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5. Verborgenheit Gottes und Aufstieg der Seele

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Auch die Wesensbestimmungen Gottes als des höchsten Seins und des höchsten Guten erscheinen Augustinus letzlich nicht als ausreichend. Ganz im neuplatonischen Sinne, aber wiederum zugleich unter Berufung auf biblische Aussagen, ist er der Auffassung, daß damit der Entrücktheit Gottes über alles Endliche hinaus nicht voll Rechnung getragen ist. „Auch das, was (die Menschen) angemessen über die unaussprechliche göttliche Erhabenheit zu sagen meinen, ist der Majestät Gottes unwürdig“ (Ad 13), weil „die überhohe Erhabenheit der Gottheit (supereminentia divinitatis) die Fähigkeit der gewohnten Sprache übersteigt“. Aber Gott gegenüber versagt nicht nur die Sprache, sondern auch der Gedanke. „Wahrer nämlich wird Gott gedacht, als er ausgesagt wird, und wahrer ist er, als er gedacht wird“ (T VII 4, 7). Gott ist demnach „unbegreiflich und unsichtbar“ (Se LXVIII 1, 1), „höchst verborgen“ (A I 1, 3). „Das Unaussprechliche“ kann nur „auf unaussprechliche Weise gesehen werden“ (T I 1, 3). Zuletzt bleibt also auch für Augustinus, nicht anders als für die Alexandriner und für Dionysios Areopagita, die negative Theologie die einzig angemessene Rede von Gott. Dieser „wird besser durch Nichtwissen gewußt“ (O II 16, 44); es gibt von ihm „kein Wissen in der Seele, außer daß sie weiß, wie sie ihn nicht weiß“ (O II 18, 47). Die Erkenntnis Gottes ist so die Sache einer „wissenden Unwissenheit“, einer „docta ignorantia“ (E CXXX 15, 28). Diese aber wird am Ende wortlos; zu der Majestät Gottes „dürfte eher ein ehrfürchtiges Schweigen als irgendeine menschliche Stimme gehören“ (Ad 11).

Und doch hält es Augustinus für möglich, zu einer Schau Gottes zu gelangen. Charakteristisch ist, daß diese nicht von der Betrachtung der Außenwelt ihren Ausgang nimmt, sondern mit der Wendung des Menschen zu sich selber beginnt. „Geh nicht nach außen, geh in dich selber zurück; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit“ (V 39, 72, 202).

Gott aber ist nicht schlechthin im Inneren des Menschen, sondern in der Weise, daß er dieses zugleich unendlich übersteigt; er ist „innerlicher als mein Innerstes und höher als mein Höchstes“ (C III 6, 11). Daher gilt die Mahnung: „Wenn du deine Natur veränderlich gefunden hast, so überschreite auch dich selbst“ (V 39, 72, 202). Wie dies geschehen kann, schildert Augustinus in den „Confessiones“: „Aufgefordert, zu mir selbst zurückzukehren, trat ich, von dir geführt, in mein Innerstes … und schaute mit dem wie auch immer beschaffenen Auge meiner Seele über diesem Auge meiner Seele, über meinem Geist das unveränderliche Licht“ (C VII 10, 16), „aufsteigend vom Sichtbaren zum Unsichtbaren und vom Zeitlichen zum Ewigen“ (V 29, 52, 143).

Ausführlich schildert diesen Aufstieg als „den Gang, den uns Gott gebietet“, die frühe Schrift „De quantitate animae“ (Qu 33, 76). Er vollzieht sich in sieben Schritten bzw. Stufen (gradus), die zugleich aufeinander aufbauende Möglichkeiten der Seele sind. Am Anfang steht die Einsicht, daß die Seele „durch ihre Anwesenheit den irdischen und sterblichen Leib lebendig macht“. Die zweite Stufe besteht in der Erkenntnis der „Kraft der Seele in den Sinnen“. Auf der dritten Stufe wird das „Gedächtnis“ zum Thema, das die geschichtliche Existenz des Menschen, seine geistigen und kulturellen Leistungen ermöglicht. Auf der vierten Stufe erhebt sich die Seele über alles Körperliche; es ist die Stufe der „Reinigung“, auf der die moralische Existenz des Menschen beginnt. Auf der fünften Stufe erkennt die Seele in der Befreiung von Todesfurcht und Befleckung ihr wahres Wesen und dringt „in einem ungeheuren und unglaublichen Vertrauen zu Gott, das ist, zu der Betrachtung selbst der Wahrheit vor“. Die sechste Stufe bringt die volle Verwirklichung dieses Strebens, so „daß die Seele in der Suche nach der Wahrheit nicht abweichen und irren kann“. Die siebente und letzte Stufe besteht „in der Schau und Betrachtung der Wahrheit“; hier gelangt der Aufsteigende „zu jener höchsten Ursache, oder zum höchsten Urheber, oder zum höchsten Ursprung aller Dinge“.

Dieser zunächst noch ganz neuplatonisch gedachte Aufstieg führt freilich nicht zu einer Gottgleichheit der Seele. Diese kann auch im Aufsteigen ihre Endlichkeit nicht ablegen; die „Veränderung der Seele zeigt mir, daß die Seele nicht Gott ist“ (Fo I 11). Daher sind wir, soweit wir Gott kennen, (ihm) ähnlich; aber nicht bis zur Gleichheit ähnlich, da wir ihn nicht so weit kennen, wie er sich selbst (kennt)“ (T IX 11, 16). Dieser Gedanke des Abstandes des Menschen von Gott wird für den späteren Augustinus immer bedeutsamer. Er berichtigt sich daher in den „Retractationes“ ausdrücklich: „Die vollkommene Erkenntnis Gottes“ ist erst „im künftigen Leben“ zu erhoffen (R I 2, 4).

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