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1.3.3 Problemtypen und Formen des Zeigens

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Was gibt es nicht alles für Probleme! Schon zu Beginn dieses Abschnittes ist darauf hingewiesen worden, dass angesichts des Orientierungsbedarfs in modernen Gesellschaften fast alles zu einem Problem werden kann. Allein ein Blick auf die zahlreichen Beratungsangebote jeder größeren Stadt veranschaulicht dies. Damit stellt sich nun die Frage, wie diese schillernde Vielfalt systematisch zu erfassen ist? Wenn Beratung wirklich eine Grundform der Kommunikation darstellt, dann kann sie sich ja nicht mit jedem Thema oder jedem Problem völlig verändern, sondern muss, als Grundform eben, erkennbar bleiben.

Beratung ist eine kommunikative Praxis und als solche kann in ihr ausschließlich all das zu einem Problem werden, was allein mit kommunikativen Mitteln in diesem sozialen Inszenierungsformat vernünftig bearbeitet und einer Lösung nähergebracht werden kann. Diese Eingrenzung ist zum Beispiel für den Bereich der »Sozialen Arbeit« von besonderer Bedeutung, gibt es dort doch auch vielfältige Hilfeformen, die direkt in die Lebenswelt von Klienten eingreifen, also Probleme auf nicht-kommunikative Weise zu lösen versuchen. Einerseits liegt in der Beschränkung auf Kommunikation eine deutliche Grenze der Beratung. Andererseits ist damit gleichwohl eine Vielfältigkeit gegeben, die weiter reduziert werden muss.

Probleme können, davon soll hier ausgegangen werden, in zwei Kategorien eingeteilt werden:

Die erste Gruppe soll mit dem Ausdruck »Sachprobleme« bezeichnet werden. Dieser Typ von Problemen beruht vor allem auf falschen oder fehlenden Informationen und unzureichendem Wissen. Für diese Probleme ist aber objektives Wissen vorhanden. Es kommt demnach darauf an, dieses Wissen dem Ratsuchenden verfügbar zu machen. Werden diese (Wissens-) Defizite durch eine bessere Sachkenntnis des Beraters dadurch ausgeglichen, dass mehrere Möglichkeiten vorgeführt und so gegeneinander abgewogen werden, dass sich im Ratsuchenden eine Einsicht in die für eine Empfehlung sprechenden Gründe ergibt, dann kann in der Regel danach entschieden und gehandelt werden. Zwei einfache Beispiele mögen diesen Typus veranschaulichen:

Vielleicht haben Sie ein neues schickes Smartphone erworben, verstehen aber viele Funktionen nicht und können bestimmte Anwendungen daher nicht ausführen. Dann fragen Sie in Ihrem Freundeskreis jemanden, der sich damit gut auskennt, einen echten ›handy-freak‹ vielleicht. Der setzt sich mit Ihnen zusammen, nimmt das Gerät in die Hand (möglicherweise liegt die schwer verständliche Gebrauchsanweisung daneben) und zeigt Ihnen, was Sie bisher nicht verstanden hatten und daher nicht ausführen konnten. Nachdem er das ausführlich erläutert hat, fordert er Sie auf, es nun selbst einmal zu versuchen, und siehe da, es funktioniert, Sie können jetzt das, was sie vorher nicht konnten. Oder, ein anderes Beispiel, Sie haben ein Problem mit Ihren Zähnen. Der Zahnarzt untersucht die Sache, stellt fest, was das Problem ist und erläutert und zeigt Ihnen dann, was man tun könnte: Zahn ziehen oder neu füllen oder vielleicht eine Krone oder Brücke einbauen oder auch gleich einen neuen Zahn implantieren. Neben dem Behandlungsstuhl liegen vielleicht kleine Modelle, an denen ersichtlich ist, was genau gemacht werden könnte; es gibt aufwendige Lösungen oder weniger aufwendige, verschiedene Materialien, unterschiedlich eingefärbt (wegen des kosmetischen Eindrucks) oder auch unterschiedlich haltbar, sicherlich auch unterschiedlich teuer. Nachdem Sie sich alle Möglichkeiten angeschaut und in Ruhe überlegt haben, was für Sie vermutlich das Beste sein dürfte, entscheiden Sie sich, und der Arzt schreitet zur Tat.

Wie hieran zu sehen ist, kommt das Zeigen bei dieser Form der Beratung auf ganz bestimmte Weise zum Vorschein und zur Geltung. Sachprobleme, so war gesagt worden, beruhen zumeist auf fehlenden oder falschen Informationen oder unzureichendem Wissen. Daher müssen dem Ratsuchenden objektive Sachverhalte so gezeigt werden, dass er sich entscheiden und das Problem lösen kann. Es ist also etwas unmittelbar nicht Gegebenes so vor Augen zu führen, dass buchstäblich »Ein-sicht« gewonnen werden kann, d. h. dass ein Sachverhalt in seinen sachlich-logischen Verknüpfungen transparent, erklärbar und damit begründbar erscheint. Im Hinblick auf Sachprobleme richtet sich in Beratungen das Zeigen dem signifikanten Lernen im Modus der Darstellung, also repräsentativ, entgegen, wobei das, worum es geht, wiederum auf verschiedene Weisen artikuliert werden kann (z. B. narrativ, indem erzählt wird, oder bildhaft, indem eine Graphik oder ein Video erläuternd betrachtet wird usw.). Kurz gesagt: Der Ratsuchende lässt sich gleichsam unterrichten. Anders aber als in der Schule geht es hier nicht darum, in allgemeiner Weise (reproduzierbare) Kenntnisse zu erwerben, sondern die Darstellung bleibt stets auf die spezifische biographische Situation und die anstehende Entscheidung bezogen. Kurzum: Im Hinblick auf Sachprobleme wird in Beratungen also repräsentativ-entscheidungszentriert gezeigt.

Die zweite Gruppe soll mit dem Ausdruck »Lebensprobleme« bezeichnet werden. Hierbei gibt es, unabhängig von deren möglicher Vielfalt, ihrer Schwere und der existentiellen Intensität und Dramatik, die sie annehmen können, ein gemeinsames Merkmal: für sie gibt es keine objektivierbar-sachgebundenen Lösungen, sondern nur solche, die in jedem Einzelfall individuell selbstreflexiv errungen werden müssen (z. B. im Falle eines Trennungskonfliktes, bei Problemen der Berufswahl oder der Entscheidung für ein bestimmtes Hobby). Für diesen Typus von Problemen ist weder objektives Wissen verfügbar noch gibt es hierfür eine allgemeingültige Lösung. Allein im subjektiven Wissen liegt in einem solchen Fall die Möglichkeit, das Problem zu lösen. Aber was macht beispielsweise im Falle eines Trennungskonfliktes ein professioneller Berater mit seiner Klientin oder seinem Klienten, was »zeigt« er, oder, anders gesagt, wie zeigt sich das Zeigen in einem solchen Fall? Es gibt ja keine »Enzyklopädie der Trennungskonflikte«, in der alle möglichen Fälle tabellarisch aufgeführt wären, so dass man nur bestimmte Daten des Klienten einzugeben bräuchte, um dann zu sehen, welche Lösung dabei herauskommt und die man dann mitteilte. Die Lösung lässt sich allein, dem Autonomiegebot entsprechend, im Klienten selbst finden. Beratung wird in diesem Fall zu einer Komponente der Selbst-Findung. Demnach muss hier anderes und anders gezeigt werden, nämlich Aspekte des Problems und der Person, die dem Ratsuchenden selbst momentan nicht zugänglich sind oder denen gemäß, wären sie erkannt, er sich nicht zu verhalten vermag. Sind also Lebensprobleme Gegenstand der Beratung, kommt dem signifikanten Lernen das Zeigen als Reflexion, also primär spiegelnd, entgegen. Das Selbst des Ratsuchenden zeigt sich durch die Spiegelung des Beraters und vergegenwärtigt sich in ihr; so können die gespiegelten Selbstanteile Gegenstand des gemeinsamen Reflexionsprozesses und damit dann auf andere und zumeist neue Weise in das Selbstbild des Ratsuchenden integriert werden. Denn da das Selbst sich selbst nie vollständig zu sehen vermag, ist es auf die Spiegelerfahrung durch andere angewiesen, um sich zum Vorschein bringen zu können. Nur durch andere, in der leibhaftigen Beziehung mit ihnen, kommt es vollständig zur Geltung. Durch reflexives Zeigen aber kann Unsichtbares sichtbar werden und der Aufweis von Möglichkeiten ohne Verpflichtungscharakter erfolgen. Signifikantes Lernen ist daher ohne spiegelndes Alter Ego unmöglich, da dem Selbst wesentliche Aspekte seiner Struktur, die für die Lösung oder Bewältigung eines Lebensproblems unbedingt notwendig sind, sonst verborgen bleiben würden.

Das folgende Schaubild zeigt den hier vorgeführten Gedankengang noch einmal auf andere Weise.

Wie aus dem Schema ersichtlich wird, bestimmt der Typ des Problems die Form des Zeigens. Und es ist nicht verwunderlich, dass bei Sachproblemen Beratung eine Form des Unterrichts, genauer gesagt, eine Form des Unterrichtet-Werdens, annimmt. Man kann sich das leicht mit dem bereits mehrfach verwendeten Schema des »Didaktischen Dreiecks« klarmachen, das in diesem Fall gewissermaßen voll entfaltet ist. Gleichwohl wird damit Beratung nicht zum Schulunterricht. Der entscheidende Unterschied hierzu liegt in der auf besondere Weise biographisch bestimmten Situation, was im übernächsten Abschnitt genauer erläutert werden wird ( Kap. 1.3.5).

Bei Lebensproblemen hingegen, auf die reflexiv-zeigend Einfluss zu gewinnen versucht wird, sieht es anders aus, weil eben das Problem näher an die Person des Klienten heranrückt und sogar teilweise Besitz von ihm ergreift. In diesem Fall wird das Didaktische Dreieck sozusagen gestaucht und gewinnt eine gleichsam spitzwinklige Gestalt. Als reflexives Zeigen richtet sich das Beraten hierbei vor allem auf die Art und Weise, wie ein Klient über dieses Problem nachdenkt. Dadurch gerät diese Form der Beratung zumindest dem Anschein nach zwangsläufig in die Nähe psychotherapeutischen Handelns, aber sie wird dadurch


Abb. 10: Problemtypen und Formen des Zeigens

(noch) nicht zur Psychotherapie. Denn nur dann, wenn bei Lebensproblemen die Handlungsfähigkeit von Klienten nicht über Gebühr beeinträchtigt ist, sind sie beratbar. Wie diese Zusammenhänge im Einzelnen zu denken und zu erklären sind, wird im nächsten Abschnitt dargestellt ( Kap. 1.4.4).

In der Praxis werden sich viele Fälle diesen beiden Kategorien eindeutig zuordnen lassen. Aber es gibt natürlich auch (den gar nicht so seltenen) Fall, dass Lebensproblem und Sachproblem miteinander verbunden, vielleicht sogar verquickt und womöglich unentwirrbar ineinander verschlungen zu sein scheinen, denkt man nur an das Problem von Unterhalt und Besuchsregelungen im Falle von Scheidungen. Hierbei oszilliert das Beraten dann gewissermaßen zwischen dem repräsentativen und dem reflexiven Zeigen und wandert gleichsam solange zwischen beiden Polen hin und her, bis eine Lösung gefunden ist.12 Die folgende Abbildung stellt die beiden Zeigeformen noch einmal auf andere Weise einander gegenüber:

Wie jede Kommunikation ist auch Beratung in Affekte und Emotionen eingebettet. Dieser Gesichtspunkt, der bisher ausgeklammert worden ist, steht im folgenden Abschnitt im Mittelpunkt.


Abb. 11: Die Zeigestruktur der Beratung

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