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3. Die Entstehung der Philosophischen Theologie aus dem Mythos

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Dieser erste Begriff einer Philosophischen Theologie – das Neutrum „das Göttliche“ – erwächst aus der Auseinandersetzung des anhebenden Philosophierens mit dem vorangehenden mythischen Reden von den Göttern, wie es die Frühzeit des Griechentums kennzeichnet. Mythos meint das erzählende Sagen von den Göttern und den göttlichen Begebenheiten und damit zugleich von der in göttlichen Gestalten zur Erscheinung kommenden Tiefe der Wirklichkeit.5 Mit dem Mythos nun sind die Aussagen der Philosophischen Theologie in ihren Anfängen dadurch verbunden, daß beide Male von den Göttern bzw. dem Göttlichen die Rede ist, und zwar sofern sie als in der welthaften Wirklichkeit anwesend verstanden werden. Insofern kann man sagen, das frühe Philosophieren habe die Absicht, das Wahre des Mythos in die verwandelte Zeit des Logos hinüberzuretten; es redet, wie der Mythos, von der göttlichen Tiefe der Wirklichkeit. In diesem Sinne berichtet Aristoteles, Thales habe gesagt, „alles sei voll von Göttern“ (A 22), und Anaximander, das Göttliche „umfasse und steuere alles“ (A 15). Deshalb auch kann noch Aristoteles selber als eigene Behauptung sagen, der „Liebhaber des Mythos“ sei „in gewisser Weise Philosoph“ (M 982 b 18).

Das Verhältnis von Mythos und Logos wird also nicht zureichend bestimmt, wenn es, wie dies häufig geschieht, als bloße Entgegensetzung gefaßt wird. In einer solchen Antithese wird der Logos als rationales Denken verstanden, dem gegenüber das mythische Vorstellen noch in dumpfer Unwahrheit befangen sei. Das frühe philosophisch-theologische Denken ist jedoch keineswegs rational im modernen Sinne. Und doch unterscheidet es sich vom mythischen Reden. Die Differenz liegt in der Weise, wie die Anwesenheit des Göttlichen in der welthaften Wirklichkeit gesehen wird. Im Unterschied zu dem Wissen des Mythos von den Göttern faßt der philosophische Begriff des ϑεῖον die Gottheit nicht als einzelne erscheinende Gestalt, sondern als ein in allem Wirklichen waltendes und alles Wirklichen mächtiges Göttliches. Mit dem – sprachlich nicht eindeutigen, aber die Sache treffenden – Obergang von den ϑεοί zum ϑεῖον, worin sich die Geburt des philosophisch-theologischen Denkens aus der mythischen Welt ausspricht, öffnet sich also eine neue Dimension der Betrachtung: Was der Wirklichkeit die Tiefe gibt, ist nicht mehr der Gott in seinem jeweiligen Erscheinen, sondern dasjenige, was, in allem Seienden anwesend, dieses mächtig und herrscherlich durchwaltet und ihm Hervorkommen, Dasein und Untergang schafft. Eben dies überschreiten des Gestalthaften drückt sich darin aus, daß das Göttliche von Thales als das sich ständig wandelnde Wasser (A 1), von Anaximenes als die Luft (B 1) und von Anaximander – im reinen Begriff – als das ἄπειϱον, das „Unendliche“, verstanden wird (B 1).

Charakteristisch und für die ganze spätere Geschichte der Philosophischen Theologie entscheidend ist jedoch, daß das frühe, vom Mythos sich ablösende Philosophieren gleichwohl von jenem eines behält: den Bezug auf die welthafte Wirklichkeit. Die Götter erscheinen im Mythos in der Welt, als „das heilige Sein der Welt“, als das „Wesen und Sein“ „des Natürlichen selbst“, als „der Untergrund alles Seins und Geschehens“; 6 „sie sind in der Besonderung immer zugleich das Ganze der Welt und des unendlichen Seins“ 7. Aber für die mythische Erfahrung tritt dieses Weltganze noch nicht als solches vor das Auge. Erst in der frühen Philosophie der Griechen wird, indem die Göttlichkeit alles Seins und Geschehens ausdrücklich in den Blick kommt, das Göttliche als Grund und Tiefe der Wirklichkeit als ganzer, als Ursprung, Grund und Abgrund von allem verstanden. Der Gott der Philosophischen Theologie ist also im anfänglichen Philosophieren in ausgesprochenem Sinne als Weltgott begriffen, und er behält diesen Charakter in mehr oder minder hohem Grade auch durch die gesamte Geschichte des philosophisch-theologischen Denkens hindurch.

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