Читать книгу Aevum - Werner Karl - Страница 11

Flashback Eins

Оглавление

Es war ruhig an Bord des Mazzarschiffes; fast alle schliefen. Bérénice lag zwar in ihrer Koje, doch ihr Geist fand keine Ruhe und trieb an der Grenze zwischen Wachsein und leichtem Schlaf. Immer wieder wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Sie murmelte unverständliche Worte, manchmal nur Silben und rang mit der sich ständig verheddernden Schlafdecke. Als sich ihr der kleine Nadler, der eigentlich unter ihrem Kopfkissen hätte liegen sollen, unangenehm in den Rücken drückte, gab sie es auf, ein paar Stunden Ruhe zu finden. Mit einem Ruck richtete sie sich auf und starrte mit weiten Augen in die Dunkelheit der Kabine. Und von einem Moment zum anderen wähnte sie sich an einem ganz anderen Ort …

Irgendetwas sticht mir in den Rücken. Sie stöhnte auf, als sie sich eine bequemere Lage verschaffen wollte und spürte, dass ihr gesamter Oberkörper völlig verspannt war. Na schön, dachte sie, dann eben Schluss mit Schlafen. Ich …

Sie brachte den Gedanken nicht mehr zu Ende, denn ihr Hirn glaubte nicht, was ihre nun offenen Augen ihm zutrugen. Sie lag  oder besser: kauerte  auf einem schmalen Felsvorsprung und kalter Wind fuhr ihr durch das Haar. Sie blickte an sich herab und registrierte mit dem nüchternen Teil ihres Verstandes die Thermo-Variante eines Trainingskampfanzuges. Der andere, heißblütigere Teil in ihr, spülte Wut aus ihrem Inneren herauf.

Was soll denn das für eine Übung werden?

Die Trooperin zog den Reißverschluss des Anzuges bis ganz nach oben und erhob sich. Mit einem einzigen Schritt nach hinten wich sie von der Kante des Simses ab, auf dem sie wohl geschlafen hatte. Sie hatte damit bereits die Wand erreicht, die hinter ihr fast senkrecht in die Höhe stieg. Und vor ihr in einen scheinbar unendlichen Abgrund führte.

Es ist nur eine Simulation, Mädchen. Die Kerle der Planungsgruppe sollen schon die skurrilsten Einfälle gehabt haben.

Sie sah förmlich Major Tyler Palmwood vor dem Auditorium der Rekruten stehen und glaubte, seine Worte in ihrem Kopf nachhallen zu hören: »Die Trainingssequenzen, die Sie erleben werden, werden Ihnen völlig authentisch vorkommen. Sie werden Hitze, Kälte, schneidenden Wind … und Schmerzen fühlen. Alles, was Sie in der Realität auch spüren würden.« Sein Blick hatte eine Härte angenommen, die sie alle als Warnung empfunden hatten und die von ihm auch garantiert so gedacht worden war. Er hatte begonnen, wie ein Tiger im Käfig vor ihnen auf und ab zu marschieren. Vielleicht hatte er es getan, um möglichst vielen von ihnen in die Augen schauen zu können. »All Ihre Sinne werden Ihrem Gehirn signalisieren: Das ist echt!« Er hatte eine winzige Pause gemacht, möglicherweise nur, um ein noch finstereres Gesicht aufsetzen zu können. »Die Wunden, die Sie sich möglicherweise einhandeln, sind natürlich nicht wirklich. Wir wollen schließlich keine Krüppel aus Ihnen machen. Aber die Schmerzen werden Sie sehr wohl als wahr empfinden. Es hat immer Kandidaten gegeben – und wird es wohl auch in Zukunft geben , die diese Qualen nicht ertragen können. Und solche, die den Korrekturbutton nie oder zu spät erreicht und gedrückt haben. Sie sind gestorben. Die meisten gottlob nur virtuell … manche aber absolut real.« Er hatte seine Wanderung am Rand der ersten Reihe des Auditoriums beendet und sich kerzengerade aufgerichtet, als gelte es, eine Medaille entgegenzunehmen.

»Das Terranische Spacetrooper-Korps ist stolz darauf, durch dieses Auswahlverfahren die Verlustquote im Einsatz deutlich niedriger halten zu können, als alle Armeen der Erde zu früheren Zeiten. Lieber verlieren wir pro Jahr eine Handvoll Rekruten durch Schock, als eine Vielzahl in einem echten Gefecht durch mangelnde Eignung. Aber vergessen Sie nicht: Das Ziel ist immer die Erfüllung der Mission! Im Idealfall auf eine Art und Weise, die Sie eine weitere Mission übernehmen lässt. Und noch eine … und noch eine.«

Bérénice hatte nach seinen Ausführungen beobachtet, wie einige der Kandidaten betroffene Gesichter gezeigt hatten. Ihr war noch am gleichen Tag in der Garnison zu Ohren gekommen, dass 18 % der Spacetrooper-Anwärter das Handtuch geschmissen und ihre Ausbildung beendet hatten.

Sie schüttelte die Erinnerung ab und betrachtete den Verlauf des Felssimses nach beiden Seiten. Er endete in jeder Richtung nach wenigen Metern. Na super, Jungs. Das bedeutet wohl ein Free Solo. Dann schwor sie sich: Du wirst diesen ersten Test … und alle weiteren überstehen, Mädchen!

Letzte Blicke nach unten und zu den Seiten der Felswand bestätigten ihr, dass es nur einen Weg gab: nach oben. Bérénice seufzte und tastete mit beiden Händen nach einem sicheren Halt … und stutzte.

Was ist das denn für ein komisches Zeug? Das ist doch kein normaler Fels.

Sie nahm ihre Hände wieder von der Wand zurück und drückte mit einem Finger auf das, was von der Farbe her wie ganz gewöhnlicher Granit aussah. Doch ihr Finger drang in das Material ein. Nicht viel, aber spür- und sichtbar. Bérénice drückte unterschiedlich stark und mal kürzer, mal länger. Sie schaffte nicht mehr als einige Millimeter. Und wenige Augenblicke nach ihren Vorstößen glätteten sich die Druckstellen wieder und zeigten die Oberfläche wie zuvor. Mehr oder weniger unbewusst zog sie das Messer aus dem Beinfutteral und wollte es schon an dem Zeug ausprobieren, als sie plötzlich innehielt. Die Klinge schwebte nur einen Fingerbreit über der gummiartigen Oberfläche. Aus einem inneren Impuls heraus verzichtete sie jedoch auf den Einsatz des Messers und tastete wieder nach brauchbaren Lücken in dem seltsamen Massiv.

Irgendwie putzig, bei dem Zeug an massiv zu denken, schmunzelte sie und fand endlich, wonach sie gesucht hatte. Mit beiden Händen zog sie abwechselnd an den Griffstellen und beurteilte sie als brauchbar. Dann steckte sie die Spitze ihres linken Fußes in einen Tritt auf Höhe ihrer Knie und zog sich nach oben.

Die Trooperin hatte sehr vorsichtig und kräfteschonend ein ansehnliches Stück der Kletterpartie hinter sich gebracht. Trotz des anhaltend frischen Windes traten ihr die ersten Schweißtropfen auf die Stirn.

Und ich dachte immer, eine Spacetrooperin zu sein, hätte etwas mit dem Weltraum zu tun. Stattdessen jagen die mich über die verrückteste Gebirgswand, die ich je gesehen habe. Bin nur gespannt, wo sie diesen Scheiß-Button versteckt haben. Dann stoppte sie ihre Kletterei, um zu verschnaufen und die Bereiche über und seitlich von sich nach irgendwelchen Hinweisen absuchen zu können. Dass sie jetzt schon den leuchtenden Button finden könnte, glaubte sie indes nicht wirklich. Das wäre euch sicher zu einfach, was Jungs? Mittlerweile hatte sie eine Stelle des Berges erreicht, wo er nicht mehr senkrecht nach oben ragte, sondern sich in einem Winkel von circa 70° neigte. Besser als anders herum … ich habe keine Lust auf Überhänge.

Bérénice wollte gerade ihren Aufstieg fortsetzen, als von ihrer Stirn ein Schweißtropfen auf den Fels unmittelbar vor ihr fiel. Sie hatte sich längst so auf das Bergsteigen konzentriert, dass die ungewöhnliche Beschaffenheit der Oberfläche ein wenig ihrer Aufmerksamkeit entglitten war. Jetzt drängte sie sich allerdings mit Macht zurück. Denn nur wenige Zentimeter neben der Stelle, wo ihr Schweißtropfen aufgeschlagen war, stülpte sich ein tentakelähnliches Ding aus der Wand und saugte den Tropfen – so schien es ihr zumindest – gierig ein.

Was zur Hölle?

Bevor sie es verhindern konnte, fielen zwei weitere Tropfen herab und sofort bildete sich der Rüssel erneut aus. Fasziniert beobachtete Bérénice, wie er zielsicher den Schweiß einsammelte und wieder verschwand. Die Trooperin war so verblüfft, dass sie vergaß, weiter zu klettern.

Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig.

Mitten im Fels erschien ein Auge und blinzelte sie an. Dazu knirschte es weit über ihr und eine Ahnung nahenden Unheils nistete sich in der Haitianerin ein. Ihr Kopf ruckte nach oben. Aber noch stürzten ihr weder Splitter noch Steinbrocken entgegen. Dann fiel ihr Blick erneut auf das suchende Auge. Es glich dem einer irdischen Flunder und rollte ein wenig hin und her, so als wolle es nach weiteren Tropfen der begehrten Flüssigkeit Ausschau halten. Bérénice mochte es gar nicht, wenn ihr ein unbekanntes Tier – denn nichts anderes konnte es sein – so nahe war und machte daher einige rasche, dennoch überlegte Klimmzüge nach oben. Die Anstrengung trieb neue Schweißtropfen aus ihren Poren und diese fielen prompt auf Stellen des Felsens, an denen weitere dieser hervorragend getarnten Tiere hafteten, denn neue Augen glotzen ihr nach.

Aus dem Knirschen über ihr wurde ein Grummeln, das sich auch in einem leichten Erbeben in der Wand vor ihr äußerte.

Scheiße, wenn jetzt eine Steinlawine abgeht, dann wars das.

Sie schüttelte stumm den Kopf und schleuderte damit mehrere salzige Tropfen von sich. Die Reaktion war, dass sich fünf oder sechs Pseudopodien ausbildeten, welche die offensichtlich hochwillkommene Spende aufsaugten. Fasziniert beobachtete die Trooperin die Haut der Auswölbungen. Sie glich, wie der Rest der immer noch fast unsichtbaren Tiere, dem Felsen, hatte jedoch Hunderte kleiner Spitzen, die wie Reibeisen oder sehr grobes Sandpapier aussahen.

Spontan griff Bérénice mit einer Hand nach einem der Saugrüssel, packte ihn fest und zog mit aller Kraft daran. Das dazugehörige Auge glotzte sie zwar vorwurfsvoll an, doch das Tier bewegte sich keinen Millimeter. Weder auf sie zu … noch löste es sich von der Wand. Im Gegenteil: Es schien die Berührung als Bedrohung aufzufassen und die Trooperin glaubte zu sehen, wie sich das Tier noch fester an den Felsen saugte.

Das wären bessere Klettergriffe als die Risse und Spalten im Fels, die ich erst suchen muss …

Wie eine Aufforderung krachte es über ihr, gefolgt von einem deutlichen Zittern der Felswand.

Na, gut. Dann schwitz mal schön, Mädchen!

Dachte es, pustete ein wenig Schweiß von ihrer Oberlippe und Nase und verfolgte das Spiel von auftauchenden Saugern und Augen knapp über und seitlich von ihr. Mit zunehmendem Unbehagen vernahm Bérénice weiteres Knirschen und Krachen von oben.

Soll das die Prüfung darstellen?, dachte sie und unterbrach kurz ihre Anstrengungen. Soll ich mich diesen Wesen anvertrauen?

Sie warf einen Blick über sich und sah erste Partikel herabstürzen. Gottlob gehörte zu ihrem Trainingskampfanzug ein Helm, der sie wenigstens vor kleineren Geschossen schützen würde.

Aber nicht vor Brocken über Faustgröße! Ergo macht der Weg nach oben keinen Sinn. Wieder schätzte sie ihre Chancen ab. Links oder rechts? Wie kann ich wissen, ob sich auf beiden Seiten … Steinsauger befinden?

Sie löste ihre Linke aus dem sicheren Griff, wischte sich damit ein wenig Schweiß von der Stirn und schnippte ihn auf die Felswand der gleichen Seite. Nur zwei Podien bildeten sich aus und verschwanden wieder, kaum dass sie die Spende aufgenommen hatten. Bérénice wiederholte den Test auf der rechten Seite und sah, wie sich über ein halbes Dutzend der Tiere enttarnten. Zwei wandten sich ihr sogar neugierig zu und glotzten sie scheinbar auffordernd an.

Na schön, dachte sie wieder und zog die Hand zurück, um neuen Schweiß aufnehmen zu können. Gerade rechtzeitig. Denn ein kopfgroßer Brocken stürzte lautlos so dicht an ihr vorbei, dass er ihr die Hand zerschlagen hätte, hätte sie diese nicht bewegt gehabt. Ein wahrer Regen kleinerer Steinchen folgte dem Brocken, genauso lautlos wie dieser. Plötzlich knackte es markerschütternd über ihr und Rauschen und Poltern kündigten ihren Tod in Form ungezählter steinerner Mörder an.

Bérénice zögerte nun nicht mehr, sondern packte einen der Auswüchse der neugierigen Lebewesen und rüttelte daran. Bombenfest. Mit geübten Bewegungen fanden ihre Füße Halt und ihre Hände einen Saugrüssel nach dem anderen. Mittlerweile prasselten ständig Sand und Steinchen auf sie nieder, immer wieder ergänzt durch größer werdende Geschosse. Mehrmals schlugen Bruchstücke auf ihren Helm und ihre leidlich geschützten Schultern. Jeder Schlag trieb ihr neuen Schweiß aus den Poren.

Nur zu, Berg. Wenn du mich töten willst, dann musst du dich wirklich anstrengen.

Bérénice war mehr zufällig dazu übergegangen, mit einem Finger nur wenige Schweißtropfen von ihrem Gesicht oder ihrer Stirn aufzunehmen, und sie leicht auf eine Stelle zu tippen, die in ihrer Greifweite lag. Jedes Mal stülpte sich ein Rüssel empor, dem sie nun keine Zeit mehr ließ, die Tropfen aufzunehmen, sondern packte, sobald er seine volle Länge erreicht hatte. Das Tempo, das sie dabei erzielte, ließ sie innerlich erschaudern und unterstützte ihre Schweißproduktion.

Ich bewege mich an der Wand entlang, wie ein Affe im Urwald mit Lianen. Eine uralte Legende über einen nur mit Lendenschurz bekleideten Waisen in einem Dschungel der Erde fiel ihr ein, der sich angeblich mit einem grellen Schrei und Schwüngen von Liane zu Liane fortbewegt haben soll. Und als wolle sie das Schicksal verspotten, schrie sie schmerzerfüllt auf, als ihr ein messerscharfer Splitter den rechten Unterarm zur Hälfte, aber nicht tief, aufschlitzte und ihr Blut auf den Felsen spritzte. Bérénice keuchte, besah sich die Wunde und registrierte nüchtern, dass diese zwar unangenehm war, sie aber erfreulicherweise nicht merklich behinderte oder gar gefährdete. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte sie ihren Weg seitwärts fort und vermerkte mit stiller Genugtuung, dass sie sich vom Strom der herabstürzenden Steine entfernte. Sie vernahm immer noch Krachen und Rumpeln, das sogar noch zunahm. Doch alles geschah hinter ihr.

Sie gönnte sich ein paar Sekunden Pause, in denen sie Atem holte und sich die Wunde nah vor die Augen hielt. Der Schnitt entließ beständig Blut, und wieder war sie der Meinung, dass sie schon ganz andere Verletzungen erlitten und weggesteckt hatte. Sie wollte schon weiterklettern, als ihr Blick nach unten fiel. Doch das, was sie jetzt sah, hätte sie beinahe ihren Halt verlieren lassen.

Drei, nein, vier Steinsauger hatten ihre Pseudopodien ausgebildet und auf sie gerichtet. Dazu stierten sie deren Augen mit einem Ausdruck an, wie ein Gourmet ein köstliches Mittagsmahl. Als wäre das noch nicht genug, krochen die Viecher mit wellenartigen Bewegungen auf sie zu! Augenblicklich erkannte Bérénice, was dafür verantwortlich war.

Mein Blut! Und nur eine Sekunde danach: Blut enthält Salz. Ihre Gedanken überschlugen sich. Vielleicht ist ihnen das Blut sogar wichtiger. Denn allein das Salz meines Schweißes hat sie nicht dazu bewegt, sich vom Felsen zu lösen. Selbst der Steinschlag hindert sie jetzt nicht daran, sich mir zu nähern.

Sie hatte keine Lust, sich auszumalen, was die Steinsauger – sie war versucht, sie nun Blutsauger zu nennen – mit ihr anstellen würden, hätten diese sie erst einmal erreicht.

Den Gefallen tue ich euch nicht, beschloss sie lautlos, schnappte sich einen salzgierigen Rüssel und schwang sich ein Stück weiter. Erneut fand sie in ihren Rhythmus aus tippen, greifen und fortbewegen. Mit einem kurzen Blick registrierte sie, dass die Blutsauger unter ihr sie hartnäckig verfolgten, aber mit jedem ihrer Schwünge weiter zurückblieben.

Wäre ja noch schöner gewesen, wenn ihr mich hättet einholen können.

Doch dann fand ihr Optimismus ein rapides Ende. Ihr gerade abgegebener Fingertipp samt Schweißtropfen förderte keinen Saugrüssel zutage. Sie versuchte es an einer anderen Stelle … ohne Erfolg. Offensichtlich hatte sie einen Abschnitt des Berges erreicht, an dem es keine Steinsauger gab.

Scheiße!

Ein rascher Blick zeigte ihr, dass sich von unten mittlerweile nicht weniger als ein Dutzend Steinsauger näherten, sie jedoch erst in zehn Minuten erreichen würde, bliebe sie an dieser Stelle.

Aber das werde ich nicht tun, meine lieben Tierchen. Dann klettere ich halt auf die klassische Weise weiter …

Das beängstigend auf- und abschwellende Knirschen weit hinter ihr entlud sich plötzlich mit einem gewaltigen Schlag und der Fels vor ihr zersprang mit einem ohrenbetäubenden Bersten. Mehr im Reflex krallte sie sich mit aller Macht fest an die Wand. Gerade rechtzeitig. Ein meterdicker Spalt öffnete sich und Staubwolken wogten daraus hervor. Bérénice hustete und spuckte. Ihre Augen füllten sich mit Staub und brannten wie Feuer. Wenn sie ihre Hände von dem zitternden Felsen hätte lösen können, hätte sie sich die Augenhöhlen wund gerieben. So blieb ihr nur, die Augen zusammenzukneifen und ihnen mit den Gott sei Dank heftig austretenden Tränen leidlich Linderung zu verschaffen. Als sie erschreckend große Steine und Felsbrocken an sich vorbeizischen hörte, war sie gezwungen, die Lider wieder zu öffnen. Zwischen Schleiern aus Staub und Tränen glaubte sie, in dem Spalt vor ihr einen farbigen Fleck wahrzunehmen.

Das bilde ich mir nur ein. Die können doch nicht …

Und doch war es so. Der Kontrollbutton schälte sich orange und verheißend aus dem anhaltenden Schauer herabstürzender Steine und Staub hervor, als könne ihn nichts erschüttern.

Wie soll ich da hinüberkommen? Genau dort geht die Lawine nieder …

Und unter ihr rückten die Steinsauger immer näher. So flach, wie sie sich auf der Felswand bewegten, schienen sie vor den herabstürzenden Felsen keine Angst haben zu müssen.

Eineinhalb, vielleicht zwei Meter … ich habe keine Wahl. Ich muss einen Halt finden!

Ihr Gesicht war längst mit einer Schicht aus Schweiß und Staub verklebt. Sie bezweifelte, dass sie damit einen Steinsauger zu einem Rüssel würde verleiten können. Eine Suche im Trommelfeuer aus Gestein und Splittern erschien ihr ebenfalls ein zu gefährliches – weil zu langsames – Wagnis.

Also springen …

Bérénice schloss für einen Wimpernschlag erneut die Augen, bewegte anschließend die Lider und Wangenmuskeln, um die Tränen bestmöglich auszunutzen und klarere Sicht zu erlangen. Dann atmete sie tief ein, spannte kontrolliert ihre Muskeln, visierte ihr Ziel an …

… und sprang.

Ihre Finger krallten sich in erschreckend schmale Ritzen, rutschten ab, rissen sich die Kuppen blutig und fanden erneut unsicheren Halt. Mit ihren Beinen über dem Abgrund baumelnd, konzentrierte sich die Trooperin darauf, all ihre verbliebene Kraft in ihre Hände zu verlegen, während ihre Füße verzweifelt nach Nischen suchten, die dem Körper Stabilität bieten könnten. Als einer ihrer Füße endlich einen brauchbaren Tritt fand, stöhnte sie auf und lehnte sich eng an die kalte Felswand. Den Helm ebenfalls dicht an den Berg gepresst, ertrug sie die ständigen Schläge aufprallender Steine. Sicher würde ihr Körper dutzende Hämatome zeigen, würde sie jemals wieder die Chance haben, sich in einem Spiegel betrachten zu können.

Wenn ich überlebe …

Bérénice spuckte ein Gemisch aus Staub, Blut und Speichel aus. Sie hatte sich beim Aufprall die Lippen zerbissen, ohne es zu bemerken. Wieder holte sie tief Luft und öffnete die Augen. Der Button leuchtete einen halben Meter über ihr aus der Wand und wirkte dabei so fremd und fehl am Platz, wie man es sich nur vorstellen konnte. Bérénice zwang sich, ihren Kopf zu senken, und kletterte blind um sich tastend nach oben. Erst als ihr Helm an den Button stieß, hielt sie an und hob ihre Faust.

Wehe, Jungs, wenn ich mal einen von euch in die Finger bekomme …, dachte sie und drosch den Button so fest in die Fassung, dass es knirschte.

Aevum

Подняться наверх