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Januar 2317

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Die schwarzhäutige Frau war sofort hellwach, als sie einen Laut hörte, der so gar nicht in das allgemeine nächtliche Tonkonzert des Gefängnisses passte. Als Spacetrooperin war sie an die verschiedenen Geräuschkulissen von Kampfschiffen, Raumstationen und planetaren Garnisonen gewöhnt. Doch dieses Geräusch schien ihr deplatziert zu sein, obwohl sie erst seit acht Tagen Gast dieser Einrichtung war und eventuell noch nicht alle Lautquellen erfahren hatte. Es hatte wie das Schnaufen einer Kreatur geklungen. Sicher war sie sich dessen aber nicht. Die Wände, Gänge und Gitter dieser Haftanstalt verfälschten alle möglichen Töne.

Bérénice erhob sich lautlos von ihrem Lager, schlich wie auf Katzenpfoten an das solide Gitter ihrer Zelle und verharrte dort, die Finger leicht um die kalten Stäbe gelegt. Außer dem lächerlichen Schimmern der wenigen Nachtleuchten war der Block in rabenschwarze Dunkelheit gehüllt. Da sie  abgesehen von ihrer blauen Unterwäsche  nichts trug, wirkte Bérénice selbst wie ein Schatten. Nicht spontan, sondern kontrolliert schloss sie ihre Augen und konzentrierte sich ganz auf ihr Gehör. Doch selbst nach etwa einer Minute stillen Lauschens wiederholte sich das Geräusch nicht. Nur die leisen Atemzüge ihrer Zellnachbarinnen und ab und an ein verhaltenes textiles Rascheln waren zu hören. Alles schien zu schlafen, nur sie nicht. Sie öffnete ihre Augen und spähte in die Gänge hinaus. Nichts bewegte sich.

Mehr einem Instinkt als einem Gedanken folgend, machte die Trooperin ein paar Schritte zur Mitte des Gitters hin und berührte leicht die schwere Zellentür. Zu ihrer Überraschung ließ sie sich öffnen. Für eine Sekunde spielte Bérénice mit dem Gedanken, ob es ihre Freundin Amélie Colbert möglicherweise für sinnvoll erachtet hatte, sie aus dem Gefängnis zu holen und an einem anderen Ort die Zeit bis zur Verhandlung verbringen zu lassen. Doch dann schüttelte sie ihren Kopf und verwarf diese Idee.

Es würde wie ein Schuldeingeständnis wirken, dachte sie und schob die Tür vollständig auf. Das schwere Metall glitt zur Seite, ohne Lärm zu machen. Bérénice trat hinaus, blieb dann aber stehen. Sie warf einen Blick zurück in ihre Zelle und überlegte. Doch da war nichts, was sie als Waffe hätte benutzen können. Denn dass sie bald eine brauchen würde, war ihr klar.

Da hat jemand etwas mit mir vor … und ich habe keine Ahnung was. Soll ich auf der Flucht erschossen werden? Soll ich fliehen und damit selbst mein Urteil fällen? Noch einmal warf sie einen Blick in die Zelle. Und wenn ich einfach hierbleibe? Irgendein Gefühl sagte ihr, dass die Zelle zu einer tödlichen Falle werden könnte. Also lieber dem Feind entgegentreten, als sich ihm in der engen Zelle stellen zu müssen, entschied sie, fasste an eine Stange der offenen Tür und drückte sie wieder behutsam ins Schloss. Ein leises Schnappen erklang. Wer auch immer meine Zelle geöffnet hat, hat dafür gesorgt, dass sie sich nicht noch einmal öffnen lässt.

Bérénice kannte nicht alle Sicherungsmaßnahmen dieses Gebäudes und ließ ihre Blicke über das Fastschwarz der Decken und Wände schweifen. Natürlich musste es Kameras, Mikrofone, Bewegungsmelder, Bioscanner, Thermaldetektoren und ähnliche Sensoren an allen möglichen Stellen geben. Doch bis jetzt war nicht ein einziges Warnsignal ausgelöst worden. Sie dachte an stumme Alarme in fernen Wachstuben, aber selbst die hätten längst Wachpersonal heranführen müssen.

Da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben, resümierte sie und blieb vor der Zelle ihrer linken Nachbarin stehen. Die Frau schlief ruhig. Bérénice schlich weiter. Auch in den nächsten Zellen regte sich niemand.

Die ehemalige Trooperin huschte auf nackten Sohlen durch den Flur und blieb an der nächsten Abzweigung stehen. Drei weitere Gänge führten in die anderen Flügel des Gebäudes, das wie ein Kreuz gebaut worden war. Einfache Treppen – keine Lifte – erlaubten den Zugang zu den Stockwerken unter und über der Etage, auf der sich Bérénice befand.

Ich bin im sechsten Stock, überlegte sie. Noch vierzehn über mir … eine Flucht über das Dach erscheint mir unwahrscheinlich. Der oder die Befreier müssten dann einen Gleiter oder ein anderes Fluggerät einsetzen. Das würde ganz sicher jemandem auffallen. Und auf dem Boden …?

Plötzlich hörte sie wieder den Laut. Dieses Mal deutlicher … und näher. Bérénice fällte eine Entscheidung. Nachdem ich selbst nicht fliegen kann und eine Flucht über das Dach meinen Gegnern eher die Chance bietet, mich abstürzen zu lassen, wähle ich den anderen Weg.

Dachte es und flog förmlich die einzelnen Stufen der Treppe hinab. Ein Mensch aus prä-stellarer Zeit hätte in der schwarzen Frau vielleicht die Schwester Nosferatus gesehen, die in raschem Tempo bereits vier Etagen geschafft hatte, als das Geräusch erneut aufklang … über ihr. Und wieder ein wenig näher.

Sie treiben mich vor sich her.

Sie nahm die letzten beiden Treppen mit hastigen, aber beherrschbaren Sprüngen in Angriff, erreichte die Gebäudebasis und ließ den unangenehmen Gedanken in sich nachhallen, dass sie mehrere Verfolger vermutete, obwohl der Laut eher von einem einzelnen Lebewesen stammen musste.

Ich laufe in eine Falle.

Bérénice spähte in das Schwarzgrau der Gänge.

Geradeaus geht es zum Ausgang in den Hof, erinnerte sie sich. Der Flur hinter mir führt zu den Duschen und Fitnessräumen. Links geht es in die Küche und die Speisehalle. Und rechts? Sie hatte diesen Gang noch nicht beschritten, eben weil sie dort nichts zu suchen hatte und die Wärter es gar nicht mochten, wenn eine Gefangene aus der Reihe tanzte. Der führt über einen weiteren Hof zum Trakt der Männer, fiel ihr der schematische Aufbau des Gefängnisses ein, den sie bei ihrer Ankunft auf einem Schild gesehen hatte.

Sie neigte dazu, den Weg zu den Fitnessräumen einzuschlagen, eben weil sie dort eine Chance sah, sich mit Hilfe der Sportgeräte besser wehren zu können. Die anderen Wege erschienen ihr als Sackgassen; überprüfen wollte sie sie trotzdem. Doch plötzlich erklang der Laut zum vierten Mal. Und wie sie jetzt deutlich vernehmen konnte, in beängstigend kurzer Distanz.

Ich habe keine Zeit nachzuprüfen, welche Tür sie offengelassen haben, schoss es ihr durch den Kopf. Außerdem wird gerade dort die Falle sein.

Mit einem Ruck riss sie sich herum und begann, in den dunklen Gang hinter ihr zu spurten. Sie verzichtete nun darauf, sich lautlos zu bewegen, sondern war bemüht, sich wieder einen kleinen Vorsprung zu verschaffen. Wenn sie nicht in die vorgesehene Falle tappte, würden ihre Verfolger sicher für einen Moment verwirrt sein. Die Tatsache, dass der Zugang zu den Duschen und benachbarten Räumen bisher nie verschlossen war, ließ sie hoffen, dass dies auch jetzt der Fall sein würde.

Augenblicklich erklang nun das rasche Tapsen von weichen Pfoten und das hechelnde Atmen eines Tieres. Eines großen Tieres. Und dahinter …

Die ein wenig entfernteren Stimmen von Männern.

Das ist kein Befreiungsversuch. Die wollen mich tatsächlich umbringen. Aber wieso?

Ihr blieb keine Zeit mehr, dieser Frage nachzugehen, denn sie hatte die Tür zum Sporttrakt erreicht und mit einem Stoß die beiden Flügel auseinanderschwingen lassen. Dahinter war es noch finsterer als im Flur davor, doch Bérénice wertete dies als kleinen Vorteil. Mit Bewegungen, die einem Hasen auf der Flucht glichen, huschte sie zwischen mehreren schweren Gerätschaften hindurch. Sie hatte gerade ein Regal mit Hanteln erreicht, als ihr tierischer Verfolger mit einem wütenden Knurren ebenfalls in die Halle eindrang.

Bérénice konnte das Tier nicht genau sehen, doch eine Ahnung, was es sein könnte, schob sich mit grausamer Wahrscheinlichkeit an die Oberfläche ihrer rasenden Gedanken. Die meinen es wirklich todernst, fuhr es ihr wie eisige Splitter durch das Hirn.

Als sich ihr animalischer Verfolger vorsichtig schnüffelnd ein paar Schritte in die Halle bewegte und der schwache Mondschein aus einem der Fenster seinen Kopf ein wenig beleuchtete, wurde ihre Ahnung zur Gewissheit.

Ein Werwolf!

Natürlich war dieses Tier kein Werwolf im literarischen Sinne. Aber die Aufzucht besonders großer und genmanipulierter Wölfe, in Kombination mit ins Gehirn implantierten, selbstredend verbotenen Steuergeräten, verwandelte diese eigentlich scheuen Jäger in blutrünstige Kreaturen. Die Befehle, die sie als pseudo-animalische Impulse erhielten, steigerten ihren natürlichen Jagdtrieb über jegliche Hemmschwelle hinaus. Das Ergebnis waren mordgierige Monster, deren eigener Überlebenswille ausgeschaltet worden war.

Bérénice war sofort klar, dass dieses Tier momentan ihren gefährlichsten Widersacher darstellte und nicht seine Peiniger, die sich noch im Hintergrund hielten.

Wenn ich euch in die Finger kriege, dachte sie zornig, lockerte ihre Muskeln und griff in das Regal. Bérénice biss die Zähne aufeinander und schleuderte dem Wolf eine Zwei-Kilo-Scheibe entgegen. Er hatte sie zwar gesehen, aber im Wirrwarr der Gerätschaften das Geschoss nicht wahrgenommen. Leider traf die Scheibe nicht den Schädel des Tieres, weil dieses ihn just in dem Moment witternd angehoben hatte. Aber das Metall schlug heftig an die Gurgel des Werwolfes und ließ ihn vorerst röchelnd zurückweichen. Bérénice konnte hören, wie die Kreatur mühsam schluckte und zu atmen versuchte, und nutzte die Zeit, um sich eine bessere Waffe zu schnappen. Sie hatte sich gerade für eine lange Hantelstange entschieden, die sie nun wie einen Kampfstab in ihren Händen ausbalancierte, als zwei Männer die Halle betraten. Auf den ersten Blick erkannte die Haitianerin, dass die beiden so gut wie unbewaffnet waren, sah man einmal von dem Steuergerät ab, das einer der beiden in den Händen hielt, und dem Messer in der Rechten seines Kumpels.

Auftragsmörder aus dem Männertrakt, zuckte die Erkenntnis durch Bérénice. Dann konzentrierte sie sich wieder auf den Werwolf. Der hatte offensichtlich seine Kehle wieder unter Kontrolle bekommen. Vielleicht waren es aber auch die Befehle, die er erhielt. Denn der erste Mann grinste nun hämisch und fingerte an dem Gerät herum.

Bérénice ging ein paar Schritte zur Seite und positionierte sich vor einem Ding, das entfernt an eine Eiserne Jungfrau erinnerte. Anstelle von tödlichen Dornen besaß es eine Vielzahl von fingerdicken Metallstäben mit abgerundeten und mäßig gepolsterten Enden, welche die Muskulatur eines Sportlers durch Knetbewegungen anregen sollten.

Der Werwolf jedoch hatte nur Augen für sein Opfer … das nun in erreichbarer Nähe war.

In Bérénice schien ein unsichtbarer Schalter umzuspringen. Alles um sie herum wirkte so, als wäre es plötzlich wie in Acryl gegossen und völlig bewegungslos. Von einem Augenblick zum anderen war sie die kalte Killerin. In ihrem Inneren jedoch sah es völlig anders aus. Sie nahm Bewegungen wahr und konnte jeder winzigsten problemlos folgen, als wäre die ganze Welt – und ganz besonders dieser Raum und ihre Gegner – zu Eis erstarrt, das sich nur langsam schmelzend fortbewegte. Die wallende Glut in ihr schien diese Starre zu bedrohen, erfüllte die schwarze Frau jedoch bis in die letzten Fasern ihres Körpers.

Dann …

… flog der Werwolf mit gewaltigen Sprüngen auf Bérénice zu, die mit ruhigem Blick den Tod auf sich zukommen sah. Das Tier riss seine Kiefer mit vermeintlichem Schneckentempo auseinander, bereit, sie in das Fleisch der wartenden Gefangenen zu schlagen. Bérénice ließ sich niederfallen, wirbelte herum und aktivierte den Verschlussmechanismus des Sportgerätes. Der Schwung des Werwolfes ließ ihn durch die offenen Türflügel der Maschine krachen und drinnen Bekanntschaft mit den sonst harmlosen Dornen machen. Er war nur schwach verletzt, eher überrascht und leidlich benommen. Hätte er seinen freien Willen gehabt, wäre er sicher misstrauischer gewesen und hätte seinen Angriff anders ausgeführt. Jetzt genügte Bérénice, beziehungsweise der Maschine, dieser Moment, um die Flügel zu schließen. Das allein wäre noch nicht tödlich gewesen, denn die Sicherheitsvorrichtung verhinderte bei Widerstand ein völliges Zuschnappen. Aber für die ehemalige Trooperin war es mehr als genug Zeit, dem Werwolf die eiserne Hantelstange mit aller Kraft ins Genick zu treiben. Wie in Zeitlupe sah sie das kühl im Mondlicht schimmernde Metall in seinen Schädel eindringen. Sie hörte seine Nackenwirbel mit einem grässlichen und lang gezogenen Knirschen bersten und sah dann, wie das arme Tier endlich zusammenbrach.

Als wäre der Tod des Werwolfes ein Signal an den imaginären Schalter in ihrem Kopf gewesen, fanden ihr Geist und ihr Körper wieder in den normalen Zeitablauf zurück. Die Agentin wartete das letzte Zucken ihres Gegners nicht ab, sondern zog ihre Waffe sofort wieder heraus. Dann ging sie mit schnellen Schritten zu einer Stelle, die ihr mehr Bewegungsfreiheit ließ.

Die beiden gedungenen Mörder hatten sich offenbar auf ihr animalisches Mordinstrument verlassen und bekamen nun die Rechnung für ihren Fehler präsentiert. Der Anblick der bluttriefenden Hantelstange in den Händen einer schwarzhäutigen Amazone, die gerade bewiesen hatte, wie man mit so einem Ding zweckentfremdet umgehen konnte, ließ sie für einen Moment regungslos auf die Frau starren. Ihr zweiter Fehler war, dass sie keine Anstalten machten, ihr Vorhaben in letzter Minute noch aufzugeben.

»So, Jungs …«, knirschte Bérénice eiskalt zwischen ihren Zähnen hervor, als sie sah, dass die Kerle ihren Schock überwunden hatten und langsam auf sie zuschritten, »… jetzt zu euch beiden.«

Aevum

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