Читать книгу Mit Killern muss man teilen: Thriller Sammelband 11 Krimis - A. F. Morland - Страница 85
Оглавление22
Gegen 14.00 Uhr fanden wir uns auf dem St. Joseph's Cemetery in Riverdale ein und mischten uns unter die große, fast unüberschaubare Gruppe der Trauernden, die James Longoria das letzte Geleit geben wollten. Nur ein Bruchteil von ihnen fand in der kleinen Kapelle Platz.
Das NYPD hatte fast fünfzig Beamten bereitgestellt, die für Sicherheit sorgen sollten. Aber das Interesse der New Yorker am Begräbnis Longorias hatten die zuständigen Einsatzleiter augenscheinlich unterschätzt.
An eine Durchsuchung der Trauernden nach Waffen oder dergleichen war schon angesichts der Menge gar nicht zu denken. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass man es sich bei den Kollegen der City Police anscheinend doch noch anders überlegte und eine Verstärkung von 25 Mann schickte.
Robert Thornton, der stellvertretende Staatsanwalt, war ebenfalls anwesend. Er hatte Longorias Weg lange begleitet und war mit ihm zusammen aufgestiegen. Jetzt füllte er kommissarisch das Amt des Verstorbenen aus und man gab Thornton auch gute Chancen, die anstehende Wahl eines Nachfolgers zu gewinnen. Die Tatsache, dass man ihn mit der Geradlinigkeit und Härte des Verstorbenen James Longoria identifizierte und er immer als dessen treuer Paladin gegolten hatte, würde ihm nun wohl zu gute kommen.
Thornton hielt sich in der Nähe der schwarz gekleideten Witwe auf, die in Begleitung von Miles Buchanan an der Trauerfeierlichkeit teilnahm. Mrs Longorias Gesicht war durch einen schwarzen Netzschleier verdeckt. Buchanan wirkte etwas nervös, wobei mir nicht ganz klar war, was dafür die Ursache sein mochte.
Longoria war italienischer Abstammung und so hatte eigentlich jeder damit gerechnet, dass die Feier nach katholischem Ritus durchgeführt werden würde.
Das war aber nicht der Fall.
Von Mister McKee erfuhr ich, dass Longorias Mutter eine strenggläubige Methodistin gewesen war und in der Familie in Glaubenssachen das Sagen gehabt hatte.
Der Sarg wurde nach der Feier in der Kapelle hinaus auf den Friedhof getragen und in die Grube gesenkt.
Nacheinander traten die engeren Verwandten und Bekannten ans Grab, warfen dem Verstorbenen ein paar Rosen nach und etwas Erde hinterher.
Die Masse schaute schweigend zu. Ein Posaunenchor spielte ein Kirchenlied. Der methodistische Pfarrer stand mit ziemlich versteinertem Gesicht daneben.
Eine Frau fiel mir auf. Sie hatte drei weiße Nelken in ihrer rechten Hand und drängelte sich vergleichsweise rabiat zwischen den Trauergästen hindurch.
Zunächst wurde niemand auf sie aufmerksam. Ihr Gesicht war im Schatten der Kapuze eines Dufflecoats verborgen.
Dann hatte sie es endlich geschafft, sich bis zum Grab vorzumogeln.
Sie trat vor, warf die Blumen in die Höhe, so dass sie sich zerstreuten und zumeist auf dem Erdhaufen neben dem Grab landeten. „James Longoria war ein Mörder!“, rief sie. „Er hat meinen Mann umgebracht und kein Gericht hat das je geahndet!“
Mir fiel auf, dass sie dauernd eine Hand durch die Öffnung zwischen den Knöpfen ihres Mantels steckte und darunter verbarg.
„Das ist Mrs Carlito!“, meinte unser Kollege Jay Kronburg, der in unserer Nähe stand und sie im Rahmen unserer Ermittlungen ja persönlich kennen gelernt hatte. „Was hat die vor?“
„Wollen wir hoffen, dass sie nur etwas Dampf ablassen will!“, raunte Orry.
„Da müssen wir eingreifen!“, entschied Mister McKee. „Aber Vorsicht, die Frau könnte eine Waffe unter dem Mantel tragen.“
Ich drängelte mich jetzt ebenfalls nach vorn. Einige der Polizisten waren auch schon nervös geworden, aber sie schienen unschlüssig darüber zu sein, in welcher Form man hier eingreifen und die Störerin entfernen konnte, ohne die gesamte Trauerfeier platzen zu lassen.
„Richtet nicht, auf das ihr nicht gerichtet werdet, so steht es in der Bibel, aber das war für Longoria nicht maßgeblich. Dieser eitle und selbstgerechte Mann wäre am liebsten wohl Richter, Staatsanwalt und Henker in einer Person gewesen. Es gefiel ihm, für andere Menschen Schicksal spielen zu können! Bei meinem Mann hat er das getan! Jason Carlito! Merken Sie sich diesen Namen. Er ist nur einer auf einer ganzen Liste von Menschen, die durch diesen so genannten Staatsanwalt zu Grunde gerichtet wurden – einen Mann, der für seine Karriere alles getan hätte! Ihm war die Wahrheit doch gleichgültig! Hauptsache er hatte Erfolge vorzuweisen und konnte für die nächsten Wahlen Punkte machen! Was mit denen geschah, deren Leben er leichtfertig zerstörte, das war ihm völlig gleichgültig. James Longoria hatte kein Gewissen! Nur den absoluten Willen, vor Gericht zu siegen und die Jury mit seinen Angst machenden Phrasen einzulullen! An die widerlichsten Instinkte eines Lynchmobs hat er dabei appelliert! Und jetzt - jetzt ist er selbst gerichtet worden. Halleluja!“
Mrs Carlito kicherte irre.
Vielleicht hatte sie irgendetwas genommen, um genug Mut für diesen Auftritt aufzubringen.
Die Kamerateams mehrerer lokaler und zumindest eines überregionalen Senders hielten voll drauf. Mrs Carlito hatte wahrscheinlich genau das bekommen was sie wollte. Einen großen Auftritt...
Vorausgesetzt, das war wirklich das Einzige, was sie erreichen wollte.
„FBI, lassen Sie mich durch!“, forderte ich von ein paar Trauernden, die ziemlich perplex waren und wie zu Salzsäulen erstarrt im Weg standen.
„Ich mach das!“, rief Jay Kronburg mir ins Ohr. „Ich kenne Sie schließlich persönlich!“
„Ich hoffe, dass das etwas nützt, Jay!“
„Lass mich vorbei!“
Er drängelte sich an mir vorbei und machte dann einen Schritt auf Mrs Carlito zu.
Diese fuhr in ihren hasserfüllten Tiraden auf James Longoria fort.
„Mrs Carlito! Erkennen Sie mich wieder? Wir haben vor kurzem miteinander gesprochen! Ich bin Agent Jay Kronburg vom FBI Field Office New York!“
Sie machte eine ruckartige Bewegung und riss ihre Hand unter dem Mantel hervor. In ihrer Faust hielt sie einen kurzläufigen Revolver vom Kaliber .38 der Firma Smith & Wesson, wie er früher die Standardwaffe sowohl beim FBI als auch bei den meisten anderen New Yorker Polizeieinheiten gewesen war.
Sie richtete die Waffe auf Jay.
„Bleiben Sie stehen! Sie wollen mich doch nur austricksen!“
„Bitte, Mrs Carlito! Legen Sie die Waffe auf den Boden, sonst geschieht noch ein Unglück!“
„Das Unglück ist längst geschehen!“, rief sie.
Einer der NYPD-Beamten versuchte sich von der anderen Seite zu nähern.
Mrs Carlito feuerte in die Luft. Ein Raunen ging durch die Menge. Teilweise stoben die Gäste ein paar Schritte zurück, andere duckten sich, um etwas mehr Deckung zu haben.
Mrs Carlito streifte die Kapuze ihres Dufflecoats zurück und ließ den Blick schweifen, so als würde sie etwas suchen.
Oder jemanden, wie mir schlagartig bewusst wurde.
Und dann begriff ich.
Ich stürzte nach vorn, drängte rücksichtslos die im Weg stehenden Trauergäste zur Seite. Ein Raunen ging durch die Menge. Ich hechtete mich auf den stellvertretenden Staatsanwalt Robert Thornton und warf ihn zur Seite. Ein Schuss krachte aus Mrs Carlitos Waffe und ging an uns vorbei in den Boden. Mrs Carlito war einen Moment wie erstarrt. Diesen Augenblick nutzte Jay Kronburg. Er sprang hinzu, hielt sie fest und entwand ihr den 38er.
„Ganz ruhig, Mrs Carlito. Ganz ruhig...“, versuchte Jay Kronburg ihre seelische Verfassung etwas herunterzukühlen. Zuerst wehrte sie sich, dann gab sie ihren Widerstand auf. Sie atmete heftig, rang förmlich nach Luft und wurde schließlich von zwei NYPD-Kollegen abgeführt.
Robert Thornton erhob sich.
Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich den Dreck von dem braunen Kaschmir-Mantel. Das Entsetzen stand ihm noch ins Gesicht geschrieben. Der Schuss, den Mrs Carlito abgegeben hatte, war nur sehr knapp an ihm vorbei gegangen. Dass ansonsten niemand dadurch verletzt worden war, glich einem kleinen Wunder.
„Ich danke Ihnen, Agent Trevellian!“, wandte er sich an mich. Wir kannten uns flüchtig durch die Zusammenarbeit bei verschiedenen Ermittlungen. „Die Frau wollte mich umbringen! Haben Sie mal überlegt, ob sie vielleicht nicht auch Longoria umgebracht haben könnte?“
„Sie selbst wohl kaum“, sagte ich. „Und als Fahrerin des Wagens kommt sie aus anatomischen Gründen auch nicht in Frage, wie wir seit heute wissen.“
„Aber als Auftraggeberin! Vielleicht hat das Ganze ja doch nichts mit diesen Gang-Kriegen in der Bronx zu tun. Ich persönlich verfolge die Ermittlungen Ihres Field Office aus verständlichen Gründen sehr intensiv, aber ich frage mich, ob Sie wirklich den Richtigen auf der Spur sind, oder ob es Ihnen nur darum geht, ein paar schlimme Gangkrieger aus dem Verkehr zu ziehen! Nichts dagegen, aber vergessen Sie nicht, dass der Mörder von Staatsanwalt Longoria vielleicht aus einer ganz anderen Ecke kommen könnte!“
„Hauptsache, Ihnen ist nichts passiert, Mister Thornton“, mischte sich jetzt Mister McKee ein. Er hatte offensichtlich keine Lust, mit Robert Thornton die neuesten Ermittlungsergebnisse zu besprechen. Im Übrigen hatte Thornton jederzeit die Möglichkeit, direkt mit Jack Strencioch von der Scientific Research Division in der Bronx Kontakt aufzunehmen und sich über den Stand der Dinge zu informieren.
Thornton atmete tief durch.
Er strich sich noch ein paar Krümel Erde vom Mantel und ging dann davon.
„Ich finde, ein bisschen mehr Dankbarkeit kann man schon erwarten, wenn man gerade in letzter Sekunde vor einer Kugel gerettet wurde!“, meinte Milo. „Fehlt eigentlich nur noch, dass er seinen Mantel auf deine Kosten reinigen lässt, Jesse. Das würde jedenfalls zu ihm passen.“
„Thornton steht momentan unter sehr großer Belastung“, versuchte Mister McKee, der Milos Worte mitbekommen hatte, ihn zu entschuldigen. „Seit dem Tod von James Longoria ist der Focus der Öffentlichkeit auf ihn gerichtet und jeder Schritt – gerade auch jeder falsche! - wird genüsslich in den Medien breitgetreten. Das ist nicht so einfach für einen Mann, der jahrzehntelang in der zweiten Reihe stand und sich darauf verlassen konnte, dass jemand wie Longoria mit seinem breiten Kreuz vor ihm stand und die Giftpfeile der Kritiker auf sich zog.“
„Wenn er wirklich Longorias Nachfolger werden will, dann muss er dass noch lernen“, lautete mein Kommentar dazu.