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3. Die Entfaltung intentionalen Bewusstseins

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Fichte, nicht Franz Brentano, war der erste, der Intentionalität als Struktur unseres normalen Denkens erkannt hat. Vom „Denken“ rede ich hier in einem weiten Sinn, in dem es nicht nur um begriffliche Bestimmungen, Urteile und Schlüsse geht, sondern auch um Formen der Erfahrung, um Gefühle und Vorstellungen. Intentionales Bewusstsein ist Bewusstsein von etwas. Dieses Etwas bezeichnet Fichte als Objekt. Macht man einen kategorialen Unterschied zwischen Objekten und Sachverhalten, wird man aber besser von einem Sachverhalt reden. Intentionales Bewusstsein ist dann ein Bewusstsein eines Subjekts, dass ein bestimmter Sachverhalt besteht. Diesen Sachverhalt kann man in einem kategorial unspezifischen Sinn auch als Gegenstand des Bewusstseins bezeichnen oder als seinen Inhalt. Erfahrungen haben zudem einen Bezug. Sehen wir, dass vor uns ein Hase sitzt, so bezieht sich der Inhalt der Erfahrung auf eine reale Situation, die in der Erfahrung so aufgefasst wird, dass da ein Hase sitzt. Täuschen wir uns und ist der vermeintliche Hase z.B. tatsächlich eine Katze, so bleibt der Inhalt der Erfahrung derselbe, der Bezug, die reale Situation, ist aber anders beschaffen.1

Als Gesetz des Bewusstseins hat Fichte den Satz bezeichnet: „Kein Subjekt – kein Objekt, kein Objekt – kein Subjekt“ (1971, 1.183). Das heißt: Ein Subjekt ist immer Subjekt eines Bewusstseins von einem Objekt im Sinn Fichtes, Subjekte gibt es nicht ohne gegenständliches Bewusstsein, und ein Objekt ist immer Gegenstand eines Bewusstseins. Den zweiten Teil dieses Gesetzes hat Fichte mit seinem erkenntnistheoretischen Idealismus begründet, er ergibt sich aber unabhängig davon auch aus seiner Idee einer Entfaltung des Bewusstseins in intentionaler Form.

Fichte hat auch gesehen, dass sich intentionales Bewusstsein immer mit einem Selbstbewusstsein verbindet. Bei kognitiven Einstellungen gilt die Aufmerksamkeit dem Bezug und daher ist der Inhalt das, was explizit bewusst ist, wie ich sagen will. Wenn ich sehe, dass mein Hund mir entgegen läuft, gilt ihm meine Aufmerksamkeit, ich weiß dabei aber auch, dass ich es bin, der den Hund sieht, und dass ich ihn sehe und nicht etwa höre. Das bezeichne ich als implizites Bewusstsein. Es umfasst die subjektiven Momente der Erfahrung, das Subjekt und seine propositionale Einstellung. Es ist nicht intentional, denn mein Sehen ist kein zweiter Gegenstand neben dem Hund. Klar und deutlich ist nur das explizit Bewusste. Fichte hat allerdings keinen Unterschied zwischen explizitem und implizitem Bewusstsein gemacht. Wenn er schreibt: „In aller Wahrnehmung nimmst du zunächst nur dich selbst, deinen eigenen Zustand wahr; und was nicht in dieser Wahrnehmung liegt, wird überhaupt nicht wahrgenommen“ (1971, 2.201) geht er vielmehr, wieder im Sinn des erkenntnistheoretischen Idealismus, davon aus, dass explizites wie implizites Bewusstsein Eigenseelisches zum Thema hat.

Es liegt nun nahe, ein Vorstadium intentionaler Erfahrungen anzunehmen. Ihm geht dann eine Form des Erlebens voraus, in der subjektive und objektive Komponenten noch nicht geschieden sind, in der noch kaum zwischen eigener Befindlichkeit und äußerer Gegebenheit differenziert wird. Normalerweise unterscheiden wir in unseren Wahrnehmungen zwar automatisch zwischen subjektiven und objektiven Komponenten, es gibt aber auch Fälle, in denen dies eine Sache bewusster Deutung ist. Sie machen uns klar, dass wir das Wahrgenommene und die Art unserer Wahrnehmung, objektive und subjektive Momente, durch Abgrenzung voneinander bestimmen. So kann es zunächst offen sein, ob wir empfinden, dass die Luft warm ist, oder ob wir die Luft als warm empfinden, d.h. ob wir erleben, dass es warm ist, oder aber, dass uns warm ist. Die beiden Auffassungen unterscheiden sich dadurch, wo sie den Schnitt zwischen subjektiven und objektiven Momenten der Erfahrung legen. Solche Fälle sprechen dafür, eine Vorstufe intentionalen Erfahrens anzunehmen und zu sagen, dass wir uns als Subjekte und die äußere Welt in Abgrenzung voneinander und damit mit Bezug aufeinander bestimmen und begreifen. Intentionales Bewusstsein entsteht danach aus vorintentionalem Bewusstsein, indem die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet wird, das dadurch zum Gegenstand wird. Damit verbindet sich nicht nur eine Unterscheidung dieses Gegenstandes von anderen möglichen Gegenständen, sondern auch eine Unterscheidung objektiver, zum Inhalt gehörender, und subjektiver, zum Subjekt und seiner Aktivität gehörender, Momente.

Nichtintentional sind auch Empfindungen und implizites Bewusstsein. Für implizites Bewusstsein habe ich das schon betont. Auch Empfindungen sind nicht immer Empfindungen von etwas. Kopfschmerzen sind keine Schmerzen über etwas und eine Rotempfindung ist nicht immer eine Empfindung von etwas Rotem. Man kann zwei Arten nichtintentionalen Bewusstseins unterscheiden: subjektives und nichtsubjektives. In einem subjektiven Bewusstsein ist sich der Träger seiner selbst wie seines Zustandes oder Aktes in gleicher oder doch ähnlicher Weise inne wie in intentionalem Bewusstsein. Der Gegensatz Innenwelt – Außenwelt bleibt bestehen und der Bewusstseinsinhalt stellt sich als innerer Zustand dar. Das gilt sowohl für Empfindungen wie für implizites Bewusstsein. Nichtsubjektiv ist hingegen ein Bewusstsein, in dem Innen und Außen verschmelzen. Das ist im vorintentionalen Bewusstsein der Fall. Da ich im Folgenden nur von nichtsubjektivem nichtintentionalem Bewusstsein rede, spare ich mir den Zusatz „nichtsubjektiv“.

Vorintentionales Bewusstsein kann man z.B. erzeugen, indem man von einer intentionalen Erfahrung ausgeht und dann die Konzentration auf den Gegenstand beendet. Ich sehe z.B. vor mir eine Wiese und darauf einen Baum. Schwindet die Aufmerksamkeit auf diese gegenständliche Szene, ohne sich auf etwas anderes zu richten, wie das auch bei Müdigkeit oder Fieber manchmal geschieht, dann verlieren die einzelnen Gestalten ihre Selbstständigkeit. Mit dem Unterschied von Gestalt und Hintergrund verschwindet die Raumtiefe und es bleibt so etwas wie ein zweidimensionaler Gesamteindruck, in dem Subjektives und Objektives, Empfindung und Gegenstand verschmelzen.

Fichte hat nicht nur die Struktur intentionalen Bewusstseins erkannt, er hat auch gesehen, dass ihm eine andere Form des Bewusstseins vorausgeht. Die Entstehung intentionalen Bewusstseins und seine Entfaltung ist das zentrale Thema seiner Wissenschaftslehre. Auch bei ihm entsteht intentionales Bewusstsein aus einer noch ungeschiedenen Einheit, in der es weder ein Subjekt gibt noch Gegenstände. Die Trennung von subjektiver und objektiver Welt beginnt bei ihm mit der originären „Tathandlung“, mit der ich mich als Subjekt von einer gegenständlichen Welt unterscheide. Fichte spricht davon, dass ich mich als Ich und die Welt als Nicht-Ich „setze“. Es kann jedoch keinen Urheber seiner selbst geben, der müsste ja existieren, bevor er existiert. Man kann nur in dem Sinne von einer Selbstkonstitution als Subjekt intentionalen Bewusstseins reden, dass wir uns selbst etwas zum Gegenstand machen und mit diesem Gegenüber auch uns selbst bestimmen, dass wir selbst einen Schnitt zwischen die subjektiven und die objektiven Momente unseres Erlebens legen, dass wir uns selbst unsere Ansichten bilden und unsere Interessen. Wir bilden uns selbst zu bestimmten Subjekten, ohne dass es dazu eines Proto-Ichs bedarf, als dessen Tätigkeit sich der Bildungsprozess auffassen ließe. Bei einer Reflexion auf diesen Prozess der Selbstbestimmung, bei der ich mich schon als Subjekt begreife, stellt sich die Selbstbestimmung als meine eigene Tätigkeit dar, als Tätigkeit einer Person. Im vorintentionalen Bewusstsein selbst kommt dagegen kein Subjekt und keine Tätigkeit vor.

Nach dem Prinzip omnis determinatio est negatio ist jede Bestimmung eine Unterscheidung von anderem. Die Selbstbestimmung als Subjekt, als Ich, verbindet sich mit der Abgrenzung von einer objektiven, äußeren Welt, vom Nicht-Ich. Das umfasst nach Fichte alles, was das Subjekt nicht als sich selbst zugehörig erkennt. Während das geistige Reich ein Reich der Freiheit ist, ist die Natur das Reich der Notwendigkeit. Da die Unterscheidung aber von einem ursprünglich ungeschieden Bewussten ausgeht, ist die Natur für Fichte nur der noch unverstandene Teil des Reichs geistiger Freiheit.2 Unsere Schöpfung einer gegenständlichen Welt eilt unserem Verstehen voraus; wenn wir es kognitiv einholen, begreifen wir aber, dass alles Seiende aus Freiheit entstanden ist, aus eigenem Handeln.

Nun ist Unterscheidung noch keine Schöpfung. Klar ist aber, dass sich aus der Bestimmung der subjektiven, geistigen Welt und der gegenständlichen, physischen Welt durch Scheidung eines ursprünglich Ungeschiedenen, ein Zusammenhang beider Welten ergibt. Fichte sagt: „Das Ich ist bloß das Gegenteil des Nicht-Ich und nichts weiter; und das Nicht-Ich bloß das Gegenteil des Ich und nichts weiter“ (1971, 1.188). Daher ist ein psychophysischer Dualismus cartesischer Prägung für Fichte unhaltbar. Descartes hat die seelisch-geistige und die körperliche, physische Welt als zwei eigenständige, wesensverschiedene, getrennte Realitäten aufgefasst. Dadurch wurde das Problem einer Erkennbarkeit der physischen Wirklichkeit unlösbar, ebenso wie das Problem kausaler Beziehungen zwischen beiden Welten. Fichte sagt dazu zu Recht: „Man wird immer vergeblich nach einem Bande zwischen dem Subjekte und Objekte suchen, wenn man sie nicht gleich ursprünglich in ihrer Vereinigung aufgefasst hat“ (1.528).

Die wechselseitige Bezogenheit von Psychischem und Physischem bedeutet nicht, dass sich ein Bereich auf den anderen reduzieren ließe, wie das Materialismus und subjektiver Idealismus annehmen. Der Materialismus behauptet, bei genauerer Analyse erwiesen sich seelisch-geistige Phänomene als physikalische Erscheinungen. Fichte hat aber klar gesehen, dass sich Psychisches nicht aus Physischem ableiten lässt (1.437). Der subjektive Idealismus, wie ihn z.B. Berkeley vertrat, behauptet, es gebe nur Geistiges, und Physisches ließe sich darauf reduzieren. Geistiges besteht für ihn aus Subjekten und ihren mentalen Zuständen und Akten, also so, wie wir es in intentionalem Denken auffassen. Fichte hat gesehen, dass der subjektive Idealismus ebenso unhaltbar ist wie der Materialismus (1.438; hierzu Kutschera 2006, 163–177). Die natürliche Ontologie intentionalen Denkens ist zwar der Dualismus, aber kein cartesischer Zwei-Welten-Dualismus, sondern ein polarer Dualismus, wie ich das nenne, für den Psychisches wesentlich auf Physisches und Physisches wesentlich auf Psychisches bezogen ist (Kutschera 2009, 212–219).

Fichte wollte jedoch hinter diesen Dualismus zurückgehen und die Strukturen der physischen und der psychischen Welt, wie sie sich uns in intentionalem Denken darstellen, als Resultat der Selbstkonstitution des Subjekts erklären. Er hat einen absoluten Idealismus vertreten, für den das subjektiv Geistige wie die physische Welt abgeleitete Realitäten sind. Dafür spielt die Möglichkeit einer Reflexion auf eigene mentale Zustände und Akte eine wichtige Rolle. Man kann auf eigene Beobachtungen, Gefühle und Urteile reflektieren und sie sich dadurch zum Gegenstand machen. Was vorher nur implizit bewusst war, wird dadurch explizit bewusst. Durch Fortsetzung der Reflexionen entsteht eine Hierarchie von Reflexionsebenen, deren Beachtung für ein Verständnis unserer eigenen mentalen Produkte wie Begriffe und Mengen wichtig ist (Kutschera 2009, 63–135). Durch Reflexionen lassen sich aber nicht Struktur und Gesetze der physischen Welt gewinnen. Dazu müssten die vorintentionalen Bewusstseinszustände von uns selbst bestimmt sein, sie haben aber keinen aktiven Charakter. Tun und Leiden lassen sich erst in intentionalem Denken unterscheiden. Ein Kriterium für die Objektivität von Erfahrungsmomenten ist gerade, dass sie nicht der eigenen Kontrolle unterliegen.

Eigentätigkeit spielt bei der Entwicklung der geistigen Welt wie unseres Weltbildes sicher eine wichtige Rolle, aber nicht sie allein. Wir begreifen uns vielmehr in intentionalem Denken von vornherein als Betrachter einer äußeren Wirklichkeit und als Agenten in ihr. Fichte wollte dagegen die ganze Fülle der Wirklichkeit aus Gesetzen geistiger Produktion gewinnen, die unserem Schaffen nicht von außen vorgegeben sind und damit unsere schöpferische Freiheit beschränken, sondern sich ausschließlich aus dem Wesen geistigen Schaffens und Erkennens selbst ergeben. Entscheidender ist aber doch, dass er erkannt hat, dass die geistige Welt sich entwickelt, die Kant noch als statisch ansah. Heute verstehen wir zwar diese Entwicklung wie auch die Unterscheidung der seelisch-geistigen Innenwelt von einer äußeren, physischen Welt nicht als individuelle, sondern als kulturelle Leistung (Snell 1975); der Übergang von einem statischen zu einer dynamischen Bild des Geistes war aber eine bedeutende Leistung, ebenso wie das Streben nach Selbstbestimmung als treibende Kraft dieser Dynamik.

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