Читать книгу Der Wünscheerfüller - Achim Albrecht - Страница 7
II.
ОглавлениеIch weiß noch genau, wie es damit anfing.
Die Formulierung ist absolut korrekt gewählt, denn eine Idee hatte mich gepackt und rüttelte an den Fensterläden meiner Fantasie. Gerne würde ich behaupten können, dass ich mir die geniale Eingebung erarbeitet hatte und die Neuronen in meinem Hirn schneller feuerten als bei anderen Menschen. Das ist aber nicht der Fall. Ich bin ein ganz normaler Typ. Vielleicht etwas entschlossener, etwas weniger träge und selbstgefälliger als die anderen, aber eben nichts wirklich Besonderes.
Daraus können Sie schließen, dass ich ein Pragmatiker bin. Ich tue das, was notwendig ist und ich tue es gleich. An der Schule hielt man mich für verkniffen, weil ich für die Männlichkeitsrituale pubertierender Heranwachsender keinen Sinn hatte und konsequent mein Ding verfolgte. Mein Ding war die Geschäftswelt. Im Inneren war ich immer ein Geschäftsmann. Ich tat alles, was notwendig war, um mit den bestmöglichen Voraussetzungen meine ersten Erfahrungen als Unternehmer zu sammeln. Dazu gehörte auch, dass ich den Erwerb von Bildung ernst nahm. Selbst die öden Stunden mit einem ehemaligen Militärpfarrer, der in akkurat gebügelten Hemden und Knobelbechern an den Füßen vor uns saß und über eine Ethik referierte, an die er selbst nicht glaubte, presste ich nach Erkenntnissen aus, die ich auf meinem Weg gebrauchen konnte. Bücher verschlang ich in einem Schnellleseverfahren, das es mir ermöglichte, Schlüsselsätze und interessant erscheinende Passagen in mich hineinzufressen und wiederkäuend zu verdauen. Eigentlich konnte ich zu allem etwas sagen und belebte die notenrelevanten Diskussionen der Oberstufe mit lakonisch dahingeworfenen Wissensperlen, wenn sich der Rest der Klasse in dumpfen Deutungsversuchen erschöpft hatte.
Kurz, ich war ein Klugscheißer, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte und ein Opportunist aus Überzeugung. Glauben Sie mir, diesen Weg zu gehen erfordert Mut und Selbstbewusstsein und auf beides konnte ich jederzeit zurückgreifen.
Das Lesen war es auch, was die Geschäftsidee in mir zündete. Wie Sie bereits wissen, war es ein mühsames Unterfangen, die Talente meiner Mutter zum Erwerb des Lebensunterhaltes so zu koordinieren, dass die Renditeerwartungen nicht hinter der Anstrengung zurückblieben, die ich zu investieren hatte. Ständig war es notwendig, die Anreize zu erhöhen, um zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen und ich kam mir manchmal eher vor wie ein Dompteur, der die niederen Instinkte einer Kreatur nutzte, um einen Wall von Gleichgültigkeit und Verweigerung zu durchbrechen.
Ich wusste, dass ich mir ein weiteres Standbein besorgen musste und schickte meine kreativen Geister auf die Reise durch die Gazetten. Die meisten Kleinanzeigen versprachen viel und hielten wenig. Todsichere Investments lockten mit abenteuerlichen Gewinnen, Franchisekonzepte versprachen goldene Berge und leicht auszuführende Nebentätigkeiten im Verkaufsbereich beweihräucherten sich mit unverschämten Zusicherungen. In all das und noch viel mehr schnupperte ich hinein und konnte förmlich spüren, wie andere clevere Geschäftsleute sich die Hände rieben, während ihre Angelhaken als fett gedruckte Köder auf Zeitungspapier auf großen Fischzug gingen. Ich kenne meinesgleichen und bin kein Beutefisch.
Was mich zum Raubfisch machte, waren Todesanzeigen. Todesanzeigen werden als Quelle zum Broterwerb zu Unrecht unterschätzt. Es gibt Menschen, die mit Lust die vor Pietät triefenden, einfallslosen Texte studieren, die ihre schwarz umrandeten Rechtecke in einer stolzen Schar anderer schwarz umrandeter Rechtecke präsentieren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie immer aufs Neue von „dem langen, still ertragenen Leiden“ berührt sind oder sich von dem knappen „nach kurzer, schwerer Krankheit“ in die Gefilde der Trauer wegführen lassen. Auch die Aufzählung der kleinen Schar von Hinterbliebenen, die wie auf eine geheime Verabredung hin „in Stille trauern“ und den Verstorbenen „in ihrem Angedenken behalten“ sorgt höchst selten für das Ausmaß der Faszination, die Todesanzeigen verbreiten.
Eher ist es die voyeuristische Neugier, auf einen bekannten Namen zu stoßen oder die klammheimliche Freude, diese auffällig plakatierte Sippschaft um eine weitere Woche überlebt zu haben. Machen wir uns nichts vor. Leichen sind Verlierer. Sie sind die sympathischsten Verlierer, die man sich wünschen kann, denn sie haben nichts dagegen und ihre Lobby verwandelt sich nach dem Leichenschmaus in einen Haufen habgieriger Neider, die sich wie Leichenfledderer um das Erbe bekriegen. All das natürlich im Rahmen der üblichen Umgangsformen, versteht sich.
Genau an dieser Stelle begannen die Anzeigen für mich nach Geld zu riechen. Nach leicht verdientem Geld. Und sie rochen kräftig. Zunächst begann ich damit, die Unfalltode und in jungem Alter Verstorbenen auszusortieren. Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Raubtier die starken, wehrhaften Beutetiere einer Herde aussondert? Die Frage war natürlich rhetorischer Natur. Es liegt mir fern, Ihre Intelligenz zu beleidigen. Was ich brauchte, waren die in hohem Alter Dahingeschiedenen, die eine überschaubare Trauergemeinde in ähnlich hohem Alter und eine Handvoll abgestumpfter Kinder und Enkel hinterließen. Und ich brauchte Männer. Alte, tote Männer. Ein Glück für mich, dass die alten Frauen zähe Vögel waren, die sich unnachgiebig an ihr bisschen Leben krallten und wunderbar desorientierte Witwen abgaben. An brauchbarem Material bestand wahrlich kein Mangel.
Schade nur, dass ich bei der Durchführung meiner kleinen Idee nicht ausreichend mobil war. Wenn es meine Geschäftsinteressen nicht unmittelbar berührte, hielt ich mich streng an die Regeln. Ich glaube an Ordnung und Sicherheit und so wäre ich nie auf die Idee gekommen, ohne Führerschein mit dem Auto zu fahren. Ich war ein Jungunternehmer auf dem Mountainbike und betrieb heimatnahen Leichentourismus.
Glauben Sie nicht, dass ich mich von unausgegorenen Vorstellungen leiten ließ und einfach losschlug. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin ein großer Verfechter guter Vorbereitung. Und so kam es, dass ich im Verlaufe mehrerer Probeläufe meine Stadt auf eine Art und Weise erkundete, wie ich es vorher nie getan hatte. Die von mir sorgfältig ausgewählten Anzeigen führten mich zunächst auf die Friedhöfe. Zu meinem Erstaunen gab es davon mehrere. Friedhöfe schienen sich besonders gerne in Außenbezirken anzusiedeln. Es waren angenehme Orte, sanft zum Auge und gepflastert mit altem Baumbestand, der einen Hauch von Ewigkeit vermittelte. Kiesbestreute Wege zogen geharkte Muster um die streng geometrisch angelegten Gräberfelder. Ich bin mir nicht sicher, ob es den Beruf des Friedhofsarchitekten gibt. Falls ja, möchte ich diesem Berufsstand mein ausdrückliches Lob aussprechen. In das Lob einschließen möchte ich die Friedhofssatzungen, die ein Reglement ins Leben riefen, das die Höhe und Breite von Grabsteinen so festlegte, dass sich ein ambitionierter, schlanker Mann dahinter verbergen konnte, ohne von den um das benachbarte Grab Versammelten wahrgenommen zu werden.
Der immer gleiche Ablauf der Abschiedszeremonie erlaubte es mir, mich ganz auf die Personen zu konzentrieren, die ganz in Schwarz in kleinen Gruppen beisammenstanden und ihrer Trauerpflicht nachkamen. Die meisten trugen eingefrorene Gesichtszüge zur Schau, als ob jede Regung ihr künstliches Gehabe zerstören könne und sie sich damit eines Verstoßes gegen die guten Sitten schuldig machen würden. Selbst Tiere und Kinder hatten Spieltrieb und Bewegungsdrang abgelegt und folgten der Zeremonie mit unbewegten Mienen. Erlaubt und möglicherweise erwünscht waren einzelne Schluchzer, das Stabilisieren kollabierender weiblicher Körper und die eigenartig hölzerne Kondolenzumarmung der Witwe. So sehr ich auch spähte und nach eindeutigen Zeichen Ausschau hielt, viel Erkenntnis konnte man aus diesen öffentlichen Trauerakten nicht ziehen.
Ich hatte mich eigens für das Kauern hinter Grabsteinen in meinen dunklen Konfirmationsanzug gezwängt, der mir nur ein wenig zu eng und zu klein war, ansonsten aber ein respektables Flair vermittelte. Statt einer schwarzen Krawatte griff ich auf eine großohrige Schleife zurück, die mir als Sonderangebot in die Hände gefallen war. Sicher gibt es elegantere Wege als einem Autokorso mit Trauergästen auf dem Fahrrad zu folgen und dabei so angestrengt zu strampeln, dass man bei Passanten Kopfschütteln und Mitleid erntete. Jeder Unternehmer ist einmal durch solche Phasen gegangen und wenige Sekunden der Lächerlichkeit wogen nichts im Vergleich zu der Ernte, die man als Lohn für seinen Einsatz einfahren konnte.
Und tatsächlich spuckten die Bungalows und Etagenwohnungen mehr aus als die Friedhöfe. Sie verbrüderten sich mit rasch angemieteten Sälen in gutbürgerlichen Lokalen, wo man in gelöster Atmosphäre das bedrückende Erlebnis des Begräbnisses abschüttelte. Man verzehrte Kuchen und Schnittchen, erinnerte sich mit Wehmut an die eigene Sterblichkeit und fand mit den ersten Schnäpsen zu einer neuen Leichtigkeit des Seins.
Einige Male mischte ich mich unter die Anwesenden und überwand skeptische Blicke mit gezielt abgefeuerten Sätzen, wie: „Ich habe viel von ihm gelernt“ oder auch „Er war sicher kein einfacher Mensch, aber er hatte ein goldenes Herz“. Nach solchen Äußerungen wagte niemand mehr zu fragen, wer ich eigentlich sei und ein leutseliger Koloss von Mann erkannte eines Tages in mir sogar den Sohn eines Verwandten. Wir führten ein angeregtes Gespräch, bei dem ich Fragen stellte und er die Antworten gab, die mir verrieten, wie die nächste Frage auszusehen hatte. Im Verlaufe weniger Minuten erfand ich mühelos eine ganze Biografie samt Beiwerk und staunte selbst über den Fundus an Vorstellungskraft, der in mir schlummerte.
Am interessantesten war der Zustand der Witwen und ihrer Entourage. Unabhängig davon, ob die Exemplare zu der stämmig forschen Sorte oder der gebrechlich zittrigen Spezies gehörten, war ihnen ein Merkmal eigen. Sie waren von den Ereignissen überwältigt. Einige irrten umher wie ferngesteuerte Satelliten, andere brüteten stumm vor sich hin. Alle hatten leere Augen und wächserne Wangen. Der Schock hatte die Lebenskraft aus ihnen herausgesaugt und sie vorübergehend in Marionetten verwandelt, an denen die engsten Angehörigen zogen und zupften, auf die man einredete wie auf einen störrischen Esel und die mechanisch alles mit sich geschehen ließen, was an sie herangetragen wurde.
Als es mir gelungen war, dieses Verhaltensmuster zu identifizieren, machte ich mich unverzüglich an die Arbeit. Ich vergrub mich hinter meinem Schreibtisch und schrieb Rechnungen. Geld anzumahnen ist zu einer Art Lieblingsbeschäftigung geworden. Im Bereich der käuflichen Liebe erfordert das Forderungsmanagement eine robuste körperliche Verfassung und ist durch keinerlei Raffinesse getrübt. Im Geschäft mit Hinterbliebenen ist Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen vonnöten. Diese Prädikate sind ein natürlicher Bestandteil meines Wesens.
Bereits mein erster Versuch war ein voller Erfolg. Ich hatte meine Rolle genau einstudiert, aber genügend Spielraum für Improvisation gelassen. Den Briefkopf der Rechnungen hatte ich aus dem Internet kopiert. Sie glauben gar nicht, wie viele spezialisierte Versandhandelshäuser im Netz zu finden sind. Die meisten davon vertreiben Pornografie. Seien wir aufrichtig – wer bin ich, dass ich mich einem solchen Trend widersetzen sollte? Abgeschmackte Pornoartikel und alte Männer. Das passte. Auch alte Männer hatten ihre Geheimnisse. Die meisten von ihnen hatten keine Prostata mehr und auch sonst fehlte ihnen so einiges, was ihre besten Jahre lebenswert gemacht hatte. Was blieb, war der Nachhall guter Erinnerungen und die Begierde. Ja, die Begierde blieb. Dessen war ich mir sicher. Für diese Erkenntnis brauchte ich nicht in wissenschaftlichen Journalen der Geriatrie-Forschung nachzuschlagen. Die Grauen waren auch die Geilen. Sie benötigten lediglich ein wenig mehr an Stimulanz und Nachhilfe.
Mit Bedacht hatte ich mir einen kleinen Spezialversender ausgesucht, der unter dem Deckmantel der Ehehygiene und Gesundheitsvorsorge Billigimitate verschreibungspflichtiger Potenzpillen vertrieb. Die angegebene Hotline war nie erreichbar und auch auf E-Mails erfolgte nie eine Antwort. Der wie eine Ärzteseite aufgemachte Versand war ein seriös anmutendes schwarzes Loch. Er war mein schwarzes Loch. Sie mögen an dieser Stelle denken, dass ich mich wie ein elender Schmarotzer aufführte – und Sie haben recht. Die Natur wimmelt von Schmarotzern. Wo man hinsieht wird auf Kosten anderer gelebt. Bandwürmer und Kuckuckskinder, Schlingpflanzen und Parasiten. Und wissen Sie was: Die Schmarotzer sind erfolgreich. Basta!
Erfolgreich war auch ich. Die gute Vorbereitung hatte sich ausgezahlt. Ich hatte die richtigen Gesten einstudiert. Mit einem entschuldigenden Lächeln präsentierte ich mich an den Haustüren und verlangte mit dem Verstorbenen zu sprechen. Die Verwirrung über die Trauermienen spiegelte sich auf meinem Gesicht. Ich errötete auf Kommando, stammelte im Angesicht der Peinlichkeit, die ich den Angehörigen bereitete und erweckte den Eindruck, dass ich den Rückzug antreten wollte.
Man nahm mir widerspruchslos den Auszubildenden ab, der an Nachmittagen auf Inkassotour geschickt wurde, wenn Kunden hartnäckig keine Zahlung leisteten. Die Witwen mit ihren ledrigen Walnussgesichtern verstanden meist nicht, um was es ging, wenn ich mich in meiner Verlegenheit wand und ihnen zu erläutern versuchte, dass die bestellten Mittel im Werte von wenig über achtzig Euro, dem Besteller zu einem erfüllteren Sexualleben verhelfen sollten. Ich erfand zugunsten des Verstorbenen blumige Umschreibungen, bis Verwandte gerufen wurden, die stirnrunzelnd die widerstrebend überreichte Rechnung prüften und die Augen nach oben verdrehten, mit den Köpfen wackelten und seufzten, als hätten sie eine solche Blamage schon seit langer Zeit kommen sehen.
„Aber er war doch seit langer Zeit herzkrank“, sagten sie. „Von Computern hatte er keine Ahnung“. „Dabei lebte er sehr zurückgezogen seit seinem Schlaganfall“. Die ganz Beherzten machten ihrer Seelenverfassung mit drastischeren Worten Luft. „Der geile alte Bock hätte sich ruhig mehr um seine Kinder kümmern können, als sein Geld mit irgendeiner Schlampe zu verjubeln, für die er teure Pillen schlucken musste, nur um einen hochzukriegen“, sagte eine liebende Tochter mittleren Alters, die ein Zuviel an schimmerndem Make-up mit ausdruckslosen Schlangenaugen wettmachte.
Auf alles hatte ich eine Antwort. Ich sympathisierte, beschwichtigte und intrigierte nach Herzenslust. Ich gab mich bald zerknirscht, bald kämpferisch und bei Bedarf achselzuckend und ratlos. Ich zerstreute Bedenken, indem ich zur klärenden Kontaktaufnahme mit meinem Unternehmen ermunterte und blieb stumm, wenn man sich fragte, wo wohl die Tabletten abgeblieben sein mochten. Zu Drohungen mit rechtlichen Schritten mochte sich niemand hinreißen lassen. Es herrschte zu viel Chaos und Entwurzelung. Außerdem gab es mit der Verteilung der Erbschaft wichtigere Dinge zu erledigen.
Ich war eine lästige kleine Schmeißfliege, vermeintlich geschickt von einem Pulk anderer lästiger Schmeißfliegen, die mit dem Triebleben braver Bürger ihr Geld machten. Ich war ein verächtlicher Geldeintreiber und dabei so erbarmungswürdig ungeschickt und kriecherisch, dass man den Schleim, den ich absonderte, buchstäblich vom Hauseingang wegwischen musste. Niemand wollte wirklich, dass eine solche Kreatur mit nervös hüpfendem Adamsapfel, pickligem Kinn und fettigen Blondhaaren wieder vor ihrer Tür erschien und sie belästigte. Was sollten die Nachbarn denken? Welch ein Ansehensverlust drohte der Familie und dem Angedenken des Toten. Möge er in Frieden ruhen.
Und dann winkten sie mich mit falscher Vertraulichkeit heran, reckten die Hälse in alle Richtungen und zahlten. Ich hatte für Wechselgeld und Quittungen gesorgt. Das hätte ich mir sparen können. „Junger Mann“, sagten sie zu mir im Flüsterton und reichten die Scheine herüber. Sie falteten die Rechnung und steckten sie hastig weg, als sei sie ein unberechenbares bösartiges Tier. Sie wehrten meine umständliche Suche nach dem korrekten Betrag an Wechselgeld ab und flüsterten: „Für Ihre Mühe, junger Mann“. Ich weiß, was sich gehört und antwortete im gleichen Verschwörerton, dass nun alles erledigt sei. Weil es keine Mühe machte und ich ein wenig Zuversicht verbreiten wollte, verbürgte ich mich in ernstem Ton persönlich dafür, dass die Familie nicht mehr behelligt werde.
Mein Abgang gestaltete sich fast immer wortreich mit gegenseitigen Versicherungen, dass man über die Art des Zusammentreffens äußerst unglücklich sei, aber natürlich niemand eine Schuld trage. Ich übernahm den Part des unaufrichtigen Wünschens aufrichtiger Anteilnahme und verbeugte mich ein letztes Mal vor abwehrend ausgestreckten Händen, die mich nicht schnell genug vom Grundstück winken konnten.
So einfach war die wunderbare Geldvermehrung und schon bald träumte ich von einer Ausweitung meiner Aktivitäten, von der Perfektionierung meines Systems, von einer schlagkräftigen Truppe Trickbetrüger, die als Drückerkolonnen in Sachen Leichenfledderei über die Lande zogen und Gelder generierten, von denen ich als Ideengeber am meisten profitierte. Ich dachte an eine Art Franchise im Trauerabzockebereich, an ein gut geöltes Pyramidensystem mit Direktoren, Bereichsleitern und Gruppenleitern, die Anfänger akquirierten und schulten. Ich war im Himmel und dachte keinen Augenblick daran, dass ich ein Arschloch sein könnte.
Natürlich werden Sie sagen, dass ich hätte wissen müssen, dass mein dreizehnter Besuch zur besonderen Vorsicht mahnte. Ich bitte Sie – es ist doch alberner Schnickschnack, dass die Zahl Dreizehn Unglück bringt. Das ist blanker Aberglaube und außerdem war der Besuchstag noch nicht einmal ein Freitag. Es ist doch so, dass die Quersumme der Dreizehn unbestreitbar die Vier ist und die Vier nach der Zahlenmagie der Runenkunde für verlässliche, loyale und hart arbeitende Menschen mit Organisationstalent steht, die stets fair bleiben, aber oft einen hohen Preis für ihren Erfolg zahlen. Die Vier steht für Menschen wie mich.
Dennoch war irgendetwas schiefgelaufen. So sehr ich im Nachhinein meinen Kopf zermartere – ich kann kein Anzeichen entdecken, das mir an jenem Sommermorgen als schlechtes Omen hätte erscheinen müssen. Es war ein drückend heißer Tag, ein Ferientag, ein Tag für den erfolgreichen Geschäftsmann. Ich hatte mir die Familie eines verstorbenen Greises ausgesucht, die in der besten Wohngegend residierte. Es roch nach Geld und gutem Ansehen. Ich überprüfte meine Utensilien. Die Rechnung steckte in einer abgewetzten Ledermappe, die bestens zu meinem schlecht sitzenden Anzug passte. Meine Mutter fragte aus dem Hintergrund mit schwerem Zungenschlag, wann ich wieder zurück sein würde. Sie vermisse ihren Jungen jetzt schon. Sie war unerträglich sentimental, wenn sie trank. Bald würde ich mir eine eigene Wohnung leisten können. Ich verließ das Zimmer, ohne zu antworten.
Das Zielgebiet war für Mountainbikes und schwere Geländewagen gebaut worden. Überall dehnten Rampen ihre rissigen Bäuche aus der Straßendecke und einbetonierte Pflanzenkübel zwangen zu einer endlosen Zickzackfahrt. Der Saum des nahen Waldes schwitzte heißen Dunst aus. Eine bleierne Schwüle lag über der Siedlung.
Eine Reihe schwerer Limousinen stand in der Auffahrt des Hauses, das ich zu besuchen hatte. Sie wirkten, als hielten sie die Luft an. Eigentlich konnte man das Haus als Villa bezeichnen. Gediegener Wohlstand verbreitete sich von dem schmiedeeisernen Tor über die mit Blumenrabatten eingefassten Rasenflächen bis zu den kecken Türmen, die einen gotischen Torbogen flankierten. Hier würde ich keine Probleme haben.
Als die scharfgesichtige Alte die Tür öffnete und mit lackierten Krallen nach meiner Aktentasche griff, wusste ich sofort: Hier würde ich Probleme haben. „Haben Sie es dabei? Ich hoffe, Sie haben es dabei“, keifte sie in einem unangenehmen Falsett, das alleine für sich als Mordwerkzeug ausgereicht hätte.
„Ich, ich, ich …“ Das Stottern war dieses Mal keine Masche.
„Da hat die Versicherung aber einen richtigen Jungspund geschickt. Einen Milchbubi. Erledigen wir zuerst das Geschäftliche und dann können wir zusehen, was wir sonst noch miteinander anfangen können. Der Tag ist noch jung“. Die alte Vettel hatte ein anzügliches Grinsen aufgelegt, das ihre leberfleckige Haut in ein wellenförmiges Netz tiefer Falten warf. Sie bleckte die Zähne, die mich aus Lippenstiftflecken anstarrten. Eine beringte Hand tätschelte eine bläulich gefärbte Dauerwelle, die wie Zuckerwatte auf dem schmalen Schädel thronte. Die Stimmlage hatte sich zu einem heiseren Gurren abgesenkt.
Ich entschloss mich zur Flucht und trottete unschlüssig rückwärts. Eine der Limousinen spuckte einen ungnädigen Bodyguard-Typen aus, der mich schweigend erwartete. Zu ihm gesellte sich sein Klon, der mir den Fluchtweg durch die Sträucher abschnitt. Resigniert blieb ich stehen. Die Alte kicherte amüsiert.
Mein Schweigen nützte mir wenig. Sie durchsuchten mich und fanden die Rechnung. Sie waren von der Sorte Menschen, die eins und eins zusammenzählen konnten. Ich machte einen auf harten Typen. Sie konnten mir nichts tun, solange die Trauergäste anwesend waren und mich anstarrten, als sei ich ein Alien. Ich versuchte geschockt und beleidigt auszusehen. Das fiel mir nicht schwer, denn ich war geschockt und beleidigt. Sie hatten mir nicht die mindeste Chance gegeben. Sie hatten nur einfach nicht mitgespielt. Wer konnte so etwas ahnen? Für einen solchen Fall hatte ich keinen Pfeil im Köcher.
Ich stand betreten in der riesigen Vorhalle, auf deren poliertem Mosaikboden Lichtflecke über verschütteten Kaffee und Überreste gekochter Eier huschten. Meine sorgfältig erstellte Rechnung ging von Hand zu Hand. Die anwesenden Damen erschienen mir etwas zu schrill und ihre männlichen Begleitungen zu stiernackig. Ihr Gelächter dröhnte in meinen Ohren. Ich fühlte, wie ich errötete. Schweiß lief mir über das Gesicht und in den Nacken, obwohl ein Monster von Klimaanlage die Luft in Eisschwaden verwandelte.
Nachdem sich alle prächtig amüsiert hatten, fasste mich einer der Muskelklone am Kragen und drehte ihn mit einem Ruck herum. Ich schnappte nach Luft und hing wie ein nasser Lappen in meinem Anzug wie in einer Zwangsjacke. Die Alte nickte. Das Martyrium war vorbei. Sie würden mich vor das Grundstück schleifen und wie einen Beutel Müll auf die Straße werfen. Das konnte ich aushalten. Ich machte mir keine Sorgen mehr.
Dann tastete eine Hand zwischen meine Beine und suchte nach dem idealen Griff. Es war nicht vorbei. Ich musste mir Sorgen machen. Dazu kam ich nicht mehr. Dafür sorgte der Klon, der auf das Hodenquetschen spezialisiert war. Ich nehme an, er machte seine Sache gut. Das Letzte, was ich bewusst wahrnahm, war ein blasses, blondes Mädchen in einem luftigen Tüllkleid in Hellblau mit roten Tupfen, das seine zerschrammten Knie vor mir zum Stehen brachte und einen Lutscher vor meinem Gesicht schwenkte. Es roch intensiv nach Kirsche.
Danach roch alles nach Tränen, Rotz und Kotze. Ich nehme an, dass ich schrie und zwischenzeitlich das Bewusstsein verlor. Ich glaube, dass ich rief, ich sei die Vier und alle würden mich noch kennenlernen, bevor ich wieder unkontrolliert jaulte und das dritte oder vierte Mal an diesem verheißungsvollen Sommertag starb. Sie können sich nicht vorstellen, welche Verbindungen die Hoden zu jedem anderen Teil des Körpers unterhalten. Sie sind nicht lediglich unschuldige Keimdrüsen, die genug mit ihrem lächerlichen Aussehen und der täglichen Produktion von hundert Millionen Spermien zu tun haben. Sie sind Schmerzterroristen, die sich in ihrem vorwitzigen Geltungsdrang aus der schützenden Bauchhöhle hervorgestohlen haben und ihren runzeligen Sack voller Samenkanäle und Bindegewebe in quetschende Hände schmiegen.
Gesichter und Wände rotierten um mich herum. Alles hatte sich in Bewegung gesetzt. Ich stand in Flammen. Die Luft wurde knapp. Eine sämige Flüssigkeit verklebte meinen Mund. Satzfetzen bohrten sich in meine Ohren. Ich verstand nicht. Ich war zu beschäftigt. Folter ist Vollbeschäftigung. Dann spielte ich nicht mehr mit.
Sie mussten mir eine gute Anzahl Schläge mit der flachen Hand verabreicht haben, denn mein Gesicht war geschwollen wie nach dem Angriff eines Bienenschwarms. Den Schmerz fühlte ich kaum, denn er ging in der allgemeinen Übelkeit unter, die mich zwang, nicht mehr zu bewegen als die Augen. Diese starrten wie hypnotisiert auf einen schwerfälligen Veteranen, der vor mir kauerte und seine Zigarre in meine Richtung stieß.
„Du bist also das kleine Arschloch, das meine Schwester abzocken will.“ Er zog an der Zigarre und richtete den glühenden Stumpen wieder auf mich. „Sie ist in tiefer Trauer. Ihr Mann war ein geachteter Unternehmer und unser aller guter Freund. Sie hat ihn geliebt.“ Ich rollte mit den Augen. Die Meute nickte und die Alte sah so frisch und zufrieden aus, als habe sie eine Runde auf meinem Grab getanzt. „Wir werden die Sache jetzt für dich lösen“, knurrte der Zigarrenmann und wuchtete sich in die Höhe. Seine Gelenke knackten. Die Meute nickte erneut und lächelte in stiller Vorfreude. Ich rollte mit den Augen und würgte.
Klon Nummer drei dräute über mir wie ein Fass mit Sonnenbrille. Er riss seinen Arm nach oben und ließ ihn über meinem gekrümmten Körper schweben wie einen Falken auf der Suche nach Beute. Ein riesiges Messer zielte mit einer glänzend silbrigen Spitze auf meinen Brustkorb. Der Falke setzte zum Sturzflug an.
Ich hörte auf mit den Augen zu rollen und fiel in Ohnmacht.