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Am nächsten Morgen fanden wir uns zu unserer regelmäßigen Besprechung bei Mister McKee ein. An neuen Erkenntnissen lag noch nicht sehr viel vor. Das Gangmitglied, das versucht hatte, mich im Hinterhof umzubringen und später an den Folgen der Verwundungen, die der Mann während seines Schusswechsels mit zwei Kollegen des NYPD erlitten hatte, ums Leben gekommen war, hieß Astley Jackson und war mehrfach wegen einschlägiger Delikte vorbestraft. Allerdings hatte er es in den letzten Jahren vermieden, erwischt zu werden. Vielleicht hatten die BRONX DEVILS ihre Straßenzüge auch einfach nur so gut im Griff, dass keine Anklage mehr zu Stande gekommen war. Umso mehr wurde es Zeit, dass diese Zustände endlich beendet wurden. Aber das war leichter gesagt als getan. Immer dann, wenn es einige zur Aussage bereiten Zeugen gab, wurde es vor Gericht schwierig.

„Ich habe eben eine vorläufige Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse aus den Labors der SRD erhalten“, berichtete Mister McKee und blickte dabei auf einen Computerausdruck. „Es geht dabei insbesondere um den Wagen und die darin gefundenen und verwertbaren Spuren. Erstes Resultat: Es handelt sich tatsächlich um den gesuchten BMW, der an der Transverse Road No. 1 als Fluchtfahrzeug verwendet wurde. Das gesicherte Reifenprofil stimmt einwandfrei überein. Zweites Ergebnis: Der Fahrersitz war so eingestellt, dass wir annehmen müssen, dass der Wagen zuletzt von jemandem gefahren wurde der mindestens ein Meter neunzig, vielleicht sogar größer war. Seine ungefähre Schuhgröße haben wir auch durch einen feuchten Abdruck. Sie beträgt 44 der 45.“

„Tja, man sollte die Gangster verpflichten, ihre Verbrechen jetzt nur noch bei Regenwetter zu begehen. Das erleichtert doch manches!“, konnte sich unser Innendienstler Max Carter eine Bemerkung nicht verkneifen.

Von Mister McKee erntete er dafür jedoch nur einen missbilligenden Blick. Unser Chef fand das ganz und gar nicht lustig.

„Schon gut, Sir“, murmelte Max.

Mister McKee fuhr ohne auf diese Sache noch einmal einzugehen fort: „Die sichergestellte Blutprobe ist noch nicht mit den Genproben aller Familienmitglieder und Bekannten des rechtmäßigen Besitzers abgeglichen worden, sodass wir nach wie vor nicht wissen, ob sie von einem Täter stammt oder nicht. Das kann sich wohl auch noch bis in die nächste Woche hinziehen, denn der Schwiegervater des Besitzers benutzt den Wagen auch ab und zu und ist derzeit auf einer Ferienreise nach Acapulco. Er kommt erst Ende nächster Woche zurück. Aber dafür konnte ein aufgefundenes Haar bereits identifiziert werden. Es stammt von einem Hund, aber weder in der Familie des Eigentümers noch bei seinen Bekannten gibt es Hundebesitzer.“

„Was soll das heißen?“, fragte Milo. „Dass ein Hund mit im Wagen war?“

„Nein, das ist so gut wie ausgeschlossen, weil dann sehr viel mehr Haare zurückgeblieben wären. Dr. Strencioch von der SRD denkt, dass sich das Haar am Hosenbein eines Menschen befand, der Hundebesitzer ist oder häufigen Umgang mit Hunden hat. Genauere Untersuchungen folgen noch. Im Übrigen wurde das Hundehaar dem Fundort nach wohl durch den Beifahrer hineingetragen.“

„Mit anderen Worten: Wir suchen einen über ein Meter neunzig großen Kerl mit großen Füßen und einen Hundefreund“, fasste ich zusammen.

„Ich gebe zu, dass wir schon bessere Täterbeschreibungen hatten – aber das ist immerhin ein Anfang.“

Max Carter schaute in seinen Unterlagen herum und fand schließlich, wonach er gesucht hatte. „Auf Dustin Jennings treffen die Merkmale des Fahrers zu“, stellte er dann fest. „Er ist 1,91 m groß und trägt Schuhe der Größe 45, wie bei seiner erkennungsdienstlichen Behandlung festgestellt wurde.“

„Das wird unsere nächste Aufgabe sein: Jennings dingfest zu machen. Es läuft eine Großfahndung nach ihm. Er kann das Land nicht verlassen und es wird sehr schwer für ihn werden, sich auf die Schnelle neue Papiere zu besorgen! Dazu hat der Fall um die Ermordung Longorias einfach zu viel Wirbel gemacht.“

„Sie haben Recht, da wird sich niemand in die Nesseln setzen wollen, indem er Jennings hilft. Aber ich persönlich glaube gar nicht, dass er die Bronx verlassen wird.“

„Stimmt, solange seine Gang zu ihm hält, hat er dort wahrscheinlich wenig zu befürchten und wir können monatelang die Nadel im Heuhaufen suchen, während er von einem Versteck zum anderen pendelt!“, glaubte Clive Caravaggio. Der Italoamerikaner nippte an seinem Kaffeebecher und stellte ihn dann auf den Tisch.

„Heute Nachmittag ist jedenfalls erst einmal Ihr Erscheinen auf dem St. Joseph’s Cemetery in Riverdale gefragt“, eröffnete und Mister McKee. „Staatsanwalt Longoria wird dort zu Grabe getragen. Wir haben lange und gut mit ihm zusammengearbeitet und ich denke, es wäre angemessen, wenn sich unser Field Office dort in ansehnlicher Stärke zeigt. Dass ein dunkler Anzug mit entsprechender Krawatte Pflicht ist, brauche ich Ihnen ja wohl nicht näher zu erläutern.“ Mister McKee trank nun auch seinen Kaffee leer und blickte dann in die Runde. „Davon abgesehen ist es immer ganz interessant zu sehen, wer sich auf so einer Beerdigung alles zeigt. Im Moment deutet zwar vieles darauf hin, dass Longorias Tod mit diesen Gangs in der Bronx zusammenhängt, aber wir sollten andere Spuren nicht völlig außer Acht lassen. Eine davon dürfte sich übrigens erledigt haben.“

„Wovon sprechen Sie jetzt, Mister McKee?“, fragte ich.

„Von Jason Carlito. Sie erinnern sich: Longoria sorgte für seine Verurteilung wegen Mordes, aber später stellte sich auf Grund verbesserter Methoden zur DNA-Methoden seine Unschuld heraus.“ Eine tiefe Furche erschien auf Mister McKees Gesicht. „Leslie und Jay sind der Sache nachgegangen. Carlito wurde während der Haft drogensüchtig, benutzte ein infiziertes Besteck und war seitdem mit HIV infiziert.“

„War?“, echote ich.

Mister McKee nickte. „Gestern Abend rief mich Robert Thornton an, der bis zur Wahl eines Nachfolgers Longorias Abteilung kommissarisch leitet. Bei ihm hat sich Carlitos Frau gemeldet. Carlito ist gestern an den Folgen seiner Aids-Erkrankung gestorben. Auch wenn er es nach außen wohl ziemlich gut kaschieren konnte, wurde bei ihm schon vor längerer Zeit das Vollbild der Krankheit diagnostiziert. Mrs Carlito macht die Staatsanwaltschaft für den Tod ihres Mannes verantwortlich.“

„Wer ist schon ohne Fehler?“, meinte Milo. „Wir können nur so gut und sorgfältig wie möglich unsere Arbeit machen und versuchen, nicht betriebsblind zu werden. Aber es ist niemals ausgeschlossen, dass man sich schlicht und ergreifend geirrt hat, sodass ein Unschuldiger hinter Gitter kommt!“

„Aber das Beispiel von Mister Carlito sollte uns allen zeigen, dass man auch die kleinsten Indizien und leisesten Zweifel nicht einfach ignorieren darf, nur weil man den Fall abschließen möchte oder auf Grund von Vorurteilen von der Schuld des Täters überzeugt ist“, ergänzte Mister McKee.

Dem konnte niemand von uns ernsthaft widersprechen.

Wenig später, als wir im Korridor auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Dienstzimmer waren, raunte Milo mir zu: „Dafür, dass Mister McKee sich eigentlich weitgehend aus dem Fall heraushalten wollte, hängt er sich für meinen Geschmack aber ziemlich in die Sache hinein!“

„Professionelle Distanz ist halt immer ein schwieriges Kapitel“, erwiderte ich.

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