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Der Empfangschef

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Er muss wohl schon lange diese von ihm erfundene Rolle spielen, denn sein Sessel in der Eingangshalle des Altenwohnheims ist abgewetzt und der Lack an den Armlehnen ab. Er hat kein Zeitgefühl mehr, aber irgendwie kriegt er oben im dritten Stock mit, dass um Punkt acht Uhr für Besucher geöffnet wird, und spätestens nach einer Viertelstunde sitzt er auf seinem Logenplatz und überblickt den Eingang mit der behäbigen automatischen Tür, den Aufenthaltsraum und den Eingang zur Küche. Jeder, der bei ihm vorbeikommt, wird mit einem freudigen „Grüezi wohl!“ und einem jovialen Heben des Armes begrüßt. Menschen, die um ihn wissen, gehen zu ihm hin, schütteln die zittrigen Hände und stellen immer wieder die erwartete Frage: „Wann geht’s los?“ Dann leuchten seine Augen. Er setzt sich augenblicklich grade und sagt immer denselben Satz: „Am Samstag, ins Bündnerland geht’s nur am Samstag!“

Besucher, die ihn nicht kennen, erfahren drei Sätze mehr: „Ich bin der Theodor. Ich komme aus Goldach. Ich habe am Rosenberg gewohnt.“ Recherchen haben ergeben, dass es in Goldach gar keinen Rosenberg gibt, in St.Gallen hat er auch nicht gelebt, also muss durch irgendeine für ihn wichtige Adresse seine Vergangenheit verändert worden sein.

Theodor hat den ganzen Tag zu tun, denn viele Menschen kommen vorbei und seine ewigen Wiederholungen fallen ihm nicht auf, er hat trotz seines hohen Alters eine beachtliche Kondition und schafft an einem Morgen ohne Probleme 60 bis 80 Kontakte. Wenn es ruhiger wird, blitzt manchmal ein bubenhafter Blick in seinen Augen auf, er rutscht geschmeidig von seinem Sessel, geht leicht gebückt die acht Schritte zum Geschirrbuffet, tauscht in Sekunden Teetassen gegen Kaffeetassen um, huscht zum Sessel zurück und ruft der nächsten Angestellten mit spitzbübischem Ernst zu: „Ordnung machen!“ Man macht das Spiel mit und ruft zurück: „Wir werden uns bessern!“ Dann freut er sich, juchzt kurz vor Freude auf und stellt immer wieder fest: „Im Bündnerland wäre das nicht vorgekommen!“

Wieso er dorthin fahren will, ob er dort jemanden kennt oder ob eine Jugendsehnsucht aus der Tiefe der Erinnerungen hochgedrungen ist, konnte man nicht feststellen, Theodor war immer Junggeselle und von seiner Familie gab es niemanden mehr. Die erwartete Reise in die Berge wird von den Pflegerinnen pragmatisch genutzt: Wenn es zum Essen, zum Schlafengehen oder zur Toilette geht, protestiert er nicht mehr vehement gegen das Verlassen seines Platzes als Empfangschef, man sagt ihm freundlich und bestimmt: „Es geht ins Bündnerland!“, und ohne Probleme folgt er den Anweisungen. Nach jeder Mahlzeit ist er der erste, der aufsteht und agil zu seinem Logenplatz zurück-kehrt, denn „man weiß nie, wann der Bus kommt!“

Theodor war nur kurze Zeit krank. Im Bett liegen und nicht mehr seiner selbsternannten Aufgabe nachgehen können, nahm ihm zusehends die Kraft zu leben und sehr bald kam das schwarze Auto und holte ihn ab zu seiner letzten Reise.

Im Foyer des Altersheimes fehlte nun den Besuchern Theodors Begrüßungszeremonie, also ließ man den Sessel stehen und stellte darauf ein großes Schild in gut lesbarer Computerschrift mit einem skizzierten Reisebus darunter: „Bin im Bündnerland.“

Satire satt 1

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