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Beethoven

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Der große Meister hätte seine bekannteste Melodie wahrscheinlich kaum wiedererkannt. Im doppelten Tempo und mit hohen elektronischen Spielzeugtönen klang sie plötzlich weit weg unter dem Tisch. Zwei Takte. Mehr nicht. Nun schon viermal wiederholt. „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium.“ Kaum jemand kennt diesen Text, Beethoven ist degradiert zu einer simplen Handymelodie. Entsprechend auch diese Bemerkung am Tisch: „Wessen Handy piepst klassisch?“

Gaby horchte in die Tiefe: „Oh danke, das ist für mich.“ Sie hievte ihre große Handtasche hoch, warf sie auf ihren Schoss und griff hinein. „Götterfun...“ Kein Ton mehr. Sie behielt die Handtasche auf dem Schoss, als erwarte sie gleich den nächsten Anruf.

Tatsächlich. Die „Freude schöner Götterfunken“-Melodie klang nun aufdringlich nah und unterbrach alle Gespräche. Sie öffnete den breiten Klappverschluss der Tasche und griff zielstrebig hinein, fand überraschend schnell das Handy, setzte es ans Ohr, während in der Tasche Beethoven weiter quäkte. „Oh, das ist mein altes,“ entschuldigte sie sich und kramte weiter. Nach sieben Mal stoppte die Melodie bei „Elysium,“ irgendwo in den Katakomben der prall gefüllten Tasche.

Präventiv, in Erwartung der nächsten Beethoven-Ode, begann sie mehr oder weniger systematisch zu wühlen, förderte einen zusammengeklappten Regen-schirm nach oben, den ihre Freunde erfolglos abtasteten. Dann eine zerknitterte Bluse, aus der wie von Zauberhand drei Tampons herauspurzelten und ein Schreibetui mit mehreren Kondomen.

Nun war es still am Tisch. „Der Inhalt einer Handtasche ist wie die Seele einer Frau“, „Ich könnte nie ein Verhältnis mit einer Frau haben, die in einem solchen Durcheinander existieren kann!“, „Chaos hat durchaus seine Vorteile, man glaubt, immer alles dabei zu haben.“ Sie ließ sich nicht beeindrucken, wahrscheinlich war sie solche Kommentare gewohnt.

„Wozu braucht eine Frau ein Schweizer Offiziersmesser?“,

„Alle Farben des Regenbogens hat sie in ihren sieben, acht, nein, neun Lippenstiften!“,

„Und jetzt kommt das Handy aus dem Bergwerk!“ Stattdessen förderte sie eine Taschenlampe ans Licht. „Fisch doch nicht blind herum, leuchte in deinen Abfallsack und du findest alles schneller!“ Doch die Batterien waren aufgebraucht.

Beethoven meldete sich zurück. Sie versuchte den Kopf in das Dunkel der Tasche zu stecken, um das blinkende Display zu sehen. „Zieh doch die Sonnenbrille aus!“ Prompt fiel diese herunter und verschwand im Innern der Tasche. Das Handy schwieg nun für längere Zeit. Ein Schlüsselbund, eine Illustrierte, ein Taschenbuch und ein älterer Pizzarest in Aluminiumfolie sprengten nun den Platz auf dem Tisch und sie begann, auf dem freien Stuhl neben sich die Geheimnisse des Innern zu deponieren: nochmals Kondome, Papiertaschentücher, Medikamente, ein Notizbuch, eine Puderdose, ein kleines Fotoalbum, Sonnencrème, zwei Sonnenbrillen, vier Kulis. Alles - auβer einem Handy.

Sie wurstelte weiter. Die Gespräche um sie herum waren verstummt, sie war vertieft in ihre Aktion wie ein kleines Mädchen, das die Weihnachtsgeschenke auspackt.

Einige Briefe: „Ui, die Steuerrechnung habe ich schon lange gesucht.“ Ein Foto mit einem strahlenden Mann: „Boah, das war einmal.“ Eine Cola-Dose! „Wow, ist die alt!“

Und dann war die Tasche leer. Sie kippte sie demonstrativ um, schüttelte, drehte sie nochmals um, griff hinein. Sie war leer. Kein Handy, nicht einmal Krümel von Essensresten oder Papierfetzen.

Und dann geschah das Seltsame, das Unfassbare, das Wunder des Nachmittags. Unerwartet und unerklärbar wurde Beethoven zum Star. Feierlich wie in einer Kathedrale klang aus der offensichtlich leeren Tasche in klaren Tönen und mit etwas Spott: „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium. Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium. Freude ...“

Satire satt 1

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