Читать книгу Aevum - Werner Karl - Страница 14

Februar 2317

Оглавление

»Sie kommen zurück«, durchbrach Bozadds ruhige Stimme die Stille in der kleinen Zentrale des Mazzar-Raumschiffes. »Sie haben einen Menschen dabei … einen Mann.«

Naya fuhr wie von einer Tarantel gestochen aus ihrer nur mühsam aufrecht erhaltenen Ruhe und versuchte, auf dem Beobachtungsmonitor etwas zu erkennen. Aber offensichtlich waren die Augen eines Mazzars besser dafür geeignet, auch im Dunkeln gut sehen zu können. »Schalten Sie bitte für mich auf Nachtsicht, Bozadd?«

Der Pazifist nickte und wollte die Schaltung vornehmen, als ein anderes Signal erklang. »Die Außenschleuse …«, erklärte er. »Sie sind bereits vor dem Schiff.«

»Schon gut; lassen Sie es«, sagte die Rigelianerin und wandte sich dem Gang zu, der dorthin führte. Sie hatte die innere Schleuse gerade erreicht, als Bérénice als Erste eintrat. Naya fiel ein nicht zu kleiner Stein vom Herzen. »Den Göttern des Alls sei gedankt, Nice. Du bist wieder da.«

»Natürlich. Hast du etwas anderes geglaubt?«

»Freitag hatte die Sambolli geortet … und dann noch ein sehr großes Lebewesen.«

»Ich habe davon gehört«, schmunzelte Bérénice und drückte Naya an sich. »War halb so schlimm.«

Naya war sich sicher, dass ihre Freundin maßlos untertrieb, und fasste den festen Entschluss, sie beim nächsten Ausflug zu begleiten. Dann drehte Bérénice sich ein wenig zur Seite, um Naya den Blick auf ihren Begleiter zu ermöglichen. »Darf ich dir Monsieur Laurent Girard vorstellen, meine Liebe? Er gehörte wie ich zum 45. Spacetrooper-Bataillon.«

Naya hatte hinter Bérénices Körper und Kopf nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschen können. Jetzt stand der Mann in voller Größe vor ihr und für mehr als ein paar Sekunden blieb ihr der Mund offen stehen.

Sein Name weckte in ihr Vorstellungen von Kultur und etwas anderem, das ihr Unterbewusstsein längst erkannt hatte, ihr Bewusstsein aber verweigerte, es an die Oberfläche gelangen zu lassen. Vom ersten Moment an spürte die Trooperin, dass er ihr Verhältnis zu Bérénice verändern würde. Fast automatisch sandte sie einen Tastimpuls an sein Gehirn, so zart, dass er es unmöglich bemerken würde.

Kein Hindernis, dachte sie sofort, als sie auf seinen offenen Verstand stieß. Keine Barriere, keine undurchdringliche Wand wie bei Nice. Ich könnte ihn augenblicklich scannen …

Doch sie tat es nicht. Stattdessen betrachtete sie ihn unverhohlen und konnte nicht anders, als dem, was sie zu sehen bekam, Respekt zu zollen.

Der Typ hat die zwei Jahre im Lager überstanden, die seit Nices Flucht vergangen sind. Ein zäher Bursche … Und dabei sah er noch verdammt gut aus. Okay, sein Körper zeigt vielfache Spuren von Folter, Mangelernährung und Auszehrung. Er strotzt vor Dreck und riecht auch entsprechend. Doch Knochenstruktur und der Rest an Muskeln, der ihm geblieben ist, zeugen davon, dass er in besseren Zeiten wohl einen überwältigenden Eindruck gemacht haben dürfte.

»Äh, willkommen, Trooper Girard«, brachte sie hervor und streckte ihm ein wenig linkisch ihre Rechte entgegen. Er grinste und erwiderte den Griff mit erstaunlicher Kraft.

»Was kann einem Mann Besseres geschehen, als von zwei wunderschönen Amazonen gerettet zu werden? Ihr Name, Madame?«

»Oh, entschuldigen Sie. Ich heiße Naya.«

»Naya, très jolie. Kein Nachname?«

»Einfach nur Naya. Ich bin Rigelianerin, da tragen alle nur einen Namen. Es soll unsere absolute Einzigartigkeit unterstreichen.« Naya nahm an, dass dieser Umstand innerhalb der Terranischen Föderation allgemein bekannt war. Deswegen wusste sie eigentlich nicht, warum sie es jetzt betont hatte.

»Oh, das kann ich bestätigen: Sie sind einzigartig.« Dabei beugte er sich nach vorn, drehte leicht ihre Hand und hauchte tatsächlich einen Handkuss darüber. Naya kannte die Geste nicht, war aber so von ihr fasziniert, dass ihr ein wenig Röte ins Gesicht stieg.

Girard richtete sich wieder auf und lächelte charmant. »Besteht die Möglichkeit, mich hier an Bord ein wenig frisch zu machen? Ich möchte Sie keine Sekunde länger mit meinem Odeur belästigen.« Er sah den Gang entlang und runzelte die Stirn. »Von außen sah es schon sehr exotisch aus. Ich glaube nicht, dass ich diesen Typ kenne. Was ist das für ein Raumschiff?«

Nun war es Bérénice, die lächelte, aber auf eine geheimnisvolle, ja fast schadenfrohe Art. »Es ist ein Mazzar-Raumschiff, Monsieur. Und wie ich bereits zuvor sagte: Es ist meins!«

»Sie verarschen mich, Madame. Pardon, so ein Ausdruck ist sonst nicht meine Art, mich auszudrücken …«

»Wir sind Spacetrooper, Girard …«, grinste sie.

»Bon, aber keine Barbaren.«

»Sie sehen im Moment aber genau wie einer aus, Monsieur. Möchten Sie sich erst waschen oder soll ich Ihnen den Rest der Besatzung vorstellen?« Naya konnte es klar erkennen: Die Vorfreude auf die Überraschung sprühte förmlich aus den Augen ihrer Freundin.

»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich erst ein wenig vorzeigbar machen wollen. Wenn der Rest der Besatzung so bezaubernd ist wie Sie beide, würde ich mir einen etwas würdigeren Auftritt wünschen.«

»Wie Sie wollen, Monsieur.« Bérénice grinste und wandte sich dann an Naya. »Liebes, würdest du unserem Gast die Dusche zeigen? Ich möchte mich inzwischen mit den anderen zu unseren nächsten Schritten besprechen. Vielleicht kannst du Monsieur Girard auch etwas zu essen bereitstellen? Ich bin mir sicher, dass er einen Bärenhunger hat. Danach komm bitte in die Zentrale, ja?«

Naya nickte und deutete auf die Abzweigung, welche in die wenigen Quartiere führte. Bérénices Bezeichnung Gast für den Trooper hallte in ihr mit einer gewissen Befriedigung nach. Offenbar hatte ihre schwarzhäutige Freundin nicht vor, Girard als weiteres Besatzungsmitglied aufzunehmen.

Es war weniger als eine Stunde vergangen, als Laurent Girard aus der Mazzar-Unterkunft trat, gekleidet in eine sehr eng sitzende Freizeitmontur, welche die Ausrüster für Bérénice Savoy vor ihrem Abflug aus dem Laurin-System mit in das terranische Equipment gepackt hatten. Sie hatten wohl nicht mit der Möglichkeit gerechnet, dass sie einem Mann, dazu einem über 190 Zentimeter messenden, passen sollte. Dass das Material nicht einfach zerriss, war nur dem Umstand zu verdanken, dass es hoch elastisch gefertigt war. Rein optisch jedoch wirkte der hellblaue Stoff bei ihm wie eine zweite Haut. Lediglich im Schritt und um das ganze Becken herum etwas schlackernd, war es ein wenig dicker gearbeitet, sodass peinliche Abdrücke vermieden wurden. Der Trooper hatte noch einen Rest eines Riegels in der Hand, der zur Standard-Notverpflegung eines jeden terranischen Raumschiffes gehörte, und knabberte mit unverhohlenem Genuss daran. Girard blickte sich um, als er das letzte Stück zerkaut und hinuntergeschluckt hatte, und sah den BEHEMOTH regungslos in der einzigen Frachtschleuse stehen.

»Mein Freund, wohin geht es zur Zentrale des Schiffes?«

»Biegen Sie rechts ab und folgen Sie dem Hauptgang bis ans Ende, Sir. Dieses Schiff ist recht übersichtlich konstruiert. Sie können sich nicht verlaufen.«

»Schön … Freitag, nicht wahr? Ein seltsamer Name für einen Kampfroboter.«

»Trooperin Savoy fand es nützlich, mir eine kurze und individuelle Bezeichnung zuzuordnen. Ich führe allerdings immer noch meine eigentliche Serien-Nummer. Möchten Sie sie erfahren?«

»Nein, nicht nötig. Freitag genügt mir völlig.« Girard grinste belustigt, dann wandte er sich um.

Freitag sah ihm nach und ein Beobachter hätte eventuell den Eindruck bekommen können, dass der Roboter ein wenig enttäuscht wirkte. Aber es gab keinen Beobachter.

Girard wollte das Schott zur Zentrale öffnen, fand aber keinen Öffnungsmechanismus. Also klopfte er mehrmals an das massive Material und wartete. Als sich nichts tat, hob er erneut die Hand. Doch zu weiteren Klopfzeichen kam er nicht mehr. Das Schott zischte geschmeidig auseinander und Bérénice stand unmittelbar vor ihm. Sie verdeckte einen Teil der Sicht, aber nicht alles …

Girard nahm hinter ihr einige undeutliche Bewegungen wahr, vermutlich von sehr großen Lebewesen. Seine Augen erhaschten etwas, das aussah, wie eine warzige Haut, die in einer Hand, eher einer Klaue, endete … mit drei Fingern!

»Was zur Hölle ist hier los, Madame? Was sind das für Wesen?«

»Bleiben Sie locker, Monsieur. Ich versichere Ihnen: Es sind Freunde! Außerirdische, ja. Aber Freunde.« Sie wartete seine Reaktion ab und nickte, als er ruhig blieb. »Noch etwas, Kamerad: Wir haben es exakt diesen beiden Freunden zu verdanken, dass der Krieg zwischen den Mazzar und uns beendet ist. Haben Sie das verstanden, Soldat? Der Krieg ist aus!«

Girard blickte sie an, als hätte sie in einer anderen Sprache zu ihm gesprochen. »Aus? Und was ist mit meinen … unseren Kameraden im Camp? Die Sambolli foltern, quälen und töten fast jede Woche einen von uns. Wir müssen sie da rausholen, wenn es stimmt, was Sie da behaupten.«

»Eines nach dem anderen, Monsieur«, versuchte Bérénice ihn zu beruhigen. »Wir holen alle aus dem Lager. Noch heute, das verspreche ich Ihnen. Es wird ein wenig dauern, bis sich die Nachricht vom Ende des Krieges in beiden Einflussgebieten verbreiten wird. Das muss Ihnen klar sein, Monsieur! Aber es ist die Wahrheit.« Dann trat sie einen Schritt beiseite und gewährte ihm freien Blick auf die beiden Fremdwesen. »Dies sind Siyoss und Bozadd … zwei Mazzar.«

Girard starrte in den kleinen Raum hinein, als hätte er den Teufel persönlich erwartet. Beide Trooperinnen behielten ihn im Auge, bereit einzuschreiten, sollte er auf eine dumme Idee kommen. Doch er blieb einfach stehen und schien den Anblick der Krötenwesen aufzusaugen, wie trockener Wüstensand einen Tropfen Wasser.

»So sehen sie also aus, die Mazzar«, murmelte er und machte ein, zwei Schritte in den Raum hinein. Die beiden Pazifisten blickten ihm entgegen und gaben einige Klacklaute von sich. Der Translator, der zwischen ihnen auf einem kleinen Pult stand, übersetzte das Klacken sofort.

»Wir grüßen Sie, Trooper Girard. Es ist uns eine Freude, einem Menschen, erst recht einem Krieger, endlich als Freund und Verbündetem begegnen zu können.«

Sofort hakte Girard bei dem unerwarteten Wort nach.

»Verbündete? Was soll nun das wieder bedeuten? Nicht so schnell bitte. Ich muss erst mal verdauen, dass ich Sie nicht umbringen soll … und Sie mich.«

»Ich sagte doch schon, Monsieur: Eines nach dem anderen«, unterbrach Bérénice die kurze Unterhaltung. »Es gibt viel – sehr viel – zu besprechen. Ich schlage vor, dass wir uns zunächst um die naheliegendste und dringendste Aufgabe kümmern: die Gefangenen.«

In der anschließenden Stunde verfolgte Girard die Besprechung zwischen den beiden Mazzar und der dunkelhäutigen Trooperin nur mit einem Ohr. Es war für ihn einfach überwältigend zu beobachten, wie sachlich und konzentriert die so verschiedenartigen Wesen sich um eine gemeinsame Aufgabe bemühten: die Befreiung seiner Kameraden. Es wurde ihm von Minute zu Minute bewusster, dass es nicht einfach damit abgehen würde, sich vor den Lagerkommandanten zu stellen und ihm mitzuteilen, der Krieg sei vorbei. Dazu waren die Sambolli nicht zivilisiert genug. Okay, es war ihr Heimatplanet und nur wenige zehntausend lebten mittlerweile auf anderen Welten des Mazzar-Reiches. Im Grunde waren die Sambolli noch viel zu sehr in ihrem eigenen Stammesdünkel und ihren Fehden verhaftet, die sich seit ihrer Entstehung bis in die heutige Zeit mehr oder weniger erhalten hatten. Es gab fortschrittliche Stämme, die mit Vehemenz das portionsweise von den Mazzar an sie übergebene Wissen aufsaugten wie kostbaren Blütennektar. Andere Stämme führten immer noch Kriege gegen Sambolli-Gruppen, denen das Weltall, die Mazzar und erst recht der Krieg gegen die Menschheit offenbar scheißegal waren. Zu welcher Gruppe der Schlächter, also der Kommandant ihres Gefangenenlagers zählte, konnte niemand von ihnen sagen.

Ohne dass er es bemerkt hatte, hatte sich Naya ebenfalls aus der Diskussion gelöst und sich zu ihm gesetzt.

»Darf ich Sie etwas fragen, Trooper Girard?«

»Bitte nennen Sie mich Laurent, Madame Naya.«

»Nur wenn Sie das Madame weglassen. Ich bin keine Dame.«

»Ich sehe das anders. Aber wie Sie wollen … Naya. Was möchten Sie wissen?«

»Es war nicht Ihre erste Flucht, wie ich mitbekommen habe.«

»Meine vierte.«

Sie schien die Zahl erst mal verarbeiten zu müssen. Sicher hatte sie über Bérénice genug über deren Flucht erfahren, sodass sie abschätzen konnte, was seine Versuche wohl bedeuteten. »Sie müssen verrückt sein, Laurent.«

»Ja, bin ich. Nach …« Er unterbrach sich, konnte aber den Blick nicht von Bérénice wenden, die gerade über einer Karte brütete, die den halben Frontschirm einnahm und den Standort des Lagers mit einem einfachen Kreis markierte. Naya hatte seinen Blick aber bemerkt. Und den richtigen Schluss gezogen.

»Wann machten Sie Ihren ersten Fluchtversuch?«

Er deutete mit einem Nicken zu Bérénice. »Nur wenige Tage, nachdem sie verschwunden war. Und der Jagdtrupp ohne sie zurückkam. Aus dem Verhalten der Sambolli wurde sehr schnell klar, dass sie sie nicht gefunden hatten. Selbst ihre Leiche hätten sie geborgen, um sie neben die anderen Skelette an der Hauswand des Schlächters zu hängen. Ich floh damals allein, sozusagen spontan, ohne Plan.«

»Und?«

»Leider fassten mich die Jäger schon am nächsten Tag. Die Strafe des Kommandanten fiel daher entsprechend harmlos aus.« Er deutete auf seine Brust, welche von der hellblauen Montur bedeckt war. Naya hatte die Narben darauf bei seiner Ankunft gesehen und verstand. »Die Schnitte waren zwar lang, aber nicht besonders tief«, fuhr er fort. »Meine zweite Flucht – ein paar Wochen später – dauerte vier Tage. Als Konsequenz schälten sie mir mit ihren Peitschen ein wenig Fleisch vom Rücken.«

»Aber Sie haben überlebt. Hofften Sie tatsächlich, Nice im Dschungel finden zu können?«

»Ja, diese Vorstellung hatte ich. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie dort draußen lag … vielleicht verletzt, wahrscheinlich aber tot. Zuerst war ich stinksauer auf sie, dass sie mich nicht eingeweiht und mitgenommen hatte. Aber ein paar Tage später … ich wollte sie nicht den Tieren überlassen. Wenigstens ein anständiges Begräbnis wollte ich ihr gönnen.«

»Und mit ziemlicher Sicherheit selbst dabei draufgehen.«

»Das war mir egal, Naya.«

Für ein paar Minuten schwiegen sie. Dann setzte Girard ohne Aufforderung seine Schilderung fort.

»Danach dauerte es sehr lange, bis mich unser Doktor wieder zusammengeflickt hatte. Dabei war er selbst kaum mehr in der Lage, anderen zu helfen. Diese beschissene Krankheit hat ihn dahingerafft. Seltsamerweise reagierte der Lagerkommandant Saddis-til-saddis – wir nennen ihn nur Schlächter oder Schinder  anders, als wir es alle vermuteten. Er ließ Doktor Muramasa ständig mit einem Gleiter abholen und irgendwohin bringen. Wir dachten, dass sie ihn medizinisch behandeln würden. Aber wir haben uns getäuscht …« Wieder unterbrach er sich und zeigte Naya eine leicht abwesende Miene, die sie auch ohne Scan vermuten ließ, er sähe das Gesicht des Arztes vor sich. »Er starb an diesem scheiß-kyllranischen Narbenkrebs. Der hat ihn innerlich zerfressen.«

Plötzlich lächelte er und sah Naya mit einem Ausdruck an, der getränkt war von Mitleid und Dankbarkeit. »Ich war die ganze Zeit in der Baracke, die er seine Krankenstation nannte. Leider starb er vor meiner vollständigen Genesung und ich musste wieder in meine alte Unterkunft. Kurz vor seinem Tod brabbelte er ständig vor sich hin und gab völlig unzusammenhängendes Zeug von sich … Essigbusch und Faustfliegen kamen häufig darin vor und Katana. Wissen Sie, wer oder was Katana sein könnte?«

Naya war für einen Moment wie weggetreten, sagte aber zunächst nichts. Offensichtlich hatte Girard das Schwert ihrer Freundin nicht als ein japanisches Katana erkannt. Nach ein paar Sekunden knüpfte sie scheinbar ohne Aufregung an seine Frage an. »Fragen Sie Nice danach. Sie wird es Ihnen erklären. Und Ihre dritte Flucht?«

»War vor etwa einem halben Jahr. Wieder nur ein Tag, bis sie mich hatten. Ein paar Schnitte mehr auf meiner Brust.«

»Sie sind ein Dickkopf, Monsieur.«

»Ja, so sind wir Franco-Kanadier. Wenn wir uns etwas in den Kopf setzen, ziehen wir es durch.«

»Und jetzt schließlich Ihre letzte Flucht. Sie waren dieses Mal nicht allein. Immerhin …«

»Zu Beginn waren wir tatsächlich zu sechst. Aber wir hatten im Prinzip keine Ahnung, auf was wir uns einließen. Meine bescheidenen Erfahrungen waren nicht dergestalt, dass man daraus Vorteile hätte ziehen können.«

»Wie haben Sie Ihre Kameraden verloren?«

Ein Schatten huschte über das Gesicht Girards und es war offensichtlich, dass er wusste, dass er jetzt wie der Tod selbst aussah. »Peter wurde von einem dieser mistigen Flugaffen geholt. Zwei andere starben an Stichen irgendwelcher Insekten. Die Einstichstellen verfärbten sich binnen Minuten zu schmutzig braunen Eiterherden. Als sie aufbrachen, schrien sie vor Schmerzen und kratzten sich die Wundherde auf, dass ihr Blut nur so hervorschoss. Michaili packte in der gleichen Nacht der Wahnsinn. Er sprang plötzlich auf, brüllte herum und rannte so schnell in den Dschungel, dass wir ihn nicht mehr fanden. In der Nacht hörten wir ihn aus verschiedenen Richtungen schreien … bis ein Fauchen erklang und danach … nichts mehr.«

»Und Ihr letzter Gefährte?«

Girard zuckte mit den Schultern. »Vor drei Tagen verschwand er einfach. Ich kann nicht sagen, ob ihn etwas aus dem Dschungel geholt hat oder ob er einfach davonlief. Ich schlief, da er die Wache hatte. Als ich erwachte, war er weg. Einfach weg.«

Naya und Girard verfielen anschließend in nachdenkliches Schweigen. Beide waren in Erinnerungen versunken und hatten nur mit einem Ohr Bérénice und den Mazzar zugehört. Als jetzt auch die ihre Diskussion beendeten, herrschte Ruhe in der eng besetzten Zentrale.

Bérénice hatte zwar gesehen, dass sich Naya und Girard unterhalten hatten, aber nichts vom Inhalt mitbekommen. »Es steht außer Frage«, begann sie, »dass wir nicht einfach zum Lager gehen und Saddis-til-saddis erklären können, der Krieg sei vorbei. Das würde er uns nie glauben. Die Gefahr, dass alles in einem Gemetzel endet, kann ich förmlich riechen.« Sie zuckte enttäuscht mit den Schultern. »Selbst unsere beiden Pazifisten sehen ein, dass die Sambolli mitunter sehr stur sein können. Und gerade unser Lagerkommandant scheint hier ein Paradebeispiel abzugeben. Hat also einer von euch eine Idee, wie wir einen Kampf vermeiden könnten?«

Zu ihrer Überraschung antwortete Girard sofort. »Ja, habe ich, Madame.«

»Ich hoffe, eine, die wir nicht bereuen werden«, warf Bérénice ein.

Girard lächelte sie in einer Mischung aus Charme und unbarmherzigem Willen an. »Wir müssen zurück zu meinem letzten Lagerplatz. Und ich muss mich wieder in einen Barbaren verwandeln.«

Aevum

Подняться наверх