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Einleitung

„Ockham could move with ease from logic to metaphysics to theology to political theory to epistemology. We who are expert in only one of the fields which Ockham mastered find that we need each other’s help in order to understand our own special discipline correctly.“1 Dem Problem, das David C. Steinmetz benennt, wird sich niemand entziehen können, der heute eine Gesamtdarstellung Wilhelms von Ockham versucht. Jede solche Darstellung wird notwendig perspektivisch sein, wird bei allem Bemühen um eine Aufnahme des breit geführten interdisziplinären Gesprächs über Ockham aus der Sicht eines bestimmten Faches geschrieben sein.

Die bisherigen Gesamtdarstellungen stammen überwiegend von Philosophen und Historikern und akzentuieren entsprechend stärker den Philosophen Ockham2 oder den Berater und Akteur in den historischen Prozessen3. Mit dem vorliegenden Band wendet sich nun ein Theologe der Gestalt Ockhams zu – immerhin gewissermaßen über die Zeiten hinweg ein Berufskollege Wilhelms von Ockham, denn auch wenn dieser zahlreiche philosophische und kirchenpolitische Werke verfasst hat, war er doch, wenn man ihn überhaupt einer akademischen Berufsgruppe zuordnen kann, in erster Linie Theologe, Theologe aus dem Orden des heiligen Franziskus.

Er war dies in der Zeit vor der Spaltung der Kirche Westeuropas in verschiedene Konfessionskirchen im 14. Jahrhundert und ist somit Teil der gemeinsamen mittelalterlichen Geschichte dieser Kirchen – „gehört“ weder den evangelischen Kirchen noch der römisch-katholischen.4

Gleichwohl ist er zum Opfer konfessioneller Auseinandersetzungen geworden, nicht nur von den Protestanten angegriffen, die seit Luthers „Disputatio contra scholasticam“, die im Jahre 1517 seinen Ablassthesen präludierte, in Ockham und vor allem seinem Schüler Gabriel Biel einen wohlfeilen Gegner als Repräsentanten „der“ verderbten Scholastik besaßen. Von katholischer Seite war er wegen seiner Papstkritik verdächtig, und noch ein um die Ökumene hoch verdienter katholischer Gelehrter wie Erwin Iserloh hat 1956 in aller Schärfe erklärt: „Ockhams Denken hat sich in abstrakten Deduktionen so weit vom Sein, d. h. in der Theologie aber von der Offenbarung entfernt, daß es schließlich mehr um den im Denken angenommenen möglichen Fall als um die auf dem von Gott faktisch beschrittenen Heilsweg beruhende und deshalb allein verbindliche Wahrheit geht.“5

Auch im katholischen Lager gab es hierzu Gegenstimmen6 , die von evangelischer Seite positiv aufgenommen wurden7. So wird der heutige Stand der theologischen Forschung wohl durchaus zutreffend charakterisiert, wenn das vorliegende Buch davon ausgeht, dass Ockham durchaus bei der Sache geblieben ist, und zwar bei der Sache der Theologie. Selbst wo er zum Philosophen zu mutieren scheint, bleibt er Theologe – erst recht, wenn er als Berater des Kaisers Kritik an der Kirche seiner Zeit übt. Dies ist der rote Faden seines Werkes und Lebens.

Freilich, schon die Reihenfolge dieser Begriffe „Werk“ und „Leben“ deutet das eigentliche Problem einer Gesamtdarstellung an. Was man bei Ockham erfassen kann, ist aufgrund der spärlichen Quellenlage nur begrenzt das, was eine Biografie ausmacht. „Sein Werk ist seine Biografie“, so meinte man resümieren zu können8 – und gewiss nicht zu Unrecht. So sehen denn auch die meisten Versuche einer Gesamtdarstellung aus9: Das Leben verschwindet, wird allenfalls in kurzen Stichworten umrissen – dann folgt eine um so ausführlichere Rekonstruktion seines Denkens, mal aus eher gegenwärtigen Interessen – so bei Marilyn McCord Adams, die Ockham geradezu wie einen gegenwärtigen Partner des logischen Diskurses behandelt, mal unter eher historischer Perspektive wie bei Léon Baudry und anderen. Meist gerinnt die Gesamtdarstellung dann zu einer systematischen Rekonstruktion seines Denkens. So wird Ockham tatsächlich zu seinem Werk und ist es vielfach geworden.

Wenn nun ein neuer Versuch einer Gesamtdarstellung gemacht wird, kann nicht erhofft werden, dass mit einem Mal mehr über das Leben Ockhams in Erfahrung gebracht worden wäre, als es die grundlegenden Forschungen insbesondere von Jürgen Miethke und in jüngerer Zeit von den franziskanischen Editoren des Ockham’schen Werkes um Gedeon Gál hervorgebracht haben. Neue Quellenfunde sind nicht zu präsentieren, allenfalls an manchen Stellen – bei der Datierung der Quodlibeta oder bei der Reaktion des Papstes Johannes XXII. auf Ockham – neue Kombinationen bekannten Materials.

Was aber grundlegend neu versucht wird, ist eine Darstellung Ockhams, die sein Leben nicht zur Folie der hiervon weitgehend gelösten Darstellung seines Werkes nimmt, sondern die die Darstellung des Werkes in dieses Leben integriert: Von dem unklaren Geburtsjahr bis zum einigermaßen sicheren Todestag bildet das Leben Ockhams das Raster, in das sein Wirken eingeordnet und vor dessen Hintergrund es gedeutet wird. Mit einem modisch gewordenen Begriff könnte man von Kontextualisierung sprechen: Ockhams Denken wird von seinen Lebens- und Konfliktkontexten her erschlossen.10

Diese Konflikte stehen dem Betrachter des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit zur Verfügung wie dem Zeitgenossen des 14. Jahrhunderts. Die Annäherung an Ockham muss und wird daher immer wieder auf Umwegen geschehen, gelegentlich sind lange Anläufe nötig, um seine Stellung in seiner Zeit zu profilieren. Nur wenn man diese langen Wege – etwa von der Entdeckung des Aristoteles über die konsequente Aristotelesdeutung in den Siebzigerjahren des 13. Jahrhunderts – nachzeichnet, wird man angemessen nachvollziehen können, worin die Leistung von Ockhams kritischem Aristotelismus besteht.

Damit vollzieht die vorliegende Arbeit auch bei allem unverhohlenen theologischen Interesse an Ockham das übliche nüchterne Geschäft des Historikers: zu relativieren. Der Ehrenname Ockhams, Venerabilis Inceptor, Ehrwürdiger Beginner, ist nicht nur in seiner Entstehung durchaus banal (s. u. S. 119), sondern hat auch hiervon unabhängig nicht das Gewicht, das ihm Deuter beimaßen, die den englischen Franziskaner zum Beginner einer neuen Zeit machen wollten – sei es, in negativer Sicht, durch Zersetzung des Vorherigen, sei es, in positiver Würdigung, durch Entdeckung neuer, moderner Einsichten. Das eine wie das andere ist letztlich Reflex auf eine kontextlose Sicht Ockhams, die diesem seinen Ort im 14. Jahrhundert nicht lassen will, sondern ihn hieraus löst, sei es durch eine rein systematisch-immanente Lektüre, sei es durch eine unmittelbare Konfrontation mit näheren Größen der Geistesgeschichte – Thomas von Aquin oder Martin Luther – oder mit ferneren Gedankensträngen – Aristoteles oder der Gegenwart.

Wichtiger als diese Gestalten waren ihm seine weniger bekannten Zeitgenossen oder unmittelbaren Vorgänger: ein Petrus Aureoli oder ein Robert von Cowton, ein Adam von Wodeham oder ein Johannes Lutterell. In diesen Kontext passt Wilhelm aus Ockham in erster Linie, in die großen Bögen der Geistesgeschichte bestenfalls in zweiter. Und zu solchen Berührungen mit Zeitgenossen gehören dann auch die erstaunlichen Mängel der Wahrnehmung, die Alternativen, denen er sich nicht gestellt hat. Als bedeutendste ist die Alternative der Mystik in Gestalt Meister Eckharts zu nennen. Auch ihm hätte er begegnen können, ist er vielleicht sogar begegnet – und doch wird hier gerade die gegenseitige Fehlwahrnehmung zum biografischen Problem.

Noch weniger als bei anderen „Gestalten des Mittelalters und der Renaissance“ wird man also am Ende von Ockham ein vollständiges, lebenspralles Bild besitzen können. Zwar blitzt unter der Frage nach seiner Biografie vielleicht manches in den Texten auf, das unter anderen, systematischer orientierten Blickwinkeln nicht wahrgenommen werden kann. Aber mehr als Konturen dieses Lebens wird der vorliegende Band nicht versprechen können: eine Annäherung an eine Gestalt von ihren Rändern her – von der Vorgeschichte in der scholastischen Theologie, von den Partnern und Gegnern her. In der Zeitgenossenschaft konturiert Ockham sich vorwiegend als Denker, als Intellektueller in seiner Zeit.

Wilhelm von Ockham

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