always chasing high

rise buildings

and rising high

hopes

for a better future

for a better me

Das verzweifelte Streben, die Trauer über die eigene Unzulänglichkeit können mehr sein, als wir wollen. Es ist ein Kampf, vielleicht sogar eine Lebensaufgabe, diesen Neid in eine Triebkraft umzuwandeln.

Und solang du das nicht hast,

Dieses: Stirb und werde!

Bist du nur ein trüber Gast

Auf der dunklen Erde.

Johann Wolfgang von Goethe beendet sein Gedicht »Selige Sehnsucht« mit diesen Versen. Das Jahr 1814 wirkt wie eine andere Galaxie, und doch verstehe ich, was Sprache hier zum Ausdruck bringt. Die Worte sind ganz nah an mir, wenn ich ein trüber Gast im Leben der anderen bin. »Stirb und werde«, schreibt Goethe. Rilkes »Du musst dein Leben ändern« schwebt mir sogartig vor, wenn ich mich wieder in Netzen der Unzulänglichkeit verheddere.

Meine Therapeutin spricht von Selbstwirksamkeit, ich denke, es ist ein Sein-Leben-in-die-Hand-Nehmen. Soziale Medien lassen uns passiv werden, doch es ist vor allem das aktive Leben, das uns glücklich macht.

Hinter den Wirkungsweisen der sozialen Medien liegt der beschleunigte Spätkapitalismus – ein System, das uns per Definition immer schlechter fühlen lässt, um sich selbst am Leben zu erhalten. Wir arbeiten immer mehr, um so erfolgreich zu sein wie die Menschen, die wir beobachten. Wir müssen immer mehr Dinge kaufen, um endlich so glücklich und frei zu sein, wie sie es scheinbar sind. Doch wir werden wahrscheinlich nicht der nächste Elon Musk oder die nächste Kylie Jenner werden. Davon müssen wir uns lösen. Das ist unsere Aufgabe und unsere Verantwortung. Denn eins können wir immer: unser nächstes Ich werden.

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