Читать книгу Morlands Horrorwelten: Das große Gruselroman-Paket - A. F. Morland - Страница 68
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ОглавлениеHelmut Schramm schaltete erschöpft den Motor der elektrischen Schreibmaschine ab. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Er hatte hart gearbeitet. Nun blickte er auf seine Uhr. Es war Mitternacht geworden. Seufzend erhob sich der Schriftsteller.
Der Drang war vorüber.
Er hatte geschrieben, was er sich von der Seele schreiben musste. Nun war wieder Ruhe in ihn eingekehrt. Für wie lange aber? Würde es ihn nicht morgen schon wieder an die Maschine drängen?
Schramm drehte das Licht im Arbeitszimmer ab und verließ es. Er nahm sich im Wohnzimmer noch einen Whisky. Dann verschwand er für kurze Zeit im Bad. Hinterher ging er erschöpft zu Bett.
Die todmüden Augen fielen ihm gleich zu. Er versank in einen tiefen Schlaf.
Vorerst jedenfalls. Doch dann bemächtigte sich seiner wieder diese quälende Unruhe.
Wieder musste er diesen abscheulichen Zeugungsakt über sich ergehen lassen. Er verfluchte seine Mutter im Traum. Er verfluchte den Teufel.
Am anderen Morgen erwachte er zerschlagen, nervös und gerädert.
Noch vor dem Frühstück rauchte er vier Zigaretten. Er duschte ausgiebig, um wenigstens zu einem halbwegs klaren Kopf zu kommen. Mürrisch und übelgelaunt bereitete er dann seinen Kaffee zu.
Während er lustlos aß, hörte er die Nachrichten. Er wartete auf eine ganz bestimmte Nachricht, und sie kam auch gleich darauf. Wieder hatte der wahnsinnige Mörder grauenvoll zugeschlagen.
Diesmal nahe der Burg Kreuzenstein. In der vergangenen Nacht. Die Opfer hießen Gisela Wahl und Dr. Wulf Zimmermann. Der Sprecher ging auf keine Einzelheiten ein. Schramm machte das nichts aus. Er wusste auch so Bescheid.
Er war bestürzt und befriedigt zugleich. Es hatte also wieder geklappt. Der Steuerberater, mit dem er sich gestritten hatte, lebte nicht mehr. Es war Pech für das Mädchen gewesen, dass sie in dem Haus war, als es passierte.
Schramm räumte das Geschirr weg. Es klingelte an der Tür. Ein neuer Postbote stand draußen. Ein freundlicher junger Mann mit einem herzerfrischenden Lächeln auf den Lippen.
Schramm war davon überzeugt, dass er mit ihm keine Schwierigkeiten haben würde.
"Guten Morgen, Herr Schramm."
"Guten Morgen."
"Ein Eilbrief für Sie", sagte er Junge lächelnd.
"Danke." Schramm nahm den Brief entgegen, gab dem Postbeamten ein Trinkgeld und schloss die Tür.
Er ging mit dem Eilbrief ins Arbeitszimmer und öffnete das Kuvert mit dem schlanken metallenen Brieföffner. Ein Foto flatterte auf den Schreibtisch. Dem Foto war kein Schreiben beigelegt. Im Kuvert hatte sich nichts sonst befunden. Nur das Foto.
Doch es sprach für sich allein. Ein Begleitschreiben war bei Gott nicht nötig. Schramm starrte fassungslos auf das Bild. Eine heiße Zorneswelle schoss ihm ins Gesicht. Hass, Eifersucht, Wut erfassten ihn zu gleichen Teilen.
Das Foto zeigte zwei Menschen. Einen Jungen und ein Mädchen.
Erika und einen fremden Mann. Beide splitternackt. Es war ein ekelhaftes Foto.
Erika hatte ihre Hand zwischen den Schenkeln des Mannes. Sie schien absolut nichts dabei zu finden. Sie lächelte so wie der Mann selbstgefällig in die Fotolinse.
Schramm musste sich erschüttert hinsetzen.
"Das hätte ich nie für möglich gehalten!", sagte er benommen.
Erika. Seine Erika! Sie betrog ihn auf diese schamlose Weise. Es war nicht zu fassen.
Wieder schaute er das Foto an.
Der Junge war ihm unsympathisch. Schramm sah auf Erika. Eine schlimmere Schmach hätte sie ihm nicht antun können. Schramm glaubte, etwas Wollüstiges in ihrem Blick erkennen zu können. Es schien ihr großen Spaß gemacht zu haben, auf diese widerwärtige Art vor der Kamera zu posieren. Schramm steckte das Foto schnell ein.
Das hatte ihm sicher "ein Freund, der es gut mit ihm meinte", zugeschickt. Man kennt diese Freunde ja.
Trotzdem war Schramm dem unbekannten Absender dankbar. Er hatte ihm die Augen geöffnet. Nun sah er Erika zum ersten mal so, wie sie wirklich war. Diese Erkenntnis schmerzte ihn bis tief in die Seele.
Er konnte es kaum erwarten, bis es Mittag war. Dann verließ er in größter Eile das Haus. Er setzte sich in seinen weißen Rover und brauste los. Zwanzig Minuten später, stand er vor den Stufen, die zu den Toren der Kunstakademie hinaufführten.
Erika kam, umringt von einigen anderen Studenten. Sie lachte übermütig. Sie trug ein zartgrünes Kleid. Sehr kurz. Sehr dekolletiert.
Schlampe! dachte Schramm zornig. Als sie ihn erblickte, winkte sie ihm erfreut zu. Er winkte zurück und zwang sich zu einem falschen Lächeln.
Sie küsste ihn. "Das ist eine nette Überraschung, Helmut."
"Ich hatte in der Nähe zu tun", log er. "Da dachte ich…"
"Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich freue mich ehrlich, dass du gekommen bist."
"Wollen wir essen gehen?" Erika nickte. "Ja. Fein."
"Ins jugoslawische Stübchen?"
"Eine gute Idee", sagte Erika. Sie hängte sich bei ihm ein und erzählte, was sich während der Vormittagsstunden in der Akademie getan hätte.
Das jugoslawische Stübchen war gut besucht. So gut, dass Erika schon befürchtete, sie müssten wieder gehen.
Doch der Kellner gab ihnen zu verstehen, dass gleich ein Tisch frei würde.
Sie bekamen Tisch zwölf.
Schramm ließ das Mädchen wählen. Er bestellte dasselbe.
Er stocherte mit der Gabel im Essen herum, war jedoch nicht in der Lage, einen Bissen zu sich zu nehmen.
Die Aufregung schnürte seinen Hals zu. Er wollte sie nun endlich zur Rede stellen. Lange genug hatte er sich schon zurückgehalten. Jetzt wollte er es ihr sagen.
Als sie fertig gegessen hatte, bemerkte sie, dass er seine Speise kaum angerührt hatte.
Sie glaubte, dass die Appetitlosigkeit wieder mit seinen quälenden Träumen zusammenhing.
"Was hast du, Helmut?", fragte sie besorgt. "Du hast nichts gegessen. Du bist so sonderbar. Mir ist das nicht sofort aufgefallen, aber jetzt… Was ist passiert, Helmut?"
Schramms Gesicht wurde fahl. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und holte das Foto heraus.
Einen kurzen Augenblick zögerte er. Dann warf er das Bild vor Erika hin.
"Das ist passiert!", sagte Schramm wütend. Aufgewühlt rang er nach Fassung. Er hatte den unbändigen Wunsch, das Mädchen zu schlagen. Hier in diesem Lokal. Vor allen Leuten. Er musste sich zwingen, es nicht zu tun.
Erika starrte fassungslos auf das Foto. Ihr entsetzter Ausdruck, erweckte den Anschein, als sehe sie das Bild in diesem Augenblick zum ersten mal.
Schramm wollte sich von ihrer entsetzten Miene jedoch nicht täuschen lassen.
Wer sich so fotografieren lässt, der ist auch zu Falschheit und Verschlagenheit fähig.
"Was hast du dazu zu sagen?", fragte der Schriftsteller fiebernd.
Erika hob den verwirrten Blick und schaute ihm empört in die Augen.
"Das ist der Gipfel der Geschmacklosigkeit", sagte sie heiser.
Schramm lächelte bitter. "Der Meinung bin ich auch." Er verzog das Gesicht verächtlich. "Ich hätte nicht geglaubt, dass du eine so verkommene, niederträchtige Schlampe sein könntest!"
Erika riss bestürzt die Augen auf. "Helmut! Du glaubst doch nicht im Ernst…"
"Ich glaube, was ich sehe!", fauchte der Schriftsteller wütend, "Spar dir alle schönen Verteidigungsreden. Dieses Bild lügt nicht. Ich kann nur sagen, dass es mich zutiefst erschüttert."
"Dieses Bild ist eine Fälschung, Helmut!", beteuerte Erika verzweifelt. "Eine gemeine Fälschung ist das!"
"Ach nein!", höhnte Schramm.
"Denkst du im Ernst, ich hätte mich auf eine so ordinäre Weise fotografieren lassen? Ich kenne den Mann auf diesem Bild überhaupt nicht. Und dieser Mädchenkörper gehört mir nicht, das solltest du eigentlich wissen. Es ist eine ganz gemeine Fotomontage, Helmut. Du musst es mir glauben, ich hätte mich für solch eine Aufnahme niemals hergegeben. Jemand hat meinen Kopf hineinkopiert. Jemand will uns mit diesem Foto einen ganz üblen Streich spielen…"
Schramm kippte mit einem wütenden Ruck den Slibowitz in den Mund.
Kein Wort glaubte er dem Mädchen. Sie konnte noch so sehr auf ihn einreden. Er glaubte ihr einfach nicht.
Es war ein abscheuliches Foto. Sie hätte damit gerechnet, dass er es niemals zu Gesicht kriegen würde. Nun wollte sie sich auf diese lächerliche Art herausreden.
Er glaubte ihr nicht.
"Ich habe auch schon einen Verdacht, wer das getan hat!", sagte Erika aufgeregt. Sie kämpfte verzweifelt um sein Vertrauen. Sie wusste, dass sie Helmut verlor, wenn es ihr nicht gelang, ihn davon zu überzeugen, dass sie unschuldig war.
"Alfi Hagen! Es war bestimmt Alfi Hagen!", sagte Erika wütend. "Dieses Schwein experimentiert so gern mit Pornofotos. Er hat so was Ähnliches schon ein paarmal gemacht. Mit anderen Mädchen. Die meisten haben über, seine geschmacklosen Scherze gelacht. Das scheint ihn ermutigt zu haben, weiterzumachen. Diesmal bin ich an der Reihe. Das wird ihm teuer zu stehen kommen. Kann ich das Foto haben?"
"Natürlich", knurrte Schramm. Er wollte es ohnedies nicht mehr länger sehen.
Er hasste das Mädchen mit einem mal abgrundtief. So sehr, wie er sie früher geliebt hatte - noch gestern -, so sehr hasste er sie heute.
"Ich werde Hagen anzeigen!", sagte Erika und steckte das Foto in ihre Handtasche.
Schramm bezahlte das Essen.
Er erhob sich.
Erika erhob sich ebenfalls. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Er zuckte bei dieser Berührung zurück. Er wollte nicht mehr, dass sie ihn anfasste. Nicht das Mädchen, das sich für ein so ordinäres Foto hergegeben hatte.
"Du glaubst doch hoffentlich, was ich gesagt habe, Helmut?", fragte Erika flehend.
Sein Lächeln troff vor Zynismus. "Ist das denn so schrecklich wichtig für dich?"
Erika erschrak. "Was willst du damit sagen?"
Schramm hätte ihr am liebsten ins Gesicht gespuckt.
Er knirschte voll Hass mit den Zähnen. "Ich wollte dich nur noch einmal sehen, du dreckige Hure. Das kleine Dreckstück, das mir die große Liebe vorgelogen hat."
Er riss sich hastig von ihr los und stürmte aus dem Lokal.
Erika rannte verzweifelt hinter ihm her.
"Um Himmels willen, Helmut!"
Sie holte ihn ein, überholte ihn, stellte sich ihm in den Weg und hielt ihn mit den Händen flehend auf.
Sein von Hass glühender Blick erschreckte sie zutiefst.
"Fass mich nicht an!", fauchte er wütend. "Sonst vergesse ich meine gute Erziehung!"
"Helmut…"
"Geh mir aus dem Weg. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben!"
Er stieß sie grob zur Seite, würdigte sie keines Blickes mehr und stürmte wutschnaubend davon.