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3. Formen des Idealismus

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Husserls Wertschätzung des Platonischen Programms zeigt, dass sein transzendentaler Ansatz auf dem Weg war, eine objektiv-idealistische Position zu entwickeln. Ein transzendentaler Ansatz rekonstruiert die apriorischen, also die notwendigen, nicht wegzudenkenden Bedingungen der Möglichkeit eines Phänomens. In Erfahrung und Urteil (1939) versteht Husserl diesen Ansatz auch als Rekonstruktion eines Urbildes als Rekonstruktion von dem, „ohne was ein Gegenstand dieser Art nicht gedacht werden kann, d.h. ohne was er nicht anschaulich als ein solcher phantasiert werden kann“ (1985, 411). Das setzt eine phänomenologische Gegebenheit, eine Beziehung zum transzendentalen Subjekt voraus. Ein transzendentaler Ansatz, der eine Realität jenseits des Bezugs auf diese Subjektivität voraussetzen würde, wäre lediglich eine Form epistemologischen (erkenntnistheoretischen) Idealismus. Einen solchen findet man zum Beispiel in Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft, wo noch an einer Welt an sich jenseits des transzendentalen Subjekts festgehalten wird.

Der epistemologische Idealismus ist jedoch nicht immer transzendental, denn von einem transzendentalen Ansatz ist nur dann die Rede, wenn, wie Husserl in Anlehnung an Kant bemerkt, nicht wegzudenkende Bedingungen der Möglichkeit eines Phänomens rekonstruiert werden. Rein epistemologisch wäre der Idealismus wenn er, wie im Werk Nicholas Reschers, der den amerikanischen Pragmatismus im vergangenen Jahrhundert idealistisch deuten wollte, nur in die Tatsache Einsicht gewähren will, dass wir nicht bloß im Buch der Natur lesen, sondern mit unseren Begriffen entscheidend das Bild der Natur beeinflussen. Damit wollte Rescher Abstand vom logischen Positivismus gewinnen, der damals die analytische Philosophie dominierte. Nach Rescher setzen Menschen im Erkenntnisprozess notwendig ideale Formen, die konzeptuellen Fiktionen sind, ein; diese haben allerdings einen pragmatischen Nutzen (1987, 142). Das konzeptuelle Raster mit dem wir der Wirklichkeit begegnen wird bei Rescher nicht als transzendentale Rekonstruktion von notwendigen (apriorischen) Bedingungen eines Phänomens verstanden. Eine besser bekannte, jedoch psychologisch gefärbte Version des epistemologischen Idealismus finden wir im Werk Miguel de Cervantes’ verewigt. Obwohl die Welt, in der sich die Figur Don Quichottes bewegt, ganz prosaisch ist, hält der Held an einem kategorialen Rahmen fest, der den Leser daran erinnert, dass die wahrgenommene Realität dem Ansich der Welt nicht gleichkommt. Ähnlich wie bei Rescher hat der Idealismus hier, so wie Cervantes diesen darstellt, keinerlei ontologischen Anspruch. Eine andere Frage ist, ob epistemologisch-idealistische Positionen konsequent sind, denn wenn wir die Wirklichkeit nur über einen konzeptuellen Rahmen erkennen können, ist die Voraussetzung einer jenseitigen, nichtgeistigen Realität nicht mehr philosophisch legitimiert. Eben dies erklärt auch die Entrüstung, die Kants Theorie einer Welt an sich bei allen nachkantischen Idealisten (mit der Ausnahme des Halb-Idealisten Schopenhauer) nach sich zog. Der epistemologische Idealismus erscheint im Visier einer ontologischen Analyse sofort als ergänzungsbedürftig, denn er lässt die Frage offen, wie die Idee einer Welt an sich jenseits unserer begrifflichen Rekonstruktionen philosophisch zu legitimieren ist.

Das Bewusstsein der Abhängigkeit unserer Erkenntnis von einem bestehenden konzeptuellen Rahmen hat in den letzten zwei Jahrhunderten zu radikal skeptischen Positionen geführt. Werden diese einer ontologischen Analyse unterzogen, dann können relativistische und zum Skeptizismus neigende Autoren plötzlich als Idealisten erscheinen, die den bloßen epistemologischen Idealismus sogar hinter sich lassen. So hat Bernard Williams in Ludwig Wittgenstein einen ontologischen Idealisten sehen wollen. Er hat in „Wittgenstein and Idealism“ (1974) die Position des späten Wittgensteins mit der Vorstellung verbunden, dass es keine vom Menschen unabhängige Realität gibt. Williams bezeichnet diese Vorstellung als transzendental, meint damit aber nicht das gleiche wie Kant und Husserl. Transzendental heißt bei ihm lediglich, dass der konzeptuelle Rahmen selbst, der unsere Sicht der Dinge bestimmt, nicht in der objektiven Welt existiert (1974, 85). Die Position Wittgensteins, die man auch als linguistischen Idealismus bezeichnet hat, wäre also nach Williams nicht einfach epistemologisch, sondern müsste darüber hinaus ontologisch interpretiert werden. Er zögert Wittgensteins Position einen subjektiven Idealismus zu nennen, denn das Phänomen der Sprache ist etwas Kollektives. Er spricht deshalb von einem „aggregative Solipsism“ (1974, 90) und meint einen subjektiven Idealismus, der sich über mehrere Subjekte erstreckt. Man könnte hier einwenden, dass der intersubjektive Idealismus insofern subjektiv, ein subjektiver Idealismus der Intersubjektivität, bleibt, als die Natur keine unabhängige Existenz jenseits des einzelnen Sprachsubjekts hat. Ein intersubjektiver Idealismus wäre keine letzte Position, denn andere Subjekte wären entweder Teil der Außenwelt oder Gestalten im Geiste eines Subjekts. Norman Malcolm (1982) und später Daniel D. Hutto (1996) haben überzeugend gezeigt, dass diese Deutung des späten Wittgensteins an manchen Aussagen des österreichischen Philosophen, die eindeutig in eine andere Richtung weisen, vorbeigeht.

Wilhelm Dilthey war es, der gegenüber dem Naturalismus einen zweispurigen Idealismus gesetzt hat, der entweder die Form eines subjektiven Idealismus der Freiheit oder eines objektiven Idealismus annehmen könnte. Der objektive Idealismus neige seines Erachtens zum Pantheismus (1960, 112f.), während der subjektive die Freiheit des Subjekts feiere (1960, 107f.). In Anlehnung an Dilthey kann man sagen, dass der subjektive Idealismus die Existenz einer unabhängigen Außenwelt oder Objektivität verneint und diese dann als Vorstellung im Subjekt (in seiner Erkenntnistätigkeit) verortet. Hegel nennt diesen subjektiven Idealismus auch formal, weil er vom Inhalt der Vorstellung, also vom Ansich, abstrahiert. Nur die Aktivität des Vorstellens, also die Form der Vorstellung selbst, wird beachtet (5.173). Der subjektive Idealismus steht nach Hegel außerdem im Zeichen der Negation, weil er das Dasein der Realität negiere (5.165). Der objektive Idealismus setzt dagegen die Existenz von geistigen Gehalten voraus, die die Realität der Außenwelt konstituieren, tragen und begründen. In der Geschichte der Philosophie wird damit oft – obzwar nicht notwendigerweise – eine höherstufige Subjektivität verbunden. Interpretiert man das Platonische und neuplatonische Prinzip des Einen als der (göttlichen) Subjektivität übergeordnet (1986, 258), dann wäre hier eine Form des objektiven Idealismus gegeben, die Subjektivität nicht als letzten Grund betrachtet. Es ist allerdings schwer zu verstehen, wie der Vernunft (oder dem göttlichen ) ein Prinzip entgehen kann. In einem stringenten objektiven Idealismus findet die höherstufige Subjektivität die geistigen Inhalte, die Grundlage der Realität sind, in sich. Es hat auch Fassungen des objektiven Idealismus gegeben, die man in diesem Sinne als nicht ganz stringent bezeichnen könnte, wie etwa die Philosophie des späten Fichte, des späten Schelling und Schopenhauers, die diese höherstufige Subjektivität mit einem irrationalen Prinzip, dem Willen, verbunden haben.

Berkeley ist wohl der bekannteste Vertreter eines subjektiven Idealismus. Dieser wird bei ihm sensualistisch begründet, sodass die Außenwelt als Vorstellung eines wahrnehmenden Subjekts erscheint (esse est percipi). Es fragt sich allerdings, wo diese Sinnesempfindungen herstammen. Der Garant der Realität dieser Sinnesempfindungen kann bei Berkeley nur Gott sein. Bei Fichte findet man eine transzendentale Fassung des subjektiven Idealismus: Die Natur ist bei ihm vom Primat des Ichs abhängig. Und in Kants erster Kritik, die Dinge an sich voraussetzt, ist von einem epistemologischen Idealismus die Rede, der jedoch eindeutig zum subjektiven Idealismus tendiert. Als solche hat Kant auch die eigene Philosophie verstanden: „Ich verstehe aber unter dem transzendentalen Idealismus aller Erscheinungen den Lehrbegriff, nach welchem wir sie insgesamt als bloße Vorstellungen, und nicht als Dinge an sich selbst, ansehen“ (KrV, A 369).

Platons Vorstellung einer geistigen Welt der Prinzipien und Ideen ist das beste und bleibende Beispiel eines objektiv-idealistischen Ansatzes. Metaphysisch werden diese Prinzipien und Ideen, wie Giovanni Reale sagt, im Sinne einer Protologie mit einem ersten und höchsten Prinzip verbunden (1998, 155, 282). Der Außenwelt wird eine vom wahrnehmenden Subjekt unabhängige Realität zugesprochen, zugleich aber wird diese auf eine geistige Grundlage (die Ideen) zurückgeführt. Bei Hegel ist die Vernunft das letzte Prinzip, aus dem die Realität entwickelt wird. Man könnte, wie Jean-Louis Vieillard-Baron gezeigt hat, in der Hegelschen Logik die Realisierung des (esoterischen) Programms Platons erblicken (1979, 297–324) – dies allerdings nur unvollständig, denn im Vergleich zu Platon, der sowohl eine mythologisch konzipierte (Reale 2008, 301f.) als auch eine erkenntnistheoretische (Jermann 1986, 256) Thematisierung der Intersubjektivität geleistet hat, fehlt bei Hegel eine transzendentale Begründung der Intersubjektivität. Diese versucht erst Husserl systematisch vorzulegen. Der Begründungsversuch Husserls nimmt somit ein Desiderat transzendentaler Begründung auf, das bereits aus den Platonischen Dialogen herauswächst, auch wenn sie in diesen selbst, wie Christoph Jermann gezeigt hat (1986, 257), noch nicht direkt geleistet wird.

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