Читать книгу Gilbartas Fluch - A. B. Schuetze - Страница 5
2. Kapitel
ОглавлениеSchottland – Spätsommer
zwei Jahre später
Nach einer achtstündigen Odyssee über London und Edinburgh stieg Elfriede in Sumburgh aus dem Flugzeug. Sie dankte Gott, dass sie endlich wieder auf festem Boden stand.
Noch während des Anfluges auf den Airport hatte sie geglaubt, diesen niemals zu überleben. Ein Blick aus dem Fenster und ihr Herz blieb beinahe stehen. Krampfhaft hielt sie sich deshalb an den Armlehnen ihres Sitzes fest. Links der Landebahn … Wasser. Rechts der Landebahn … Wasser. Sicher. Was dachte sie denn? Ihr Zielort lag am südlichen Zipfel der Shetlandinseln. Wie aus dem Namen bereits ersichtlich war, handelte es sich um eine Insel.
Sie brauchte einige Minuten, in denen sie mehrmals tief durchatmete, damit sie wieder zu sich selbst fand und zur Ruhe kam.
Mit zitternden Händen und noch wacklig auf den Beinen schnappte Elfriede ihr Handgepäck und folgte den anderen Passagieren ins Flughafengebäude.
Hier stand sie nun und ihr Inneres jubelte. Sie lebte noch. Gott sei Dank, sie lebte noch. Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Sie wurde jetzt mit dem Auto abgeholt und die Überfahrt mit dem Boot überstand sie auch noch. Laut dem Schreiben ihres Auftraggebers wartete einer seiner Angestellten am Informationsschalter auf sie. Somit blieben ihr nochmals fast vier Stunden mit Linienbus und Fähre erspart. Dafür dankte sie ihm.
In der Empfangshalle verschaffte sich Elfriede sofort einen Überblick, wo sich dieser Schalter befand. Ihren kleinen Trolley führte sie als Handgepäck mit sich und sparte dadurch kostbare Zeit. Bereits einen Moment später steuerte sie die Auskunft an.
Allerdings stand dort kein Chauffeur, der auf sie wartete, sondern lediglich ein Typ, wie aus einem Film entsprungen. Seine dunkle Cargohose steckte in schwarzen Armeestiefeln. Mit der einen Hand hielt er eine Bomberjacke, die lässig über seiner Schulter hing. Mit der anderen schob er seine Pilotenbrille ganz langsam nach oben in sein hellblondes, effektvoll verwuscheltes Haar und checkte sie unverhohlen von oben bis unten ab.
So ein Fatzke! Wie unverschämt benahm sich der denn, schoss es ihr durch den Kopf.
Wie zur Krönung zog er eine seiner Augenbrauen nach oben, spitzte die Lippen und stieß einen anerkennenden kleinen Pfiff aus.
Innerlich stöhnte Elfriede auf. Was?! Na noch plumper ging es nicht!
Bevor Elfriede die junge Dame hinter dem Tresen um Auskunft bitten konnte, sprach der Typ sie an. „Ms. Bauer? Elfriede Bauer?“
Überrascht drehte sie sich zu ihm um und sah in braune Augen, aus denen der Schalk blitzte. Nur am Rand nahm sie das verschmitzte Lächeln und ein Grübchen am glattrasierten Kinn wahr. Eher interessierte sie zu erfahren, woher er ihren Namen kannte. Dieser McMall hatte ihn wohl kaum auf den gesamten Shetlands ausposaunt.
Bei der Erkenntnis, dass dieser Schnösel sie allem Anschein nach in Empfang nehmen sollte, presste sie die Lippen aufeinander und atmete tief durch die Nase aus. Dabei entkam ihr ein leises, genervtes Stöhnen, welches sein Lächeln gleich noch breiter werden ließ. Ein Augenverdrehen konnte sich Elfriede gerade noch verkneifen. „Wer möchte das wissen? … Ich bin Elfriede Bauer. Und Sie sind …“
„Oh! Toll!“ Die Augen des jungen Mannes leuchteten auf. „Freut mich. Ich bin Liam Scott. Sagen Sie Liam zu mir. Ich werde Sie rüber auf die Insel bringen.“ Dabei versuchte er nicht einmal ein Lachen zu unterdrücken.
Sein Pech nur, dass Elfriede keinen Grund für eine derartige Freude erkannte. Auf sie wirkte es, als amüsierte er sich auf ihre Kosten. Verwirrt schüttelte sie den Kopf und verdrehte nun doch die Augen.
„Ist das alles an Gepäck, was Sie haben … Ms.?“ Seine Frage verschluckte er wieder in einem Lacher, sah sich jedoch angesichts Elfriedes genervter Miene dazu verpflichtet, sie aufzuklären. „Sie müssen verzeihen, aber der Boss erwartet eine … Nun sagen wir … eine ältere Lady … Hornbrille, graues Kostüm, Knoten im Nacken und die nur ihren Beruf kennt. Sie wissen, was ich meine? Und wenn Sie jetzt da aufkreuzen … Ich würde zu gern sein Gesicht sehen.“
Dieser McMall erwartete demnach eine alte Jungfer. Dann würde er in der Tat sein Wunder erleben. Bei diesem Gedanken musste sogar Elfriede lächeln.
Liam nahm den Trolley und zwinkerte ihr zu. Mit einem Nicken zeigte er die Richtung an, in die sie gehen sollte. „Hier geht es entlang.“ Er sah Elfriedes Schmunzeln nicht und da sie so lange schwieg, fragte er reumütig nach: „Sie nehmen mir doch meine kleine Schadenfreude nicht übel? … Oder?“
Elfriede kam nicht dazu, ihm zu antworten. Ihr schwante Böses. Der Weg, den sie einschlugen, führte definitiv in die falsche Richtung. Ohne Vorwarnung blieb sie wie angewurzelt stehen. „Ähm … Hier geht es doch nicht zu Ihrem Auto, sondern zu den Landebahnen.“ Energisch stemmte sie die Füße in den Erdboden, nicht gewillt, auch nur einen Schritt weiter zu gehen.
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Das Outfit des jungen Mannes ergab plötzlich Sinn. Es handelte sich um keinen Chauffeur. Also nicht in der eigentlichen Bedeutung des Wortes. Er war ein Pilot.
„Alles in Ordnung?“ Liam grinste sie von der Seite an. „Oh!“ Ihm ging scheinbar ein Licht auf. „Sie wussten es nicht? Wir fliegen mit dem Heli hinauf auf die Insel vom Boss. ... Wie es scheint, hielt er es nicht für nötig, Sie von dieser Nichtigkeit in Kenntnis zu setzen“, antwortete er feixend.
Allein die Tatsache, dass sich ihre Reise als eine Art Inselhopping entpuppte, machte sie auf Frederike wütend. Diese wusste, dass Elfriede das Fliegen hasste, obwohl sie keinen plausiblen Grund dafür nennen konnte. Oder doch. Es waren genau solche Airports wie der von Sumburgh. Jetzt kam dieser Helikopterflug hinzu, der ihrer Überzeugung neue Nahrung gab. Nun verdammte sie neben der Fliegerei auch ihre Freundin, die sie überredet hatte, diesen Auftrag anzunehmen.
Wenn Gott gewollt hätte, dass der Menschen flog, hätte er ihm Flügel gegeben. Elfriede wusste nicht einmal, woher diese Worte plötzlich kamen und ob sie so stimmten. Auf jeden Fall sprachen sie ihr aus dem Herzen. Zu ihrem Unglück musste sie jedoch öfter auf diese Beförderungsart zurückgreifen. So auch dieses Mal. Leider.
Außerdem verstand sie nicht, wie einer ständig so gut drauf sein konnte. Begriff Liam den Ernst der Lage nicht? Leise knurrte sie, aber nicht leise genug.
Verwundert drehte er sich zu ihr um. „Sie sind wohl nicht flugtauglich, was? Das gibt sich mit der Zeit. Glauben Sie mir.“
Eigentlich brauchte sie nichts zu erwidern. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Das würde ich ja gern, aber ich werde lediglich meinen Job machen und noch einen Flug zurück über mich ergehen lassen. Das war es dann aber auch schon. Da bleibt nicht genug Zeit, mich daran zu gewöhnen. Glauben Sie mir.“
Sein Gesichtsausdruck und sein Grinsen nahmen vielversprechende und geheimnisvolle Züge an. „Ms. Bauer, Sie mögen vielleicht in diesem Moment von der Richtigkeit Ihrer Aussage überzeugt sein, jedoch saßen Sie noch nicht in meiner Maschine und sind über die Nordsee geflogen. Selbst wenn Sie unschöne Erfahrungen mit Flugzeugen gemacht haben, Sie werden bei einem Helikopterflug überrascht sein. … Sicherlich, wir gehen in die Luft. … Aber wir heben ganz sachte nach oben ab, fast wie ein Fahrstuhl. Die unangenehme kräftige Startphase fällt weg und damit auch die Beschleunigung, die für viele unerträglich sein kann. Wenn Sie obendrein unter Höhenangst leiden … Mein Heli bleibt ganz ruhig in der Luft. Sie werden es merken. Und was noch viel wichtiger ist, wir fliegen nicht so hoch. Dadurch bekommen Sie jede Menge zu sehen und werden dadurch abgelenkt.“
Liam textete sie dermaßen zu, dass Elfriede erst wieder zu sich kam, als sie vor einem etwas größeren Hubschrauber stehen blieben. „Das ist mein Baby.“ Beinahe liebevoll schaute der junge Mann den Riesenvogel an. „Es wird Sie ganz sicher an Ihr Ziel bringen. Hüpfen Sie rein, Lady! Schnallen Sie sich an und setzen die Kopfhörer auf. Und vertrauen Sie mir, ich fliege Sie wie ein rohes Ei. … Sollte dennoch irgendetwas sein, dann lassen Sie es mich einfach wissen.“
Was blieb Elfriede anderes übrig, als Liams Bitte nachzukommen.
***
Nach einem zwanzigminütigen Flug landeten sie auf einer winzig kleinen Insel.
Elfriede schwirrte der Kopf, und das nicht nur vom Helikopterflug. Liam hatte recht behalten. Dieser Flug hinterließ ein absolutes Wow-Gefühl. Die vielen kleinen Inseln, an deren Felsgestein sich die Wellen der Nordsee brachen; die unendlich scheinende Weite des Meeres; das satte Grün der Hauptinseln neben alten Gemäuern, Zeitzeugen und Touristenmagneten; die Sonne, die am Horizont orange-rot im Wasser versank. Der junge Mann hatte nicht zu viel versprochen.
Nun stand Elfriede auf diesem winzigen Eiland und drehte sich langsam im Kreis. Wahrscheinlich wirkte das Grinsen in ihrem Gesicht auf andere bescheuert. Doch darüber machte sie sich keine Gedanken.
Der Helikopter entschwand aus ihrem Sichtfeld und ein dreistöckiges Herrenhaus schob sich hinein. Ein Haus, gebaut aus groben Steinbrocken, eins mit dem Fels inmitten des Meeres. Spärliche grüne Flecken durchzogen mit rosa und roten Wildblumen zwischen dem Gestein waren die einzigen Farbtupfer rund um das Gebäude bis hin zur Steilküste. Nach einer vollen Runde stand sie wieder vor dem Helikopter und seinem Piloten.
„Und? Hab ich mein Wort gehalten? Ich habe Sie unversehrt auf der Insel abgesetzt. … Das ist das Herrenhaus der McMalls.“ Liam zeigte auf das Gebäude hinter ihr. „Man flüstert, es sei verflucht, McMall sei nicht von dieser Welt, ein …“
„Liam! Erzähl nicht immer so einen Unfug!“
Von der Treppe des Herrenhauses erklang eine ruhige, jedoch energische Stimme zu ihnen herüber.
Ein Mann um die Sechzig kam die Stufen herunter. Sein Blick musterte Elfriede von oben bis unten. Jäh erstarrte er, wie zu Tode erschrocken.
Elfriede meinte, er hätte die Luft angehalten.
„Das ist William Spencer, der gute Geist des Hauses … Diener, Butler, väterlicher Freund von Mr. McMall“, stellte Liam ihn vor. Als William nicht antwortete, hüpfte er auf sich aufmerksam machend um ihn herum. „William? … Hallo! … Hallo-ho! Was ist denn los mit Ihnen? Haben Sie noch nie einen Engel gesehen? … Das ist Ms. Elfriede Bauer.“
Liams sportliche Einlage riss den Alten aus seiner Starre. Er versetzte dem jungen Piloten eine Kopfnuss und räusperte sich unangenehm berührt.
„Vergeben Sie einem alten Mann, dass er Sie so anstarrt, aber Ihre Erscheinung hat mich total aus dem Konzept gebracht. Seine Lordschaft hatte eine …“ Er räusperte sich erneut und schaute beschämt zu Boden. „Nun ja, wir hatten eine ältere Lady erwartet. … Ms. Bauer, wenn Sie mir bitte folgen würden?“
Liam konnte sich wieder ein lautes Lachen nicht verkneifen. „Habe ich es Ihnen nicht prophezeit? Sie bringen hier alle in die …“
„Hast du nichts zu tun, du Lausebengel“, schallt William ihn. „Hör auf zu lachen und hol das Gepäck von Ms. Bauer. Danach kannst du für heute Feierabend machen.“ Kopfschüttelnd wandte er sich an Elfriede und bat sie erneut, ihm zu folgen.
Sie hatte die Szenerie mit einem Schmunzeln beobachtet. Wie Liam zu lachen, fand sie in Anbetracht der ohnehin schon seltsamen Situation nicht ratsam. Auf keinen Fall wollte sie William sich noch schlechter fühlen lassen. Wahrscheinlich verzieh er sich schon selbst nicht, vor einem Gast derart die Contenance verloren zu haben. Es schickte sich nicht, ihn mehrere Sekunden anzustarren. … Warum auch immer. Sollte sie sich darüber Gedanken machen? Vielleicht. Sie nahm Liam ihren Trolley ab. Lächelnd zwinkerte sie ihm zu und flüsterte: „Ähm … Habe ich etwas im Gesicht? Schmutz? Eine Warze? Schiele ich?“ Und als Liam amüsiert verneinte, fügte sie hinzu: „Übrigens hattest du so was von recht … Lausebengel. Vielleicht solltest du für mich in Rufbereitschaft bleiben, für den Fall, dass ich schnell den Abflug machen muss.“ Dann drehte sie sich um und beeilte sich, den Butler auf der breiten Freitreppe hinauf zur doppelflügeligen Haustür einzuholen.
Elfriede betrat hinter dem älteren Mann, der steif und vornehm voranschritt, eine großräumige Empfangshalle mit repräsentativem Charakter. Staunend schaute sie sich um.
Direkt vor ihr führte eine Treppe mit einem kunstvoll gedrechselten Geländer ins nächste Stockwerk. Auf der rechten Seite der Halle befanden sich mehrere kleinere Türen, während auf der linken eine imposante offene Doppeltür den Blick in einen stilvoll eingerichteten Salon freigab. Unüblicherweise gab es keinen protzigen Kronleuchter, der den Eingangsbereich ausleuchtete, sondern jede Menge moderne Wandlampen, die ein warmes, aber helles Licht erzeugten. Außer einer Garderobe, einem großen Wandspiegel und einem kleinen Tischchen davor fehlten jeglicher Zierrat, Gemälde und dergleichen.
Auf den ersten Blick schien alles sehr spartanisch eingerichtet, der Kenner jedoch erkannte das Vermögen hinter der Einfachheit. Alle Türen bestanden aus schweren edlen Hölzern mit feinen Schnitzereien aus den Kulturkreisen der Pikten, Nordmänner und Wikinger, die mit viel Liebe zum Detail ausgeführt worden waren. Der Fußboden zeigte ein kompliziertes Mosaik aus äußerst strapazierfähigem, auf Hochglanz poliertem Naturgestein in den Farben Beige bis Dunkelbraun. Mit dem hellen Wandputz stellte die Halle rundum ein Kunstwerk in sich dar.
Elfriede fragte sich gerade, wie alt sowohl das Haus selbst als auch die Inneneinrichtung sein mochten, als William sich räuspernd zu ihr umdrehte. Hatte sie sich zu lange umgeschaut? Auf seinem Gesicht zeigte sich, dass er ihr unverhohlenes Interesse keinesfalls guthieß. Auch aus seinen Worten, die er unversehens an Elfriede richtete, war ein leichter Tadel herauszuhören. „Wenn die Sie sich alles genau angeschaut haben, kann ich Sie ja dann seiner Lordschaft vorstellen. Bitte folgen Sie mir. … Ihr Gepäck können Sie hier stehen lassen.“ Ohne sich nochmals umzublicken, stieg er die Treppe empor.
Seine Lordschaft, äffte sie den Butler im Stillen nach. Keinesfalls nannte sie den Hausherrn seine Lordschaft. Sie dachte gar nicht daran. Also, das konnte ihre Freundin niemals gutmachen. Es grummelte schon wieder in Elfriede. Wo war sie da nur hineingeraten?
Als Inhaberin einer kleinen Galerie hatte Frederike vor Wochen die günstige Gelegenheit gesehen, die Gemäldeausstellung ihrer Träume zu ergattern. Bedauerlicherweise fehlten von zwei Bildern die Gutachten für ihre Versicherung. Was lag da näher, als die beste Freundin aller Zeiten um einen klitzekleinen Gefallen zu bitten. Der entwickelte sich vom ersten Moment an zu einem Albtraum.
McMall wollte die Bilder in seinem Haus begutachten lassen. Warum auch nicht? Sein Haus stand ja nur auf einem Felsen am nördlichsten Zipfel von Schottland. Ein Katzensprung von Berlin aus.
Seit Anbeginn hatte eine Unannehmlichkeit die andere nach sich gezogen. Schlussendlich befand sie sich an diesen Punkt … im Schlepptau eines Butlers aus längst vergangenen Zeiten, der sie offensichtlich nicht mochte.
Tief durchatmend schüttelte sie den Kopf. Sie betrachtete ihren Vordermann näher.
Seine steifen Manieren, sein distanziertes Verhalten, die blitzblank polierten Schuhe, die schwarze Hose mit akkurater Bügelfalte, das Nadelstreifenjackett mit dazu passender silberfarbener Weste und kurzer, breiter Krawatte derselben Farbe wie auch das blütenweiße, frisch gestärkte Hemd … Das alles zeugte wahrlich von einem Butler wie aus dem Buche.
Am obersten Treppenabsatz blieb er unerwartet stehen, und Elfriede wäre um ein Haar in ihn hineingelaufen. Sie konnte es fast nicht glauben, aber seine Mimik war nochmals um eine Nuance härter geworden.
Aus einer der Türen, die einen Spalt offen stand, hörten sie einen heftigen Disput.
Ein heftiger Disput? Wohl eher ein ausgemachter Streit. Krach im Paradies. Elfriede fiel es schwer, bei einer derartigen Begrüßung im Hause seiner Lordschaft ein ernstes Gesicht beizubehalten.
William wandte sich zu ihr um, zuckte kaum merklich mit den Schultern und meinte in einem dennoch sehr gefassten, ruhigen Ton: „Bitte warten Sie hier, Ms. Bauer. Ich werde Sie anmelden.“ Damit lief er den Gang zu besagtem Zimmer hinab, aus dem ein immer lauter werdende Wortwechsel drang.
„Warum denn nicht?! Du weißt doch, wie ich zu dir stehe.“
„Amanda! Du glaubst nur, dass du derartige Gefühle für mich hast. Wir kennen uns schon, seit du ein kleines Mädchen warst. Du bist für mich Familie … eine kleine Schwester. Mehr ist da nicht und mehr wird da auch nicht sein.“
„Du sagst es, wir kennen uns schon so lange. Wir wissen beide um unsere Stärken und Schwächen. Keiner ist sich je so nah gewesen, wie wir es sind. Vielleicht ist es gerade das, was du brauchst. Ich kann damit umgehen. … Ich möchte dein sein, freiwillig und bis dass der Tod uns scheidet, genau so wie es …“
„Verdammt, Amanda! Nein! … Genau das haben andere Frauen schon vor dir behauptet und letztendlich haben sie es kein Jahr mit mir ausgehalten. Sie waren nur hinter dem Titel und dem Geld her.“
„Aber ich bin nicht wie die anderen Frauen. Du kennst mich. Ich werde dich niemals verlassen. … Dugal, ich liebe dich wirklich!“
Die Stimme der Frau war schon gefährlich hoch. Es fehlte vermutlich nur noch ein Satz von ihm und sie würde sich hysterisch schreiend die Haare raufen oder ihm die Augen auskratzen.
Er hingegen lachte laut auf. Kein freundliches Lachen, sondern voller Sarkasmus, Hohn … aber auch Schmerz.
„Mach dir doch nichts vor! Du sagst, du liebst mich?! … Aber nicht wie eine Frau ihren Liebsten! Es tut mir leid, ich liebe dich zumindest nicht so, wie du es als Frau verdienst. Amanda, wenn du nicht auch hinter meinem Geld her bist, hat jeder x-beliebige Mann dir mehr zu bieten als ich. Schau, Jasper van Drühe - er ist dir verfallen. Er würde alles für dich tun, dich auf Händen tragen, dir die Sterne vom Himmel holen und dir alles zu Füßen legen, was dein Herz begehrt. … Ich werde nicht zulassen, dass du dich an mich klammerst und am Ende unglücklich wirst.“
„Aber es macht dir nichts aus, wenn ich ohne dich unglücklich bin?! … Noch ist nicht das letzte Wort gesprochen!“
Die Tür flog vollends auf, noch bevor William sie erreicht hatte. Eine wunderschöne Frau mit wallendem kupferrotem Haar stürmte heraus. Ihre smaragdgrünen Augen funkelten böse. Ihr Teint war vor Aufregung rosa. Sie schaute weder links, noch rechts.
„Amanda, bitte …“
Entsetzt schaute sie William an, als überlegte sie, was er von ihr wollte. Sekundenschnell fasste sie sich wieder, warf im Vorübereilen einen Arm in die Höhe und stieß durch zusammengebissene Zähne hervor: „Nicht jetzt, Vater!“ Sie rauschte an Elfriede vorbei. Im nächsten Augenblick flog irgendwo auf der anderen Seite des Hauses eine Tür mit lautem Knall ins Schloss.
Gleichzeitig verschwand William durch jene Tür, aus der Amanda gekommen war.
Nicht die Lady des Hauses. Kein Paradies. Nur eine verschmähte Frau. Eine wütende verschmähte Frau und zugleich die temperamentvolle Tochter des Butlers. Was hatte Liam gesagt? Diener, Butler und väterlicher Freund von Mr. McMall … Daher seine Worte: Wir kennen uns schon, seit du ein kleines Mädchen warst. Du bist für mich Familie … eine kleine Schwester.
Während Elfriede die Zusammenhänge in diesem Haus zu verstehen begann, vernahm sie die Stimmen der beiden Männer.
Die Tür stand noch immer offen.
Wenn sie noch näher heranging, würde sie auf alle Fälle mehr hören. Sie zog es zwar in Erwägung, aber andererseits … sie stellte nicht gern ihre Neugier so offen zur Schau. Also blieb sie an Ort und Stelle, beugte sich nur leicht nach vorn.
„Mylord …“
„Oh Gott, Will. Nicht schon wieder diese verstaubte Anrede. Wie oft soll ich es dir noch sagen?“
„Sir, die Spencers stehen seit Generationen im Dienste Ihrer Familie und ich weiß, was meine Stellung ist. Dazu gehört auch eine korrekte Anrede meines Herren.“
„Arbeitgeber, Will. Arbeitgeber. … Was kann ich für dich tun? Du bist jetzt nicht etwa wegen Amanda hier?“
Der tiefe Bariton des Hausherrn berührte etwas in Elfriede. Er klang im Gespräch mit William ruhiger, jedoch immer noch genervt und … müde. Mit was musste er sich wohl neben der Familie Spencer … der sich anbietenden Tochter und dem unterwürfigen und dennoch so stolzen Vater … noch herumschlagen? Mit ihr, die nicht wie erwartet, eine alte Jungfer war.
„Keinesfalls, Sir. Ms. Bauer ist soeben angekommen.“
„Oh Will, zeig ihr ihr Zimmer und dann gib Oliver Bescheid. Er wird sich um die Dame kümmern.“
„Mit Verlaub, Sir, aber ich glaube, Sie sollten die Lady persönlich empfangen. Sie …“
„Ist gut, Will. Bitte Ms. Bauer ...“ Eine kurze Pause entstand. „Wie dem auch sei, bitte Ms. Bauer herein.“
Kurz darauf erschien William in der Tür. „Ms. Bauer, seine Lordschaft empfängt Sie jetzt.“ Ganz der Butler. „Sir … Ms. Bauer.“
Bei dieser Ankündigung ihrer Person fiel es ihr schwer, nicht laut aufzulachen. Dennoch schlug ihr das Herz vor Aufregung bis zum Hals hinauf. Automatisch zog sie ihre Schultern zurück, hob den Kopf und schob das Kinn vor.
Elfriede trat an William vorbei.
Die sorgfältig zurechtgelegten Worte blieben unausgesprochen. Alles Blut verließ ihren Kopf und ihr Innenleben wollte sich verknoten. Ihr stockte der Atem. Die Zeit stand still. Ein Déjà-vu.
Genau dieses Bild, welches sich ihr bot, hatte sie schon einmal gesehen.
Das Arbeitszimmer mit zwei Fenstern über Eck mit Blick auf das Meer; ein dunkelbraunes robustes Bücherregal links an der Wand; ein halbhohes Möbelstück mit Schubfach- und Vitrinenteil; eine kleine Raucherecke sowie ein riesiger Schreibtisch. Alles aus einem Material und nach der gleichen Machart gefertigt.
Ein Mann - mit breiten Schultern, gekleidet in ein weißes Hemd; kastanienbraunes Haar, kalte silbergrüne Augen, eine gerade schmale Nase, hohe Wangenknochen, ein eckiges Kinn und zusammengekniffene Lippen …
Ein Mann ohne Gefühl, ohne Wärme … pure Kraft und Macht.
Dugal MacNjal – Selbstbildnis im Arbeitszimmer.
Der Mann aus ihren Träumen.