Читать книгу Mörderische 13 Urlaubs-Krimis auf 1600 Seiten - A. F. Morland - Страница 60
Sonntag, 15. Juni
ОглавлениеRudi riss seinen Chef Paul Fichte um neun Uhr aus dem schönsten Sonntagsschlaf und beichtete. Fichte war nicht erfreut, meinte aber, das ließe sich alles reparieren, Hauptsache, der Zeugin war nichts passiert.
„Nein, kein Härchen gekrümmt.“
„Aber wie haben die euch so rasch wiedergefunden?“
Beide sinnierten, dann hatte Fichte eine scheußliche Idee, scheußlich, weil sie richtig sein konnte. „Die haben euch doch in der 'Erbsensuppe' besucht?“
„Ja, und sogar in Isa Handtasche einen Peilsender hinterlassen.“
„Dann hat mit Sicherheit jemand das Haus beobachtet, als ihr losgefahren seid. Du bist mit deinem Privatwagen unterwegs?“
„Ja.“
„Mit Wiesbadener Kennzeichen?“
„Ja.“
„Den fährst du immer noch?“
„Ja.“
„WI unter BN, das fällt auf.“
Rudi sagte nichts. Der Zufall konnte ein sehr hilfreicher, aber auch sehr heimtückischer Kollege sein, der überhaupt nicht half, sondern im Gegenteil mächtig schadete. Und Isa hatte ihn gewarnt, die Organisation Utom und die mit Utom zusammenarbeitende Organisierte Kriminalität hatte überall ihre Leute, warum nicht auch in der ehemaligen Bundeshauptstadt? Rudi brauchte einen Leihwagen und musste seinen braven Sandfarbenen vorerst in der Tiefgarage stehen lassen.
*
NOCH FRÜHER ALS RUDI hatte der Chef der Agentur telefoniert, nachdem Ahmed und Ricki ihm das blutende Ohr notdürftig desinfiziert und verbunden hatten. Anwalt Nellen lag noch neben seiner neuesten „Freundin“, als sein Handy rumorte. Vorsichtshalber ging er in ein Nebenzimmer. Der Chef gestand, dass ihre geplante Aktion schiefgelaufen war und sich jetzt die Polizei einmischte.
„Was heißt hier geplant?“, unterbrach Nellen brüsk. „Ihr solltet sie bis zum Prozess kaltstellen oder ausschalten. Von Mord oder Totschlag war keine Rede. Unentschuldigtes Fehlen bei einem Gerichtstermin, auf das und auf nichts anderes hatten wir uns verständigt.“
Der Chef wollte sich nicht auf eine lange Debatte am Telefon einlassen. Sein Ohr schmerzte, und er hatte starke Kopfschmerzen.
„Einer meiner Mitarbeiter ist dabei tödlich verunglückt. Ich weiß nicht, wie rasch man ihn identifizieren wird und wie schnell das zu uns führt.“
„Aha“, sagte Nellen trocken, „jetzt verstehe ich. Sie sind also draußen, nicht mehr im Geschäft, das wollten Sie doch sagen?“
„Ja.“
„Gut oder vielmehr schlecht, das war natürlich der letzte Auftrag, den Sie von mir bekommen haben.“
„Das befürchte ich, ja.“
*
RUDI VERSUCHTE BEIM Frühstück, mit dem Wenigen, was er wusste und vermutete, Isa zu erklären, was sich heute Nacht im Treppenhaus abgespielt hatte. Er war damit gerade fertig, als Dorberg anrief.
„Die junge Dame aus der Ahornstraße hat sich mit einem jungen Mann eingelassen, der mit einer professionellen Bande pokert. Du weißt, was das in der Regel bedeutet?“
„Aber ja. Danke für die Warnung.“
Eigentlich reichte es jetzt mit den Schreckensmeldungen.
*
FÜR RUDIS GESCHMACK nahm Isa diese Horrormeldung zu gelassen auf: „Julia hat kein Geld und kann auch kein Geld organisieren oder leihen. Da habe ich vorgesorgt, bevor ich zur Staatsanwaltschaft gegangen bin. Das Geld ist erstens gut versteckt und den Schlüssel zum Versteck habe ich zweitens sozusagen in vier Teile zerlegt, erst mit allein Teilen lässt sich das Versteck, wenn man es denn entdeckt hat, auch öffnen. Und Fremde müssen aufpassen, dass dabei die Sprengladung nicht hochgeht.“
„Welche Sprengladung?“
„Mit der das Geld zusätzlich gesichert ist.“
Rudi schluckte: „Isa, du wirst mir langsam unheimlich.“
„Warum. Hast du es auch auf mein Geld abgesehen?“
„Nein, auf dich; wenn du dich damit abfinden kannst, dass ein hessischer Hauptkommissar wahrscheinlich sehr viel weniger verdient, als du in deiner Vergangenheit.“
„Das wird sich noch herausstellen, mein Bester.“ Sie gähnte, dass er ihre Mandeln bewundern konnte.
So folgte ein langen Kuss, bei dem Rudi und Isa keinen Grund hatten, aus dem Fenster zu schauen. Deshalb bemerkten sie auch nicht, dass ein Auto mit einem SU-Kennzeichen auf der Straße hielt, ein Mann ausstieg und sich in einen dort parkenden Wagen mit einem Bonner Kennzeichen setzte. Beide Wagen fuhren gemeinsam los.
Rudi und Isa fanden derweil den Weg ins Schlafzimmer.
Hinterher überlegte er gerade, ob es sich lohnte, noch einmal ohne Isa ins Bett zu gehen, als sein Chef Paul Fichte anrief: „Rudi, mir ist noch so eine scheußliche Idee gekommen.“
„Und welche?“
„Wenn Sie euch in der 'Erbsensuppe' mit einen Peilsender beglückt haben, können Sie am Samstag, als ihr fast den ganzen Tag in Sachen Kunst und Kultur unterwegs gewesen seid, in eurer Wohnung völlig ungestört eine Wanze montiert haben.“
„Du kannst einen richtig aufheitern.“
*
RECHTSANWALT NELLEN erreichte Mehtar Ben Ali in einem ICE nach Zürich und informierte ihn über den missglückten Anschlag in Bonn. Sie sprachen wie üblich Französisch miteinander.
„Das heißt, jetzt sind wahrscheinlich die anderen am Zuge.“
„Das fürchte ich auch.“
Das stimmte schon nicht mehr, als Nellen die Handytaste mit dem roten Hörer drückte. Sofort bimmelte der Apparat und ein unbekannter Mann fragte, ohne sich vorzustellen: „Haben Sie heute morgen mit unserem Chef Niels Kollau telefoniert?“
„Warum wollen Sie das wissen? Wer sind Sie überhaupt?“
„Weil wir gestern Nacht bei einer schiefgelaufenen Operation in Bonn dabei waren, aber von den Bullen nicht bemerkt wurden. Da war die Wanze schon montiert und wir haben einen Teil der Gespräche gespeichert ... nein, abgehört haben wir die Scheibe noch nicht. Wir wissen nicht, was auf der Platte drauf ist ... Wir haben sie erst heute bergen können. Richtig, Sie müssten eine Katze im Sack kaufen. Wir lassen Ihnen Katze und Sack auch sehr billig.“
„Wo in Bonn war das?“
„In Ückesdorf.“
„Okay. Riskieren wir es. Kommen Sie am Montagvormittag mit der Scheibe in meine Kanzlei. Aber Vorsicht, keine Tricks. Ich bin im Moment sehr nervös.“
Rudi scheuchte Isa aus dem Bett. „Schluss mit dem Vergnügen. Los, wir müssen nach einer Wanze suchen.“ Der Anblick einer auf den Knien herumkriechenden Isa war sehr hübsch und durchaus anregend, was sie aber oben auf einem Schrank fand, sehr viel weniger. Rudi legte die Wanze lahm, und bei viel frischem Kaffee überlegten sie gemeinsam, worüber sie sich unterhalten hatten, was einen Fremden, einen Übelgesinnten, einen Feind davon wohl interessieren mochte. Das Gespräch setzten sie bei einem langen Spaziergang im Kottenforst fort und ahnten natürlich nicht, dass der Läufer in dem weinroten Trainingsanzug ein Beamter der Kriminalpolizei war, der sich dienstlich fit hielt, um ein Auge auf Rudi und Isa zu haben. Hauptkommissar Schneider hatte mit einer Leiche genug.
*
DEN REST DES TAGES vertrödelten sie. Katrin rief zwischendurch einmal an und war ehrlich empört, was Freund Rudi an gewalttätiger Unruhe in das friedliche Haus eingeschleppt hatte. Rudi gab sich zerknirscht und musste lange Süßholz raspeln, bis sie sich beruhigte. Oder wenigstens so tat.
*
ANDERE WAREN FLEIßIGER. Zwischen Wiesbaden und Bonn glühten die Telefonleitungen und stöhnten die Server über die Unmassen vom Mails, die zwischen den beide Städten hin- und herflitzten. Sogar Kriminalrat Brock opferte seinen geheiligte Sonntagsschlaf und kam ins Amt, um lange und gelegentlich lautstark mit Paul Fichte zu konferieren. Ricki und Lupo verbanden den Chef mehrmals, bevor sich Rickis und seine Gäste mit ihrem letzten Geld den Tank auffüllten und mit gänzlich ungewohnten schlappen 120 km/h auf den Weg nach Frankfurt und Wiesbaden machten. Dank des Schleichens reichte die Tankfüllung mehr als genug aus. In Frankfurt erschien der „Hausarzt“ der Bande und kümmerte sich um das lädierte Ohr des Chefs: „Das Gehör rechts ist wohl hin, Chef.“
„Sehr erfreulich.“
„Aber für das kaputte Ohr gibt es aufsetzbare Prothesen. Du wirst dich wieder auf die Straße wagen können, ohne aufzufallen.“
„Prächtig. Und wann?“
„Etwas Geduld musst du noch haben.“ Der Chef wusste, was bei Ärzten das Wort „Geduld“ bedeutete, und seufzte; er hätte diesen Auftrag nie annehmen und seinem Bauchgefühl vertrauen sollen ... Ein Ohr und einen wichtigen Mitarbeiter verloren und alles wahrscheinlich ohne Honorar. Das Leben war manchmal verdammt hart.
Über diese leider unerschütterliche Wahrheit hatten sich auch Rudi und Isa unterhalten.
Rudi schlug beim Kaffee eine Partie Halma vor, was ihr nicht behagte. Seinen Vorteil zu suchen und es dabei dem Gegner möglichst schwer zu machen, war ihr zu anstrengend, erforderte zuviel Konzentration und anstrengende Vorausschau. Sie schaute ihn direkt an, sichtlich schlecht gelaunt.
„Das solltest du mit Ilka spielen. Die plant gerne weit voraus. Mit wenig Erfolg allerdings.“
„Du magst deine Schwester nicht sonderlich, was?“, fragte er träge.
„Nein“, gab sie zu.
„Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“
„Wenn man das einen Grund nennen kann“, murmelte sie abwehrend.
„Lass mal hören.“
Sie setzte sich aufrecht hin und zog ihr Shirt stramm. „Ich war immer die Hübschere, der die Jungens nachliefen. Das hat mir Ilka nie verzeihen wollen. Weißt du, deswegen fing sie mit solch dummen Sprüchen an. Du bist schöner als ich, aber ich bin klüger als du. Man kann eben nicht alles haben, Schwesterherz.“
Ohne darüber nachzudenken, platzte er heraus: „Aber du wolltest immer alles bekommen. Wie?“
„Ja, wollte ich. Was ist dabei? Sag bloß. Du bist keine Egoist!“
„Doch, bin ich. Aber in Grenzen. Wenn du den anderen leben lässt, hat der keinen Grund, auf dich zu schießen.“
„Das ist doch Kirchengewäsch.“
„Meinst du? Warum hat Schiefer dir denn gedroht, dich umzubringen?“
„Weil er Angst hat, ich könnte ihn verraten.“
„Verraten? An wen?“
„Staatsanwalt, Polizei, Finanzamt, an seine Konkurrenz im Milieu. Die waren zum Schluss doch alle hinter ihm her.“
„Hinter ihm? Oder hinter der Utom.“
„Da gibt es keinen Unterschied“, stellte sie mürrisch klar. Rudi schwieg und überlegte, wohin sie ein harmloses Gespräch über Halma und Mühle geführt hatte. Dann schoss ihm durch den Kopf: Wie gut kannte er Isa eigentlich? Vier Jahre Grundschule zählten wohl nicht wirklich. Zweieinhalb Wochen Ferien auf Lanzarote. Da steckte sie doch wohl schon tief in dem Sumpf, aus dem sie sich jetzt nur unter Lebensgefahr befreien konnte. Was wollte sie eigentlich von ihm? Hatte sie sich wirklich gefreut, dass er kam, um Kowalski abzulösen?
Und wieso war sie unverletzt aus dem brennenden Haus im Lesterwald entkommen und der erfahrene Rotter gleich zu Beginn ausgeschaltet worden. Wer war der Mann, den sie im schon brennenden Haus erschossen hatte. Rudi kannte das Phänomen – wenn man erst einmal anfing, misstrauisch kritische Fragen zu stellen, ging es endlos weiter, bis aus Weiß zum Schluss Schwarz geworden war.
„Ich muss mal telefonieren“, sagte er plötzlich und ging auf den Balkon, der zum Paula-Roming-Weg hinaus lag, und rief Fichte an: „Sag' mal, Paul, Isa Vandenburg hat doch bei dem Brand einen Mann erschossen, der zu ihr ins Zimmer kam. Habt ihr den schon identifiziert?“
„Nein zuviel verbrannt. Mit Mühe haben wir etwas DNA gesichert und müssen nun ungeduldig warten bis wir über eine Vermisstenmeldung mit DNA-Beilage mehr herausbekommen. Warum fragst du?“
„Erzähle ich dir später.“
„Wie du meinst. Aber in diesem Zusammenhang habe ich eine vielleicht unerfreuliche Neuigkeit für dich. Man hat in der Nähe des abgebrannten Verstecks eine männlich Leiche gefunden und eindeutig als einen Geldeintreiber und Berufskiller Bodo Zoller identifiziert. Erschossen mit einer Neun-Millimeter Beretta. Und so eine kleine Artillerie führt doch auch deine Isa spazieren. Vergiss nicht, sie ist draußen herumgelaufen, während des Haus abbrannte und sie auf Krankenwagen, Feuerwehr und die Kollegen wartete.“
„Was willst du damit andeuten?“
„Gar nichts. Sei nur vorsichtig! Kowalski hat nämlich zu Protokoll gegeben, dass Isa zuerst Rotter und dann ihn gefragt hat, ob ein gewisser Rudolf Herzog noch beim Personenschutz des LKA arbeite.“
„Mich laust der Affe.“ Er schluckte heftig.
„Schatz, mit wem telefonierst du da so lange?“ Isa war ungeduldig geworden und trat jetzt auf den Balkon heraus. Dann ging alles so schnell, dass selbst der trainierte Rudi nicht alles mitbekam. Es knallte irgendwo, aber nicht weit entfernt, ein Blumenkasten, der am Balkongitter hing, zerlegte sich in Einzelteile. Isa schrie auf, als ein Teil sie traf, und stürzte rückwärts ins Zimmer zurück, Rudi beugte sich über die Balkonbrüstung, ein zweiter Knall, und auch der Blumenkasten vor Rudis Brust zerlegte sich, ein Großteil der Erde landete in seinem Gesicht, und deshalb konnte er den hellgrauen Lieferwagen, der unten auf der Straße gegenüber gestanden hatte und nun eilig losfuhr, nicht genauer erkennen.
Isa war unverletzt bis auf eine schmerzhafte Beule am Hinterkopf, die aber nicht blutete. Rudi brauchte eine Viertelstunde, die wertvolle Blumenerde von seinem Gesicht und vor allem von seinen Lippen in den Abfall zu befördern. Fichte hatte wahrscheinlich nichts mitbekommen und aufgelegt.
Isa verlangte zur Beruhigung unbedingt einen Schluck Wein und diesmal lehnte Rudi ein Glas nicht ab.
„Wollten die mich umbringen?“, fragte sie erschüttert.
Das hatte Rudi auch schon überlegt und schüttelte nach einiger Zeit den Kopf. „Glaube ich nicht, bei dem ungünstigen Schusswinkel konnte kein Meisterschütze sicher sein, dich oder mich zu treffen.“
„Die Polizei willst du nicht rufen?“
„Nein, wozu? Der Schütze ist längst über alle Berge, die Blumenkästen werde ich Katrin ersetzen, und alles in allem glaube ich, dass man dir nur einen Schrecken einjagen und mich warnen wollte.“
„Dein Wort in Gottes Gehörgang!“
„Seit wann glaubst du an Gott?“
„Blödmann.“
*
LUPO KONNTE MAL WIEDER sein Maul nicht halten: „Hoffentlich bald“, pflaumte er zum Schluss den Chef an: „Die Rücklagenbildung bei uns allen war nicht konsequent, folglich nicht sehr erfolgreich.“ Er sagte nicht, schließlich könne man das, was man wusste, auch an eine andere Agentur verkaufen. Das war auch nicht nötig, der Chef wusste es ohnehin und kannte auch den im Milieu gültigen Spruch, dass den meisten Menschen das Hemd näher sei als der Rock.