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2 Denken und Glauben

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Daraus folgt keineswegs eine Verwerfung der Philosophie. Augustinus steht vielmehr jetzt allererst vor der Aufgabe, deren Verhältnis zum Glauben genauer zu bestimmen. Das setzt voraus, daß er sich zunächst über den Grund der Gewißheit des Glaubens Rechenschaft gibt. Ihn nun findet er im Blick auf die Heiligen Schriften. Eben in der Einsicht in die Ungewißheit des Philosophierens gelangt er zu der Erkenntnis, daß „wir zu schwach sind, um mit der reinen Vernunft die Wahrheit zu finden, und daß uns darum die Autorität der Heiligen Schriften vonnöten ist“ (C VI 5, 8). Denn „die Richtigkeit des Weges bis hin zum Schauen Gottes“ wird „in der Wahrheit der Heiligen Schriften … verkündet und sichergestellt“ (CD X 32). Damit verglichen ist das Philosophieren ohnmächtig. „Wenn die Vernunft, mag sie noch so scharfsinnig sein, der Autorität der Heiligen Schriften entgegengestellt wird, so täuscht sie durch die Ähnlichkeit mit dem Wahren; denn wahr kann sie nicht sein“ (E CXLIII 7).

Fragt man nun weiter, worin die Verbindlichkeit der Autorität der Heiligen Schriften gründet, so verweist Augustinus auf den Glauben. Auf den Einwand, woher er denn wisse, „daß jene Bücher vom Geiste des einen, wahren und höchst wahrhaftigen Gottes dem Menschengeschlecht dargeboten sind“, antwortet er, das sei „ganz und gar zu glauben“ (C VI 5, 7); man muß, was auf andere Weise nicht zu bewahrheiten ist, „denjenigen Zeugen ohne jeden Zweifel glauben, von denen … die Heilige Schrift … verfaßt worden ist“ (En 4).

Wiederum aber fragt sich, worauf sich dieser Glaube an die Autorität der Heiligen Schriften seinerseits stützt. Augustinus weist in dieser Frage noch einmal auf Autorität hin; denn „was wir glauben, (verdanken wir) der Autorität“ (U 11, 25). Diese umfassendere Autorität nun, die den Zusammenhang von Autorität der Schrift und Glauben letztlich fundiert, ist die Institution der Kirche, die durch die bischöfliche Sukzession bis auf die Apostel zurückgeht und eben dadurch als Autorität bestätigt wird (F XI 2). Daher bekennt Augustinus: „Ich aber würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu bewegte“ (Ef 5).

Eine Verflechtung von Autorität (der Schrift und der Kirche) und Glauben ist also letztlich der Grund, auf dem die Möglichkeit, zur vollkommenen Wahrheit zu gelangen, aufruht. Sie tritt in der Frage nach einer gewissen Erkenntnis Gottes an die Stelle des Philosophierens. Diesen Vorrang von Autorität und Glauben betont Augustinus aufs stärkste. „Wir mühen uns, daß in der katholischen Kirche nichts Heilsameres geschehe, als daß die Autorität der Vernunft vorangehe“ (Mo I 25, 47). „Keiner wird fähig, Gott zu finden, wenn er nicht vorher geglaubt hat, was er nachher denken wird“ (L II 6, 18). Oder, in kürzester Formulierung: „Der Glaube geht voran, die Einsicht folgt nach“ (Se CXVIII 1).

Daß Augustinus den Glauben der philosophierenden Vernunft vorordnet, besagt jedoch nicht, daß ihm diese dadurch entbehrlich würde. Im Gegenteil: er fordert geradezu die Vernunft, und zwar eben vom Glauben her. Wer „meint, das, was einzusehen ist, sei lediglich zu glauben, der weiß nicht, wozu der Glaube nützlich ist“ (E CXX 2, 8). Der Glaube muß sich also auf dem Wege des Denkens selber durchsichtig werden. So kann Augustinus zwar auf der einen Seite sagen: „Es ist mir … gewiß, daß ich mich niemals wieder von der Autorität Christi entferne; denn ich finde keine stärkere.“ Auf der anderen Seite aber kann er erklären, daß er sich „ungeduldig sehne“, „was wahr ist, nicht allein glaubend, sondern auch einsehend zu erfassen“ (A III 20, 43). Es gibt somit für Augustinus eine eindeutige Stufenfolge: „Die Autorität fordert Glauben und bereitet den Menschen auf die Vernunft vor, die Vernunft führt zu Einsicht und Erkenntnis hin“ (V 24, 45, 122). Selbst das Anselmsche „credo ut intelligam“ findet sich schon bei Augustinus: „Wenn du nicht einsehen kannst, so glaube, damit du einsiehst (crede ut intelligas)“ (Se CXVIII 1). Den Vorrang der im Glauben gründenden Vernunft vor dem bloßen Glauben kann Augustinus schließlich in voller Prägnanz so ausdrücken: „Der Glaube sucht, die Einsicht findet“ (T XV 2, 2).

Das besagt nicht, daß Augustinus der Auffassung wäre, alle Glaubenswahrheiten seien auch in der Tat vernünftig einzusehen. Für den Gedanken der Trinität nimmt er dies freilich an (vgl. L III 60, 206f.). Aber er betont doch, daß „die heilsame Lehre zum Teil aus zu glaubenden, zum Teil aus einzusehenden Dingen besteht“ (Me 8, 11); „nicht alles, was ich glaube, sehe ich auch ein“ (M 11, 37). Und doch kann der Glaube in gewisser Weise seinem ganzen Umfang nach zur Einsicht gebracht werden; „alles, was wir zunächst allein der Autorität folgend geglaubt haben, wird zum Teil so eingesehen, daß wir sehen, es ist völlig gewiß, zum andern Teil so, daß wir sehen, es könne geschehen und habe so geschehen müssen“ (V 8, 14, 42). So verschlingen sich Glauben und Denken: Man „denkt im Glauben und glaubt im Denken“ (Pr 2, 5). In diesem Sinne räumt Augustinus auch der Philosophie ihr begrenztes Recht ein. „Auch die göttlichen Schriften … schreiben vor, man solle nicht die Philosophen überhaupt, sondern die Philosophen dieser Welt meiden und verlachen.“ „Denn wer auch immer meint, alle Philosophie sei zu fliehen, der will nichts anderes, als daß wir die Weisheit nicht lieben“ (D I 11, 32). Aber freilich: Zugelassen werden kann eben nicht eine Philosophie dieser Welt, sondern nur eine solche, die im Glauben gründet. „Zuerst muß man den Nacken unter die Autoritäten der Heiligen Schriften beugen, damit man durch den Glauben zur Einsicht gelange“ (P I 21, 29). Bleibt die Philosophie aber dieser ihrer Wurzel verhaftet, dann hat sie als „christliche“ Philosophie ihre hohe Bedeutung; dann ist sie „zugleich die wahre Philosophie“ (J IV 14, 72). Entscheidend also für die Möglichkeit der Philosophie ist, daß der Glaube ihr Prius bleibt. Christliche Philosophie, wie Augustinus sie versteht, ist nicht ein im Denken als solchem gründendes Philosophieren, sondern denkende Selbstauslegung des Glaubens.

Damit hängt zusammen, daß das Denken des Augustinus, gerade auch da, wo es philosophischen Charakter trägt, in betontem Sinne theologisch ist. Schon der Neuplatonismus, von dem der wesentliche Einfluß auf Augustinus ausgeht, ist ja mehr als andere Richtungen des griechischen Denkens seinem Wesen nach theologisch orientiert. Eben dieses theologische Element nun wird durch das Hinzutreten des christlichen Elements noch verstärkt. Philosophie im Sinne des Augustinus ist ganz und gar Philosophische Theologie.

Das kommt in den Formulierungen zum Ausdruck, in denen Augustinus sein denkerisches Interesse ausspricht. In den als Gespräch mit der ratio konzipierten „Soliloquia“ sagt er: „Gott und die Seele will ich wissen“, und auf die Frage der ratio: „Nichts mehr?“, antwortet er: „überhaupt nichts“ (S I 2, 7). Entsprechend wird in „De ordine“ der „Disziplin der Philosophie“ die „doppelte Frage“ zugewiesen: „die eine nach der Seele, die andere nach Gott“ (O II 18, 47). Die Frage nach der Seele jedoch, ohnehin bezogen auf die Frage nach Gott, tritt hinter dieser zurück, so daß schließlich allein die philosophisch-theologische Grundproblematik übrigbleibt. „Die wahre … und echte Philosophie“ hat keine andere Aufgabe, „ als daß sie lehrt, was aller Dinge Ursprung ohne Ursprung ist …: den einen allmächtigen Gott“ (O II 5, 16).

Charakteristisch für diese eindeutig theologische Orientierung der Philosophie des Augustinus ist auch, daß ein eigentlich kosmologisches Interesse, wie es das genuin griechische Denken bestimmt, fehlt. Von der Welt ist im wesentlichen nur die Rede, sofern sie in der doppelten Weise auf Gott bezogen ist: als Schöpfung und als Ort der Sünde und der Erlösung. Jede um ihrer selbst willen geschehene Beschäftigung mit kosmologischen Fragen wird dagegen als bedeutungslos abgetan. Im Zusammenhang eines Berichtes über seine naturwissenschaftlichen Studien sagt Augustinus: „Unglücklich der Mensch, der all jenes weiß, dich (Gott) aber nicht weiß; glücklich aber, wer dich weiß, auch wenn er jenes nicht weiß“ (C V 4, 7). Gott und nichts anderes ist und bleibt also das entscheidende Thema des glaubenden Philosophierens des Augustinus.

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