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b) Die Zweideutigkeit als Signatur menschlicher Existenz

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„Man hat mich häufig gefragt“, schreibt Tillich, „ob ich als Theologe ein Existentialist sei, und meine Antwort war immer einfach: halb bin ich es und halb nicht: Das heißt, daß für mich Existentialismus und Essentialismus zusammengehören. Man kann unmöglich ein reiner Essentialist sein, wenn man persönlich in der menschlichen Situation steht und nicht auf dem Thron Gottes zu sitzen glaubt wie Hegel, der die Weltgeschichte grundsätzlich in seinem System zu Ende gehen sah. Darin drückt sich die metaphysische Arroganz des reinen Essentialismus aus. Die Welt ist offen für die Zukunft, und wir sitzen nicht auf Gottes Thron, sondern sind auf der Erde, während Gott im Himmel ist, wie Karl Barth immer wieder betont hat. Andererseits ist es auch unmöglich, ein reiner Existentialist zu sein, denn um die Existenz zu beschreiben, muß man sich der Sprache bedienen und die Sprache hat mit Universalien zu tun. Sie ist also ihrem Wesen nach unumgänglich essentialistisch. Alle Versuche, die Sprache auf bloße Laute zu reduzieren, würden den Menschen auf die Stufe des Tiers zurückversetzen, das keine Universalien kennt. Der Mensch dagegen kann und muß seine Begegnung mit der Welt in Form von Universalien ausdrücken. Sein Geist hat also eine essentialistische Struktur. Der Existentialismus kann folglich immer nur ein Element in einem größeren Ganzen sein, ein Element in der Vision von der Struktur des Seins in seinem geschaffenen Gutsein, und die Beschreibung der menschlichen Existenz innerhalb dieser Struktur. … Die Theologie muß beide Seiten sehen: die essentielle Natur des Menschen … und die existentielle Situation des Menschen …“ (E II, 204f.)

Aus diesen Sätzen wird deutlich, dass der Unterscheidung von Essenz und Existenz, letztlich also derjenigen von Essentialismus und Existentialismus, wesentliche Bedeutung zukommt für das Selbstverständnis des Menschen. Denn die existentielle Situation des Menschen muss in Beziehung gesetzt werden zu seinem eigentlichen, essentiellen Zustand. Die Unterscheidung zwischen einem „wesentlichen“ und einem „vorfindlichen“ Sein – religiös ausgedrückt zwischen geschaffener und wirklicher Welt, bildet nach Tillich „das Rückgrat des ganzen theologischen Denkgebäudes“ (S I, 238), und sie ist auch für seine ganze Anthropologie konstitutiv. Dabei ist existentielles Sein nie vollständig getrennt zu sehen von essentiellem Sein, vielmehr sind beide ineinander verwoben und stehen in einem dialektischen Verhältnis. So beinhaltet essentielles Sein immer schon Elemente existentiellen Seins und existentielles Sein Elemente essentiellen Seins. Menschliches Leben ist somit nie eindeutig, weder eindeutig von sich entfremdet noch eine eindeutige Aktualisierung der Essentialität (vgl. S I, 81f.), sondern notwendig „zweideutig“. „Wir sind eine Mischung von Sein und Nicht-Sein. Das ist genau das, was gemeint ist, wenn wir sagen, daß wir endlich sind.“ (G V, 144) Man kann Tillichs Theologie als den Versuch deuten, diese beiden Linien zu vereinen (vgl. G XIII, 483).

Paul Tillich

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