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3. Argumente für den objektiven Idealismus

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Der entscheidende Grundgedanke des objektiven Idealismus ist auf einer ersten Stufe: Das Sein muss als wesentlich intelligibel gefasst werden. Schon in den Logischen Untersuchungen, vor der subjektiven Wende der Ideen, schreibt Husserl, „dass doch vom Sinne des Seins überhaupt die Korrelation zum Wahrgenommen-, Angeschaut-, Bedeutet-, Erkannt-werden-können unabtrennbar ist“ (1992, 4.730). Diese Aussage läuft keineswegs auf diejenige des subjektiven Idealismus hinaus, dass es nur Mentales gibt. Sie besagt vielmehr zweierlei: Auf der Objektseite muss Seiendes, was auch immer seine konkrete Gestalt, so konzipiert werden, dass es erkennbar ist – mathematische Wahrheiten müssen beweisbar sein, physisch Seiendes muss, in wie vielen Brechungen auch immer, der sinnlichen Erfahrung, mental Seiendes der Introspektion und dem Verstehen anderer zugänglich sein; das empirisch Gegebene muss zudem begrifflich kategorisierbar sein. Auf der Subjektseite muss es zweitens Seiendes geben, das mit der Fähigkeit zum Erkennen ausgestattet ist.

Aber warum sollte jenes Prinzip gelten? Der naiv realistische Gedanke, dass es etwas gibt, das grundsätzlich unerkennbar ist, scheint performativ widersprüchlich zu sein – um darüber zu reden, muss ich es ja irgendwie dem Universum des Intelligiblen unterworfen haben. Hegel etwa schreibt in einem Fragment zur Philosophie des Geistes: „Die Schranken der Vernunft, die Beschränktheit des Geistes sind Vorstellungen, welche ebenso für ein Letztes, ein für sich gewisses Faktum als für etwas Bekanntes und für sich Verständliches gelten (…) vielmehr, indem und weil der bewusste Mensch von der Schranke weiß und spricht, ist sie Gegenstand für ihn und er hinaus über sie“ (11.529). Ähnlich argumentiert Neil Tennant, einer der wichtigsten Vertreter des von Michael Dummett ausgehenden Antirealismus, gegen das Prinzip, Wahrheit könne allem Wissen gegenüber transzendent sein:

„For the principle of Knowledge-Transcendence is incoherent. Consider what it says: that there could be some truth Ψ such that it be impossible to know that Ψ. For the anti-realist, however, the truth of such Ψ would have to consist in there being some truth-maker Π for Ψ that we can recognize as such. Being able so to recognize as a truth-maker Π for Ψ, we would therefore know that Ψ. But precisely this knowledge is supposed to be beyond our reach! – a contradiction“ (1997, 50).

Es mag überraschen, dass ich zwei so unterschiedliche Autoren wie Hegel und einen Analytiker wie Tennant zitiere, der gegen die Dogmen Willard van Orman Quines in mancherlei Hinsicht den Logischen Positivismus rehabilitieren möchte. Doch auch wenn ihre Methoden, sich der Wahrheit zu nähern, denkbar unterschiedlich sind, hat in der Tat schon der junge Hegel die erkenntnisoptimistische Lehre Wittgensteins „Wenn sich eine Frage überhaupt stellen lässt, so kann sie auch beantwortet werden“ (Tractatus, 6· 5) vorweggenommen (Hegel 2.547). Die Konvergenz zwischen klassischer und einigen neueren Strömungen der analytischen Philosophie ist ein Hoffnungszeichen – sie deutet darauf hin, dass bestimmte philosophische Intuitionen schon früh möglich waren und durch ein schärferes logisches Instrumentarium nur besser artikuliert werden. Der Preis der sehr aufwendigen schärferen Artikulierung ist freilich, dass die moderne analytische Philosophie in Regionaldisziplinen zersplittert ist, was deswegen bedauerlich ist, weil sich die einzelnen Disziplinen der Philosophie gegenseitig stützen müssen.

Gegen die Auffassung des Antirealismus, wahre Propositionen seien wesentlich erkennbar, wird häufig das Fitch-Paradox angeführt, eines der nicht zahlreichen wirklich neuen philosophischen Argumente der letzten Jahrzehnte (es geht auf ein anonymes Gutachten Alonzo Churchs von 1945 zu einer Arbeit Frederic Fitchs zurück, der es 1963 veröffentlichte). Es will beweisen, dass aus der Annahme, jede Wahrheit sei irgendwann von irgendjemandem erkennbar, folge, jede Wahrheit werde wirklich von jemandem erkannt. Da die Konklusion als absurd gilt, fungiert das Argument als reductio ad absurdum gegen die Ausgangsannahme, jede Wahrheit sei erkennbar, und also zugunsten der These, es gebe unerkennbare Wahrheiten. Das Argument ist verblüffend einfach, setzt die auch für Antinomien charakteristische Verbindung von Reflexivität und Negation ein und erinnert im Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit an den ontologischen Gottesbeweis, der allerdings von der Möglichkeit Gottes auf seine Notwendigkeit schließt. Ich nenne die entscheidenden Schritte des Arguments.4

Es sei jede Wahrheit erkennbar: ∀p(p ¬ ◊Ep). Nehmen wir nun an, es gäbe eine unerkannte Wahrheit: 3p(p Λ ¬Ep). Aus Letzterem folgt: p Λ ¬Ep. Setzen wir diesen letzten Satz für die Variable p des ersten Satzes ein, so erhalten wir: (p Λ ¬Ep) ¬◊E(p Λ ¬Ep). Da das Antezedens gilt, gilt auch das Sukzedens: ◊E(p Λ ¬Ep). Eine solche Erkenntnis ist aber unmöglich wenn man akzeptiert, dass aus dem Wissen einer Konjunktion das Wissen der Konjunkte (E(p Λ q) <img> Ep Λ Eq) und aus dem Wissen von p die Wahrheit von p (Ep <img> p) erschlossen werden kann, was beides vertraute Prinzipien der epistemischen Logik sind; denn mit diesen beiden Prinzipien kommt man leicht zu Ep Λ ¬Ep. Daraus folgt aber die Falschheit der zweiten Behauptung 3p(p Λ ¬Ep), und d.h.: ∀p(p ¬ Ep).

Man hat viel Scharfsinn darauf verwandt, das Eintreten der Schlussfolgerung zu verhindern – sei es durch Zugrundelegung einer alternativen, etwa intuitionistischen Logik, sei es durch semantische oder syntaktische Einschränkungen. Ich beziehe mich hier ausschließlich auf Tennants Analyse im achten Kapitel seines Buches. Zu Recht betont er, es sei ausgeschlossen, dass jemand erkenne „p ist wahr, aber ich erkenne es nicht“; denn dann erkennt er, dass p, und erkennt p zugleich nicht. Man müsse daher die erste Behauptung einschränken. Dass jede Wahrheit erkennbar sei, gelte nur für cartesische Gehalte; eine Proposition p ist dabei als cartesisch definiert, wenn aus Ep kein logischer Widerspruch folgt. Da dies aber der Fall sei bei ◊E(p Λ ¬Ep), dürfe man das nicht für die Variable der Ausgangsbehauptung einsetzen. Als nicht-cartesisch gelten dabei erstens kontradiktorische Propositionen, zweitens Propositionen, deren Erkenntnis deren Falschheit oder diejenige einiger ihrer Folgen voraussetzt, wie z.B. „Es gibt keine Denker“, und drittens Propositionen, deren Erkenntnis anzunehmen zu Inkonsistenzen führe, weil sie E beinhalteten.

Man beachte dabei, dass die Aussage „Es gibt keine Denker“ unterschiedlich gedeutet werden kann – entweder mit Bezug auf unsere Welt oder mit Bezug auf alle möglichen Welten. Mit Bezug auf unsere Welt bilde sie kein Gegenbeispiel zu der These der Erkennbarkeit aller Wahrheiten; denn hier sei sie ja falsch. „But presumably there is a possible world in which there are no thinkers, and, as Descartes made us aware, the truth in such a world of the proposition that there are no thinkers would be unknowable therein“ (Tennant 1997, 274). Aber ist eine Welt ohne Denker wirklich möglich? Sicher kann man sich eine solche Welt vorstellen, in der kein Widerspruch zwischen den in ihr geltenden Propositionen waltet. Aber widerspruchsfrei ist diese Welt nur, insofern man von der transzendentalen Subjektivität abstrahiert, die erforderlich ist, um den Wahrheitsanspruch hinsichtlich ihrer Möglichkeit zu erheben und möglichst einzulösen. Ich schlage vor, eine solche Welt zwar formallogisch möglich, aber nicht transzendentallogisch möglich zu nennen. Denn eine transzendentale Logik muss die Bedingungen ihrer Möglichkeit einholen. Eine Welt ohne Denker parasitiert, um denkbar zu sein, letztlich an einer transzendentallogisch möglichen Welt. Unser wirkliche Welt ist natürlich nur eine von unendlich vielen transzendentallogisch möglichen Welten, so wie es auch unendlich viele nicht transzendental-, sondern nur formallogische Welten gibt.

Denker erkennen Wahrheiten, und daher kann man vielleicht sogar mit Fitchs paradoxer Konsequenz leben, wenn man Ep schwach, also als ∃tEtp deutet, d.h. dass es für jede Wahrheit einen Zeitpunkt gibt, in dem sie erkannt werden wird. Eine solche Aussage ist nicht unmittelbar absurd, vielleicht sogar attraktiv – zumal wenn wir in einer deterministischen Welt leben. Denn dann ließe sich sagen, dass, wenn unsere Naturgesetze und die Anfangsbedingungen gegeben sind, eine Erkenntnis der Wirklichkeit in ihr nur dann möglich ist, wenn sie auch wirklich erfolgen wird.

Akzeptiert man die grundsätzliche Erkennbarkeit der Wirklichkeit, ergeben sich wichtige Einschränkungen für transzendentallogisch mögliche Welten. Da wir anders als durch begriffliche Kategorisierungen nicht erkennen können und unweigerlich in Begriffen urteilen, ist jede Theorie abwegig, Begriffe seien etwas, das wir der Wirklichkeit überstülpen, wobei wir sie gleichsam verformen. Unsere Begriffe entsprechen einem realen Aspekt der Wirklichkeit, den etwa Hegel als logischen von einem psychologischen Begriff unterschied.5 Der neben Robert Brandom einflussreichste Vertreter eines analytisch inspirierten objektiven Idealismus, John McDowell, schreibt: „Although reality is independent of our thinking, it is not to be pictured as outside an outer boundary that encloses the conceptual sphere. That things are thus and so is the conceptual content of an experience, but (…) also a perceptible fact“ (1994, 26). Es geht also stets nur darum, ein Kategoriensystem durch ein anderes zu ersetzen, das der Wirklichkeit mehr Gerechtigkeit erweist – es ist ausgeschlossen, einen mangelhaften begrifflichen Zugang durch einen außerbegrifflichen zu ersetzen; es kommt immer nur ein besseres Begriffssystem in Frage. Aber hat nicht jener Konzeptualismus recht, der da lehrt, wir könnten uns jene begriffliche Einteilung der Wirklichkeit auswählen, die uns je nach Zweck gerade am ehesten zusagt? Gewiss – aber nicht alle Zwecke sind gleichberechtigt. Selbst ein Pragmatist wie William James gesteht zu: „Only if one of our purposes were itself truer than another, could one of our conceptions become the truer conception“ (1950, 2.336). Fortschritte in einem Begriffssystem bemessen sich dabei einerseits an internen Kriterien wie Einfachheit und Fruchtbarkeit, andererseits an dessen Fähigkeit, allgemeingültige Gesetze über die Wirklichkeit zu entdecken. Begriffssysteme, die natürliche Arten erfassen, wie etwa die Klassifikation im Periodensystem der Elemente, sind alternativen Einteilungen überlegen. Wenn zwei Theorien in ihren Voraussagen äquivalent sind, wie die Lorentzsche Äthertheorie und Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie, wählen wir diejenige Theorie, die einfacher und in ihren Ausgangsprinzipien besser begründet ist. Es ist unsinnig, sich dann noch den Kopf zu zerbrechen, ob nicht die physische Wirklichkeit in Wahrheit nach der schwerfälligeren Theorie funktioniere. Dies freilich setzt voraus, dass die Wirklichkeit selbst „vernünftig“ ist – auf Erkennbarkeit hin angelegt und in ihrem Bestand idealen Rationalitätsprinzipien unterworfen, durch sie „prinzipiiert“ (meinetwegen „geschaffen“). Für die Begriffsbildung in der Philosophie kommt die Fähigkeit, empirisch verifizierbare oder wenigstens falsifizierbare Gesetze zu bilden, naturgemäß nicht in Frage – wohl aber, neben Einfachheit und Fruchtbarkeit, die Bezugnahme auf die anderen Disziplinen der Philosophie, unter denen die Ethik als die Lehre vom Endzweck, der anderen Zwecken in der Tat übergeordnet ist, eine besondere Stellung genießt.

Ganz analog müssen wir annehmen, dass das erkennende Subjekt auf Erkenntnis hin angelegt ist. Das ist eine Form teleologischen Denkens – ist aber nicht die Teleologie durch den Darwinismus aus der Wissenschaft vertrieben worden? Gewiss muss auch in der Biologie jedes Ereignis, etwa eine Speziation, kausal erklärt werden, und bekanntlich hat die natürliche Selektion ein sehr starkes Erklärungspotential. Es ist auch nichts Falsches an der These der evolutionären Erkenntnistheorie und Ethik, Verhaltensstrategien, die der Wirklichkeit krass widersprechen, seien der negativen Selektion unterworfen. Aber es ist abwegig zu meinen, der Mechanismus der natürlichen Selektion als solcher erkläre unsere Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Moral. Denn natürliche Selektion kann auch in einer Welt wirken, in der es kein Bewusstsein gibt. Dass es Bewusstsein, ja, selbst dass es Eukaryoten gibt, wird durch psychophysische und biologische Gesetze bestimmt, die den Hintergrund bilden für das Operieren der natürlichen Selektion, von dieser also selbst vorausgesetzt werden. Gerade wer dem Mentalen keine kausale Kraft zubilligt, muss ferner davon ausgehen, dass eine Erklärung des Mentalen durch die natürliche Selektion gar nicht möglich ist, da diese nur physische Resultate bewertet. Als Epiphänomen mag das Auftreten des Mentalen zwar durch psychophysische Gesetze bestimmt sein, aber diese müssen, wie gesagt, derart strukturiert sein, dass ein Parallelismus besteht zwischen den elektrochemischen Prozessen im Gehirn, den auf ihnen supervenierenden mentalen Akten und den ihnen entsprechenden Noemata, etwa deren Ableitungsbeziehungen, die in einem Beweis eingesehen werden. Sicher sind diese etwas Ideales und können als solche nicht die Rolle einer Ursache spielen, aber da wir davon ausgehen müssen, dass sie durch den Geist erfassbar sind, wenn wir unseren Wahrheitsanspruch ernst nehmen wollen, müssen wir eben annehmen, dass sie ein „Grund“ der entsprechenden psychischen, psychophysischen und physischen Gesetze sind diese Gesetze müssen so konzipiert sein, dass sie wahrheitsfähiges Denken ermöglichen. Die Möglichkeit von Geistigkeit als solcher – nicht hingegen notwendig der einzelne Geist – bestimmt die Natur mit (Hösle 2006).

Die Ausrichtung der Natur auf ihre Erkenntnis durch den Geist hin ist keine Form von Rückwärtskausalität. Es geht hier nicht um die Erklärung eines innernatürlichen Ereignisses, die selbstredend nicht ohne Rückgriff auf andere und frühere innernatürliche Ereignisse (und allgemeine Gesetze) erfolgen kann. Es geht vielmehr darum, wenigstens zum Teil zu verstehen, warum die Naturgesetze so sind, wie sie sind – eine Frage, die die Wissenschaft selber nicht zu beantworten vermag. Zwar hat seit Arthur Schopenhauer mancher Philosoph diese Frage als unbeantwortbar abgewiesen, und sicher begeht der klassische kosmologische Beweis etwa bei Thomas von Aquin einen elementaren logischen Fehler: Aus der Tatsache, dass alles eine Ursache hat, folgt gewiss nicht, dass es eine Ursache von allem gibt. Aber wenn das Wesen von Wissenschaft und Philosophie darin besteht, sich mit bloßer Faktizität nicht zufriedenzugeben, sondern nach deren Grund bzw. Ursache zu forschen, wird man sich nicht abschrecken lassen. Auch wenn eine vollständige Antwort auf die Frage, warum unsere Welt so ist, wie sie ist, in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten ist, sind alle einschränkenden Bedingungen, die wir nennen können, ein willkommener Erkenntnisfortschritt. Neben der Einfachheit der Naturgesetze und der Fülle der aus ihnen und den Antezedensbedingungen sich ergebenden Entitäten sind die Erkennbarkeit der dadurch bestimmten Natur und die Hervorbringung erkennender und miteinander kommunizierender Wesen Kriterien, die unsere Welt vor Alternativen auszeichnen. Teleologische Argumente sind dann legitim, z.B. bestimmte Naturkonstanten hätten gerade diesen Wert, weil bei dessen Variation es nicht zu Geistwesen gekommen wäre.

Gottfried Wilhelm Leibniz und Hegel stimmen darin überein, dass unsere wirkliche Welt vor Alternativen durch bestimmte Züge ausgezeichnet ist, unter denen Intelligibilität und die Existenz von Geistwesen besonders wichtig sind. Auch Immanuel Kants Programm gehört zum Teil in diesen Kontext, obgleich Kant das, was er als synthetisch a priori erklärt, nämlich die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungserkenntnis, wie etwa das Kausalprinzip,6 als etwas nur phänomenal Gültiges betrachtet, das die noumenale Welt nicht erfasst. Kants Theorie der noumenalen Welt widerspricht jedoch dem Grundgedanken des objektiven Idealismus, da sie etwas thematisiert, was gar nicht erkennbar ist (Strawson 1985, 38ff.). Auf jeden Fall ist die grundsätzliche Erkennbarkeit der Welt ein Fundament, das über die bloße Betrachtung formallogisch möglicher Welten hinausführt, und insofern ein synthetisch-apriorisches Prinzip. Gesteht man dies zu, so ist die weiterführende These zwar nicht zwingend, aber doch plausibel, es gebe vielleicht sogar rationale Gründe, warum unsere Welt als ganze so ist, wie sie ist – also über die bloße Erkennbarkeit und die Hervorbringung erkennender Wesen hinaus. Da die Erkenntnis der Wahrheit ein Wert ist, liegt es nahe zu behaupten, die Wirklichkeit unserer Welt sei nicht einfach ein kontingentes Faktum, das eben nur für ihre Bewohner gelte, wie David Lewis (1986) lehrt, dessen modaler Realismus nur anfangs an Leibniz erinnert, im entscheidenden Punkt aber von ihm abweicht, da er weder Gott noch Axiologie anerkennt. Sicher hat Lewis recht darin, dass die Auszeichnung unserer wirklichen Welt als real, nur weil sie die unsere ist, provinziell wäre. Aber unsere wirkliche Welt genießt einen Vorzug vor alternativen möglichen Welten – außer dem trivialen, dass sie eben die unsere ist –: In ihr ist viel Gutes verwirklicht. Diese These geht schon auf Platons Timaios zurück, wurde aber erst von Leibniz mit der der ganzen Antike noch fremden Metaphysik der möglichen Welten verbunden und zur These von der bestmöglichen Welt gesteigert. Die Axiologie geht in dieser Perspektive der Ontologie des Wirklichen voraus.

Neben dem erkenntnistheoretischen gibt es ja auch ein metaethisches Argument für den objektiven Idealismus. Wir haben schon gesehen, dass Normen nicht Teil der Natur sind; auch die Sozialwissenschaften können sie nur beschreiben, nicht rechtfertigen. Aufgrund der Unerlaubtheit des naturalistischen Fehlschlusses gibt es keine Alternative dazu, das Sollen einem eigenen Reich des Geltens zuzuschreiben. Denn moralische Normen erheben anders als kulinarische Präferenzen einen intersubjektiv verbindlichen Objektivitätsanspruch, dem nur eine Form von moralischem Realismus gerecht wird. Ich will hier nicht die Frage erörtern, wie man kognitiv Zugang zum Reich des Sollens gewinnt – ob sich ethische Normen durch transzendentale Argumente rational begründen lassen, wie die von Kant inspirierte Tradition oft annimmt, oder durch irreduzible Akte des Wertfühlens erfasst werden, wie etwa Max Scheler lehrt. Werteigenschaften werden uns in der Wirklichkeit freilich dadurch zugänglich, dass sie auf erfahrbaren Gegenständen oder Ereignissen supervenieren – wir erleben ein Bild als schön, einen Willensakt als großmütig. Die Supervenienz darf nun auch hier nicht im Sinne einer einseitigen Abhängigkeit interpretiert werden. Sicher kann das Werthafte in der Wirklichkeit nur Fuß fassen, indem es auf Physischem oder Mentalem superveniert – so wie auch Mentales auf Physischem supervenieren muss. Aber wie das Physische so strukturiert sein muss, dass relevante mentale Akte, also u.a. solche des Erkennens, vorfallen können, so müssen auch Physisches und Mentales derart sein, dass normativ Relevantes auf ihnen supervenieren kann. Die Möglichkeit des Mentalen bestimmt die Gesetze des Physischen mit, und die Möglichkeit des normativ Ausgezeichneten bestimmt die Gesetze des Physischen und Mentalen mit. Das Sein ist so strukturiert, dass es auf die Verwirklichung des Normativen hin angelegt ist (Illies 2006).

Das Reich des Sollens bestimmt also das Reich des Seins wenigstens zum Teil. Aber doch sicherlich nicht ganz, weil ja sonst alles gut wäre und die Differenz zwischen Sein und Sollen eingezogen werden müsste. Aber ist nicht diese Differenz selbst etwas Gutes, also etwas, das so ist, wie es sein soll? Ermöglicht nicht die Tatsache, dass vieles Gute in der Welt nicht einfach da ist, sondern erst in komplexen Akten verwirklicht werden muss, eine Fülle von Werten, die es sonst nicht gäbe, nämlich das Subjektiv-Moralische neben dem Objektiv-Richtigen? Wenn dem aber so ist, dann besteht die Möglichkeit, dass nicht trotz, sondern gerade wegen der Seins-Sollens-Differenz unsere Welt als ganze gut ist, ja, vielleicht sogar eine der möglichen Welten mit maximalem Wert. Dies durch den Verweis auf einzelne Übel auszuschließen, ist deswegen nicht ausreichend, weil die positiven Konsequenzen dieses Übels es aufwiegen mögen und eine Welt ohne jedes Übel entweder zu primitiv sein oder zu komplexe Gesetze voraussetzen könnte. Dass man dies nicht ausschließen kann, heißt selbstredend nicht, dass man es beweisen kann, und in der Tat ist diese Annahme angesichts der Leiden dieser Welt zumindest kontraintuitiv. Auf Erfahrung kann sie sich nicht stützen. Aber ihre Einfachheit spricht für sie. Da man an dem Guten als einem der Prinzipien der Wirklichkeit nicht vorbeikommt und da die innere Geschlossenheit der Wirklichkeit das Zusammenwirken dualistisch entgegengesetzter Prinzipien nicht plausibel erscheinen lässt, ist die Hypothese verlockend, die Welt sei als ganze Ausdruck des Guten.

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