Читать книгу Gilbartas Fluch - A. B. Schuetze - Страница 6
3. Kapitel
ОглавлениеEr war ernsthaft genervt.
Vor wenigen Minuten hatte Amanda ohne Vorwarnung sein Büro gestürmt und wieder einmal versucht, sich ihm anzubieten. Ihr Repertoire reichte dieses Mal von Schmeichelei, Liebesbekundungen über Betteln bis hin zu Frust und Wut. Es endete letztendlich in einem bösen Streit und ihrem bühnenreifen Abgang.
Nun stand William in der Tür und überhäufte ihn mit überflüssigen Titeln alter Zeiten und einer Belehrung über Rang und Stellung und wie richtig doch sein Auftreten wäre, um ihm, dem Herrn, den nötigen Respekt entgegenzubringen. Wie oft hatten sie diese Diskussion geführt, ohne jemals zu einem einvernehmlichen Ergebnis gekommen zu sein? Es war Dugal einerlei, ob er nun mit seiner Lordschaft, Euer Gnaden, Mylord, Sir oder einfach nur mit Mister … oder in Williams Fall mit Dugal … angesprochen wurde.
Der eigentliche Grund jedoch, den William für seine Störung vorbrachte, war absolut inakzeptabel. Dugal hatte sowohl Oliver, seinen Assistenten, als auch ihn angewiesen, wie sie die Anwesenheit der Gutachterin handhaben sollten. Ms. Bauer bezog in der Obhut des Butlers ihr Zimmer. Am darauffolgenden Tag erstellte sie unter der Aufsicht von Meloy für zwei Gemälde eine Expertise und für die Restaurierung von einem weiteren Werk einen Kostenvoranschlag. Nach erledigtem Auftrag flog Liam die Frau wieder zurück aufs Festland. Was war daran misszuverstehen? Warum also musste William darauf beharren, dass er diese Elfriede Bauer empfing? Sagte er … Ms.? Na, und wenn schon! Was …?
Die Fragen verflüchtigten sich genauso schnell, wie er sie stellen konnte, denn Ms. Bauer marschierte an William vorbei wie eine … Offenbarung.
Dugals Herz begann zu rasen. Wollte das Schicksal ihn verspotten? War dies eine Halluzination? Eine Fata Morgana?
Dr. Elfriede Bauer
- Kunsthistorikerin -
Restaurierung und Gutachten
hatte in schwarzen Lettern auf der violetten, mit goldenen Ornamenten verzierten Karte gestanden. Nur eine alte Jungfer … eine ältere, unverheiratete Frau, die lediglich in ihrem Beruf Erfüllung fand … konnte eine derart verstaubte Visitenkarte ihr Eigen nennen. Nicht jedoch die Frau, die vor ihm stand.
Sie verkörperte Jugend und Schönheit. Sie besaß Stolz und Anmut. Die Schultern zurückgezogen, den Kopf erhoben und das Kinn kampfeslustig vorgeschoben. Oh ja, das war sie. Nicht wie damals in der Galerie, nicht wie auf dem Gemälde und doch … unverkennbar.
Sie trug ihr herrliches Haar zu einem lockeren Dutt aufgesteckt, aus dem sich einige vorwitzige Strähnen gelöst hatten. Das Oxford Blue ihres Hosenanzugs mit einem legeren und etwas längeren Blazer, der scheinbar ihre wohlgeformten Runden kaschieren sollte, unterstrich hervorragend die Farbe ihrer Augen. Darunter zauberte ein weißes Spitzentop mit herzförmigem Ausschnitt ein sexy Dekolleté.
William hatte seine Worte noch nicht fertig ausgesprochen, da wurde diese bezaubernde Person ganz blass um die Nase und erstarrte nicht nur in ihrer Bewegung. Es schien, als hätte sie die Luft angehalten; als wäre ihr Herz stehengeblieben.
„Ms. Bauer? Elfriede?“ Elfriede … dieser Name. Obwohl Dugal nichts auf die Herkunft und Bedeutung von solchen gab, betrachtete er die junge Frau erstaunt. Das musste es sein. Elfriede wurde im Englischen Elfreda genannt und im Altenglischen Aelfthrith … Aelf wie Elf oder Naturgeist und Thrith oder thryd – Kraft, Stärke.
Er zuckte kaum merklich zusammen.
War es Fügung? Vorsehung? Schicksal? Auf jeden Fall stand sie vor ihm – seine Offenbarung.
Schnell fing er sich wieder und strahlte wie eh und je diese unnahbare Kälte aus.
„Geht es Ihnen gut, Ms. Bauer?“
Elfriede schnappte nach Luft und keuchte. „Sie sind Dugal MacNjal.“ Sofort hielt sie inne, als wäre ihr die Unsinnigkeit ihrer Worte klar geworden. MacNjal hatte im 15. Jahrhundert gelebt. Sie runzelte die Stirn und schüttelte langsam den Kopf. „Verzeihen Sie, Mr. McMall, aber ich hatte soeben das Gefühl, mich in einem von MacNjals Gemälden zu befinden. Es war diese verblüffende Ähnlichkeit und … die gesamte Ausstattung dieses Raumes.“ Sie zeigte mit dem Arm in einem Halbkreis auf das Zimmer vor ihr. Das schloss ihn mit ein.
Obwohl im ersten Moment schockiert, kontrollierte Elfriede nunmehr wieder die Situation. „Ich bin übrigens Elfriede Bauer. Sie haben mich sicherlich erwartet.“
Dugal McMall erhob sich und überragte um mehr als einen Kopf die junge Frau. Wenn sie das einschüchterte, so zeigte sie es nicht.
„Nun, willkommen auf meiner bescheidenen Insel, Ms. Bauer. Ich nehme an, Ihr Flug war einigermaßen erträglich.“ Bei seinen Worten umrundete er den Schreibtisch und reichte Elfriede zur Begrüßung die Hand. Dugal stand jetzt direkt vor ihr. Mit Genugtuung sah er, wie eine leichte Gänsehaut ihre Härchen im Nacken aufstellte. Eine Reaktion sowohl auf seine Stimme als auch seine Nähe. Er nutzte gern diese Wirkung auf das weibliche Geschlecht, um die Frauen ein wenig zu manipulieren. Kein schöner Zug, aber manchmal sehr befriedigend.
Dugal erwartete keine Antwort von Elfriede auf seine als Frage klingenden Worte. Er wusste, wenn eine Reise länger als acht Stunden andauerte und mehrmaliges Umsteigen notwendig machte, konnte von erträglich keine Rede sein. Deshalb ging er direkt auf ihre Bemerkung in Bezug der Ähnlichkeit mit dem Gemälde ein. „Sie haben ein Auge fürs Detail, Ms. Bauer. Was das Aussehen meiner Person anbelangt, war es eine Laune der Natur. Mein Arbeitszimmer allerdings wurde nach dem Werk meines Vorfahren eingerichtet. Ich muss zugeben, ich habe mir einen Spaß daraus gemacht, das Interieur exakt nach den bildlichen Vorgaben anfertigen zu lassen.“
Seine intensiv silbergrünen Augen erweckten den Eindruck, als könnten sie bis in ihre Seele sehen. Elfriede jedoch hielt seinem Blick stand. „Oh.“ Mehr sagte sie nicht dazu. Was auch? Er hatte ihr eine plausible Erklärung gegeben. Allerdings schien sie zu wissen, dass mehr dahintersteckte. Nur eben nicht was.
Dugal wusste, sie gab sich im Moment mit seiner Antwort zufrieden, aber sie glaubte ihm nicht. Das verbarg sie geschickt hinter einer neutralen, aber äußerst attraktiven Fassade. Er traf nicht häufig jemanden, der ihm so … couragiert entgegentrat. Just in diesem Augenblick erinnerte er sich an seine erste Begegnung mit Jasper van Drühe. Er war ihm ebenso wie Elfriede ohne Ressentiments begegnet. Damals in genau jener Ausstellung vor zwei Jahren in Amsterdam hatte er nicht nur seinen neuen Kunsthändler kennengelernt, sondern auch seine Offenbarung das erste Mal gesehen. War das ein weiterer Zufall gewesen?
Im Augenblick stand sie direkt vor ihm.
Beide starrten sich gegenseitig nieder, nicht gewillt, vor dem anderen Schwäche zu zeigen. Er, weil er einen gewissen Ruf aufrechterhalten musste, und sie, weil sie ihre Stärken kannte und sich nicht einschüchtern ließ.
Ein Räuspern von der Tür her unterbrach das stille Kräftemessen. „Wenn ich dann Ms. Bauer ihr Zimmer zeigen dürfte? … Und Mylord, wäre Ihnen das Dinner um 20:45 Uhr genehm?“
Sowohl Elfriede als auch Dugal hatten Williams Anwesenheit total vergessen und fuhren nun zu ihm herum.
„Ah, Will. Genauso machen wir es. … Ms. Bauer, wir sehen uns dann zum Dinner.“
„Aber ich …“
Wollte sie nicht mit ihm speisen oder besaß sie keine Abendgarderobe? … Egal, was sie ihm mitteilen wollte, der Gedanke eines Einwandes gefiel ihm nicht. Er erstickte ihn im Keim, indem er sie einfach mitten im Satz unterbrach. „Keine Kleiderordnung. Ganz ungezwungen.“ Jetzt sollte sie versuchen, sich herauszuwinden und das gemeinsame Dinner abzusagen. Dugal grinste in sich hinein.
Er ging sogar einen Schritt weiter. In der Annahme, sie fühlte sich mit ihm allein unwohl, verschwieg er ihr die Anwesenheit von Oliver, Jasper und Amanda. Ebenso William, wenn er es ihm befahl.
Mit seiner kleinen Scharade zufrieden, nickte er Elfriede unnachgiebig zu und gab William noch die eine oder andere Anweisung. Damit entließ er die beiden und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.
„Verzeihung? Ich …“ Nicht bereit, sich so behandeln zu lassen, wollte Elfriede ihrem Frust, der langsam in ihr aufzusteigen begann, Luft machen.
Doch auch dieses Mal unterbrach Dugal sie nicht nur mit seinem scharf tadelnden Blick. „Ms. Bauer, wir werden alles Weitere beim Dinner besprechen. … Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, aber ich habe noch eine wichtige Videokonferenz.“ Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, vertiefte er sich in die vor ihm liegenden Dokumente und stellte eine Internetverbindung zu seinen Gesprächspartnern her.
Währenddessen kniff Elfriede verärgert die Augen zusammen, schürzte die Lippen und stieß den Atem aus, dem ein frustrierter Laut folgte. Sie machte ruckartig auf dem Absatz kehrt und folgte William zu ihrem Zimmer.
Zum Glück konnte sie nicht mehr sehen, wie ihre Reaktion und dieses kleine Geräusch Dugal ein Lächeln aufs Gesicht zauberten. Obwohl sie reizend ausschaute, wenn ihre Augen so wütend aufblitzten, er durfte es nicht zu weit treiben.
Reizend, das konnte man sagen. Sie reizte all seine Sinne. Wann war das das letzte Mal jemandem gelungen? … Er hatte keine Ahnung.
***
Im Speisezimmer standen drei Männer beisammen und unterhielten sich leise. Amanda saß bereits am Tisch und würdigte keinen von ihnen eines Blickes.
Als plötzlich das Klappern von Absätzen auf dem Parkett sich nähernde Schritte ankündigte, drehten sich die Herren gleichzeitig zur Tür um.
Dugal stieß Jasper, dem fast die Augen aus dem Kopf fielen, kaum merklich in die Seite und räusperte sich diskret. Van Drühe hatte in der eintretenden Elfriede die junge Frau auf dem Gemälde Meine Offenbarung erkannt. Es war ihm vor zwei Jahren bei einer Haushaltsauflösung in die Hände gefallen und befand sich seither in Dugals Besitz. Nun starrte er sie ganz offen an. Dem Ausdruck seiner Mimik zufolge fand er sie aus Fleisch und Blut attraktiver als ihr gemaltes Bildnis.
Zu einer dunkelblauen Hose trug sie eine romantisch verspielte Tunika in Hellblau. Die offene Knopfleiste ließ das weiche Material bei jeder Bewegung auseinanderklaffen und gab somit Einblick auf die zarte Haut am Ansatz ihrer Brüste. Gleichzeitig umspielte der hochwertige Stoff durch die Raffung unter dem Busen gekonnt ihre Figur. Eine silberne Spange fasste ihr lockiges Haar am Hinterkopf in einem Zopf zusammen. Elfriedes Stil war einzigartig … schön, modisch, sexy und elegant zugleich.
Dugal selbst verzog keine Miene, auch nicht als er Elfriedes erstaunten Blick sah, mit welchem sie alle Anwesenden im Raum musterte.
Sie kniff die Augen zusammen und blitzte Dugal unverhohlen an. Hatte er sie doch absichtlich im falschen Glauben bezüglich des Dinners gelassen.
„Ms. Bauer, schön, dass Sie den Weg hierher gefunden haben. … Darf ich Ihnen vorstellen? … Jasper van Drühe, mein Kunsthändler. … Oliver Meloy …“
„Wir kennen uns schon. Mr. Meloy hat mich herzlich willkommen geheißen und mir meinen Trolley aufs Zimmer gebracht. Er war auch so nett, mir den Weg in das Speisezimmer zu beschreiben“, unterbrach Elfriede, nachdem sie van Drühe lächelnd die Hand zur Begrüßung gereicht hatte, mit einem sowohl spöttischen als auch anklagenden Unterton Dugals Vorstellungsrunde.
Dieser Seitenhieb saß und amüsierte ihn sogleich. Die Frau erinnerte an einer Elfe … klein, reizbar, empfindlich und schwer versöhnlich.
Zu Meloy hingegen meinte Elfriede freundlich und vielleicht etwas zu kokett: „Schön Sie wiederzusehen, Oliver. Sie hätten mir ruhig verraten können, dass Sie ebenfalls mit uns speisen.“ Sie hakte sich bei ihm ein und gemeinsam gingen sie, Dugal einfach stehenlassend, zum Tisch hinüber.
„Und Sie müssen Ms. Spencer, die Agentin von Mr. McMall, sein. Ich habe Sie schon in Amsterdam in der Ausstellung gesehen. … Ich bin Elfriede Bauer, die Gutachterin. Frau Sundermann, die mich empfohlen hat, schwärmt in den höchsten Tönen von Ihrem organisatorischen Können und Ihrem fachlichen Wissen rund um Galerien und Ausstellungen. Sie kann es kaum erwarten, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“
Amanda sah verwirrt zu Elfriede auf. Sie hatte anscheinend nicht erwartet, derart positive Worte von ihr zu hören. Sie besaß eine Art Radar für vorhandene Schwingungen zwischen den Geschlechtern und es missfiel ihr offensichtlich, was da zwischen Dugal und Elfriede lief. Amanda lächelte zwar, konnte allerdings trotz aller Professionalität ihr Misstrauen nicht verbergen. „Oh. Ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt … älter und … erfahrener“, entgegnete sie spitz.
… und weniger hübsch, ergänzte Dugal gedanklich ihre Aussage. Er beobachtete mit Argusaugen Amandas Verhalten gegenüber Elfriede. Warum hegte sie dieses Misstrauen? Lag es an der Szene zwischen ihr und ihm, die Elfriede allem Anschein nach mitbekommen hatte oder in der Tat an deren Alter? Sie war definitiv sehr jung für den Ruf, der ihr vorauseilte. Er maß dem jedoch keine Bedeutung bei. Warum auch?
Für Amanda allerdings schien diese Tatsache eine Bedrohung darzustellen. Sie musterte Elfriede von oben bis unten. Sie reichte ihr die Hand in einer Art und Weise, in der eine unangebrachte Überheblichkeit zu erkennen war. Die folgenden Worte unterstrichen ihre Einstellung. „Aber gut. Ich nehme an, Sie verstehen Ihr Fach. Andernfalls hätten Sie kaum solch hervorragende Referenzen namhafter Galeristen.“ Jeder, und das war durchaus beabsichtigt, konnte sich das Ungesagte vorstellen …
Elfriede ließ weder das Gesagte noch das Ungesagte an sich heran. Mit einem Lächeln im Gesicht parierte sie den Kommentar. „Aber gewiss verstehe ich mein Fach, Ms. Spencer. Ich habe mein Wissen und Können nicht nur an der Hochschule für bildende Künste in Dresden und der University of Birmingham erworben, sondern auch durch Praktika in Museen von Paris, Mailand, Wien …“
„Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Es klingt alles sehr interessant und Sie dürfen uns gern weiterunterhalten, aber vielleicht sollten wir zunächst Platz nehmen. William ist schon nervös, dass die Speisen kalt werden könnten. Er würde gern mit dem Servieren beginnen“, unterbrach Dugal sie ungewohnt liebenswürdig. Er nickte in Richtung Tür, wo William und eine Servierkraft standen.
Dugal berührte Elfriede sacht am Ellenbogen und führte sie zu ihrem Stuhl neben Oliver, gegenüber von Jasper van Drühe, der an Amandas Seite Platz nahm. Von der Stirnseite der Tafel gab der Gastgeber das Zeichen, dass aufgetragen werden konnte. Dann deutete er Elfriede an, weiterzuerzählen.
„Ich möchte Sie alle nicht unbedingt mit meinem Werdegang langweilen, sondern Ms. Spencer lediglich meine Qualifikation darlegen. Und das habe ich getan.“
Während van Drühe die Suppe löffelte, schaute er sein hübsches Gegenüber sowohl bewundernd als auch neugierig an. „Eine Zulassung zum Studium an der University of Birmingham ist nicht so leicht zu erringen. Alle Achtung! … Es erfordert Nachweise der Englisch-Kenntnisse durch verschiedene Zertifikate und einschlägige Fachpraktika sowie ein Motivationsschreiben, welches es allein schon in sich hat. Darf ich fragen, wie Sie das in so jungen Jahren geschafft haben?“
„Und nicht zu vergessen, Sie hat promoviert, gibt Gastvorträge und unterhält ein eigenes Atelier für ihre Restaurierungen“, vervollständigte Oliver.
McMall durchbohrte die beiden Männer mit seinen kalten silbergrünen Augen. Ihre Aussagen brachten Elfriede eine Aufmerksamkeit, die sie bei Amanda keinesfalls in einem besseren Licht dastehen ließ.
Eine feine Röte schlich sich ihr Dekolleté hinauf. „Das ist zu viel der Schmeichelei. So jung bin ich nicht mehr. Ich bin fast dreißig. Und ich muss zugeben, ich bin definitiv ein Workaholic. Aber irgendwie liegt mir Kunstgeschichte und Malerei auch im Blut. Während andere Kinder nach Ausmalheften, Mandalas und Malen nach Zahlen verrückt waren, schleifte ich meine Eltern von einer Ausstellung zur nächsten Ausstellung und sammelte Kunstkataloge. Ich malte jedes Gemälde, welches ich auch immer irgendwo als Foto bekommen konnte, nach. Mein Zimmer glich selbst einer Galerie. Möglicherweise ist meine … Ich bezeichne es als Obsession. … darin begründet.“
„Im Blut, ja? Sind Ihre Eltern auch im Kunstgeschäft?“
„Nein, Herr van Drühe. … Nein. Meine Mutter war Lehrerin für Englisch und Deutsch. Und mein Vater besaß eine kleine Schreinerwerkstatt. Aber sie haben mich unterstützt, wo sie nur konnten“, antwortete Elfriede mit einer traurigen Nuance in der Stimme, die Dugal nicht verborgen blieb.
„Jetzt tun sie es nicht mehr?“
Bei seiner Frage schaute sie zu ihm hinüber. Tränen bildeten sich in ihren Augen, die sie tapfer bekämpfte. Keiner sollte sie jemals weinen sehen. „Sie sind vor zehn Jahren tödlich verunglückt. … Ein Siebzehnjähriger hat bei einem illegalen Autorennen die Kontrolle über seinen aufgemotzten Wagen verloren und ist in eine Bushaltestelle gerast. … Meine Eltern waren auf dem Nachhauseweg von einem Konzert. Sie saßen im Wartehäuschen, von dem hinterher nichts mehr übrig war.“ Nach den letzten Worten schluckte sie den Kloß im Hals hinunter, holte tief Luft und zuckte mit den Schultern. „Es ist lange her.“
Elfriede wandte sich an William, der gerade das Hauptgericht servierte, während ein Mädchen die schmutzigen Teller abräumte. „William, die schottische Barleysoup war große Klasse. Danke. Wenn das Rezept kein Geheimnis ist, dann hätte ich es gern.“
Stolz über das Lob schenkte er ihr ein Lächeln. „Sehr gern. Ich lege es Ihnen dann in Ihr Zimmer.“
Einschließlich dieser kleinen Szene beobachtete Dugal seinen Gast den ganzen Abend und ihm wurde deutlich, dass diese junge Frau ein einnehmendes Wesen besaß. Mit ihrem natürlichen Charme, von dem sie vielleicht nicht einmal wusste, gelang es ihr, jeden in ihren Bann zu ziehen. Selbst William erlag ihm. Ebenso die Männer in der Runde, die an ihrem Leben und Wirken als Restauratorin und Gutachterin regen Anteil nahmen. Amanda hingegen zeigte sich ausnehmend ruhig und anscheinend nicht an den Gesprächsthemen am Tisch interessiert. Nur Elfriede bedachte sie hin und wieder mit einem bösen Blick.
Gedanklich machte er sich eine Notiz. Er musste unbedingt mit Amanda über ihr Verhalten sprechen. Wenn sie ihre Befindlichkeiten auf andere projizierte, konnte das ein schlimmes Ende nehmen.
Nach dem Dessert räusperte sich Dugal und zog wie erwartet die Aufmerksamkeit aller am Tisch auf sich.
„Ms. Bauer, Oliver wird Ihnen morgen Vormittag die Gemälde zeigen, derentwegen ich Sie hergebeten habe. Ich persönlich kann nicht anwesend sein, da ich in wenigen Stunden nach Edinburgh aufbrechen werde. Ich hoffe, im Laufe des morgigen Tages zurück zu sein.“
Amanda grummelte leise bei Dugals Bemerkung, zuckte jedoch unter seinem vernichtenden Blick zusammen.
„Amanda und Jasper werden in den frühen Morgenstunden ebenfalls die Insel verlassen. Wenn Sie also Fragen oder Wünsche haben, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an Oliver und William. … Damit hebe ich die Tafel auf und wünsche allseits eine geruhsame Nacht. Sie entschuldigen mich bitte.“ Mit dem letzten Wort nickte Dugal in die Runde, erhob sich und schritt, ohne sich nochmals umzuschauen, aus dem Raum.
Amanda, Jasper und Oliver kannten seine Art und Weise des Abgangs. Elfriede hingegen blieb sie ein Rätsel.