Читать книгу Der Wünscheerfüller - Achim Albrecht - Страница 12
VII.
ОглавлениеIch lege bei allem, was ich tue, die denkbar höchsten Maßstäbe an. Auch bei der Ausrüstung mache ich keine faulen Kompromisse. Der Taser mag ein klobiges und unattraktiv erscheinendes Elektroimpulsgerät sein, aber er hat unbestreitbare Vorteile zu einer echten Schusswaffe oder zu Totschlägern und Elektroschockern aller Art. Er kombiniert das Beste aus zwei Welten. Zum einen kann man seine Pfeile aus sicherer Entfernung abschießen und zum anderen macht er keine hässlichen Löcher, die das Objekt zum Teil oder vollends zerstörten, bevor man die Dinge tun konnte, die man mit ihm vorhatte. Als Bonus kann man betrachten, dass er kaum Geräusche und keinen Schmutz macht, wenn man davon absieht, dass der Getroffene eine vollkommene Muskelverriegelung erfährt und sich möglicherweise beim Nachlassen der Wirkung auf die eine oder andere Weise entleert.
Der Weihnachtsmann war noch nicht im Stadium des Entleerens angekommen. Ganz im Gegenteil. Er krümmte sich in wilden Krämpfen auf dem Boden. Wäre ich nicht so gut vorbereitet gewesen, hätte er sich in den isolierten Hochspannungskabeln verheddert, die von der Tasermündung zu seiner Brust führten. Ich hasste es, wenn meine Sachen beschädigt wurden, auf die ich ansonsten so gut achtgab. Um die Geräuschkulisse aus dumpfem Aufprall und kehligem Stöhnen machte ich mir genauso wenig Sorgen, wie um die Tür, die ich nur mit Schultereinsatz notdürftig im beschädigten Schloss arretieren konnte. Das Haus hatte täglich ganz andere Lärmattacken zu erdulden und es ertrug sie mit stoischem Schweigen. Was mir Sorgen machte, war die zweite Person, die anscheinend im Schock auf dem Bett verharrte, das um die Ecke stehen musste.
Ich war darauf gefasst, jeden Moment von spitzen Schreien durchbohrt zu werden und entschied mich für den Frontalangriff. Mit einem Sprung setzte ich über den sich krümmenden Weihnachtsmann hinweg und rollte mich vorsichtshalber über die Schulter ab, falls ein heimtückischer Angriff von der Bettseite aus drohte. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Das Einzige, was über mich herfiel, war ein faltiger Lampenschirm, den mein Steilsprung aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Das Bett stand genau dort, wo ich es erwartet hatte und wurde von zwei ungleichen Nachttischen flankiert, die schon bessere Zeiten gesehen hatten. An dem schmucklosen Zweimannbett und seinem Deckenberg war an sich nichts auszusetzen. „An sich“ heißt: Bis auf den menschlichen Belag, der wie ein flach gedrücktes X in seinen Armen lag. Da hatten wir also das Objekt der Begierde, dessentwegen Susi traurig war und ich wie ein mäßig begabter Bodenturner in ein mir unbekanntes Zimmer hechtete.
Die ungewöhnliche Steifheit des Objekts und sein gelegentliches Wimmern ließen als Erklärung nur zu, dass es beim Anblick meiner Erscheinung in eine Art angstvollen Starrezustand verfallen war oder schon transportfähig gefesselt und geknebelt dalag. Langsam auf die Knie gehend, entschied ich mich für die zweite Option. Hände und Füße steckten in derben Ledermanschetten und waren mit Verschlusshaken an den aufragenden Bettpfosten festgezurrt. Ein dienstbarer Geist hatte massive Ösen in die Pfosten hineingetrieben. Es geht nichts über stabile Sonderanfertigungen. Das Objekt war passenderweise nackt und lag auf dem Bauch. Die beiden Turteltauben hatten aus Einfachheitsgründen auf ein vollständiges Rollenspiel verzichtet. Der Kopf des Objekts war tief in die Kissen gedrückt und hatte Mühe, mit angestrengt wirkenden Seitwärtsbewegungen an ausreichend Atemluft zu kommen. Der Kopf stöhnte auch, aber in einer höheren Tonlage und mit länger gezogener Modulation im Vergleich zu seinem Weihnachtsmannliebhaber, dessen vokalreiche Reaktion langsam in ein klagendes Zucken überging, bei dem die Pantomime überwog.
Meine beiden Zimmergenossen hatten den Begriff „Zweimannbett“ wörtlich genommen. Der magere, mit blondem Flaum bedeckte Hintern im Zentrum der Matratze gehörte einem Mann. Über den Rest brauchen wir nicht mehr zu streiten. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und hätte mir fast die Haare gerauft. Vor mir lag kein ausladender Frauenarsch in Apfel- oder Birnenform, sondern ein vorwitziger kleiner Knackarsch unter schmalen Hüften, muskulös und für einen wie mich in etwa so erregend wie ein Harzer Käse auf Graubrot. Das ganze knotige und sehnige Kerlchen samt blonden Igelhaaren im Blow Dry Stil war nicht mein Metzger. Der gute Benedikt musste unter dem langen Bart des Weihnachtsmanns stecken. Ich war bedient und hätte gut und gerne noch eine Fanta gebrauchen können.
Ich weiß, dass es nur ein kurzer Weg ist, mir Schwulenfeindlichkeit vorzuwerfen, aber ich gehöre nicht zu denen, die Schwule verurteilen, nur weil sie anders orientiert sind. Ich gehöre auch nicht zu jener bigotten Gesellschaft, die Schwulen aus religiösen und moralischen Gründen das Existenzrecht abspricht oder zu der Fraktion, die Homosexualität als kurierbare Krankheit ansieht. Nein, so ist es bestimmt nicht. Ich mag sie nur einfach nicht. Basta.
Seit gerade eben spürte ich, dass ich sie noch viel weniger mochte, wenn sie sich mit heißer Schokolade beträufelten, um Gott weiß welche Spielchen zu veranstalten. Der kleine Scheißer auf dem Bett trug eine Schokoladenlandschaft auf dem Pelz, die im Jackson Pollock Stil auf ihn getropft worden war. Woher ich wusste, dass es sich um Schokolade und nicht um Farbe oder Exkremente handelte? Ganz einfach, meine Lieben. Geruchssinn und Geschmackssinn sind in solchen Fällen untrügliche Ratgeber und wenn sich zusätzlich der Sehsinn mit durchschnittlicher Intelligenz paart, zieht man die richtigen Schlüsse. Auf einem der Nachttische war ein Campingkocher in Betrieb, der in einem Topf Schokolade schmolz. Es roch intensiv nach Bitterschokolade, Kirsche und Minze. Die Schokolade war überall. Klebrige Spuren auf dem Boden, den Bettüberwürfen und den Körperöffnungen von Goldlocke, der mit einem rosa Ball geknebelt war, der ihm aus dem Mund quoll. Mit Nieten besetzte Lederbänder waren in seinem Nacken verknüpft und hielten den Ball an seinem Platz. Ich hatte eine solche Vorrichtung noch nicht gesehen und ihr luststeigernder Sinn erschloss sich mir nicht von alleine.
Ich stippte den Finger in den Topf und kostete. Es war köstlich warm und cremig. Eine Geschmacksexplosion von Kakao, intensivem Kirscharoma und minziger Frische. Die Jungs wussten, was gut war. Vom Körper des gefesselten Gespielen hielt ich mich einstweilen fern. Das tat ich nicht, weil ich Berührungsängste hatte, sondern weil der Weihnachtsmann zu zittern aufhörte und zu starren anfing. Wenn ich später noch Zeit und Lust hatte, konnte ich Goldlocke nach Herzenslust abschlecken. Ich bezweifelte aber schon jetzt, dass es dazu kommen würde. Als ich ihn an seinen Haaren hochzog und den Kopf zur Seite drehte, blubberte hinter dem Plastikball ein Satzbrei ins Freie, der in freier Übersetzung für nicht Geknebelte heißen mochte: „Was soll denn das? Wer bist denn du?“. Berechtigte Fragen allemal, das musste man zugestehen. An ihrer Beantwortung war mir nicht gelegen. Ich versuchte vielmehr abzuwägen, wie weit der Kamerad den Ball mit der Zunge verschieben konnte, um einen höllisch lauten Hilferuf zustande zu bringen. Da ich keinen Babysitter dabei hatte, der auf ihn aufpassen konnte und ich mich dringend anderen Aufgaben zu widmen hatte, griff ich mir das nächstbeste als Zusatzknebel geeignete Objekt. Meine Wahl fiel auf ein handliches Plastiknetz voller handelsüblicher Glasmurmeln. Es lag unschuldig neben einem Kopfkissen und wäre vor fünfzig Jahren der Stolz eines jeden Dorfjungen gewesen. Ich vermochte nach allem, was ich gesehen hatte, nicht zu glauben, dass es zufällig an diesem Platz lag. Andererseits konnte ich mir keinen Reim darauf machen, welche Rolle die teilverkleideten und teilgefesselten Jungs in der Schokoladenweihnachtssexorgie den Murmeln zugedacht hatten. So glatt und fest wie diese waren, konnte man sich einige Verwendungsweisen vorstellen. Aber wir wollen das an dieser Stelle nicht vertiefen. Ich machte mir eine mentale Notiz, meine Mutter als neutrale Expertin dazu zu befragen.
Goldlocke ließ sich erstaunlich willig das Murmelpäckchen in den Rachen stopfen. Anscheinend ging er tatsächlich davon aus, dass ich als Überraschungsgast mit zum Spiel gehörte. Leicht angeekelt betrachtete ich die bräunlich verfärbten Speichelfäden auf dem Zeigefinger meines hellen Ziegenlederhandschuhs. Ich wäre besser beraten gewesen, auf eine Latexversion zurückzugreifen, die ich nach dem Stochern in fremden Mundhöhlen entsorgen konnte. Der Zeigefinger meines Lederhandschuhs roch nach Kirschschokolade. Offensichtlich hatten die beiden Schleckermäuler schon eine erste schnelle Runde hinter sich gebracht.
Der Weihnachtsmann lag wie ein gestrandeter Wal auf der Seite. Er war ein schwerer Bursche und ich hatte alle Mühe, ihn auf einen Flechtstuhl zu zerren und seine Handgelenke mit Kabelbindern an die Armlehnen zu fesseln. Aus der Richtung des Bettes kamen so etwas wie Schnarchgeräusche. Es war nicht zu fassen. Erst nahm der Typ den Mund ziemlich voll und dann gelang es ihm in der denkbar aufregendsten Phase dieses Dienstags einzuschlafen. Mir sollte es recht sein.
Der Schokoladenpenis des Weihnachtsmannes hatte sich in seine drahtige Schambehaarung verkrümelt. Bei dem Herumgewälze hatte die erschlaffte Hautausstülpung interessante dunkle Tupfer und Schmiergebilde auf dem Laminat hinterlassen. Wenigstens war der vornehme rote Mantel mit dem weißen Pelzbesatz weitgehend unversehrt geblieben. Der Rauschebart hing ein wenig windschief, aber immer noch akzeptabel über das Kinn und die Zipfelmütze saß fest auf der Stirn. Lediglich die Bommel war nach vorne geschlagen und zierte die Nasenspitze des Weihnachtsmannes wie ein großer Furunkel. Die beachtliche Wampe des Mannes und seine momentanen muskulären Probleme drohten den Körper nach vorne zu kippen und mit dem Gesäß über den Stuhlrand gleiten zu lassen. So konnte ich nicht arbeiten. Eine gepflegte Unterhaltung erfordert ein Mindestmaß an Bequemlichkeit und Etikette.
Ich behalf mich mit mehreren Armlängen Vorhangschnur und schlang das Nylon um Körper und Beine, bis ich mit der Sitzposition einverstanden war. Später würde ich einen angemessenen Betrag aus den Geldbörsen von Goldlocke und Schokopenis pflücken und für den Betreiber des Palais zur Beseitigung der entstandenen Schäden hinterlegen. Ich machte mir eine entsprechende mentale Notiz. Ich wollte mir in diesem Punkt nichts nachsagen lassen. Sollten Sie an dieser Stelle das Gefühl haben, dass ich unnötig geizig bin, dann täuschen Sie sich. Ich glaube, dass ich schon mehr als ein Mal bewiesen habe, dass Großzügigkeit zu meinen Charaktermerkmalen gehört. Aber ich bin korrekt. Ich bin immer korrekt. Das soll heißen, dass ich mich an dem Verursacherprinzip orientierte. Wer, so frage ich Sie, hatte die Schweinerei verursacht? Doch eindeutig die beiden schwanzgesteuerten Jungs. Und ich bitte noch eines zu bedenken: Ich war ohne Bezahlung, also völlig pro bono unterwegs und trug sogar meine Auslagen selbst. Ich denke, das rechtfertigt meine Handlungsweise.
Der Metzger war der am dichtesten behaarte Weihnachtsmann, der mir je untergekommen war. Haarbüschel sprießten wie Wolle aus seiner Haut. Es waren wellige, drahtige Borsten, die sich zunehmend grau färbten. Susi schien auf den Typ Affenmensch zu stehen, der auf haarige, schwielige Pranken statt auf einen akademischen Abschluss verweisen kann. Das hatte sie davon. Das Fell und die Muskeln unter dem Fettgewebe gab es eben nur im Doppelpack mit einer ungezügelt animalischen Natur. Wenn man selbst auf der musischen und kulinarischen Seite des Genusses stand, der seine Erfüllung in dem Anhören einer Weihnachtskantate und dem Verfeinern von Krautsalat fand, musste man damit rechnen, dass sich die Triebe des Partners anderweitig befriedigten. Nun, dieses Problem würde einer dauerhaften Lösung nach dem heutigen Dienstag wesentlich näher gekommen sein. Ich war mit dem Arrangement erst einmal zufrieden.
Das mühsame Keuchen und Rasseln seines Atems, die Speichelblasen im Wattebart und die trüben Augen unter den mächtigen schneeweißen Augenbrauen ließen das Ansehen des Weihnachtsmannes in meinen Augen auf einen historischen Tiefstand sinken. Außerdem stank er penetrant vor sich hin, als ob er einen Nebenjob als Duftkerze ausüben würde. Aus dem verklebten Schritt waberte eine Schokoladenwolke und die Achseln mit ihrem zottigen Wildwuchs verströmten ein herb männliches Aroma von Tabak, Hölzern und Zitrusfrüchten. Für das Deo hatten Heerscharen unschuldiger Pflanzen ihr Leben geben müssen und ich war dazu verurteilt, ihretwegen mit einem ständig wiederkehrenden Würgereiz zu kämpfen. Ein wildes Hupkonzert von der Straße kämpfte sich durch den Nebel und erreichte das Zimmer als mehrstimmiges Quäken.
Als vorausschauende Vorsichtsmaßnahme hatte ich mehrere Lagen breites Isolierband über den bärtigen Mund meines verkrampften Freundes geklebt. Das war nicht ganz einfach zu bewältigen, denn die Ausläufer des Bartes hefteten sich begierig an den Klebstoff und machten die Haftwirkung unwirksam. Das Experimentieren mit den Klebestreifen brachte mich in die unmittelbare Nähe des Mundes und der fleischigen Wangen. Vielleicht sind Sie in solchen Dingen abgehärteter oder toleranter. Ich jedenfalls war auf das Äußerste abgestoßen, als ich feststellen musste, dass der Weihnachtsmann blutrot geschminkte Lippen hatte. Ich hatte die beiden mitten in der Verrichtung gestört. Ganz sicher wäre die Schminkerei und Verkleiderei noch weitergegangen. Durchsichtige, duftige Dessous und falsche Wimpern, ausdrucksvolle Lidschatten und Pumps Größe 46. Ich wickelte das Isolierband kurzerhand mehrfach um Kopf und Kapuze, sodass der Weihnachtsmann aussah, als sei er von einem Stümper repariert worden. Ich seufzte tief. Im Bett beschäftigte sich Goldlocke mit einer Art ersticktem Schluckauf. Er schien eine Menge Spaß zu haben, denn er schaukelte hin und her, wie jemand, der den Beginn seiner Behandlung nicht abwarten kann.
Längst hatte ich den Taser wieder betriebsbereit gemacht und längst fixierten mich die eng beieinanderstehenden Augen des Mannes auf dem Stuhl. Ich tat so, als hätte ich nicht bemerkt, dass er seine gesamte Muskelkraft einsetzte, um die Fesseln zu sprengen. Der Stuhl ächzte unter der Zumutung, hielt aber stand. Es ist ein seltsames Gefühl, von den blutunterlaufenen Äuglein eines halb nackten, geschminkten und gefesselten Weihnachtsmannes fixiert zu werden, der im bürgerlichen Leben ein Kopfschlächter ist. Manchmal konnte man sich seine Gesellschaft eben nicht aussuchen. Ich seufzte bei dem Gedanken erneut und beschäftigte mich mit meinen Utensilien. In dem Buch eines chinesischen Kriegsherrn hatte ich gelesen, dass die Nichtbeachtung eines besiegten Feindes eine vielversprechende Strategie ist, diesen kooperationsbereit zu machen.
Was Sie nicht wissen können ist, dass meine Aufmachung ihn ebenso verwirren musste, wie es die Seine bei mir getan hatte. Er sah eine schlaksige Figur in Lederjacke, Schal und Schirmkappe mit dem Gesicht von Nancy Reagan. Nun ja, ich muss gestehen, dass mir nichts Besseres eingefallen war. Kurz vor den Festtagen musste man an Masken nehmen, was von Fasching übrig geblieben war. Der Staubschicht nach zu urteilen, die auf dem dehnbaren Gummigesicht der ehemaligen First Lady der USA Asyl gesucht hatte, war die Maske der Ladenhüter des Jahrhunderts. Beim Anprobieren stellte sich heraus, dass Nancy Reagan meine erste Wahl sein musste. Wenn eine Plattitüde angebracht ist, dann hier, denn die Maske passte im wahrsten Sinne des Wortes wie angegossen. Nancy und ich hatten die gleiche hagere und längliche Gesichtsform. Wir waren beide ehrgeizig und machtbewusst … Sie haben recht. Ich darf es mit den Gemeinsamkeiten nicht zu weit treiben. Nancy Reagan hätte niemals vor Santas Schokopenis gekniet und ihre Messersammlung präsentiert.
Und das war der zweite mögliche Grund, weshalb mich der Weihnachtsmann so gebannt anschaute. Auf meine Maskierung konnte er sich erst einmal keinen Reim machen, aber die Geheimnisse, die ich meinem Koffer entlockte, mussten ihn auf das Höchste beunruhigen. Ich gab mich nicht mit Erklärungen ab, sondern hob meine Schätzchen aus ihrem rosenroten Samtbett. Ich will Ihnen nicht verschweigen, dass es dabei nicht wirklich stilecht vorging. Nachdem ich den Besteckeinsatz entfernt hatte, wollte ich eine Serie elastischer Schlaufen in den Samt einlassen, um die Messer dekorativ zu verwahren. Ich denke, Sie kennen das. Vorsätze sind schnell gebrochen, wenn man vordringlichere Dinge zu erledigen hat, und so blieb die Planung in ihren Urgründen stecken.
Ohne Halterung polterten und klirrten die teuren Errungenschaften lieblos durcheinander und verkeilten sich wie ein Haufen Altmetall, das keine andere Zukunft kannte als die Metallschmelze. Das hatten meine neuen Kameraden nicht verdient, zumal ich wusste, wie sensibel und nachtragend diese Klingen sein konnten. Sie glauben vielleicht, das Zerbrechen eines Spiegels bedeute sieben Jahre Pech und damit hat es sich. Sie sollten den Grundsatz auf beschädigte und vernachlässigte Messer anwenden und die Pechperiode potenzieren. Dann wären Sie auf dem richtigen Weg. Meine Methode den gehörigen Respekt zu zeigen war es, jede Schneide in ein separates, genau auf den Charakter des Messers abgestimmtes Tuch einzuschlagen und mit Gummibändern zu taillieren. Es gab ein rot und weiß gewürfeltes Leinentuch für das Bowiemesser, einen nilgrünen Schal für das Hackebeil und die japanischen Nationalfarben für das Santoku-Allzweckmesser, das geformt war wie ein Tukanschnabel.
Es hatte den Anstrich einer religiösen Zeremonie, als ich mit allem zum Gebote stehenden Ernst die wohlverpackten Schätze aus ihrer Luxusgruft hob und auf einem schmucklosen Beistelltisch drapierte. Manch einer zählt das Aufreihen gefährlicher Gerätschaften vor einem wehrunfähigen Dialogpartner schon zu der subtilsten Form von Folter. Dem vermag ich nicht beizupflichten. Es ist ein gewaltiger Irrtum, dass der mittelalterliche Brauch des hochnotpeinlichen Verhörs, der mit dem Zeigen der Instrumente begann, gleichbedeutend mit der heutigen direkten oder indirekten Androhung von Gewalt ist. Lesen Sie dazu die lohnenswerte Abhandlung „Cautio Criminalis“ des Grafen von Spee, der mit dem Traktat wider die Folter den Wahn der Hexenverfolgung zu beenden half. Das Zeigen der Instrumente war keineswegs eine Drohung, sondern der Anfang der Folter selbst, die nur unterbrochen wurde, um dem Delinquenten Gelegenheit zu geben zu gestehen, bevor er als reuiger Sünder in den Schoß der Kirche zurückkehrte und anschließend voll christlichen Verständnisses zu Tode gebracht wurde.
Bitte beschweren Sie sich nicht darüber, dass die letzten Sätze bedeutungsschwanger und bleischwer ihren Denkapparat belastet haben. Ohne Anstrengung kein Fortschritt. Ich fand es nur notwendig, mich von vornherein gegen gewisse populistische Vorverurteilungen zur Wehr zu setzen. Nein, ich hatte nicht vor, dem Mann physische oder psychische Folter angedeihen zu lassen. Ganz im Gegenteil. Ich begann mit harmlosen, fast freundschaftlichen Fragen, die man mit einem Nicken oder Kopfschütteln beantworten konnte. Ich fragte, ob er Benedikt, der Metzger sei, und erhielt außer einem feindlichen Starren keine Antwort. Meine nächste Frage zielte auf seine momentane Situation und verfolgte keinen anderen Zweck, als meine Neugierde zu befriedigen. Sie lautete, ob das Weihnachtsmannkostüm zur Staffage eines Rollenspiels gehörte, das er mit Goldlocke exerzierte. Die Reaktion war ein verächtliches Schnauben durch die Nase.
So würde ich nicht weiterkommen. Das Steakmesser besitzt eine schlanke, kräftige Klinge, die Gebratenes glatt und mühelos durchschneidet. Es enttäuschte mich nicht und tat genau das mit der rechten Brustwarze des Weihnachtsmannes. Man kann sich trefflich darüber streiten, ob diese Ausführgänge der Milchdrüsen beim Mann nicht ohnehin eine nutzlose Verkümmerung sind, die die Evolution zu beseitigen vergessen hat. Sicher, sie dienen bei manchen Männern als erogene Zone und können sich mehr noch als bei Frauen durch die umgebende Brustmuskulatur aufrichten. Meine liebe Mutter könnte Ihnen einige Takte dazu erzählen. Aber lassen wir das. Tatsache ist, dass Männer – und allen voran Weihnachtsmänner – bestens ohne Brustwarzen leben können. Schokopenis lebte das vor. Er beeilte sich, den Kopf wild hin- und herzuwerfen und gab eine Salve atonaler Kehllaute von sich, die darauf schließen ließen, dass er kommunikationsbereit war.
Natürlich blutete der Mann. Natürlich erlitt er einen neuerlichen Schock. Grausam war die Behandlung jedoch in keinem Fall. Der rasch entschlossene Schnitt konnte als Anreiz zur Teilnahme am Dialog gelten, eine Art Ermunterung in einer verfahrenen Situation, die durch die üblichen Verhandlungstechniken nicht vorangebracht werden konnte. Zuerst hatte der Weißbärtige seinen Standpunkt klar gemacht und dann ich. Wir waren an dem Punkt eines Neuanfangs angekommen.
Während ich das Messer mit einem Tuch so gut es ging abwischte, stellte ich Frage Nummer eins noch einmal. Meiner Stimme verlieh ich den fröhlichsten, unaufdringlichsten Klang, dessen ich unter der Maske fähig war. Ich wollte mir nicht nachsagen lassen, dass ich meine Gesprächspartner einschüchterte oder demütigte. Die Augen meines Gegenübers versuchten noch immer den Schaden zu taxieren, den die Klinge angerichtet hatte. Langsam hob sich das Kinn von der Brust und der Kopf schüttelte sich verneinend. Der Wattebart war in den unteren Regionen verfilzt und rötlich eingefärbt. Auch die zweite Frage wurde verneint. Ich war irritiert. Ein blutender, gefesselter Fettsack von Weihnachtsmann mit einem schokoladeverklebten Penis hatte es geschafft, mich dermaßen zu irritiert, dass ich in einem Impuls fast die Flucht ergriffen hätte. Sie sehen, ich beschönige nichts. Den listigen Insektenaugen des Weihnachtsmannes konnte ich das Vergnügen förmlich ansehen, das ich ihnen mit meinem Rückzug ins Badezimmer bereitete, wo mich Nancy Reagan streng aus dem Spiegel anblickte und mich einen Narren schalt.
Es konnte nicht wirklich sein, dass ich den Falschen erwischt hatte? Bevor ich dem Weihnachtsmann die Verkleidung herunterreißen und ihn enttarnen konnte, kam die Lösung wie von selbst. Der Kerl mit der fehlenden Brustwarze produzierte eine Serie von Brunftlauten und wackelte mit den Fingern, als ob er ein Klavierkonzert geben wolle. Ich war schon immer gut bei Ratespielen. Pantomimen, die einen Begriff vorspielten, der erraten werden musste, waren eine meiner liebsten Herausforderungen und auch der Weihnachtsmann schien dies zu wissen. Anscheinend befürchtete er drastische Sanktionen und legte es gar nicht darauf an, dass ich ihm das Klebeband über dem Mund entfernte. Wir kamen auch so zurecht und nach wenigen Fehlversuchen hielt ich ihm einen kleinen Schreibblock vor die Finger. Mit einem Bleistift krakelte er mühsam zwei Worte. Es waren die Worte „Fleischer“ und „Nikolaus“. Ich verstand augenblicklich und empfand so etwas wie Bewunderung für den Mann. Er hatte Chuzpe. Was er sagen wollte war, dass er kein Metzger, sondern ein Fleischer war und kein Weihnachtsmann, sondern ein Nikolaus.
Auch wenn die Erleichterung, dass ich das richtige Pärchen erwischt hatte, vorherrschend war, muss ich doch zugestehen, dass mich der Mann verblüffte. Ich war mir nicht sicher, ob er stur, aufsässig, tollkühn oder dumm war.
Ich könnte es an der Stelle mit dieser Feststellung bewenden lassen, aber ich will offen mit Ihnen sein. Wahrscheinlich war mir ein taktischer Fehler unterlaufen, den ich durch doppelte Entschlossenheit beim Vorgehen wettmachen musste. In meinem Bemühen, den Mann zu beruhigen und zur Kooperation zu überreden, versicherte ich ihm mehrfach, dass ich ihm nicht nach dem Leben trachtete. Ich erzählte keine Lüge, sonst wäre die Scharade mit der Unkenntlichmachung durch die Gummimaske, unter der mein Gesicht in salzigem Schweiß ertrank, unnötiges Beiwerk gewesen. Anscheinend hatte er diese Zusicherung zum Anlass genommen, mir den größtmöglichen Widerstand zu bieten, um mich in meinem Tun zu entmutigen.
Und wie bricht man den hartnäckigsten Widerstand, frage ich Sie? Ich sehe, Sie stimmen mir zu. Das ist also abgemacht. Und genauso verfuhr ich. Ohne mich im Geringsten auf die Wortklaubereien des Mannes einzulassen, konfrontierte ich ihn mit seinen grässlichen Verfehlungen, deren er sich seiner treu sorgenden Frau Susi gegenüber schuldig gemacht hatte. Ich konnte sehen, dass meine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Er schluckte mehrfach krampfhaft, als müsse er einen unverdaulichen Brocken die Kehle hinunterwürgen und schloss schuldbewusst die Augen. Es waren die gleichen Augen, die mich zuvor so unverschämt durchbohrt hatten.
Ich fragte ihn nach den schmählichen E-Mails, die er mit seinem Lustknaben ausgetauscht hatte, dem die Lust am Zappeln mittlerweile vergangen zu sein schien. Ich fragte ihn nach seinem Lieblingsfinger, mit dem er seinem Gespielen anscheinend fortwährend Vergnügen bereitete und registrierte mit klammheimlicher Freude, wie er die Hände zu Fäusten ballte und alle Finger in die Handflächen vergrub, wie Küken, die Schutz unter dem Gefieder der Mutter suchen. Dann zeigte ich ihm das Ausbeinmesser mit der charakteristisch gebogenen Klinge zum Auslösen von Knochen. Der Mann kannte sich aus. Er war Metzger. Verzeihung, auch in dieser Phase gesteigerter Erregung möchte ich Benedikt gerecht werden und mich gerne korrigieren. Er war Fleischer.
Der Effekt meiner Vorführung und der Versicherung, dass er nur einen Finger einbüßen würde, den bösen Finger zumal, führte dazu, dass er sich mit den gutturalen Lauten, dem Kopfwerfen und dem Ballen der Fäuste zu neuen Höhen aufschwang. In einem spielerischen Tonfall hatte ich ihm auseinandergesetzt, welchen seiner Finger ich im Verdacht hatte. Dass er Rechtshänder war, hatte er mit dem Hantieren der Tasche zur Genüge bewiesen. Daumen, Ringfinger und kleiner Finger schieden teils mangels Beweglichkeit, teils mangels Kraft und Geschicklichkeit für solch intime Tätigkeiten aus. Blieben der Zeigefinger und der Mittelfinger und damit die üblichen Verdächtigen. Wäre es um die manuelle Befriedigung einer Frau gegangen, deren natürlicher Zugang mehr Kombinationsmöglichkeiten und eine Zwei- oder gar Dreifingerlösung zuließ, hätte ich an dieser Stelle ein Problem gehabt. Nicht so bei den beiden Herren mit dem Schokoladenfetisch. Ich war mir ganz sicher. Es musste der kräftigere und durchsetzungsstärkere Mittelfinger sein, der vielleicht etwas weniger Tastgefühl aufbrachte als sein Kollege, dafür aber die von einem Ringmuskel bewachte Pforte mit Überzeugungskraft zu überwinden vermochte. Sie müssen sich vorstellen, dass es bei den beiden nicht um eine medizinisch indizierte Prostata-Untersuchung ging, sondern um einen Kreuzzug in Abgründe, die ansonsten nur Proktologen interessierten. Derart in meiner Überzeugung gefestigt, musste ich den Nikolaus nur noch dazu bringen, seine rechte Hand zu öffnen. Und hier hatte ich meinen Geistesblitz.
Mit halb abgewandtem Gesicht sprühte ich Benedikt, dem Fleischer, eine gehörige Portion Pfefferspray in die Augen. Sicher, ich folgte nicht korrekt der Gebrauchsanweisung und hielt den empfohlenen Abstand nicht ein. Der Zweck heiligt die Mittel, konstatiert ein viel gebrauchtes Sprichwort und hebt dabei auf die Effizienz einer Aktion als primäres Beurteilungskriterium ab. Sie können raten, wessen Lieblingssprichwort das ist. Wurde es besonders gerne von Mahatma Gandhi oder von Bert, dem zu Grillkohle verbrannten Boxtrainer, im Mund geführt? Genau wie Sie tendiere ich zu Bert. Es war das Klügste, was er je von sich gegeben hatte.
Die Wirkung war enorm. Der Kopf zuckte zurück, als sei er von einer Keule getroffen worden und gleichzeitig mit dem Einsetzen eines anschwellenden Heultons spreizten sich die Hände in dem vergeblichen Versuch, sich loszureißen und den geblendeten Augen zu Hilfe zu kommen. Selbst meine Augen begannen leicht zu tränen und fast hätte ich den Moment verpasst, mir wie ein lauerndes Raubtier den besagten Mittelfinger zu greifen und mit alle Kraft nach hinten zu drücken. Dass bei solchen Brachialakten Sehnen reißen und Knochen brechen können, ist selbstredend. Ich hatte vorher keine Ahnung, dass Finger bei gehöriger Überdehnung so merkwürdig entwurzelt über den Handrücken baumeln können. Im Prinzip betrachtete ich es als Arbeitserleichterung, denn erstens war ich nicht derjenige, der mit dem ganzen Widerstandsmist angefangen hatte und zweitens hatte ich mehr als genug damit zu tun, dass Schokopenis wie ein Irrwisch samt Stuhl in der Gegend herumschleuderte und sich wahrscheinlich noch aus dem Fenster torpediert hätte, wenn ich mich nicht mit vollem Körpereinsatz auf ihn geworfen hätte.
Schwer atmend und einigermaßen angewidert hatte ich mir einen ordentlichen Kopfstoß und Schokoladenflecke auf der Lederjacke eingehandelt. Ich muss sagen, dass ich nicht schlecht Lust hatte, dem opponierenden Fleischer in die Weichteile zu treten. Ich sah aus zwei Gründen davon ab. Zum einen, weil Rachegefühle kein guter Ratgeber sind und man gut daran tut, im Moment der höchsten Erregung Milde walten zu lassen, zum anderen, weil ich dann mit Sicherheit die Schokoflecke auch an den Schuhen gehabt hätte. Stattdessen hüllte ich mich in ein Ersatzlaken aus dem Schrank und begann ihm den Finger zu amputieren.
Glauben Sie nicht, dass ich einfach blindlings darauf lossäbelte wie ein Anfänger. Ich hatte mich im Praxislexikon über das Thema „Amputationen von Gliedmaßen“ mit dem Untertitel „Finger“ kundig gemacht und wusste die Basics über die richtigen Einschnitte, das Zurückziehen des Muskels und das Durchtrennen der Knochen am Knorpelgewebe. Als Zugabe konnte man mit einer Aderpresse die Blutung kontrollieren und den offenen Stumpf so verbinden, dass keine Infektion drohte und der Abfluss von Flüssigkeiten gewährleistet blieb. Soweit die Theorie.
Sicher kennen Sie auch diese Filme, in denen sich japanische Yakuza in einer Ergebenheitsgeste gegenüber ihrem Anführer ein Fingerglied abtrennen und anschließend mit steinerner Miene und im Schneidersitz einer Ansprache folgen. Schon in ganz normalen B-Movies aus der Rockerszene verlieren Bandenmitglieder haufenweise Finger bei allen Sorten von Messerspielen. Sie tun dies zwar mit schmerzverzerrtem Gesicht, aber irgendwie beiläufig, als sei der Verlust eines Fingers lediglich die Ouvertüre zum großen Finale, das man nicht mit allzu viel Theatralik belasten will. Alles Lug und Trug. Lassen Sie es sich gesagt sein. Das Praxislexikon hatte ja so recht, dass es über jedem medizinischen Rat mit fetten Lettern mahnte: Diese Informationen ersetzen keinen Arzt!
Ich war kein Arzt und ich war unersetzbar. Ich schnitt und kerbte und alles war eine riesige Sauerei. Fast wäre mir bei dem Versuch schlecht geworden, den Mittelfinger aus seiner Position zu schälen. Ich muss ganz klar sagen, das Versagen lag auf meiner Seite. Das Messer tat, was es konnte und gemeinsam schafften wir es dann.
Der Finger sah in seiner blutenden Losgelöstheit unschuldiger aus, als ich vermutet hatte. Er war dick, kräftig und kurz mit spatenförmigen Fingernägeln und einer pelzartigen Behaarung. Er würde so bald keine verbotenen Spiele mehr spielen, die seinen Herrn in Verlegenheit und dessen Frau in Verzweiflung stürzen würde. Alles in allem eine vielleicht alttestamentarisch drakonisch erscheinende Maßnahme und doch ein zukunftsweisender Fingerzeig, der dem Sünder Platz für tätige Reue ließ. Sie sagen, dass ich unnütz und geschwollen daherrede? Sie haben recht. Mir war kotzübel und das Blut schoss aus der zerfransten Wunde, als habe es all sein Leben auf diese Fluchtmöglichkeit gewartet. Ich schlang das gesamte in Streifen zerrissene Betttuch mit Nachdruck um Wunde, die übrigen Finger und Hand, bis ich einen unförmigen Wäscheklumpen vor mir hatte, der begann, zähes Blut in Stößen auszuschwitzen, obwohl ich ein Fläschchen blutstillende Tinktur über die ganze Masse ausgekippt hatte.
Auch wenn ich ein kompletter medizinischer Laie war, hatte ich mir doch das Kapitel über Reflexbeziehungen zwischen bestimmten Nervenbahnen und Muskelsträngen angeschaut und wunderte mich daher über die Metamorphose des Nikolaus nicht. Sie können mir sicher nicht verdenken, dass ich recht wenig auf sein Wohlbefinden geachtet hatte, während ich versuchte, ihn möglichst schonend von seinem übeltäterischen Mittelfinger zu befreien. Ich muss halb auf dem Mann gekniet haben und es grenzt an ein Wunder, das wir nicht mit dem Stuhl zur Seite gekippt waren. Ich hatte das Gefühl, dass ich nach Benedikt stank, nach seinem widerwärtigen Schweiß, seinem ordinären Parfüm und Resten erkalteter Schokolade. Um mit dem Unangenehmsten anzufangen – ich stank objektiv gesehen nach seinem Urin, denn als sein Widerstand erschlaffte, tat dies auch seine Blase. Soviel zu den Reflexbeziehungen unseres Körpers. Ich veranschlagte einen großzügigen Betrag aus seiner Börse für die Reinigungskosten meiner Kleidung.
Ansonsten hing er verdreht und schlaff in seinem Kostüm. Alles, was vom Hals aus abwärts an nackter, bewaldeter Haut zu sehen war, erschien unnatürlich bleich, während die Kopfpartie in einem Rotstich glühte, der vermuten ließ, die letzten Blutreserven hätten sich ohne Rücksicht auf die Gesetzmäßigkeiten des Kreislaufsystems in ein hoch gelegenes Depot geflüchtet, um dort Asyl zu beantragen. Ich nahm an, dass über diese Art der Ohnmacht auch etwas im Praxislexikon zu finden war. Das richtige Stichwort wäre „Tod durch Herzinfarkt“ gewesen.
Es war ruhig im Zimmer und jeder zufällige Zuhörer unseres kleinen Hörspiels musste annehmen, dass die Akteure nach dem Erreichen diverser Höhepunkte nun in eine Phase der erschöpften Abkühlung übergegangen waren. Im Prinzip hatten sie recht, denn das Einzige, was mir noch zu tun verblieb, erledigte ich mit Akribie und ohne die Verhinderungstaktiken des ausgeknockten Nikolaus. Mit Nadel und Faden konnte ich recht gut umgehen, wenn man bedenkt, dass ich mir schon seit Jahren Knöpfe an Hemden annähte, weil meine Mutter die meiste Zeit zwar willens, aber außerstande war, derartige Dienstleistungen zu erbringen. Ihre Qualitäten lagen eindeutig im erotischen Nahkampf.
Zugegeben, der abgetrennte Mittelfinger baumelte vom Ballen der anderen Hand, als ob er nicht dazugehöre. Anatomisch gesehen tat er es auch nicht. Als mahnende Nachricht erfüllte er seinen Zweck. Es war schwierig genug, das glitschige, unansehnliche Ding mit einer Serie von Stichen einigermaßen zu befestigen. Ich erspare Ihnen besser die Details meiner Fehlversuche und weise nur pauschal darauf hin, dass das Vernähen einer Wunde augenscheinlich wesentlich einfacher zu bewerkstelligen ist, als das Annähen eines Fingers an eine Stelle, die auf ein solches Vorhaben nicht vorbereitet ist.
Danach räumte ich auf und verstaute meine Utensilien. Die Maske konnte ich gefahrlos abnehmen, denn Goldlocke und Schokopenis hatten auf der Zielgeraden versagt. Ein bisschen Schwund ist immer. Herzinfarkt und Ersticken. Welch eine Kombination. Tröstlich, dass sie beide gemeinsam gegangen waren. Ich hatte Durst auf eine Fanta und brauchte ein Bad. Der Nebel hatte sich gelichtet. Ich benutzte den Notausgang und beschloss ein Stück zu laufen, um abzukühlen.
Die Top-Schlagzeile des nächsten Tages lautete: „Die sechs Finger des Nikolaus“.