Читать книгу Mord gehört zum Service Berlin 1968 Kriminalroman Band 33 - A. F. Morland - Страница 7
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Es hatte hitzige Debatten gegeben, an denen sich Richter Hans-Joachim Wendler rege beteiligte. Er war ein angesehenes Mitglied dieses Bürgerausschusses, und sein Wort hatte stets Gewicht.
Wendler war fünfzig und eigentlich noch zu jung für den Ruhestand, dennoch hatte er dem Richteramt vor einem Monat ade gesagt. Er machte sich frei von Kruse Zwängen und tat nur noch das, was ihm Spaß machte.
Das Vermögen seines Onkels, der in der Ölbranche sehr weit nach oben gestiegen war, ehe ihn ein Flugzeugabsturz jäh aus dem Leben riss, machte den Richter finanziell unabhängig.
Er unterstützte Aktionen, die einem guten Zweck dienten, wurde von vielen Menschen geachtet und geliebt und hätte eigentlich sehr glücklich sein müssen, aber das war er nicht, denn seine Tochter Simone machte ihm Sorgen.
Als Schwerpunkt der heutigen Versammlung war die Verbrechensbekämpfung in Berlin festgesetzt worden. Ganz klar, dass der Richter dazu sehr viel zu sagen wusste, immerhin hatte er jahrzehntelang mit Verbrechern jeden Kalibers zu tun gehabt.
Es gab Mitglieder im Bürgerausschuss, die für eine radikale Verbrechensbekämpfung auf privater Basis plädierten. Etwa nach dem Motto: Lockert endlich die Waffengesetze! Gebt jedem eine Waffe in die Hand, damit er sich verteidigen kann und nicht erst auf die Hilfe der Polizei zu warten braucht.
Aber dagegen stimmte Richter Wendler ganz entschieden. Vielmehr plädierte er für eine Bürgerwehr ohne Schusswaffen, die die Polizei unterstützen sollte. Viele Waffen brachten viele Tote, und es würden zahlreiche Unschuldige unter den Opfern sein, denn es bestand die Gefahr, dass die Leute zuerst schossen und sich erst hinterher fragten, ob sie sich auch tatsächlich bedroht gefühlt hatten.
Wendler schlug vor, über die Medien mehr Druck auf die Justiz auszuüben. Es kam mitunter vor, dass die Polizei ihre Arbeit zu leicht nahm beziehungsweise resignierte.
Der Satz „Da kann man einfach nichts machen“ sollte aus Kruse Polizeirevieren verbannt werden. Hans-Joachim Wendler war der Auffassung, dass man sehr wohl etwas tun konnte. Wenn die Behörden Unterstützung brauchten, sollte sich der Bürgerausschuss im Rahmen des Möglichen dafür bereitstellen.
Immer mehr Mitglieder machten Wendlers Ansicht zu der ihren, und als es zur Abstimmung kam, gab es zwei Gegenstimmen, vier Stimmenthaltungen, und der Rest war für Wendlers Idee.
Die genauen Punkte für das Programm, nach denen man demnächst Vorgehen wollte, sollten in den nächsten Tagen ausgearbeitet werden. Wendler stellte sich dafür selbstredend zur Verfügung.
Als sie den Sitzungssaal verließen, sagte Kerstin Franke, eine gute Bekannte, fast schon Freundin, zu Wendler: „Du warst heute ganz besonders in Form, Hans-Joachim.“
„Vielen Dank, Kerstin“, sagte der Richter.
Er wusste, dass Kerstin Franke achtundvierzig war, aber sie sah weit jünger aus. Man hätte sie für fünfunddreißig halten können.
„Deine Rede war aggressiv, brillant, geschliffen und scharf. Ich wollte, ich könnte in diesem Stil schreiben.“ Sie war Journalistin, eine sehr gute, wie Wendler meinte, aber sie sah ihn, wie viele, mit einem Glorienschein.
„Du brauchst dein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, Kerstin“, sagte er lächelnd. „Du triffst mit vielen deiner Artikel mitten ins Schwarze.“
„Sehen wir uns in den nächsten Tagen mal?“
„Vielleicht.“
„Ruf mich an, wenn du Gesellschaft haben möchtest. Hast du wieder mal was von Simone gehört?“
„Nein. Vielleicht sollte ich darüber froh sein.“
Kerstin schüttelte ihre schwarze Lockenpracht. „Ich kann das Mädchen nicht verstehen. Sie hat einen Vater, der sie abgöttisch liebt, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen würde, aber sie will nichts von ihm wissen, vergammelt lieber irgendwo.“
„Sie ist jung, sie will frei sein.“
„Eine komische Art von Freiheit. War sie denn bei dir zu Hause nicht frei?“
„Nun, ich sagte ihr dies und das, und das passte ihr nicht.“
„Du hast es doch nur gut gemeint.“
„Ich bin sicher, dass sie das auch weiß. Irgendwann wird sie hoffentlich zur Einsicht kommen und zu mir zurückkehren.“
„Wenn die wilden Jahre vorbei sind.“
„Ja“, sagte Hans-Joachim Wendler.
„Das kann noch lange dauern.“
„Ich bin ein geduldiger Mensch, ich kann warten.“ Er lächelte.
Hans Müller, einer jener, die sich der Stimme enthielten, zwängte sich an ihnen vorbei. „He, Hans-Joachim, kommst du mit auf einen Drink? Ich würde mich noch gern mit dir privat unterhalten.“
„Ein andermal, okay?“, gab Wendler zurück. „Ich fahre heute gleich nach Hause.“
„Na schön, und wie ist’s mit dir, Kerstin? Du bist zu allem, was dein Herz begehrt, eingeladen.“
„Es gibt Männer, denen kann ich einfach nichts abschlagen“, sagte Kerstin schmunzelnd.
„Gehöre ich dazu?“
„Natürlich. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“ Kerstin Franke wandte sich an Wendler: „Mach’s gut, Hans-Joachim. Vergiss nicht, mich anzurufen.“ Sie ging mit Müller weiter.
Ein wenig abgespannt suchte Hans-Joachim Wendler den Parkplatz auf. Er zündete sich eine Zigarette an und suchte zerstreut nach den Wagenschlüsseln.
Er dachte an Simone, die bei ihm das Leben einer Prinzessin hätte führen können. Sein Geld wäre auch ihr Geld gewesen, doch das wollte sie nicht. Es war ihr lieber, auf eigenen Beinen zu stehen, sich ihr Geld selbst zu verdienen. Sie wollte kein nutzloses Püppchen sein, das nicht wusste, wie es sich die Zeit vertreiben sollte.
Wendler schloss das Fahrzeug auf. Da war plötzlich jemand hinter ihm, verpasste ihm ein Ding, dass er die Engel singen hörte, und stieß ihn in den Wagen.
Schwer benommen fiel er auf die Vordersitze. „Rüber auf den Beifahrersitz!“, schnarrte der Mann. „Mach schon! Ich fahre! Her mit den Schlüsseln!“
Wendler spürte, wie ihm die Schlüssel aus der Hand gerissen wurden. Er kroch zum Beifahrersitz hinüber, hörte den Anlasser mahlen, und dann setzte sich der Wagen in Bewegung.
Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Verschwommen bekam Wendler mit, dass sie in östlicher Richtung durch Berlin fuhren und dann in einer einsamen Gegend hielten.
Der Mann, der kein Recht hatte, am Steuer dieses Wagens zu sitzen, war ein Beau, dessen dichtes schwarzes Haar mit Brillantine getränkt war und ölig glänzte.
Er hielt einen Revolver in der Hand, den er jetzt aber zu Wendlers Überraschung wegsteckte. „Ich weiß, Sie sind ein vernünftiger Mensch, Richter. Deshalb werden Sie mir auch keinen Ärger machen, nicht wahr? Nur Idioten lassen sich zu Unbesonnenheiten hinreißen. Mit Ihnen kann man reden ...“
„Wer sind Sie?“, fragte Wendler wütend.
„Wollen Sie mich Schmidt nennen?“
„Sie haben mich entführt!“
„Aber nein, wir machten zusammen lediglich eine kleine Spazierfahrt. Da Sie sich nicht wohl fühlten, setzte ich mich an Ihrer Stelle hinter das Steuerrad. Sie sollten mir für meine Hilfsbereitschaft dankbar sein.“
Der Richter kniff die Augen gereizt zusammen. „Sie haben mich beinahe bewusstlos geschlagen ...“
„Ich? Aber das stimmt ja gar nicht. Ich würde einem Mann wie Ihnen doch nie etwas antun.“
„Sie bedrohten mich mit einem Revolver!“
„Ebenfalls falsch, Herr Wendler. Ich besitze einen Revolver, Sie haben ihn gesehen, das ist alles. Warum hören Sie nicht auf, mir solche haltlosen Anschuldigungen an den Kopf zu werfen? Ich finde das wirklich nicht schön von Ihnen, wo ich doch nicht das geringste gegen Sie habe. Ich finde Sie sogar sympathisch und habe Mitleid mit Ihnen.“
„Ich habe Ihr Mitleid nicht nötig!“, knurrte Wendler.
„Oh, das sagen Sie, weil Sie noch nicht wissen, was ich weiß.“
„Ich bin nicht gewillt, mich weiter mit Ihnen zu unterhalten!“
„Bitte, dann steigen Sie aus“, sagte der Mann und wies auf die Tür auf der Beifahrerseite.
„Sie werden mir eine Kugel in den Rücken schießen! Ist es das, was Sie vorhaben?“
Schmidt lächelte. „Aber Herr Wendler, Sie verkennen die Situation. Ihnen sitzt kein Feind, sondern ein Freund gegenüber.“
„Auf Freunde wie Sie kann ich Gott sei Dank verzichten.“
„Ich meine es gut mit Ihnen. Ich bin kein Mörder. Einen Revolver besitzt selbst in unserem schönen West-Berlin mancher brave Bürger, und viele davon sogar legal. Deshalb ist man noch lange kein Mörder, das müssten Sie als Richter doch wissen.“ „Was wollen Sie von mir, Schmidt? Oder wie Sie sonst heißen mögen.“
„Ich mache mir Sorgen um Ihre Tochter.“
Wendler erschrak. „Simone!“
„Ja, Simone. Sie ist in Schwierigkeiten. In verdammt großen Schwulitäten, würde ich sagen. Aber zum Glück ist ihr Vater in der Lage, die Sache für sie geradezubiegen.“
„Was soll das Gerede, Schmidt? Welcher Art sind Simones Schwierigkeiten?“
„Sehen Sie, man kann nicht einfach hergehen, irgendjemandes Dienste in Anspruch nehmen und nicht bezahlen. Genau das hat Ihre Tochter aber getan. Sie wusste, dass sie das Geld nicht aufbringen würde, dennoch unterschrieb sie die Schuldscheine, und nun sind sie fällig. Natürlich wussten auch wir, dass Simone nicht so viel Geld hat, aber wir sagten uns, dass der Vater ihr bestimmt aus der Patsche helfen würde. Sie lassen Ihre Tochter doch nicht im Dreck stecken, oder?“
„Was sind das für Dienste, die Simone in Anspruch nahm?“, wollte Hans-Joachim Wendler wissen. Ein dicker Kloß saß in seinem Hals, und er hatte das Gefühl, jemand hätte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.
Seine Tochter hatte sich mit Verbrechern eingelassen! Die Tochter eines Mannes, der ein Leben lang für Gesetz und Ordnung eingetreten war!
„Ich möchte auf unsere Dienstleistungen nicht näher eingehen“, sagte Schmidt. „Sie können sicher sein, dass wir nicht die Hand aufhalten würden, wenn wir für Ihre Tochter nichts erledigt hätten. Sie können über uns denken, was Sie wollen. Wir betrachten uns jedenfalls als seriöse Geschäftsleute.“
„Die Bezeichnung Verbrecher ist für euch treffender.“
„Sie sollten sich eines anderen Tons befleißigen, Herr Wendler. Schließlich beleidige ich Sie ja auch nicht. Ich habe mich an Sie gewandt, weil ich Ihrer Tochter helfen möchte, das müssen Sie mir glauben. Das Mädchen hat wirklich große Probleme. Wenn ich die Schuldscheine einem Inkassanten übergebe ... Sie haben von den brutalen Methoden dieser Leute vermutlich schon gehört. Da könnte sich Simone auf einiges gefasst machen. Aber ich möchte auch Ihnen einen Gefallen erweisen. Stellen Sie sich doch mal den Skandal vor, wenn es an die Öffentlichkeit dringt, dass Leute wie wir Schuldscheine Ihrer Tochter besitzen. Man hält Sie heute noch für einen achtbaren Mann. Sie stehen auf einem Podest aus Lauterkeit und Ehre. Man blickt zu Ihnen auf. Sie sind die Galionsfigur des Bürgerausschusses, dem man allseits große Achtung zollt. Das alles wäre mit einem Schlag beim Teufel, wenn ...“
„Wo sind die Schuldscheine?“, fragte Hans-Joachim Wendler wütend. „Zeigen Sie sie mir, Sie widerlicher kleiner Erpresser!“
Der Beau griff in die Brusttasche seines modernen Anzugs und zog drei Scheine heraus, die er dem Richter in den Schoß warf. Wendler nahm sie auf und erkannte Simones unverwechselbare Unterschrift.
Der Betrag, den sie den Verbrechern schuldete, belief sich auf 90.000 D-Mark.
„Neunzigtausend D-Mark!“, stieß Hans-Joachim Wendler rau hervor.
„Wir wissen, dass Sie mehr besitzen“, erwiderte Schmidt emotionslos. „Sie sind in der Lage, das Geld aufzutreiben.“
„Neunzigtausend D-Mark! Was um alles in der Welt habt ihr dafür getan? Jemanden umgebracht?“
Der Gangster nahm ihm die Schuldscheine aus der Hand und steckte sie wieder ein. „Sie haben bis zum Wochenende Zeit, Herr Wendler. Denken Sie in aller Ruhe über die Folgen nach, die sich daraus ergeben, wenn Sie Ihrer Tochter nicht helfen. Das wäre sehr schlimm für Simone und auch schlimm für Sie. Wie auch immer Sie sich entscheiden, es wird uns recht sein. Wir machen uns keine Sorgen um das Geld. Wir haben bisher immer bekommen, was uns zustand. Schließlich sind wir kein Wohltätigkeitsverein, der es sich leisten kann, umsonst zu arbeiten. Wir haben hohe Unkosten, und leben müssen wir ja schließlich auch noch.“
Hans-Joachim Wendler starrte den kaltschnäuzigen Erpresser hasserfüllt an. Nie hätte er geglaubt, dass er imstande wäre, einen Menschen zu töten, doch in diesem Moment erkannte er, dass er nahe daran war, es zu tun, und das erschreckte ihn zutiefst.