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1. Kapitel

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Sommer - Amsterdam


Er stand im Schatten.

Lässig an eine Säule gelehnt, die Hände in den Taschen seiner maßgeschneiderten Anzughose, beobachtete er gelangweilt das rege Treiben der geladenen Gäste … Prominenz, Künstler, Galeristen, Politiker, Medien.

Es verlief wie zu allen Eröffnungen seiner Ausstellungen. Amanda begrüßte professionell jeden Besucher persönlich, hielt ihre Willkommensansprache, sagte einige Worte zu den Werken, eröffnete das Büfett und pflegte Small Talk mit dem einen oder anderen. Warum seine Anwesenheit als Mäzen gewünscht war, hatte sich ihm in all den Jahren nicht erschlossen.

Plötzlich stockte ihm der Atem. Alles Blut gefror in seinen Adern. Da stand sie. Unscheinbar für andere. Eine von vielen. Nicht so für ihn.

Er sah ihre üppigen und wohlproportionierten weiblichen Rundungen unter dem weiten, weich fließenden Sommerkleid, welches ihre schlanken Fesseln umspielte. Ihre Füße steckten in Sandaletten, deren Absätze von mindestens zehn Zentimetern sie um ein Deutliches größer erscheinen ließen. Eine Fülle langer, welliger Haare in der Farbe reifen Whiskys fiel ihr über den Rücken. In der Hand hielt sie einen eleganten Sonnenhut mit breiter Krempe und einem Band aus dem Stoff ihres Kleides.

Er kniff seine Augen zusammen.

Sommerkleid und Sonnenhut? Um diese Zeit? … Anscheinend kam sie direkt von unterwegs hierher, denn sie trug keine Abendrobe, wie all die anderen. … Wer war sie? Eine von den geladenen Gästen? Arbeitete sie für die Galerie? … Wie sie den Kopf leicht zur Seite neigte, wie sie in die Betrachtung des Gemäldes versank …

Selbstporträt im Arbeitszimmer wurde nicht ohne Grund als eines der beeindruckendsten Werke des Malers bezeichnet. Und es besaß eine frappierende Ähnlichkeit mit ihm selbst in seinem Arbeitszimmer. … Gefiel ihr das Äußere dieses Mannes?

Als hätte die junge Frau bemerkt, dass sie jemand anstarrte, drehte sie sich suchend um. Ihr Blick huschte über die Menge und verschmolz für einen Augenblick mit dem seinen.

Dugal wusste es sofort.

Ihre Augen erstrahlten in einem hellen Türkis mit einem Hauch Aquamarin wie das Wasser bei wolkenlosem Himmel vor den Inseln seiner Heimat. … Lippen für die Sünde geschaffen. Das Gesicht einer Elfe … hohe Wangenknochen, eine kleine, gerade Nase, perfekt geschwungene Augenbrauen, lange Wimpern, ein feines Kinn und ein schlanker Hals.

Sie war seine Offenbarung.

Wie jetzt … Offenbarung? Wie kam ihm nur so ein Gedanke?

Bei dem Begriff Offenbarung handelte es sich um die Aufdeckung eines unbekannten oder ungeklärten Sachverhaltes. Sollte sie die Antwort sein auf …

„Dug, Liebling! Da steckst du. Ich hätte es wissen sollen.“

Eine hohe Stimme sowie eine flüchtige Umarmung mit Küsschen auf die Wange holte ihn ruckartig zurück ins Hier und Jetzt. Sofort versteifte sich seine Haltung. Ob über die Unterbrechung seiner Beobachtung oder die Art der Begrüßung arg verärgert, zog er eine Braue nach oben. Ein böser Blick traf Amanda.

Sie wusste, wie sehr er Umarmungen und diese Küsschen hasste. Sie waren weder ein Liebespaar, noch Freunde in diesem Sinn, sondern lediglich …

Ja, was eigentlich? Amanda vertrat ihn in der Öffentlichkeit als seine Agentin in Sachen Kunst und Kultur. Ihren Vater sah er als väterlichen Freund an. Damit gehörte auch sie zur Familie. Nicht mehr und nicht weniger.

Es gab keine Veranlassung für eine derartig übertriebene Zurschaustellung von Zuneigung. Trotzdem versuchte sie es immer wieder, wahrscheinlich, weil es in gewissen Kreisen erwartet wurde.

„Amanda …“

„Ich möchte dir hier jemanden vorstellen“, flötete die junge Frau. Sie unterbrach ihn genau wissend, was er zu sagen vorhatte.

In ihrem Fahrwasser folgte ein Typ um die Dreißig, dessen braune Augen auf ihren Hintern und die hin und her schwingenden Hüften starrten. Das Haar lässig in die Stirn fallend, ein gepflegter Dreitagebart, ein Brillant im linken Ohr und ein Anzug, den er wie eine zweite Haut trug, ließen ihn als einen selbstbewussten Mann erkennen, der seine Ziele zu verfolgen wusste. Dazu zählte scheinbar nicht, den Gastgeber kennenlernen zu wollen, sondern lediglich der jungen Frau eine Freude zu machen.

„Dug, das ist Jasper van Drühe … ein echter Bewunderer deiner Bilder.“

Jasper van Drühe ließ von Amandas Rückseite ab und fokussierte innerhalb von Sekunden seine ganze Aufmerksamkeit auf sein Gegenüber. Er drückte sich an seiner Begleiterin vorbei und streckte Dugal überschwänglich seine Hand zum Gruß entgegen. „Und Sie sind also der berühmte wie auch geheimnisvolle Dugal McMall. … Dugal … der finstere Fremde. Hat ihr Nachname auch eine besondere Bedeutung, Mr. McMall?“

Dugal musterte den Mann unverhohlen, ohne eine Miene zu verziehen oder seine Gedanken preiszugeben. Jasper van Drühe erschien ihm sonderbar. Bewunderte er wirklich seine Bilder oder interessierte ihn lediglich seine Person? Wer wusste schon, dass Dugal finsterer Fremder bedeutete? Wollte er wie jeder andere hier nur gesehen werden? Dugal selbst erwartete Außergewöhnliches, wenn jemand so offen seine Bekanntschaft suchte. Amanda kannte seine Aversion Fremden gegenüber.

„Nun, Herr van Drühe, McMall ist einfach nur … ein Name. Ein Name ohne jegliche Bedeutung“, antwortete Dugal unterkühlt und nahm die ihm dargebotene Hand.

Enttäuschung machte sich auf van Drühes Gesicht breit. „McMall … nur ein Name. Schade“, meinte er unbeeindruckt von McMalls abweisender Präsenz und zuckte mit den Schultern. „Man hört ja so viel über Sie. … Kennen Sie all die Geschichten, die im Umlauf sind?“

Dugal kniff leicht seine Augen zusammen und fixierte sein Gegenüber. Daher wehte also der Wind. Ein wenig im Privatleben des geheimnisvollen Dugal McMall herumschnüffeln. Konnte Amanda ihm versichern, dass dieser van Drühe die Ausstellung der Bilder wegen besuchte und nicht zu den Schmierfinken gehörte, denen Privatsphäre anderer nichts bedeutete?

„Was wäre ich für ein Geschäftsmann, wenn ich all die Gerüchte nicht zu meinem Vorteil nutzen würde? Ich halte mich stets auf dem Laufenden, was das betrifft.“ In seiner leisen, tiefen Stimme schwang unterschwellig eine Drohung mit.

„Und? Sind Sie ein Vampir, Mr. McMall? Schlafen Sie tagsüber in einem Sarg in der Gruft auf Ihrer schottischen Insel? Haben Sie sich im Laufe der Jahrhunderte das Vermögen all der Opfer unter den Nagel gerissen, denen Sie das Blut ausgesaugt haben?“ Neugierig blickte van Drühe den Mann an, der vom Aussehen her seinem Vornamen alle Ehre machte.

Dugal McMall besaß eine beeindruckende Statur … hochgewachsen mit breiten Schultern und ausgeprägten Muskeln unter dem Designeranzug. Sein dunkles kastanienbraunes Haar trug er modisch kurz gestylt und eher unspektakulär. Sein stechender Blick aus Augen, die von hellem Grün bis Silbergrau changierten, seine hohen Wangenknochen, sein eckiges Kinn und der zu einem schmalen Strich zusammengekniffene Mund gaben seinem Gesicht allerdings einen harten und unbeugsamen Ausdruck. Sollte ein Lächeln seine Lippen umspielen, drang es nicht zu seinen Augen vor, die alles und jeden eiskalt zu durchleuchten schienen.

Es hieß, jener Mann käme nicht von dieser Welt. Niemals wurde er bei Tag gesehen. Alle seine Geschäfte wickelte er in den frühen Abendstunden und des Nachts ab. Man munkelte, die in seiner Ausstellung gezeigten Bilder wurden nicht von einem Urahnen, sondern von ihm selbst gemalt … vor mehreren Hundert Jahren.

Dugal brach in ein kurzes, schallendes Gelächter aus, welches für Sekunden die Aufmerksamkeit der umstehenden Besucher auf sich zog, und klopfte Jasper van Drühe auf die Schulter. „Mr. van Drühe, Sie gefallen mir. Direkt und gerade heraus. Wenn ich Ihnen jedoch mein Geheimnis verrate, müsste ich Sie hinterher töten. Das verstehen Sie doch sicher?“

Entweder dieser bemerkte die dunkle Aura nicht, die seinen Gastgeber umgab, oder sie ließ ihn kalt. Keinerlei Überraschung zeigend stimmte van Drühe in Dugals Lachen ein.

Nur Amanda stand wie vom Donner gerührt und ihre Gesichtsfarbe wechselte vor Schreck von Rot zu Weiß. Dass Jasper ein so heikles Thema anschneiden würde, hatte sie nicht vorhergesehen. Eine Vorstellung der beiden Männer wäre unter der Gegebenheit unmöglich gewesen. Mit Sicherheit würde ihre Fehleinschätzung Konsequenzen für sie nach sich ziehen. Sie musste von hier verschwinden. Jetzt. Sofort. Leise entschuldigte sie sich bei den Männern und wandte ihre Aufmerksamkeit sogleich den anderen Gästen zu.

Weder Dugal noch van Drühe hielten sie auf. Vielmehr unterhielten sie sich ausgezeichnet.

„Aber nun mal ernsthaft. Was verschlägt Sie in meine Ausstellung? Sind Sie ein Künstler? Ein Kunstinteressierter? Oder nur sensationsgeil?“

„Sensationsgeil?“

„Na schauen Sie sich doch um. Kaum einer von denen versteht etwas von Kunst. Sie wollen nur sehen und gesehen werden. Dafür nutzen sie jede sich bietende Gelegenheit. Je mehr Medienrummel, umso besser. Und so manch einer will sich bei solch einem Event lediglich kostenlos den Wanst vollschlagen.“

Van Drühe schüttelte amüsiert den Kopf. Anscheinend wunderte er sich über die abwertende und eher beleidigende Meinung McMalls. „Sie sind wirklich ein wunderlicher Kerl. … Entschuldigen Sie den Ausdruck, aber Sie werden in der Tat allen Gerüchten über Sie gerecht. Nun, was mich betrifft, ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Gemäldesammlung. Ich selbst handele mit Kunstwerken und ich muss es zugeben, ich bin ein Liebhaber und Sammler solcher seltenen Stücke. Das ist aber nicht der Grund, warum ich heute Abend die Gunst der Stunde genutzt habe, Sie kennenzulernen. … Ich besitze ein Gemälde, von welchem ich annehme, Sie würden es gern erwerben wollen.“

Sofort fuhren Dugals Augenbrauen nach oben. „Würde ich gern? Meine Intentionen gelten lediglich den Werken meines Urahnen. Von welchem Bild sprechen wir hier?“

Jasper van Drühe zog sein Smartphone aus der Tasche, wischte darüber und hielt es Dugal unter die Nase.

Dieser unterdrückte in letzter Minute ein lautes Stöhnen. „Weiten der Gezeiten“, murmelte er und riss den Kopf herum. Er schaute zu einem anderen Gemälde in der Ausstellung, vor welchem er noch wenige Minuten zuvor diese ätherisch schöne junge Frau bewundert hatte. Wo war sie hin? Sein Blick flog über die Galerie, sah aber weder das Sommerkleid noch den bernsteinblonden Haarschopf.

Seine Offenbarung, wie er sie in Gedanken nannte, war verschwunden, ohne dass er etwas über sie in Erfahrung bringen konnte.

Nach dieser Feststellung, starrte er wieder auf das in dunklen Farben gehaltene Selbstbildnis im Arbeitszimmer, welches sie so lange betrachtet hatte.

„Mr. McMall? Sie kennen das Bild? … Ähm … Entschuldigung, aber suchen Sie jemanden?“, erkundigte sich van Drühe unsicher.

Fiel es ihm schwer, McMalls plötzlich seltsames Verhalten einzuschätzen? Vermeinte er gar, einen Anflug von Gefühlen in dessen Gebaren gesehen zu haben?

„Was? … Ach so. Ja. Nein.“ Innerlich fluchte Dugal. Erst das Gemälde hier und dann auch noch der Verlust dieser Frau. Er konnte van Drühe schlecht anvertrauen, dass er das Bild zwar nicht kannte, dessen Motiv jedoch jeden Tag sah, wenn er aus seinem Fenster blickte.

Mit Mühe zwang er sich durchzuatmen und zumindest nach außen hin zur Ruhe zu kommen. Dugal wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Auf der Stelle verschwand der aufglimmende Ausdruck von Verzweiflung und Verwirrtheit. Er herrschte lediglich einen Wimpernschlag vor, der einzig einem geschulten Beobachter nicht entgangen wäre. Nun wirkte er wieder, wie man ihn kannte. Kalt. Finster. Geheimnisvoll.

„Verzeihen Sie. Ein Déjà-vu. Ja, ich kenne dieses Werk, wusste bisher nur nicht, wer es bisher besaß. Ich hoffe, Sie verkaufen es mir. Wie ist Ihr Preis?“ Er konnte ihm schlecht antworten, dass er nicht wusste, welche Gemälde sein Urahn geschaffen hatte. Noch weniger, ob all diese Bilder nicht seine eigene Fantasie statt die seines Namensvetters aus dem 15. Jahrhundert widerspiegelten.

Van Drühe machte nicht den Eindruck, als hätte er Dugals innere Zerrissenheit bemerkt. Er überlegte einen Moment, bevor er antwortete: „Kommt darauf an.“

„Worauf?“

„Was Sie an dieser Ausstellung verdienen.“

Verdutzt starrte Dugal den Kunsthändler an. Dessen Mimik zeigte ihm allerdings nicht, ob er seine Antwort ernst meinte oder nur darauf abzielte, ihn aus der Reserve zu locken. „Und ich dachte, Sie hätten sich eingehendst über mich informiert. Oder galt das nur den Gerüchten zu meiner Person? … Nun, ich verdiene nichts an meinen Ausstellungen. Ich werde kein Kapital aus dem Talent meines Ahnen schlagen. Alles was hier an Eintrittsgeldern eingenommen wird, fließt in einen Fonds zur Finanzierung kultureller Projekte und Leistungsstipendien für angehende Künstler. Und zwar beides weltweit. Die Galeristen bekommen die Erlöse aus dem Merchandising ...ähm ... Vermarktung der Gemälde. Sagt man so? ... Ich meine den Verkauf von Postkarten, Kalender, Kataloge, etc.“

„Kopien der Gemälde?“

Dugal lachte. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein, aber Fotoleinwände und Poster. … Außerdem zahle ich einen Anteil der Miete für drei Monate. Sie sehen, für mich ist das kein Geschäft, vielmehr ein persönliches Anliegen. … Was jetzt, mein Freund?“

„Mein Freund, Mr. McMall? Sind wir das? Freunde? Sie haben gut gekontert und ich mag das.“ Jasper van Drühe fischte eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche. „Besuchen Sie mich doch morgen. Morgen Abend … versteht sich. Ich glaube, wir kommen ins Geschäft. Jetzt muss ich mich noch ein Weilchen unter das sensationsgeile Publikum mischen. Auch ich habe einen Ruf zu wahren. Und Sie … Ich denke, ich habe Sie für heute genug in Anspruch genommen. Leben Sie wohl … mein Freund.“ Er hob zum Gruß den Arm und verschwand, ohne sich nochmals umzublicken, im Getümmel der Reichen und Schönen.

Zurück blieb ein Dugal McMall, der ihm nachdenklich hinterherschaute. Ein undurchsichtiger Zeitgenosse. Sehr selbstbewusst. Hatte er sich vielleicht in ihm getäuscht? Sah van Drühe mehr, als gut für ihn war? Oder für ihn ... McMall? Er schüttelte leicht den Kopf. Es wurde Zeit zu gehen. Die Geschäfte warteten.

Ein letztes Mal blickte sich Dugal McMall um. Dann trat er aus dem Schatten der Säulen heraus. Auf seinem Weg durch die Galerie in Richtung Ausgang schien ihn keiner zu erkennen, geschweige denn aufhalten zu wollen. Es war ihm egal, denn er wusste, sie amüsierten sich auch ohne ihn, dem Gastgeber.

***

Zwischen dem felsigen Gestein bedeckten hin und wieder robuste Gräser und Blumen den Boden. Es war ein eher trostloses Stückchen Erde bis zur Steilküste. Doch dahinter lag die endlose Weite des Meeres, dessen Kraft die Wellen unaufhaltsam gegen die Felsen des Ufers krachen ließ. Bei günstigem Wind war die Brandung so gewaltig, dass sich die Wassermassen einen Kampf mit dem kargen Boden lieferten. Die wenigen Sonnenstrahlen zwischen den dahinziehenden Wolken brachen sich in den Wassertropfen und bildeten hier und da kleine Regenbogen.

Dugal McMall stand vor dem Gemälde und bewunderte ein ums andere Mal, wie es dem Maler gelungen war, dieses Naturschauspiel einzufangen und auf Leinwand zu bannen. Es vermittelte in der Tat den Eindruck, als schaute er aus dem Fenster seines Arbeitszimmers im Herrenhaus auf einer der kleineren unbewohnten Inseln im hohen Norden Schottlands.

„Ein Landschaftsbild ohnegleichen. Man möchte zurückspringen, um nicht nass zu werden. Täuschend echt und man fragt sich, wo befindet sich diese zauberhafte Küste.“ Jasper van Drühe war neben Dugal getreten.

Am frühen Abend hatte Dugal McMall, wie verabredet, das kleine, imposante Handelshaus in der Prinsengracht in Amsterdam aufgesucht.

Das dreigeschossige Haus beeindruckte durch seine großen Fenster und die blaue Fassade, mit welcher es aus der Reihe der Gebäude dieser Straße herausstach. Ebenso ließen die Ausstellungsräume, in die der Besucher über ein Podest mit beidseitigen Steinstufen und einem kunstvoll gefertigten schmiedeeisernen Geländer gelangte, den extravaganten Geschmack des Inhabers erkennen.

Nach dem ersten Kennenlernen am gestrigen Abend vermutete Dugal zwar eine außergewöhnliche Kunsthandlung, erwartete sie aber nicht wirklich.

„Wie alle Bilder des Malers sind auch hier die Farben einmalig schön und … selten. Also, Mr. McMall? Was ist Ihnen das Gemälde wert?“ Van Drühe drehte das Bild herum, um ihm die Inschriften auf der Rückseite zu zeigen. „Und wie üblich hat Ihr Vorfahr Dugal MacNjal die Entstehungsgeschichte des Werkes hier niedergeschrieben.“

Es handelte sich definitiv um die Schrift des Künstlers. Dugal kannte sie wie seine eigene Handschrift. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Würde eine grafologische Prüfung einen Unterschied feststellen?

„Geht es darum, wie viel es mir wert ist oder was Sie von mir dafür bekommen?“

Van Drühe schüttelte lachend den Kopf und füllte zwei Gläser, die neben Käse und Trauben auf einem kleinen Beistelltisch standen, mit dunkelrotem Regent. „Wein und würziger Käse aus meiner Heimat. Trinken wir auf unser Geschäft. … Sie sind ein Fuchs, Mr. McMall. … Also? Wie viel?“

„Zwölf fünf und ein Blick auf das große Bild, welches dort in der Ecke steht.“

Der Kunsthändler folgte Dugals Blick.

Ein mannshohes Bild mit lebendigen Farben hatte dessen Aufmerksamkeit geweckt. Er glaubte mit Sicherheit, ein weiteres Gemälde von MacNjal vor sich zu haben.

Es befand sich in der letzten Lieferung, die noch in Kisten verpackt und auch teilweise mit Tüchern verhüllt etwas abseits stand. Sie stammte aus einer größeren Haushaltsauflösung, die van Drühe aus Zeitmangel noch nicht näher in Augenschein genommen hatte.

„Okay, zwölf fünf scheint mir ein fairer Preis. … Und das hier“, van Drühe durchschritt den Raum zur anderen Seite hinüber, „sind Kunstwerke, die mir heute geschickt wurden. Zumindest nehme ich an, dass es Kunstwerke sind“, fügte er hoffnungsvoll hinzu. „Mit zwei, drei wertvollen Stücken wäre ich schon vollends zufrieden.“ Sich einen Happen Käse mit Trauben in den Mund schiebend betrachtete er einige der Gegenstände. Dann zupfte er das bereits halb herabhängende Tuch von dem Gemälde und trat einen Schritt zurück.

Van Drühe verschlug es die Sprache. Er starrte mit großen Augen gebannt auf das Werk.

Ebenso McMall. Dugal stand wie versteinert vor dem Bildnis. … Seine Offenbarung.

Noch gestern hatte er sie in der Ausstellung gesehen. Oder war sie nur eine Fata Morgana gewesen?

Wahrscheinlich, denn nun stand sie hier vor ihm, gemalt im 15. Jahrhundert. Sie trug ein Gewand, typisch für das Schottland eben jener Zeit. Es bestand aus einem langärmeligen Unterkleid in einem zarten Hellblau und einem Überkleid mit weit fallenden, geschlitzten Ärmeln in der Farbe ihrer Augen, einem intensiven Türkis. Der breite, ovale Halsausschnitt betonte die wohlgeformten weißen Schultern, die nahezu unbedeckt waren. Ein Mieder, eng und ab der Taille glockig ausgestellt, betonte ihre üppigen Kurven. Die Farbe des Unterkleides wurde im kunstvoll gewirkten Muster des Überkleides wieder aufgegriffen. Um die Hüfte lag ein lockerer Gürtel aus Metallplättchen.

Sie sah umwerfend aus.

Ihr goldblondes Haar fiel ihr in Wellen offen über den Rücken. Der Blickwinkel entsprach dem aus der Galerie, als sie ihm in die Augen sah … halb im Profil mit zurückgedrehtem Kopf. Sie blickte den Betrachter aus ihren großen strahlenden Augen mit den dichten, schwarzen Wimpern direkt an. Ihre vollen Lippen mit dem ausgeprägten Amorbogen waren leicht geöffnet.

Sie war einmalig schön.

Eine Haut wie Porzellan, hohe Wangenknochen, eine kleine gerade Nase, perfekt geschwungene Augenbrauen, ein feines Kinn und ein schlanker Hals … alles genauso, wie sich Dugal an sie erinnerte.

Aber wie konnte das sein? Hatte er das Bild schon irgendwann einmal gesehen? Narrte ihn sein Verstand? Machte sich Verwirrung bei ihm bemerkbar? Wieder einmal strich sich Dugal verzweifelt über sein Gesicht, als könnte er die Tatsachen damit wegwischen.

Das Bild verschwand nicht.

„Wow! Das ist … unglaublich. Man hat das Gefühl, sie würde jeden Augenblick aus dem Bild steigen. So lebendig. Genau wie sein Selbstbildnis im Arbeitszimmer. … Im Übrigen, hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie Ihrem Namensvetter verdammt ähnlich sehen?“

Fast hörte Dugal ihn sagen: Das ist doch die Kleine von gestern. Stattdessen stellte dieser eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Vorfahren fest. Auch diese kam ihm nicht mehr wie ein Zufall vor.

„Mr. McMall? Alles in Ordnung? Ich nehme an, diese Schönheit möchten Sie auch erwerben? … Mr. McMall? Dugal?“ Van Drühe wedelte bereits mit der Hand vor dem Gesicht seines Besuchers hin und her, um dessen Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Erst bei seinem Vornamen starrte dieser ihn an, noch immer nicht ganz im Hier und Jetzt.

„Ah, da ist er wieder. Wo waren Sie denn mit Ihren Gedanken? … Bei unserer schönen jungen Lady?“

Dugal zwinkerte nicht, nickte aber zustimmend. „Belassen wir es dabei, dass es ab sofort meine schöne junge Lady ist“, kam im gewohnten harten Tonfall. „Da ich Ihnen für das andere Bild zwölf fünf geboten habe, schlage ich für dieses hier … das Doppelte vor.“ Er schaute den Kunsthändler forschend an. „Und? Was sagen Sie dazu?“, hakte er nach.

Jasper van Drühe sprang beinahe vor Freude an die Decke. Selten, sehr selten machte er solche lukrativen Geschäfte. Er verstand diesen geheimnisumwitterten Schotten. Sein Vorfahr war ein Meister seiner Kunst gewesen und für dessen Gemälde lohnte es, …

„Sie zahlen doch in Pfund?“

„In Pfund. Das versteht sich von selbst.“

… jedes Pfund zu zahlen.

„Dann lassen Sie uns auf das Geschäft anstoßen und dass wir auch in Zukunft derartige Transaktionen tätigen können, Mr. McMall.“ Van Drühe füllte noch einmal die Gläser auf.

„Und auf unsere Partnerschaft. … Ich würde Sie gern als meinen persönlichen Kunsteinkäufer engagieren. Keine Angst, Sie verlieren dadurch Ihre Unabhängigkeit in keiner Weise. Ich möchte lediglich, dass Sie für mich Augen und Ohren offen halten, für den Fall, dass noch mehr Bilder meines Ahnen im Umlauf sind. … Über Ihre Bezüge werden wir uns sicherlich einigen.“

Beinahe hätte van Drühe den Rotwein verschüttet, so überraschte ihn dieses Angebot. Er musste nicht überlegen und willigte freudig ein. Diese Chance gab es nur ein Mal im Leben … für den Dugal McMall zu arbeiten.

Gilbartas Fluch

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