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4. Eine Reform des Islam
braucht mutige Reformer.

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Selbstverständlich können und müssen alle Muslime ihre eigene Religion reflektieren, denn sie sind diejenigen, die die Verantwortung für ihre Entscheidungen und ihr Handeln im Diesseits tragen. Auch im Jenseits werden alle Menschen zur Rechenschaft gezogen für das, was sie in ihrem Leben gemacht haben. Kein Muslim hat das Recht, sich zum Fürsprecher anderer aufzuschwingen. Und doch benötigen auch Muslime geistige Wegweiser, besonders in Zeiten der Sinnkrise ihrer Religion. Eine religiöse Reform formiert sich immer zu einem Zeitpunkt, an dem die Auslegung der Religion als nicht mehr zeitgemäß empfunden wird. Oft wird sie durch eine politische oder soziale Krise in Gang gesetzt und beschleunigt. Vor der Formierung einer Reformbewegung sind kreative Kräfte zumeist in den Hintergrund gerückt. Ein Gefühl der Unterlegenheit und der Frustration kennzeichnet die Mentalität der Menschen. Es scheint, dass die Gesellschaft auf einzelne Personen wartet, die die Kraft und den Mut haben, der Reform des Glaubens neuen Schwung zu geben. Die Träger einer Reformbewegung sind sich der kollektiven Depression ihrer Gesellschaft bewusst und versuchen, sozusagen als geistige Handwerker, ihre Umgebung zu reparieren und die wahren religiösen Prinzipien wiederzubeleben.

Die Reform des Islam benötigt mutige, aufrichtige Reformer – Intellektuelle, die den Finger in die Wunde der Zeit legen. Diese Menschen sind humanistische Muslime, die ihre Aufgabe darin sehen, zu klären und aufzuklären. Sie sind heute wichtiger denn je, denn sie haben den Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und mit Tabus zu brechen – und zwar gegen alle Widerstände. Sie erlauben anderen, vollständig an ihrem Aufklärungsprogramm teilzunehmen, und bleiben – ohne Furcht vor den Reaktionen anderer – bei ihrer Wahrheit. Sie riskieren den Zorn und die Wut der Vertreter des konservativen Islam, gehen dabei ein hohes Risiko ein und setzen nicht selten ihr eigenes Leben aufs Spiel.

Ein vorbildhaftes Beispiel für solche freien Geister findet sich sogar im Koran selbst, nämlich an jener Stelle, wo es zum Dialog zwischen Gott und den Engeln kommt (Koran 2:30–34). Am Beispiel dieser Stelle möchte ich gern eine humanistische Lesart des Korantexts demonstrieren.

Es findet an dieser Stelle im Koran ein einmaliger Dialog zwischen Gott und den Engeln bezüglich der Einsetzung eines menschlichen Vertreters auf Erden statt. Nach der Erschaffung des Diesseits – Erde und Himmel – teilt Gott den Engeln mit, dass er sich einen Vertreter auf Erden erschaffen will. Die Engel sind nicht begeistert von Gottes Vorhaben. Sie schweigen aber nicht, sondern äußern unmissverständlich und mutig, was sie denken. Die Engel waren über das Vorhaben nicht nur erstaunt, sondern mit dem Projekt Gottes schlicht nicht einverstanden. Vielleicht hofften sie, dass Gott sich über sein Vorhaben mit ihnen beraten würde, in der Hoffnung, dass er es revidiert. Somit sind die Engel nicht mehr nur als Diener Gottes zu betrachten, sondern als ihm ebenbürtige Gesprächspartner.

Als Mensch mutig und frei zu sein, wenn es um den Islam geht, ist freilich keine einfache Aufgabe, denn im Islam wird zwischen konstruktiver Kritik und Schmähung nicht unterschieden. Jede noch so sachliche und fundierte Kritik wird als Verrat an der eignen Religion betrachtet und Reformer werden als Nestbeschmutzer verunglimpft. Der „Wahrsprecher“ riskiert Feindseligkeit, Hass und Tod, besonders wenn sein Gegenüber Macht und Autorität besitzt, wie es im Islam der Gegenwart der Fall ist. Dennoch: Eine Reform des Islam braucht eben solche mutigen Frauen und Männer.

Reform des Islam

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