Читать книгу 5 lange und 7 kurze Krimis - A. F. Morland - Страница 20
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Оглавление„Sehen Sie“, sagte Dr. Hamilton zu seinen beiden Mitarbeitern, „das ist die typische Reaktion: sie schläft. Flucht in den Schlaf, totaler Zusammenbruch des Willens, Resignation.“
Sie standen zu dritt vor der schlafenden Helen Teflin, die zwar einen friedlichen, aber doch sehr veränderten Anblick bot. Ihr Haar war stark gekürzt, das Gesicht wirkte fleckig, die Wangen waren eingefallen. Sie trug ein graues, sehr unansehnliches Leinenhemd, das einem Sack ähnlicher war als einem Bekleidungsstück.
„Sie hat seit zwei Tagen nichts gegessen, und davor ja auch nicht. Aber wir haben die künstliche Ernährung mit dem Schlauch abgesetzt, weil sie neulich den Pflegerinnen alles über die Kleidung erbrochen hat“, sagte einer der beiden Ärzte. „Herr Chefarzt, ich weiß nicht, aber mir kommt das Verhalten dieser Patientin doch nicht typisch vor.“
Dr. Lyser machte ein besorgtes Gesicht. Er war erst siebenundzwanzig, arbeitete seit vier Monaten in dieser Anstalt, und hier musste er wenigstens noch ein Jahr als Assistent bleiben, damit er ein brauchbares Zeugnis bekam, das ihm vielleicht anderswo zu einer Stationsarzt-Stelle half. Aber mit seiner eben getroffenen Feststellung war er weit von einem brauchbaren Zeugnis entfernt. Dr. Hamilton verfärbte sich richtig, dann erwiderte er mühsam beherrscht: „Untypisch sagen Sie? Gerade diese Patientin benimmt sich absolut symptomatisch. Aber absolut, mein lieber Lyser! Und nun möchte ich solche Stirnwände gar nicht mehr hören. — Wenn sie sich weiter ruhig verhält ...“
„Herr Chefarzt, erlauben Sie mir eine Bemerkung“, unterbrach ihn Dr. Lyser. „Sie spricht absolut normal. Ich meine, wir haben es doch nicht mit Paranoia zu tun. Und es ist auch nicht nur eine Phase des Normalverhaltens. Sie verhält sich bei Bewegungen, die ich mit ihr im Test ausgeführt habe, wie wir das üblicherweise immer hier machen, normal. Sie hat den Test absolut negativ bestanden. Ich äußere meine Feststellungen in Sorge und einer Gewissensnot. Sie beteuert auch immerzu, hierher verschleppt worden zu sein, spricht von einem Komplott irgendeiner Firma Deburo. Herr Chefarzt, sollten wir nicht alle Untersuchungen noch einmal von vorn durchführen? Ich habe Zweifel, dass ...“
Dr. Hamilton schnappte erst nach Luft, dann bellte er los: „Na, das sind mir ja schöne Worte! Kommen Sie sofort hier heraus! Dann werde ich Ihnen mal was sagen!“
Aber der kurze Weg bis ins Büro Hamiltons hatte den Chefarzt dann doch ein wenig zur Besinnung gebracht, und als sie dort angelangt waren, sah er Dr. Lyser gesenkten Hauptes über die Brillengläser hinweg an, schnaufte durch die Nase und sagte schroff: „Erfahrung, mein lieber Lyser, das ist etwas, was Universitäten nicht vermitteln können. Erfahrung steht nicht in Lehrbüchern. Aber man kann sie erwerben, in Jahren der Praxis. — Diese Frau leidet unter einem Zwang. Und deshalb ist sie ja hier. Eine Journalistin, die in dem Wahn lebt, eine Firma, und das ist hier diese Fabrik Deburo, fertige schlechte Maschinen. Sie schreibt ohne jeden Halt, ohne Grund, ohne den geringsten stichhaltigen Beweis einfach verleumderische Dinge, behauptet Sachen, die jeder, aber auch der geringsten Grundlage entbehren. Sie verrennt sich in diese Geschichte, steigert sich in dieses Gespinne hinein. Und das, glauben Sie, sei normales Verhalten?“
Dr. Lyser wurde ein wenig blass. Aber das Beste kam noch.
Hamilton lächelte versöhnlich, legte dem jüngeren Kollegen die Hand auf die Schulter wie ein Vater und sagte jovial: „Ich verstehe Ihren Eifer, aber er rennt in die falsche Richtung. Und wenn ich nun ein verständnisloser Mann wäre, der nicht selbst einmal in seiner Jugend mit dem Kopf durch die Wand gewollt hätte, so würde ich Ihnen Ihre Worte womöglich übel vermerken, ja, könnte das vielleicht sehr negativ in die Konduite eintragen, die ja immerhin bei Ihrem Weggang das Zeugnis bestimmt, von dem wiederum es abhängt, ob Sie irgendwo an einem winzigen Landkrankenhaus als Nummer zehn arbeiten oder eine Stellung in einem der großen Häuser in wirklich Ihrem Wissen und Können angepasster Form finden. Ich denke da zum Beispiel an meinen Freund und Kollegen Professor Baekker in Milwaukee, der ein Haus leitet, das Weltgeltung hat. Dort Stationsarzt gewesen zu sein, prädestiniert Sie in New York automatisch in jeder Klinik unseres Genres zum Oberarzt, ja vielleicht anderswo gleich zum Chef. — Aber nun wollen wir unsere Arbeit tun und diese ganze Diskussion rasch vergessen“, fügte er lächelnd hinzu.
Er sah sie beide an. Der eine nickte gleich. Dr. Lyser zögerte noch und sagte dann nicht ganz so überschwänglich, wie das Hamilton offenbar erwartet hatte: „In Ordnung, Herr Chefarzt.“
Als die beiden Assistenten hinaus waren, überlegte sich Hamilton, ob es nicht doch besser gewesen wäre, Oberarzt und Stationsarzt mit der Betreuung von Helen Teflin beauftragt zu haben. Bei längerem Nachdenken bereute er allgemein, sich auf diese Geschichte eingelassen zu haben. Plötzlich erfüllte ihn Angst und Sorge, es könnte etwas schiefgehen. Und während er noch versuchte, seine düsteren Gedanken zu verscheuchen, meldete ihm seine Pinup Sekretärin einen Anruf. Er übernahm das Gespräch. Es war sein alter Bekannter Zlanabitnik.
Mürrisch sagte Hamilton: „Was gibt es schon wieder?“ Er sah in Zlanabitnik den Mann, der ihm das alles eingebrockt hatte und überlegte, wie er sich aus dieser Geschichte wieder herausmogeln könnte.
„Hören Sie, Joe, ich muss Ihnen da ein paar Männer schicken“, begann Zlanabitnik. „Im Übrigen will ich gleich vorausschicken, dass Sie es in Zukunft mit Jim Jancton zu tun haben.“
„Wer ist das?“
„Ein sehr bedeutender Mann, Joe. Tun Sie, was er sagt, und Sie brauchen sich um gar nichts mehr Sorge zu machen. — Haben Sie noch Polizei im Haus?“
„Zwei Beamte sind im Garten, einer vor der Tür. Es dürften ruhig mehr sein.“
„Warum?“
„Falls jemand diese Person befreien will. Sie hat es einmal angedroht, dass sie mächtige Freunde hätte.“
„Keine Sorge. Deshalb schicken wir Ihnen ja Jim Jancton und seine Leute. Die haben schon heiklere Sachen erledigt.“
„Gangster?“
„Aber, Joe! Das sind doch keine Gangster. Das sind Männer, die für Geld ein Objekt schützen, und diesmal ist das Objekt ein Mensch.“
Hamilton wollte schon sagen, dass er Kummer mit Dr. Lyser hätte, aber dann unterließ er es, weil er sich sagte, das würde ihm selbst womöglich nur Ärger bei Zlanabitnik eintragen.
„Joe, wir schicken Ihnen in ein paar Minuten Sinclair, den Sie kennen, und Poweridge. Jancton kommt sicherlich auch vorbei. Aber er meldet sich vorher an. Können wir Sinclair nicht ins Zimmer von der Teflin lassen?“
„Ausgeschlossen! Das fällt der letzten Schwester auf. Unmöglich!“
„Also gut, dann auf dem Gang. Vielleicht habt ihr ein abgelegenes Zimmer oder so?“
„Das hat sie schon. — Noch etwas?“, fragte Hamilton missvergnügt.
„Ja, noch etwas. Es wäre uns recht, wenn Sie nicht mehr allein im Wagen fahren oder allein irgendwohin gehen. Es gibt Leute, die nur darauf warten, Joe.“
„Soll ich vielleicht einen Leibwächter ...“
„Genau. Und wir haben Ihnen einen beschafft. Sinclair wird Ihnen davon berichten. — Bis später, Joe! Halten Sie sich wacker!“
Hamilton legte auf und wischte sich über die Stirn.
„Auch das noch!“, murmelte er, und die Zukunft kam ihm mit einem Mal sehr düster vor. Doch dann regte sich in ihm Widerspruch. Nein, dachte er, ich gebe nicht auf! Ich wehre mich. Und ich muss einen Weg suchen, um mich aus der Affäre zu ziehen, mich, nicht andere. Ich gebe dieser Teflin eine Injektion Renetio. Sie wird Zwangsvorstellungen bekommen. Lyser muss sich das ansehen, und wenn ich ihn auf der Seite habe, ist alles klar. Nein, ich muss die Diagnose festigen. Das ist es. Alles andere ist dann etwas, das uns nichts angeht. Und niemand darf von der Injektion erfahren. Ich muss das ganz allein machen. Am besten heute Nacht ...