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Die Sprache 12

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Vitruvs Sprache ist oft bitterer Kritik ausgesetzt gewesen. Man hat den Stil abstoßend, ungehobelt, ungebildet, die Sprache unverständlieh genannt, und in der Tat ist de architectura gewiß kein literarisches Kunstwerk. Jedoch darf man nicht außer acht lassen, daß V., wie er selbst betont, als Architekt, d.h. als Mann der Praxis, schrieb, und Männer der Praxis schreiben zu allen Zeiten anders als Philosophen, Rhetoren oder andere Gelehrte.

V. s Sprache ist für uns ein seltsames Gebilde. Neben deutlichen Spuren der Volkssprache finden sich einerseits altertümliche Formen (z.B. die alten Genitive materies 58,24; 60,12. notifies 133,9. planifies 233,21), andererseits sprachliche Erscheinungen, die sich im allgemeinen erst im Spätlatein finden, so daß man V. ins 3. oder 4. nachchristliche Jh. setzen wollte13. Es ist unmöglich, im Rahmen dieser Einleitung die Besonderheiten ausführlich zu behandeln, und ich muß mich damit begnügen, nur einige hervorzuheben.

Zu den Besonderheiten gehören: 1. der Gebrauch einzelner Worte in einer vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutung (z.B. 7,20 und 76,17 templum = gradus und 96,5 eadem = simul), 2. die Vorliebe für den Gebrauch abstrakter Substantive, 3. eine gewisse Vorliebe für den Gebrauch von Substantiven, die nach der u-Deklination gebildet sind, 4. die Neubildung von Worten, zu der die Übertragung von griechischen Fachausdrücken zwang (z.B. commensus als Übersetzung des griech. , eine Neubildung, die übrigens in die lat. Sprache keine Aufnahme gefunden hat.).

Syntaktisch ist bemerkenswert die Angleichung des unpersönlichen Hauptsatzes an den Nebensatz (z.B. 28,22 exspectanda est, dum de- crescat), eine Erscheinung, die aus der familiären Sprache zu stammen scheint, die Verstärkung des Possessivpronomens durch den Dativ des Personalpronomens (207,18 insuo sibi canalis excidatur), ein Sprachgebrauch, der in Prosa zuerst bei V. zu beobachten ist, ferner der Gebrauch der Apposition statt der Unterordnung (z.B. in singulis tignis extremis partibus). Mehrfach findet sich bei transitiven Verben als Objekt nicht der Gegenstand, sondern das Ergebnis der Handlung, z.B. 26,14 und 29,11 bei distribuere und dividere, weshalb von Wistrand mit Recht 181,27 die Lesung von HEG purpura inficitur gegen das in S überlieferte efficitur verteidigt wird. Aus der Umgangssprache stammt der Gebrauch des Genitivs loci, locorum nach Ortsadverbien (50,13; 199,8), ebenso die Vorliebe für den Genitivus qualitatis. Vulgär ist ferner 53,12 si sit optima seu vitiosa. Dare mit dem Infinitiv (180,23 dabit imitari) findet sich sonst nur bei Dichtern, ein Objektsakkusativ beim Dativ Gerundii (34,17 vitando imbres et aestus), außer bei Vitruv nur viermal bei Plautus, einmal bei Ovid, und in der Prosa nur einmal bei Livius!

V. liebt Fülle des Ausdrucks (z.B. 37,7 ne obscura, sed perspicua). Als bewußtes Stilmittel ist wohl der ausgedehnte Gebrauch des Genitivus definitivus anzusehen, vor allem aber das Streben nach Wechsel im Ausdruck: 148,27 ut sint non obscuraeuti non sint ignotae. 26,14 distribuenda sunt. 29,11 dividendae sunt. 74,7—22 constituaturfiatperficiatur.habeat contracturae rationemcontrahantur. 200,4—19 discutiantdissipantdiscutianturdissolvaturdissipabiturpotest per se dissolveredissiliunt et dissolvuntur. Hierzu gehört auch, daß V. häufig nach einem Verbum compositum im weiteren Verlauf das Simplex gebraucht.

Daß durch das Zusammentreffen so vieler Sprachelemente die Sprache Vitruvs uns oft wunderlich erscheint und schwer verständlich ist, läßt sich nicht leugnen. Man sollte aber die Augen nicht davor verschließen, daß V. auch bewußt Mittel der Sprache angewendet hat, um seinem Werk einen gewissen Reiz zu verleihen.

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