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Eine Stunde später begegnete Dr. Torben Lorentz dem Grünwalder Arzt auf der Frauenstation. Sven Kayser hatte eine Patientin mit grippeähnlichen Symptomen nach einem Zeckenstich zur Beobachtung in die Seeberg-Klinik eingewiesen.

„Zecken“, sagte Dr. Lorentz mit gerümpfter Nase. „Ich kann diese Viecher nicht ausstehen.“ Er schüttelte sich. „Diese Mini-Vampire lauern verborgen in Unterholz und Gebüsch, um dann bei arglos vorbeispazierenden Opfern zum Angriff zu blasen.“

Sven nickte. „Sie nutzen für ihre Attacken ein ausgeklügeltes Ortungssystem, erkennen, an Halmen hängend, frühzeitig Wärme, chemische Reize und Erschütterungen – und hat die Zecke es erst mal geschafft, auf ihren neuen Wirt zu gelangen, krallt sie sich an Kleidung oder Haaren fest und bahnt sich zügig den Weg auf eine geeignete Hautpartie.“

„Und nach all der Mühe hat das Biest natürlich einen unstillbaren Durst“, fuhr Torben fort. „Gerade mal vier Millimetergroß sind sie, nachdem sie sich aber am Lebenssaft des Gastgebers tüchtig gelabt haben, können sie bis zur Größe einer Weintraube anschwellen.“

Der junge Chirurg presste die Kiefer zusammen. „Das Fatale an der Geschichte ist, dass die Zecke bei dieser unfreiwilligen Blutspende nicht nur nimmt, sondern auch gibt. Viele Zecken sind mit Krankheitserregern infiziert, die beim Stich in die Blutbahn des Wirts gelangen können und gefährliche Infektionskrankheiten verursachen.“

„Wie zum Beispiel die Lyme-Borreliose“, pflichtete Dr. Kayser seinem Kollegen bei. „Nach Schätzungen treten allein in Deutschland bis zu achtzigtausend Fälle im Jahr auf – mit einer noch höheren Dunkelziffer. Deshalb rate ich meinen Patienten, sich nach jedem Waldspaziergang gründlich nach Zecken abzusuchen und den Winzling möglichst nah an der Hautoberfläche mit einer Zecken-Pinzette abzudrehen.“

„Wenn diese Biester erst mal in der Haut stecken, kommen die Leute auf die verrücktesten Ideen“, sagte Torben Lorentz. „Sie beschmieren sie mit einem Kleber, beträufeln sie mit Öl, betupfen sie mit Nagellack, ohne zu wissen , dass die Zecke im Todeskampf erst recht Krankheitserreger freisetzt.“ Er zog die Augenbrauen zusammen und brummte: „Sprechen wir über etwas Erfreulicheres, okay?“

Dr. Kayser nickte und fragte: „Wie geht es dem werdenden Vater denn so?“

Torben lächelte. „Der ist ohne Beschwerden.“

„Die Seebergs haben sich wieder telefonisch bei mir gemeldet“, berichtete Sven Kayser.

„Wo sind sie zur Zeit?“, wollte Torben Lorentz wissen.

„In San Francisco.“

„Und wie gefällt es ihnen da?“

„Sehr gut. Die Stadt ist ja auch wunderschön.“ Sven wies kurz mit dem Daumen über die Schulter. „Ich wollte mich vorhin mit Nicola unterhalten, aber sie hatte leider überhaupt keine Zeit.“

Torben Lorentz’ Blick verdunkelte sich.

„Ist irgend etwas nicht in Ordnung?“, fragte Sven Kayser sofort.

„Ich weiß es nicht.“ Dr. Lorentz zuckte mit den Schultern. „Es wird wohl nichts zu bedeuten haben.“

„Hat Nicola ein gesundheitliches Problem?“, erkundigte sich Dr. Kayser besorgt.

Torben schüttelte den Kopf. „Es geht ihr gut. Sie fühlt sich körperlich wohl. Aber … Sie hat sich in den letzten Tagen verändert.“

„Wie – verändert?“

„Sie ist nicht mehr so fröhlich und unbeschwert wie zuvor“, sagte Torben. „Manchmal kommt sie mir so vor, als würde sie eine unsichtbare Last mit sich herumtragen, aber sie spricht mit mir nicht darüber, und sie ist seit Kurzem ziemlich verschlossen.“

„Ich denke, daran ist die Schwangerschaft schuld“, meinte Sven Kayser. „Du bist Arzt. Du weißt das. Wenn eine Frau Mutter wird, geht es in ihr eine Zeitlang drunter und drüber. Nicht jede verkraftet diese umfassenden Umstellungen gleich gut, aber ich bin zuversichtlich, dass Nicola dieses Tief in einigen Wochen überwunden hat, und dann wird sie auch wieder gut gelaunt und heiter sein.“

Ärzte und Schicksale Auswahlband 8010 - 8 Romane: Manchmal kommt das Glück ganz unverhofft

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