Читать книгу Der Wünscheerfüller - Achim Albrecht - Страница 6

I.

Оглавление

Mein Leben als Arschloch begann mit ungefähr achtzehn Jahren.

Ich sage „ungefähr“, weil ich korrekt sein will. Es kommt darauf an, immer korrekt zu sein. Unkorrektheiten wirken sich langfristig negativ aus und im Nu ist man in eine Falle geraten, aus der man sich nicht mehr befreien kann. Ich bin der Typ, der sich stets befreien kann.

Damals war ich noch siebzehn, wenn man meinen Ausweis zurate zog, und ein zarter Bub ungewissen Alters, wenn man meine Mutter befragen würde. Meine Vorstellungswelt war allerdings schon weit vorher in die Erwachsenenwelt hinüber geeilt und hatte sich mit einem ungesunden Erwerbssinn angereichert, sodass ich mit Recht behaupten kann, ungefähr achtzehn Jahre alt gewesen zu sein, wenn man aus den maßgeblichen Faktoren den Durchschnitt zieht.

Zugegeben, die Selbstbezichtigung als „Arschloch“ mag plakativ und profan klingen, aber glauben Sie mir, ich habe es mir nicht leicht gemacht. Natürlich bin ich nicht vollkommen zufrieden mit dem Ausdruck und seiner Aussagekraft, doch irgendwo sind dem Drang nach Korrektheit Grenzen gesetzt. Eine gewisse Zeit schwankte ich zwischen der Verwendung von „mein Leben als Stück Scheiße“, um die abwertende Verächtlichkeit der einer Fäkalie für meinen damaligen Zustand fruchtbar zu machen und dem weitaus eleganteren Zwillingsbruder des Arschlochs, dem Anus, mit dem eine beinahe aristokratische Selbstbeschimpfung möglich geworden wäre. Letztlich habe ich mich dann aber dem allgemein verständlichen, derben Brauchtum gebeugt, wohl weil es mit dem Gebrauch des Wortes auch eine gewisse Bauernschläue und Schlitzohrigkeit des so Titulierten verbindet. Ich denke, in einem solchen Fall kann man darüber hinwegsehen, dass der After an sich ein ganz und gar nützliches Werkzeug ist, dessen zwei Schließmuskeln, von denen nur der äußere dem Willen des Menschen unterworfen ist, nichts Anrüchiges oder sogar Verwerfliches an sich haben.

Sie mögen an dieser Stelle meinen, dass ich ein komplizierter oder sogar verschrobener Mensch bin, aber da liegen Sie falsch. Ich war überraschend direkt, als ich meiner Mutter das Kissen auf das Gesicht drückte. Es war eines jener riesigen Daunenkissen, in die man einsank wie in einen duftzarten Albtraum, der sich mit frisch gestärkten Leinenzipfeln über die Ohren stülpt. Ich hatte eine veritable Abneigung gegen solche Kissen, die jede Hoffnung auf einen geruhsamen Schlaf in sich begruben wie pausbackige Totenwächter. An jenem Tag aber entdeckte ich in ihnen eine erfrischend neue Funktionsweise und tatsächlich harmonierte der kalkig weiße Blähbauch des Kissens auf das Beste mit dem mütterlichen Torso im hellblauen Seidenschlafanzug, der in einer ersten Abwehrreaktion auf das Ersticken in eine unerquickliche Unordnung geraten war.

Meine Mutter war beileibe nicht alt oder schwach. Ihr unkoordiniertes Fuchteln und Schütteln verriet allerdings, dass sie in Kämpfen existenzieller Art ungeübt war. Die gedehnten Laute, die aus der Umarmung des Kissens herausdrangen, beunruhigten mich nicht weiter. Ich hatte sie erwartet und war sogar ein wenig enttäuscht, weil ich mir in Gedanken ein dramatischeres Szenario ausgemalt hatte. Einzig die Vorstellung, dass sich ihr fröhliches Make-Up auf dem Kissenbezug in rutschigen Schlieren abbilden und mich vor dem notwendigen Waschgang als karikierte Totenmaske anstarren würde, hatte etwas ganz und gar Unappetitliches und mit meinem Appetit ist es ohnehin nicht zum Besten bestellt.

Wahrscheinlich haben Sie mich an dieser Stelle bereits missverstanden. Es war keineswegs der Mord an meiner Mutter, der mich zum Arschloch machte. Um genau zu sein, war es ohnehin kein Mord, sondern eine Tötung, der jede Verwerflichkeit abging. Auch beim Erzählen ist es schwierig ganz korrekt zu sein, denn ganz korrekt handelte es sich bei der Episode mit meiner Mutter um einen Versuch der Tötung auf Verlangen. So stand es jedenfalls in dem Strafrechtslehrbuch, bei dessen Kapitel über Gewaltdelikte ich Aufschluss suchte. Und weil es so war, musste ich mich auch über den unfairen Gebrauch emotionaler Abwehrmittel durch meine liebe Mutter aufregen.

Ich hatte bei Gott andere Dinge zu tun, als Kissen auf ein gealtertes Gesicht zu drücken, ein Gesicht, das in den letzten Monaten in Tränenfalten zerfloss und aus einem makellosen Porzellangebiss flehte, man möge es doch von den elenden Schmerzen befreien, die das Alter und das Rheuma mit sich brächten. Nur wenn Zigaretten, Gin und eine erkleckliche Anzahl der verschiedensten Schmerzmittel ihre betäubenden und vergiftenden Sendboten schickten, wurde die weinerliche Litanei unterbrochen und wich einem Rausch, der für eine vorübergehende Entspannung sorgte.

Schon frühzeitig hatte ich den Verdacht, dass das Verhalten meiner Mutter eine Masche sein könnte. Sie hatte ein Faible dafür entwickelt, sterben zu wollen, wenn etwas nicht nach ihren Wünschen lief. Begonnen hatte es wohl mit dem Verschwinden meines Erzeugers, der sich absetzte, als er von meiner embryonalen Existenz erfuhr. Als Strafe servierte mir meine Mutter die endlose Klage von der Undankbarkeit meines Vaters, der doch wohl unwidersprochen zuerst ihr intimer Freund gewesen sein musste, bevor er zu meiner Zeugung schritt. So erfuhr ich in jungen Jahren, dass ich mit einer Art Erbschuld auf die Welt gekommen war, die es bis zum seligen Ende meiner Mutter abzutragen galt.

Mit etwas gutem Willen drängt sich der Schluss auf, dass ich mit der Kissenaktion lediglich einen Herzenswunsch meiner Mutter erfüllte, einen Wunsch, mit dessen Ausführung sie ihren hingebungsvollen Sohn beauftragte, weil sie selbst zu einem Selbstmord nicht in der Lage war. Ja, Sie lesen richtig. „Hingebungsvoll“ ist der Ausdruck, der das Verhältnis zu meiner Mutter am besten charakterisiert. Selbst bei den gemeinsamen Wannenbädern war sie die Fürsorge selbst. Wie eine aus Schaum geborene Fee achtete sie darauf, dass ich nicht nur oberflächlich eintauchte, sondern mich gründlich wusch und reinigte. Oft ging sie mir zur Hand und es ist für mich schlicht unvorstellbar, dass einmal die Zeit kommen muss, wo ich mit einer langstieligen Bürste meinen Rücken selbst zu schrubben habe. Fast kommen mir bei dem Gedanken an dieses Bild vollkommener Verlassenheit die Tränen und ich vergehe in einem Anflug berechtigten Selbstmitleids.

Es ist natürlich nicht so, wie Sie denken mögen. Das enge Band zwischen Mutter und mir ist keineswegs sexueller Natur. Sie ist eine robuste Frau mit einer ausgeprägten Körperlichkeit und einem lebhaften Gesicht. Was sie so anziehend macht, ist ihre grenzenlose Bereitschaft zu großen Emotionen. Wie die Zelebrierung ihres Leides vollbringt sie auch Großtaten auf dem Hochaltar der Leidenschaft. Das ist es, was sie für andere Männer so anziehend macht. Ich weiß es, denn sie hat es mir selbst aus einem ihrer Heftchenromane vorgelesen. „Hochaltar der Leidenschaft“ hatte mir schon gut gefallen, als ich noch nicht verstand, um was es ging. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich jetzt verstehe, um was es geht.

Wenn sie romantisch gestimmt war, vollzog sich mit ihrem Körper eine Metamorphose. Er behängte sich mit einem schreiend orangefarbenen Babydoll, das bis knapp zur Gesäßfalte reichte, schlüpfte in hochhackige Pumps und bestrich sich mit ausdrucksvollen Farben, die aus einer unscheinbaren, bäuerlichen Erscheinung eine Venusfliegenfalle machten.

Und dann kamen die Onkel mit ihrer Geilheit und ihrem Geld. Ich hatte viele Onkel. Manche waren polternd und jovial, andere warfen scheue Blicke um sich, als seien sie in eine Räuberhöhle geraten, und nicht wenige flößten mir Unbehagen ein, wenn sie abwesend meinen Kopf tätschelten und dabei meine Mutter witternd im Auge behielten wie Raubtiere vor dem Sprung. Alle ohne Ausnahme taten mit ihrem Geld Buße für das, was mein Vater uns angetan hatte und alle ohne Ausnahme fielen der Rache meiner Mutter zum Opfer, die sie ausplünderte und mit Verachtung im Herzen ihre Körpersäfte aufnahm, bis ihre Verehrer winselnd und friedlich ihre hochmütige Absolution empfingen und davonschlichen.

So jedenfalls hat es meine Mutter erzählt und ich habe keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Sie waren ihr nicht gewachsen, die fremden Männer, die für meinen Vater büßten und unser Leben finanzierten, aber immer, wenn meine Mutter über meinen Hals strich und mit einem schiefen Lächeln bemerkte, mein Adamsapfel springe genauso auffällig vor wie der meines Vaters, merkte ich, dass ihr etwas Wesentliches fehlte.

Der Alkohol und die Tabletten gesellten sich zu den Zigaretten, als ich auf das Gymnasium wechselte und meine Mutter nach eigener Einschätzung welk und unattraktiv zu werden begann. Oft zog sie meine Hände zwischen ihre Brüste und forderte mich auf ihr zu sagen, wie sie aussehe. Dann straffte sie sich und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Ich antwortete ehrlich, dass sie noch immer die Schönste sei, denn das Schneewittchen hinter den Sieben Bergen, das schöner war als sie, war mir noch nicht begegnet. Meist nickte sie in solchen Augenblicken heftig mit dem Kopf und seufzte, als habe ich meinen Text zufriedenstellend gelernt. „Du bist ein guter Junge“, sagte sie dann mit belegter Stimme. „Ich werde schon dafür sorgen, dass du nicht wirst wie dein Vater“.

Ihre eingebildeten Krankheiten und die zunehmende Hinwendung zu ihrem neuesten Liebhaber, einem penetrant riechenden holländischen Genever, verkürzten unsere gemeinsamen Sitzungen und verdrängten sie bald fast vollständig. Die Männer kamen weiterhin, aber sie tröpfelten nur noch herein, wo sie vor Jahren noch geströmt waren. Die Verkleidungen meiner Mutter wurden umso papageienhafter je renovierungsbedürftiger ihr Erscheinungsbild wurde. Peitschen und Dornenkronen ersetzten bunte Kissen. Harte Sitzungen blutig erkämpfter Lust trieben das Geld in die Kasse und die neue Sorte Männer war ebenso wenig zum Kopftätscheln aufgelegt wie ich.

Genau genommen hatte ich die Geldgeschäfte allmählich zu meiner Aufgabe gemacht und achtete darauf, dass die Einnahmen stimmten. Ich hielt mich weitgehend im Hintergrund und sicherte unsere Interessen ab, indem ich von den Besuchern heimlich Aufnahmen machte und ihre Taschen von überflüssigen Barmitteln befreite, wenn mein Bauchgefühl mir sagte, dass der eine oder andere winselnde Idiot den Aderlass verkraften werde, ohne Schwierigkeiten zu machen. Ein kleines Arsenal Waffen garantierte unseren Schutz und ich ließ es nicht zu, dass die sadomasochistischen Fantasien unserer Kunden meiner Mutter mehr Schaden zufügten, als die im Geschäft üblichen kleineren Verletzungen, die ihre Erwerbsfähigkeit nicht minderten und zur Steigerung ihrer Authentizität beitrugen.

Zuletzt wurde es aus wohlverstandenen ökonomischen Interessen unerlässlich, dass ich der Motivation meiner Mutter mit einem Leder überzogenen Paddel auf die Sprünge half. Man mag es meinem Ungeübtsein mit derlei Gerätschaften zugutehalten, dass die Schläge so schlecht abgewogen waren, dass meine Mutter im Ergebnis eine Zahnprothese benötigte. Ich sorgte dafür, dass sie das beste Modell bekam.

Es war die gleiche Prothese, die wie ein wütender Terrier in das Kissen biss.

Wie gesagt, ich hatte instinktiven Widerstand erwartet, vielleicht sogar heftige Gegenwehr, das Zerkratzen meiner Arme, wild um sich tretende Beine. Mir war in Bezug auf die Reinheit meiner Absichten nicht ganz wohl. Ich schwitzte in mein bestes Jackett und spürte, dass ich mir einen Fingernagel eingerissen hatte. Das waren Dinge, die nicht sein mussten. Ich war mir überhaupt nicht mehr sicher, dass es die Erfüllung des sehnlichen Wunsches meiner geliebten Mutter war, die mich zu dieser Anstrengung trieb oder doch die Tatsache, dass die peinliche Alte mir langsam dermaßen auf die Nerven ging, dass ich Schluss mit ihr machen sollte.

Seien wir ehrlich. Sie war ausgelutscht und ausgeleiert, ein ewig zugedröhntes Wrack, das nach einer kleinen Kosten-Nutzen-Analyse schlecht dastand. Sie war ein Auslaufmodell ohne Performance. Das musste man sich bei aller Zuneigung eingestehen. Sie hatte ihre Macker auf der Überholspur bedient und sich ihre Psychosen abgeholt, bis sie mit fast fünfzig in mein Kissen biss wie ein undankbares Tier, dem man Respekt einbläuen musste.

Sei es, wie es sei. Ich ziehe es vor, uns alle als Opfer widriger Umstände zu sehen. Der schlanke Junge mit dem prominenten Adamsapfel, der seinen Vater niemals kennenlernen durfte. Der zarte Junge, der in einen Ödipuskomplex hineingeboren wurde, was ihn für alle Zeiten brandmarkte und schuldunfähig machte. Der naive Junge, der nie verstehen wollte, dass seine verehrte Mutter eine Nutte auf dem absteigenden Ast war. Der hilfebedürftige Junge, der in seinem besten Anzug ein Monsterkissen auf das Gesicht seiner Mutter drückte, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse so beschaffen waren, dass die Ersparnisse nur einem von ihnen beiden ein angenehmes Auskommen für die Zukunft sicherte. Mutterherzen waren bekannt dafür, dass sie sich gerne aufopferten. Die guten Sitten forderten es geradezu.

Und dann kam das, was ich wirklich als unfair empfand. Eine Hand der Erstickenden fand meinen Arm und versuchte flatternd und krampfend mich an sich zu ziehen. Der Stoff des Ärmels knitterte und ich gab nach. Ihre Finger fanden meinen Hals und verharrten auf meinem Adamsapfel. Ich musste unwillkürlich den Druck auf das Kissen vermindert haben, denn ihr Körper hörte auf sich aufzubäumen. Eine Welle von Rührung übermannte mich und ich musste mir eingestehen, dass mir ihre simple Geste der Zuneigung jede weitere Hilfeleistung zu ihrer Selbsttötung unmöglich gemacht hatte.

Das war mehr als ärgerlich. Ich würde den Anzug reinigen lassen müssen und der eingerissene Fingernagel schrie nach einer zeitintensiven Maniküre. Ich war Geschäftsmann und erstickte nicht aus Spaß in der Gegend herum. Mit Tränen in den Augen riss ich das Kissen von ihrem Gesicht. Sie hatte damit aufgehört hineinzubeißen. Ihre Züge waren nicht wesentlich geschwollener als nach dem Konsum einer Flasche Genever. Sie rang kollernd nach Luft und fixierte mich mit ihren dunklen Augen.

Man mag es sich nicht vorstellen, aber das undankbare Stück wandte sich hustend und japsend von mir ab. Angewidert schleuderte ich das Kissen von mir. In Gedanken ging ich den Terminkalender durch. Wenn sie sich schon nicht für eine faire Gangart entscheiden konnte, sollte sie wenigstens den nächsten Freier bedienen. Resigniert machte ich mich daran, die Wohnung und die Alte wieder auf Hochform zu trimmen. Bei der Arbeit hatte ich eine Idee für ein neues Geschäftsmodell.

Das war es, was mich zum Arschloch machte.

Der Wünscheerfüller

Подняться наверх