Читать книгу Das Rätsel des toten Einhorns Kripow & Kripow Herr Doktor und die Polizei - A. F. Morland - Страница 8
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Als Martina Kramer mit ihrer Tochter das Haus betrat, in dem sie wohnten, kam ihnen Jana Lehnhoff entgegen. Sie trug schwarze Stretchjeans und einen eierschalenfarbenen Pullover. Ihr langes blondes Haar hatte sie hochgesteckt. Jana betätigte sich manchmal als Babysitter, wenn ihre Nachbarin ausgehen wollte – was seit dem Tod ihres Mannes jedoch nicht allzu oft vorkam.
„Hallo, ihr beiden“, grüßte Jana.
„Tag, Jana“, gab Martina zurück. „Wir kommen gerade von Doktor Kripow.“
Er war auch Janas Hausarzt. Sie wusste, weshalb Frau Kramer und Tabea ihn aufgesucht hatten.
„Er hat sich bestimmt gefreut, dich zu sehen“, sagte Jana zu der Kleinen.
„Zwei Bonbons hat er mir geschenkt“, erzählte Tabea stolz.
„Zwei Bonbons. Na so was! Ich habe von ihm noch nie etwas Süßes bekommen. Das bringt ihm demnächst eine Beschwerde ein.“ Jana wandte sich an Frau Kramer. „Und?“
Martina schüttelte den Kopf. „Nichts Ernstes. Bloß ‘ne Entzündung. Tabea hat Antibiotika verschrieben bekommen. In ein paar Tagen ist alles wieder in Ordnung.“
„Es erleichtert mich ungemein, so etwas zu hören“, entgegnete Jana.
Die Nachbarin nickte. „Das kann man wohl sagen.“
Jana warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Thomas Hochfeldt, mit dem sie gut befreundet war, hatte sie ihr geschenkt. „Ich muss weiter“, sagte sie. „Meine Eltern erwarten mich zum Abendessen. Es gibt Curry-Lamm. Mein Leibgericht. Niemand bereitet es besser zu als meine Mutter.“
„Bestellen Sie Ihren Eltern einen schönen Gruß von uns beiden“, entgegnete Martina.
„Mach ich. Wenn Sie mal wieder einen Babysitter brauchen, - ich kümmere mich dann gern um Tabea.“ Sie legte dem Kind die Hand auf den Kopf und sagte: „Ciao, Bambina!“
Dann lief sie die Treppe hinunter und verließ das Haus. Einen Wagen besaß sie nicht. Ihr Gehalt als Bibliothekarin reichte nicht aus. Allerdings hatte sie auch keinen Führerschein.
„Wann wirst du endlich in die Fahrschule gehen?“, hatte Thomas sie erst kürzlich gefragt.
„Ich brauche keinen Führerschein“, lautete Janas Antwort. „In Hannover gibt es ausreichend öffentliche Verkehrsmittel, die mich jederzeit von A nach B bringen. Ich stehe nicht ständig im Stau, brauche mich nicht um einen Parkplatz zu prügeln, und wenn ich kein Auto besitze, kann mir auch niemand einen Kratzer reinmachen.“
„Du könntest hin und wieder mit meinen Wagen fahren.“
„Will ich gar nicht. Stell dir vor, ich habe damit einen Unfall!“
„Du wärst bestimmt eine sehr vorsichtige Autofahrerin.“
„Und was, wenn mich einer abschießt?“
„Dann kommt seine Versicherung für die Reparatur des Schadens auf.“
„Vorausgesetzt, ich überlebe den Unfall. Heutzutage sind so viele Verrückte auf den Straßen unterwegs, dass man sich seines Lebens gar nicht mehr sicher ist.“
Jana Lehnhoff sah keine Notwendigkeit, eine Führerscheinprüfung zu machen, obwohl es ihr sehr leicht viel, zu lernen. Sie kam auch ohne Auto überall hin. Das Haus ihrer Eltern lag nur zwanzig Minuten entfernt. Es war ein hübsches Haus am Stadtrand von Hannover. Jana hatte dort noch ein Zimmer, aber sie zog es vor, allein zu wohnen und auf eigenen Beinen zu stehen. Ihr Vater und seine konservative Einstellung waren einer der Gründe für ihren Auszug. Einer seiner Lieblingssätze lautete immer: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, hast du zu tun, was ich sage.“
Eines Tages zog sie die Konsequenzen und zog aus. Bis heute hatte sie diesen Schritt nicht bereut. Jana liebte ihre Eltern. Vor allem ihre Mutter. Mit ihrem Vater kam sie nicht so gut zurecht. Er konnte ziemlich eigensinnig und intolerant sein. Aber wenn sie ihren Eltern nur ab und zu einen Besuch abstattete, verstand sie sich auch mit ihm sehr gut. Jana umarmte und küsste ihre Eltern. Der Tisch war bereits festlich gedeckt. Auch Thomas hatte eine Einladung erhalten, die er jedoch ablehnte. Ausgerechnet heute musste er an einem Geschäftsessen teilnehmen, dass er nicht verschieben konnte.
Henriette und Arno Lehnhoff mochten Thomas, und sie hätten bestimmt nicht Nein gesagt, wenn er sie um die Hand ihrer Tochter bitten würde. Er wäre mit Sicherheit ein guter Schwiegersohn geworden. Aber wollte Jana ihn auch als Ehemann haben? Manchmal war sie sich dessen nicht ganz sicher. Sie liebte Thomas zwar – aber vielleicht nur deshalb, weil ihr der berühmte „Märchenprinz“ noch nicht begegnet war.
Sie ärgerte sich über ihre eigene Unsicherheit, denn Thomas war ein anständiger Mann, der es ehrlich mit ihr meinte und fantastisch aussah. Konnte es für sie einen besseren geben? An manchen Tagen sagte sie Nein. Doch dann wiederum gab es Tage, an denen die Beziehung von Zweifeln überschattet wurde.
Ihre Eltern führten keine vorbildliche Ehe, aber sie kamen ganz gut miteinander aus. Hin und wieder gab es zwischen ihnen zwar Streit, doch das war nichts Ungewöhnliches. Nirgendwo konnte immer die Sonne scheinen. Janas Eltern waren nicht sehr groß, aber übergewichtig. Von einer Diät hielten sie nichts mehr. Zu viele Fehlschläge pflasterten ihren Weg.
„Meine Frau und ich haben zusammen schon an die tausend Pfund abgenommen“, pflegte Arno Lehnhoff zu sagen, wenn von Gewichtsreduktion die Rede war. „Ich finde, das reicht.“
Während des Essens meinte Henriette Lehnhoff: „Schade, dass Thomas nicht mitkommen konnte.“
„Ja, schade. Das Curry-Lamm hätte ihm bestimmt gut geschmeckt“, gab Jana zurück.
„Das Geschäft hat Vorrang“, bemerkte Arno. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Man muss froh sein, wenn es noch junge Menschen gibt, die sich an solche Richtlinien halten. Im Zeitalter der Konsumgesellschaft will ja keiner mehr richtig arbeiten.“
„Das ist nicht wahr, Papa“, widersprach Jana. Früher hätte sie sich das nicht getraut.
„Ich will alles und zwar sofort“, sagte Arno mit erhobener Stimme. „Das ist doch heute das Motto der meisten jungen Leute. Woher das Geld für all die schönen Dinge kommt, die sie haben möchten, darüber machen sie sich keine allzu großen Gedanken.“
„Man darf nicht alle jungen Leute in einen Topf werfen“, meinte Henriette.
„Tu ich ja auch nicht“, entgegnete ihr Mann. „Ich sage ja, dass es glücklicherweise rühmliche Ausnahmen gibt – wie zum Beispiel Thomas Hochfeldt.“
„Ich sehe Thomas morgen wieder“, sagte Jana. „Wir werden ein bisschen ins Grüne fahren, wandern, die Natur genießen.“
„So ist es richtig.“ Ihr Vater nickte zufrieden. „Sehr vernünftig. Raus aus der staubigen Stadt. Unter freiem Himmel Kräfte tanken für die nächste Arbeitswoche. Nicht in lärmenden Diskotheken oder stinkenden Wirtshäusern herumhängen.“
Ein bisschen mehr Bewegung würde dir auch nicht schaden, dachte Jana. Aber du hängst ja lieber mit einem Glas Bier vor der Glotze herum, guckst stundenlang Sport und lässt andere für dich schwitzen. Sie sprach nicht aus, was sie dachte, weil sie wusste, dass sie ihren Vater ohnehin nicht mehr ändern konnte. Dadurch blieb der Frieden gewahrt, und sie verbrachte einen harmonischen Abend mit ihren Eltern.