Читать книгу Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland - Страница 28

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Die Schmerzen kamen nicht wieder. Aber die Gedanken, beladen mit Erinnerungen. Eva-Maria starrte zu den Deckensprüngen hinauf.

Wie heute hatte Walter sie zweimal ins Krankenhaus gebracht.

Damals mit der geplatzten Zyste. Morgens um drei.

Hinterher erfuhr sie, wie schlimm es tatsächlich um sie gestanden hatte. Ein paar Stunden später nur, und sie wäre dem Tod nicht mehr von der Schippe gesprungen.

Ein wilder, wütender, beißender Schmerz wie von Feuer war plötzlich in ihr gewesen. Er hatte sich ausgebreitet. Sie wusste sogar noch, dass sie gewimmert hatte.

Aber vom Krankenhaus wollte sie nichts wissen. Erst mal zum Arzt. Die Sprechstunde begann um neun Uhr. Walter ließ das nicht gelten. Zu lang, hatte er sehr ruhig und sehr bestimmt gesagt.

Mehr gegen ihren Willen hatte er sie zum Krankenhaus auf dem Berg hochgefahren.

Sie fröstelte. In der Erinnerung empfand sie wieder die kühle, unpersönliche Atmosphäre der nächtlichen Krankenhausflure. Dann die wenig begeisterten Gesichter der Nachtbereitschaft. Schließlich der Oberarzt, den man zu Hause aus dem Bett getrommelt hatte. Ein Mann mit einer grauen Löwenmähne, kühl, bestimmt und ungemein sicher.

Er hatte ihr die Notwendigkeit einer sofortigen Operation auseinandergesetzt.

Drei Tage lang war es ständig zwischen kritischem Zustand und sich besserndem Befinden hin und her gegangen. Walter kam jeden Tag dreimal zu Besuch. Nach der Pünktlichkeit, mit der er sich einfand, konnte man die Uhr stellen.

Er umhegte sie mit so viel Liebe und Fürsorge, dass sie spürte, wie viel sie ihm wirklich bedeutete. Mit dem Vorzeigen von Gefühlen verfuhr er sonst recht sparsam.

Seine Besuche, seine kleinen Aufmerksamkeiten halfen ihr über den Berg. Die kleinen Begebenheiten, von denen er bei den Besuchen berichtete, rüttelten ihren Lebenswillen auf.

Sogar Wäsche hatte er gewaschen und unter den Augen der amüsierten Nachbarn im Garten auf gehängt. Bloß mit dem Bügeln war er nicht klargekommen.

Als er sie endlich abholen durfte, war er ihr so stolz und glücklich vorgekommen wie damals auf der Fahrt in die Flitterwochen.

Gute Jahre folgten. Einmal gab es eine Trübung.

Der Freundes und Bekanntenkreis war größer geworden, und damit wuchsen auch gewisse gesellschaftliche Verpflichtungen. Auf so einem Abend begann er doch tatsächlich einen heftigen Flirt mit einer Frau, die mindestens fünf Jahre älter als sie war. Die schwarzhaarige Hexe fand Gefallen an dem Spiel und ging bereitwillig darauf ein.

Zuerst war sie nur bestürzt gewesen. Dann aber tief verletzt und gekränkt. Wortlos war sie gegangen.

Auf dem Parkplatz vor dem Haus holte Walter sie ein. Sie machte ihm keine Vorwürfe; ihr Schweigen war eine weit schlimmere Strafe für ihn.

Über den Vorfall wurde nie mehr gesprochen. Sie kehrten ihn unter den Teppich.

Auf künftigen Abenden im größeren Kreis war Walter nach wie vor ein launiger Plauderer und bei Gelegenheit auch ein engagierter Gesprächspartner, Flirts aber ging er geschickt aus dem Weg.

Die Harmonie ihrer Ehe erhielt erst einen Riss, als sie sich zu einem Kind entschlossen und sich der Nachwuchs nicht einstellte.

Die Trübung in ihrem Verhältnis zueinander machte sich nach und nach bemerkbar. Walter ulkte erst noch, ob ihnen die Fügung in all den Jahren am Ende den falschen Weg gewiesen hätte.

Allmählich aber wurde er gereizt und war unausgeglichen. Immer häufiger konnte sie ihn auf Spaziergängen dabei beobachten, wie er in fremde Kinderwagen schaute und Vatergefühle entwickelte.

Mehrmals ging er mit den Nachbarskindern auf den Spielplatz. Einmal kam er mit Sand in den Hosentaschen nach Hause; er hatte im Sandkasten mitgespielt.

Die Möglichkeit war nicht auszuschließen, dass es an ihr lag, wenn sie kein Kind bekamen.

Sie ging zum Frauenarzt, zu Dr. Scharnitz. Die Untersuchung ergab, dass sie kerngesund war und Kinder haben konnte. Da lag es wohl an Walter.

Behutsam brachte sie ihm das bei. Es war nicht voraussehbar, wie er reagierte. Männer konnten unberechenbar werden, wenn ihre dominierende Rolle angezweifelt wurde oder ihre Zeugungsfähigkeit in Frage gestellt war.

Mit bangem Herzen hatte sie auf seine Entscheidung geharrt.

Zu ihrer großen Erleichterung sprach er sich mit ihr aus, sie diskutierten ihr Problem durch. Danach ging er zur Untersuchung.

Zeugungsfähig war er. Nur rauchte er zu stark. Daran lag es. Der Arzt verschrieb ihm Tabletten.

Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sie morgens von einem leichten Schwindelgefühl ergriffen wurde. Leichte Hitzewellen durchliefen ihren Körper. Mittags wurde ihr schlecht. Der Brechreiz hielt vor, es kam jedoch nichts.

Die Untersuchung und der Test beim Arzt ergaben, dass sie schwanger war.

Walter geriet ganz aus dem Häuschen, als sie ihm die Eröffnung machte, dass sich der lang ersehnte Nachwuchs nun einstellte. Er wuselte und werkelte um sie herum und machte sie völlig konfus, so dass sie sich ernsthaft die Frage stellte, ob sich alle werdenden Väter so aufführten.

Am liebsten wäre er gleich losgegangen, um eine Wiege zu kaufen. Und Babyausstattung.

Namen wurden aufgeschrieben, ausgewählt und verworfen. Jungen und Mädchennamen. Man konnte schließlich nicht wissen!

Sie bremste ihn gelegentlich in seinem vor väterlichen freudigen Tätigkeitsdrang. Nur mit Mühe konnte sie ihn davon abhalten, zur Schwangerschaftsgymnastik mitzugehen.

Andererseits waren sein unbändiger Stolz und seine Freude verständlich. Fünf Jahre hatten sie auf ein Kind gehofft.

Im dritten Monat fuhr sie ihm das Auto zu Schrott.

Lieber Gott, was war sie aufgelöst und moralisch am Boden! Schluchzend versprach sie, ihm ein neues Auto zu kaufen. Wovon bloß?

Finanziell waren sie auf die Füße gekommen, aber das Haus musste bezahlt werden. Das Kind kostete Geld. Und jetzt das Auto demoliert!

Der kaputte Wagen interessierte ihn überhaupt nicht. Er war so rührend um ihr Befinden und um sein ungeborenes Kind besorgt, dass er sie alle Nöte und Ängste vergessen ließ.

Von ihrem Autohaus bekamen sie noch gönnerhaft sechshundert Mark für den Blechhaufen und kauften einen Wagen, der auf Lager war.

Die Art, wie Walter über den finanziellen Engpass wegkam, nötigte ihr Bewunderung ab. Nie gab er ihr ein böses Wort wegen der Geschichte. Er schränkte seine Ausgaben drastisch ein, übernahm in der Firma ungeliebte, aber gut bezahlte Sonderaufgaben und hielt ihr weitgehend Kummer und Sorgen vom Hals.

Nach Weihnachten zogen ihre Eltern um. Sie half mit, obgleich Walter dagegen war.

Eine Woche später schreckte sie aus tiefem Schlaf hoch. Sie hatten die Betten auseinandergerückt. Der Nachwuchs strampelte und trat oft fürchterlich. Allein schon das Wissen, Walter neben sich zu haben, verursachte bei ihr Platzangst. Er hatte Verständnis gezeigt und die Möbel gerückt

Im ersten Moment wusste sie gar nicht, was los war. Walter hatte die Nachttischlampe brennen und las noch.

Dann spürte sie, dass das Bett tropfnass war und sie regelrecht schwamm.

Sie schlug die Bettdecke zurück und registrierte Walters verwunderten, fragenden, verblüfften Blick.

Ehe sie begriff, sagte er schon: „Es geht los!“

Die Blase war gesprungen und das Fruchtwasser abgegangen. Und das drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin.

Der Koffer war nicht gepackt.

Walter behielt einen klaren Kopf, als sie durchzudrehen drohte. Er verständigte das Krankenhaus, setzte sie aufs Bett und begann, die unerlässlichen Utensilien zusammenzusuchen. Stillbüstenhalter und anderes.

Bei allem Ernst der Situation bot er ein sehr ergötzliches Bild.

Dann fuhr er sie wieder zum Krankenhaus. Um drei Uhr in der Frühe!

Scherzend sagte er vor der Tür: „Wir nehmen uns besser ein Nachtabonnement.“

Bei der Geburt wollte er dabei sein. Der Arzt hatte Bedenken, stimmte dann jedoch zu. Vor dem frühen Nachmittag allerdings sei nicht damit zu rechnen.

Walter fuhr in die Firma. Sie war sicher, dass er fortwährend das Telefon angestarrte hatte.

Um ein Uhr rief sie ihn an, um ihm seine Tochter per quäkendem dünnem Stimmchen vorzustellen.

Er war hörbar ergriffen, hatte tausend Fragen und versprach, sofort zu kommen.

Sie lag und wartete sehnsüchtig.

Mit einem riesigen Blumengebinde und leichter Schlagseite kam er drei Stunden nach ihrem Anruf. In der Firma war sofort ein Umtrunk inszeniert worden. Als frischgebackener Vater hatte er nicht kneifen können. Oder wollen.

Aber nun war alles gut.

Eine geschlagene Stunde hielt er vor dem Glasfenster der Säuglingsstation aus. Als er ins Zimmer zurückkam, meinte er etwas verlegen: „Sie ist ja noch winzig klein.“

Zwei Tage war er Stammgast vor dem Fenster.

Dann mussten sie die Kleine hergeben. Der Bilirubingehalt stieg rapide an. Die Ärzte sagten, es sei die Folge der Frühgeburt, möglicherweise auch der doppelten Nabelschnurumschlingung. Lästig, aber nicht gefährlich. Die Medizin sei heute so weit, um das Problem mühelos in den Griff zu bekommen. Außerdem verringere jeder Lebenstag eine eventuelle Gefährdung.

Der Stationsarzt erklärte sogar noch die Zusammenhänge und redete von Milligrammprozenten. Ein Buch mit sieben Siegeln war die Sache dennoch geblieben.

Walter versuchte sich zu dreiteilen. Er erledigte die Behördengänge, besuchte sie im Krankenhaus und fuhr zweimal am Tag in die Kinderklinik nach Köln zu seiner Tochter.

Dabei hatte er noch Zeit, für ihre Zerstreuung zu sorgen. Es hatte sie schon immer interessiert, wo denn nun eigentlich ihr Haus lag. Im Gewirr des Stadtbildes fand sie nicht einmal die Straße. Von oben sah alles so ganz anders aus.

Er brachte eine topographische Karte mit und wies aus dem Fenster auf einen bewaldeten Hügel, der wie eine Zunge bis fast ins Herz der Stadt vorstieß.

Der kalte Januarwind hatte die letzten Blätter von den Ästen gefegt, der Wald sah nackt und bedrückend aus. Ihr Haus war auch durch das graue Astgewirr nicht auszumachen.

„Irgendwo dahinter wohnen wir“, sagte Walter. „Pass auf, um neun heute Abend zeige ich dir genau, wo das ist.“

„Was hast du vor?“

„Ich brenne ein Feuerwerk ab. Zwei, drei Raketen. Du brauchst nur aus dem Fenster zu sehen und weißt es ganz genau.“

Das war so einer von seinen spontanen und bemerkenswerten Einfällen.

Kurz vor neun rief er an und teilte ihr mit, dass alles vorbereitet sei. Er ging hinaus in den Garten und schoss drei Raketen ab.

Hinter dem Wald sah sie die leuchtenden Kugeln hochsteigen und in einem Feuerregen zerplatzen.

Jetzt wusste sie, wo ihr Haus lag.

Walter kam wieder in die Leitung und wollte wissen, wie das Schauspiel ausgefallen sei.

Eine Wöchnerin, die mit im Zimmer lag, sagte neidvoll: „Mein Mann hat noch kein Feuerwerk für mich angezündet.“

Nach zehn Tagen wurde sie entlassen. Die Fahrt führte nicht nach Hause, sondern erst zur Kinderklinik.

Klein Tina hatte sich schon prächtig herausgemacht, der Arzt war überaus zufrieden mit den erzielten Fortschritten und stellte in Aussicht, dass sie das Kind in einer Woche mitnehmen könnten.

Auf der Fahrt abwärts blieb der Aufzug zum Ergötzen des Stationspersonals stehen.

Sie bekam unerklärliche Platzangst trotz der begütigenden Worte von Walter. Schließlich kamen zwei Techniker und kurbelten die Kabine hoch. Ein Besuch mit Hindernissen.

Alles, was mit Tina zusammenhing, war außergewöhnlich.

Aber schließlich war schon ihre Ankunft nicht alltäglich gewesen.

Von der Stunde an, in der sie das Baby zu Hause hatten, war Tina der Mittelpunkt der Familie. Sie bedurfte besonderer Aufmerksamkeit, Fürsorge und Pflege. Sie war ein Risikokind.

Mit stolzgeschwellter Brust schleppte Walter kistenweise Babynahrung ins Haus und machte bereits Pläne, als sei die Kleine schon fünf Jahre alt.

Sie ertappte sich dabei, dass sie manchmal ein Hauch von Eifersucht anflog.

„Mögen Sie Knoblauch?“, drang eine Stimme in ihre Gedanken.

Sie öffnete weit die Augen. Die Gegenwart hatte sie wieder. An der Decke verzerrten sich die Risse zu grotesken Figuren.

„Warum, bitte?“ Eva-Marias Blick ruhte auf der Gazelage in der Hand der Schwester, die ihr schon die Beruhigungsspritze gegeben hatte.

„Ich lasse Sie jetzt einschlafen. Es geht ganz schnell, Sie brauchen keine Angst zu haben. Sofort nach dem kleinen Piekser haben Sie Knoblauchgeschmack im Mund.“ Die Schwester klappte die Gaze auseinander, setzte die Spritze und injizierte das Narkosemittel.

Ein penetranter Knoblauchgeschmack war das letzte, was Eva-Maria wahrnahm, bevor ihr Bewusstsein in unergründliche Tiefen taumelte.

Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren

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