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I. Aktive und passive Vertretung

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Nach § 164 Abs. 1 S. 1 „wirkt eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, unmittelbar für und gegen den Vertretenen.“ Dies beschreibt den Fall der „aktiven“ Stellvertretung. Da das BGB auch den „Vertreter“ ohne Vertretungsmacht kennt (vgl. §§ 177 ff.), spielt die Vertretungsmacht als solche für den Definition des „Vertreters“ keine Rolle.[1]


(Aktiver) Vertreter ist, wer eine eigene Willenserklärung im fremden Namen abgibt.[2]

Hinter dem Definitionsmerkmal der „eigenen“ Willenserklärung steckt die Abgrenzung zum Erklärungsboten. Dieser überbringt lediglich eine fremde Erklärung und fungiert sozusagen als Transportmittel. Aus diesem Grunde kommt es beim Boten im Hinblick auf § 105 Abs. 1 nicht auf dessen Geschäftsfähigkeit an[3], sondern nur auf die Geschäftsfähigkeit der Person, deren Erklärung der Bote übermittelt. Im Fall der (aktiven) Stellvertretung stammt die Willenserklärung hingegen vom Vertreter, die Wirkungen des Rechtsgeschäfts sollen nach der Erklärung des Vertreters aber den Vertretenen treffen, in dessen Namen gehandelt wird. Der Vertreter ist diejenige Person, die beim Rechtsgeschäft selbständig tätig wird. Der Vertretene handelt selbst nicht. Ihn treffen aber unter den weiteren Voraussetzungen des Vertretungsrechts unmittelbar die Wirkungen des Vertreterhandelns. Man nennt diese Selbstständigkeit des Vertreters auch Repräsentationsprinzip.[4]

Daher sind beim Vertretergeschäft die Geschäftsfähigkeit und die sonstigen Wirksamkeitsfragen seiner Willenserklärung gem. §§ 116 ff. in Bezug auf die Person des Vertreters zu prüfen. So kommt es beispielsweise bei der Frage der Geschäftsfähigkeit auf die Geschäftsfähigkeit des Vertreters an und nicht auf die Geschäftsfähigkeit des Vertretenen.

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§ 164 Abs. 3 beschreibt den Fall der „passiven“ Stellvertretung oder auch „Empfangsvertretung“. Danach soll die vorstehende Wirkung des § 164 Abs. 1 „entsprechend“ gelten, wenn eine gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung dessen Vertreter gegenüber erfolgt. Mit der „passiven“ Empfangsvertretung haben wir uns bereits im 1. Band im Zusammenhang mit dem Zugang einer Willenserklärung beschäftigt.[5]

Entscheidend ist, ob die Hilfsperson die fremde Willenserklärung als selbständiger Repräsentant entgegennimmt (dann Empfangsvertreter) oder nur zur Weiterleitung an den Adressaten (dann Bote)[6].


Eine Person ist dann als Empfangsvertreter anzusehen, wenn sie ausdrücklich zu verstehen gibt oder nach den sonstigen Begleitumständen (§ 164 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 2) davon auszugehen ist, die Person nehme die inhaltlich an den Vertretenen gerichtete Willenserklärung als Repräsentant für diesen wie in eigenen Angelegenheiten entgegen und nicht nur zur Weiterleitung an diesen.[7]

JURIQ-Klausurtipp

Im Falle eines Vertragsschlusses durch einen Vertreter handelt dieser im Hinblick auf die eigene Erklärung als aktiver Vertreter und im Hinblick auf die Gegenerklärung als passiver Vertreter. Hier genügt es, wenn Sie die Voraussetzungen der Vertretung anhand der eigenen Erklärung des Vertreters herausarbeiten. Liegt danach ein Vertretergeschäft vor (und kein Botenhandeln), müssen Sie auf die passive Stellvertretung nicht mehr gesondert eingehen. Wer als Vertreter einen Vertrag schließt, ist immer auch als Empfangsvertreter in Bezug auf die Gegenerklärung des Vertragspartners anzusehen.[8]

Bei der Empfangsvertretung sind die Abgrenzungsfragen daher vor allem beim einseitigen Rechtsgeschäft zu behandeln. Und hier gilt: Hatte die beim Empfang der fremden Willenserklärung tätige Hilfsperson nach dem Sachverhalt Vertretungsmacht, können Sie sich kurz fassen und die Empfangsvertretung ohne Weiteres bejahen.[9] Problematisch sind also allein die Fälle, wo eine Hilfsperson ohne Vertretungsmacht aufgetreten ist. Hier kommt es auf eine saubere Abgrenzung anhand der oben aufgeführten Definition an.

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Verfügt der Vertreter nicht über die erforderliche Vertretungsmacht, gilt § 177 Abs. 1 bzw. § 180. §§ 177, 180 sprechen jedoch nicht mehr von der „Wirksamkeit der Willenserklärung“. Vielmehr hängt nach § 177 Abs. 1 „die Wirksamkeit eines Vertrages“, den jemand ohne Vertretungsmacht im Namen eines anderen schließt, von der Genehmigung des Vertretenen ab. Und § 180 S. 1 spricht davon, dass bei einem „einseitigen Rechtsgeschäft“ die Vertretung ohne Vertretungsmacht „unzulässig“ ist.

Warum stellt das Gesetz in § 164 auf „die Willenserklärung“, in § 177 hingegen auf „den Vertrag“ bzw. in § 180 auf das „einseitige Rechtsgeschäft“ ab?

Der Grund dafür besteht darin, dass § 164 Abs. 1 die Voraussetzungen für ein wirksames Vertretergeschäft abstrakt beschreibt und die Wirksamkeitsfragen in den folgenden Vorschriften näher präzisiert werden, und zwar je nachdem, ob der Vertreter einen Vertrag schließt (vgl. §§ 177 – 179) oder an einem einseitigen Rechtsgeschäft beteiligt ist (vgl. §§ 174, 180).[10] Die Unvollständigkeit des § 164 Abs. 1 zeigt folgendes simples

Beispiel

Der mit ausreichender Vertretungsmacht ausgestattete V gibt im Namen des A gegenüber dem abwesenden B ein schriftliches Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages über einen PKW zum Preis von 5000 € ab. Das Angebotsschreiben geht dem B aber nicht zu.

Hier wird das Angebot mangels Zugangs gar nicht wirksam (§ 130 Abs. 1 S. 1), obwohl V die Erklärung getreu dem Wortlaut des § 164 Abs. 1 S. 1 innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des A abgegeben hat. Das Angebot kann mangels Zugangs gar nicht „unmittelbar für und gegen den Vertretenen (A) wirken“, wie es § 164 Abs. 1 S. 1 beschreibt.

Nehmen wir noch folgendes weiteres Beispiel hinzu:

Der mit ausreichender Vertretungsmacht ausgestattete V erklärt im Namen des Arbeitgebers A dem Arbeitnehmer B per eMail die Kündigung des Arbeitsvertrages. Auch hier entfaltet die Kündigungserklärung keine unmittelbaren Wirkungen, da die Kündigung wegen Formmangels nach §§ 125 S. 1, 623, 126 Abs. 1 von Anfang an unheilbar nichtig ist.

Die beiden Beispiele zeigen, dass die Regelung des § 164 Abs. 1 S. 1 nicht isoliert gesehen werden kann, sondern die Vorschrift ihren Sinn und Zweck erst im Zusammenspiel mit anderen Vorschriften über Willenserklärungen im Speziellen (z.B. § 130 Abs. 1 S. 1) und Rechtsgeschäfte im Allgemeinen (z.B. § 125 S. 1) erreicht.

2. Teil Die StellvertretungA. Einführung › II. Prüfungsreihenfolge und Aufbau in der Klausur

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