Читать книгу Das Rätsel des toten Einhorns Kripow & Kripow Herr Doktor und die Polizei - A. F. Morland - Страница 11
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Hanna Döring saß auf Rebeccas Bett und vergrub ihr Gesicht im Sweatshirt ihrer Tochter. Während sie an dem Stoff roch, überkam sie ein Gefühl der Leere. Seit zwei Tagen war ihre Tochter verschwunden und die Ahnung, dass sie ihr Kind nie mehr wiedersehen würde, ließ sie nicht los. Ihr Mann Erich war heute Nachmittag zur Arbeit gefahren und würde erst gegen Mitternacht wieder heimkehren. Ihm schien es ganz recht zu sein. Was hätte er zu Hause auch tun können? Er brauchte etwas, um sich abzulenken.
Fast die ganze vergangene Nacht hindurch hatten sie wachgelegen und immer wieder nach Erklärungen für Rebeccas Verschwinden gesucht. Es war ihnen jedoch nicht gelungen, etwas Handfestes zu finden. Rebecca hatte keinen Grund, sie dermaßen in Angst und Schrecken zu versetzen. Sobald Hanna die Augen schloss, sah sie Rebeccas Körper auf der Erde liegen, vollkommen reglos.
Sie hatte ihrem Mann nichts von diesem Bild erzählt. Sie wollte nicht, dass er sie für verrückt hielt. Sie hatte es für sich behalten und verdrängt. Aber sobald sie die Augen zumachte, war es schlagartig wieder da, so realistisch und zum Greifen nahe. Wann würde dieser Alptraum endlich ein Ende finden?
Die Türglocke läutete. Hanna fühlte sich wie in Trance, als sie aufstand und öffnete. Kommissarin Kathrin Kripow stellte sich und ihren Begleiter Stefan Lehnert vor. Beide zückten ihre Dienstausweise. Hanna nickte unmerklich, trat zur Seite und führte sie herein. Kathrin kam ohne Umschweife zur Sache.
„Sie haben Ihre Tochter Rebecca als vermisst gemeldet?“
Die Kommissarin registrierte das fast unmerkliche Nicken der Frau. „Vorgestern. Ich habe alle ihre Freundinnen angerufen, aber niemand hat sie gesehen.“
„Es tut mir leid, Frau Döring, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Tochter tot ist.“
„Tot?“, wiederholte sie fassungslos. „Aber ... aber ... wie? Ich verstehe nicht ...“
„Rebeccas Leiche wurde heute im Bockmerholz gefunden.“
Jetzt kämpfte Frau Döring mit den Tränen. „Das kann doch nicht wahr sein ...“
Sie begann zu taumeln. Es sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Stefan fasste sie behutsam am Arm und führte sie ins Wohnzimmer. Dort setzte er sie in einen Sessel. Hanna begann hemmungslos zu schluchzen. Kathrin und Stefan warteten geduldig, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte.
„Was ist passiert?“, wollte sie wissen. „War es ein Unfall?“
Kathrin schüttelte den Kopf. „Nein, ihre Tochter wurde ermordet.“
Hannas Lippen bebten. Ihre Augen weiteten sich. „Ermordet?“, stammelte sie. „Aber wieso? Wer ...?“
„Genau das wollen wir herausfinden“, erwiderte Stefan. „Haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür, warum Ihre Tochter ein Einhornkostüm trug? War sie auf einer Party?“
Hanna zog ein Papiertaschentuch aus einer Packung, die auf dem Tisch lag, und wischte sich die Tränen ab. „Das Kostüm hat Rebecca aus dem Internet. Sie braucht es für die Rollenspiele.“
Kathrin und Stefan sahen sich erstaunt an.
„Rollenspiele?“, wiederholte die Kommissarin.
„Ja, die spielt ... die spielte sie mit ihren Freunden.“
„Ach, Sie meinen Computerspiele?“
Hanna schüttelte den Kopf. „Nicht ganz. Die Teilnehmer schlüpfen selbst in ein Kostüm und spielen einen Krieger, einen König, ein Monster, oder im Fall von Rebecca ein Einhorn.“
„Ich verstehe“, sagte Kathrin. „Wer gehört denn noch zu dieser Gruppe?“
„Alina Birkner, Carsten Reutlinger, Ulf Söhlke und dann noch ein paar andere, deren Namen ich leider nicht kenne.“
„Das macht nichts. Die werden wir schon herausfinden, entgegnete Stefan.
„Und wie steht es mit Jungs?“, wollte Kathrin wissen. „Hatte Rebecca einen Freund?“
„Nein, da war nichts Ernstes. Für einen Freund war sie auch noch viel zu jung.“
Kathrin musterte die Frau genau. Sie log oder sagte zumindest nicht die ganze Wahrheit. Das verrieten ihr Kleinigkeiten im Gesicht. Kathrin hatte sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Dieses leichte Zucken um die Augen, das war ein verräterisches Indiz. Lügner konnten ihre Mimik nicht vollständig kontrollieren. Selbst ein Profi zeigte verräterische Reaktionen. Sie waren kaum sichtbar, traten abrupt auf und verschwanden genauso schnell wieder. Dem geschulten Blick eines aufmerksamen Beobachters entgingen sie jedoch nicht.
„Ein so hübsches Mädchen?“, hakte Kathrin nach. „Das kann ich gar nicht glauben. Oder hat sie Ihnen vielleicht nur nichts davon erzählt?“
„Wissen Sie ... mein Mann ...“ Sie zögerte. „Er wollte nicht, dass sie jetzt schon einen Freund hat ... Er ist diesbezüglich ein bisschen altmodisch.“
„Rebecca hat nie einen Freund mit nach Hause gebracht?“
„Doch, schon.“
„Aber nur, wenn Ihr Mann nicht zu Hause war?“
„Ja.“
„Wie heißt er?“
„Heiko Steinhauer. Er leitet diese Fantasy-Spiele.“
„Kennen Sie zufällig seine Adresse?“, fragte Stefan, während er den Namen notierte.
Hanna schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht. Aber er geht in dieselbe Klasse.“
„Darf ich mir mal Rebeccas Zimmer ansehen?“, erkundigte sich Kathrin.
Hanna nickte und ging durch die Diele zu einer Treppe. Kathrin folgte ihr nach oben. Dort gab es drei Räume, deren Türen offenstanden.
„Haben Sie noch weitere Kinder?“
„Nein.“
Hanna blieb an einer Tür stehen. „Hier ist Rebeccas Zimmer.“
„Darf ich?“, fragte Kathrin und deutete auf den Kleiderschrank.
Hanna nickte.
Kathrin öffnete die Türen. Im Schrank befanden sich die Klamotten, die typisch für ein junges Mädchen waren. Jeans, Miniröcke, ein paar Kleider, T-Shirts. Die Unordnung hielt sich in Grenzen. Von ihren Kindern war Kathrin Schlimmeres gewöhnt. Vor allem von Rubina. Das Nesthäkchen der Familie Kripow schien sich im Chaos wohlzufühlen.
Kathrin machte den Schrank zu und widmete sich dem Schreibtisch. Hier stand ein Laptop, daneben lagen ein paar Mappen, ein Notizbuch, CDs und Krimskrams.
„Besaß Ihre Tochter ein Smartphone?“
„Ja“, antwortete Hanna.
„Wissen Sie, wo es ist? Bei ihrer Tochter haben wir es nicht gefunden.“
„Nein, keine Ahnung. Wenn die jungen Leute im Wald spielen, lassen sie ihre Smartphones zu Hause. Das gehört zu den Regeln.“
„Ich verstehe“, sagte Kathrin. „Morgen werden ein paar Leute von der Spurensicherung vorbeikommen und sich etwas genauer umsehen. Das ist Ihnen doch recht, oder?“
Hanna zögerte. „Ich ... ich weiß nicht ...“
„Keine Sorge, sie bringen nichts durcheinander.“
„Na gut, wenn es sein muss.“
„Leider ja. Unter Umständen entdecken unsere Experten etwas, das uns weiterbringt. Das Smartphone Ihrer Tochter zum Beispiel.“
„Ja, vielleicht ...“
„Den Laptop würde ich gerne mitnehmen, wenn Sie einverstanden sind. Vielleicht finden wir ja ein paar Mails.“
Hanna nickte.
Kathrin nahm den Laptop und ging hinaus. Stefan erwartete sie bereits unten an der Treppe. Hanna begleitete die beiden Ermittler schweigend zur Haustür. Kathrin gab ihr eine Visitenkarte.
„Sollte Ihnen noch irgendetwas Wichtiges einfallen, rufen Sie mich bitte sofort an.“