Читать книгу Mord aus heiterem Himmel - Achim Kaul - Страница 5

3. Kapitel

Оглавление

Zur gleichen Zeit stand Zweifel vor der smaragdgrünen, extra breiten Eingangstür des südlichen Victoria-Palais. Das auf Hochglanz polierte Messingschild wies nur vier Namen auf. Der oberste, leicht abgesetzt von den übrigen, lautete Marie-Theres Mindelburg. Professor Mindelburgs Schwester wohnte nicht einfach nur, sie residierte. Dafür eignete sich das Victoria-Palais allerdings vorzüglich. Er drückte auf den matt und edel schimmernden Klingelknopf. Das Auge der Überwachungskamera, schwarz, klein und böse, links von ihm,

ignorierte er. Zwei, drei, vier Minuten tat sich überhaupt nichts. Zweifel hatte das erwartet. Audienzen verlangen Geduld. Er trat ein paar Schritte zurück und ließ den Blick nach oben schweifen. Die eindrucksvolle Fassade leuchtete blassgelb im Morgenlicht. Die Balustraden und Pfeiler der oberen Balkone waren von majestätischer Ruhe umgeben. Er schlenderte noch ein paar Schritte nach rechts in Richtung des parkähnlichen Gartens, der sich hinter dem Wohnpalast erstreckte. Sein Blick strich über den perfekt gepflegten Rasen, auf dem, fast unbemerkt, lautlos und pflichtbewusst ein Mähroboter seinen Dienst versah. Vereinzelt standen prachtvolle Bäume, gelassen und stolz. Sein Blick verlor sich in ihrem flirrenden Blättermeer. Er hörte die sonore Stimme nicht sofort.

»Hast Du es?«, fragte Serafina Moor Anna Eichhorn. Diese schüttelte den Kopf und blickte zu Boden. Sie waren an der Villa Fontenay angelangt. Das Blatt Papier, das sie dem toten Professor aus der Brusttasche hätte entwenden sollen, war nicht zu finden gewesen.

»Jemand muss schneller gewesen sein«, sagte Anna Eichhorn mit einem Seitenblick auf ihre Freundin. Diese runzelte die Stirn und sagte mit vor Ärger zischender Stimme:

»Das ist einfach unglaublich. Hast Du auch wirklich genau nachgesehen?« Eichhorn nickte verdrossen.

»Die Tasche war leer.«

»Na dann«, sagte Moor mit Ingrimm, »kommt dafür nur unser lieber Dr. Wollmaus in Frage.«

»Ein wundervoller Garten, nicht wahr, Sir?« Zweifel fuhr herum. In respektvollem Abstand verharrte ein ganz in schwarz gekleideter, silberhaariger Mann von unbestimmbarem Alter. Er hielt sich sehr gerade und ließ sich nicht anmerken, dass er diesen Satz zum zweiten Mal äußerte. Der Kommissar war immer noch vertieft in den Anblick des Parks.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?« Der hauchfeine Oxfordakzent war nur für geübte Ohren erkennbar. Doch Körpersprache und Wortwahl waren unverkennbar: Dies war ein Butler bester englischer Schule, wie man ihn bestenfalls in einer Dokumentation der BBC zu sehen bekam. Der Kommissar räusperte sich.

»Adam Zweifel. Ich möchte mit Frau Mindelburg sprechen.« Der Butler legte den Kopf etwas schief.

»Zweifel, Sir?«

»Ja – Kriminalpolizei.« Er zeigte seinen Dienstausweis. Sein Gegenüber stutzte für einen winzigen Moment. Dann verbeugte er sich leicht.

»In diesem Falle wird es am besten sein, wenn Sie mir folgen wollen, Sir«, sagte er mit einer einladenden Geste seiner behandschuhten Rechten.

»Nur, wenn Sie mir vorher verraten, wer Sie sind«, sagte Zweifel.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir. Mein Name ist Willoughby.«

»Nun, Willoughby, dann wollen wir mal.« Der Butler ging voraus und verblüfft registrierte Zweifel, dass sie sich offensichtlich auf den Weg in die Tiefgarage machten. Zwischen den beiden identischen Gebäudekomplexen des Victoria-Palais führte, verborgen hinter einer dichten Hecke, eine gewundene Marmortreppe in die Tiefe. Eine dunkelblau schimmernde, schwere Metalltür kam nach einer leichten Biegung ins Blickfeld. Rechts davon war ein kleines Display in der dunklen Stahlbetonwand eingelassen. Willoughby tippte routiniert eine sehr lange Zahlen- und Buchstabenkombination ein und nach einer kurzen Verzögerung öffnete sich die Tür automatisch und lautlos. Sie betraten nun den Aufenthaltsraum für eine Schar exklusiver Luxusgefährte. Willoughby deutete vage auf einen grünen Bentley, der, auf Hochglanz poliert, in der Mitte des Raumes ruhte.

»Wenn Sie sich hier ein paar Minuten gedulden wollen, Sir. Frau Mindelburg wird in Kürze erscheinen.« Zweifel nickte und Willoughby ging gemessenen Schrittes zu einer extra breiten Aufzugstür, die sich in der weißglänzenden Seitenwand befand. Auch hier tippte er wieder einen äußerst langen Sicherheitscode ein. Ein gedämpfter Gongschlag war zu hören, die Tür glitt lautlos zur Seite, und wenig später war er verschwunden. Zweifel schaute sich um. Eine dünne Nervosität beschlich ihn, wie stets, wenn er kurz davorstand, eine Todesnachricht zu überbringen.

»Sie haben ihn hoffentlich weggeschickt, Willoughby? Wir sollten uns etwas beeilen.« Marie-Theres Mindelburg stand in ihrem Salon, eine Handtasche in der Linken, in der Rechten ein Smartphone, auf das sie flüchtig schaute.

»Das war leider nicht möglich, Madam. Es handelt sich um einen Polizisten«, sagte Willoughby.

»Das spielt keine Rolle.« Sie steckte das Smartphone in ihre elegante Handtasche. »Hat er gesagt, worum es geht?« Sie warf einen Blick auf ihren Butler. »Nein, das hat er wohl nicht.«

»Er ist von der Kriminalpolizei, Madam.« Sie stockte auf ihrem Weg zur Eingangstür. »Ich hab’ ihn gebeten, beim Wagen zu warten.«

»Gut, Willoughby.«

»Darf ich Madam?« Er griff nach dem schmalen Aktenkoffer, den sie von einem kleinen Tisch neben dem Eingang genommen hatte.

»Nein, den nehme ich selbst.« Als sie in der Eingangstür stand, drehte sie sich noch einmal um und warf einen langen Blick durch die Panoramafenster am anderen Ende des Raumes.

Zweifel war ein wenig umhergegangen und hatte die wenigen, dafür umso imposanteren Karossen zumeist italienischer oder britischer Herkunft begutachtet. Als sich die Aufzugstür öffnete, war er gerade dabei, sich das Display etwas näher anzusehen, auf dem Willoughby den Sicherheitscode eingetippt hatte. Er drehte sich halb um. Vor ihm stand eine große, grauhaarige Frau. Die Eleganz ihrer Kleidung war nicht zu übertreffen. Zwei kalte, graue Augen musterten ihn durch eine schwarzumrandete Brille. Sie reichte ihren kleinen Aktenkoffer dem Butler, der ihn sogleich im Kofferraum verstaute.

»Sie kommen ungelegen. Ich bin auf dem Weg nach München«, sagte sie anstelle einer Begrüßung. Sie hatte eine ungewöhnlich tiefe Stimme und sprach in einer leisen Art und Weise, die Widerspruch nicht zu dulden schien.

»Ich bin untröstlich, Frau Mindelburg«, sagte Zweifel und holte seinen Dienstausweis hervor. »Mein Name ist Adam Zweifel. Ich muss Sie dringend sprechen.« Willoughby wartete an der geöffneten Wagentür. Sie seufzte.

»Also gut, dann fahren Sie eben mit und wir lassen Sie unterwegs aussteigen.« »Beschlossen und verkündet!«, dachte Zweifel. »Diese Frau ist es gewohnt, zu bestimmen.« Es würde interessant sein, zu sehen, wie sie auf seine Neuigkeit reagierte. Seine Nervosität war verflogen, als er neben ihr auf dem cognacfarbenen Leder saß. Willoughby, im Zweitberuf Chauffeur, startete die Limousine und achtete, sobald sie die Tiefgarage verlassen hatten, auf keinerlei Geschwindigkeitsbegrenzungen, ungeachtet seines offiziellen Passagiers.

»Und was ist nun so dringend, Herr Zweifel?«

»Wann haben Sie zuletzt ihren Bruder gesehen?« Sie schaute aus dem Fenster und antwortete nicht sofort.

»Das war an einem Sonntagnachmittag, irgendwann im letzten Monat.«

»Sie treffen sich regelmäßig mit ihm?«

»Wir haben keine festen Termine, wenn Sie das meinen. Aber er kommt hin und wieder bei mir vorbei.« Sie fixierte ihn über ihre schwarz geränderte Brille hinweg. »Ich verstehe den Grund Ihrer Fragen nicht, Herr Zweifel. Was ist mit Abraham?« Ohne sich lange um die Formulierung Gedanken zu machen, sagte Zweifel:

»Sein Leben hat heute Morgen geendet.« Sie zeigte keinerlei Reaktion. Er glaubte schon, sie hätte ihn nicht verstanden. Dann bemerkte er ihre Hände, die ganz weiß geworden waren.

»Er ist also tot«, sagte sie leise.

»Es tut mir leid, Frau Mindelburg.« Sie nickte kaum merklich. Willoughby beobachtete sie aufmerksam im Rückspiegel.

»Mein Bruder Abraham Mindelburg ist tot«, sagte sie langsam und nun etwas lauter vor sich hin, als könne sie die Tatsache so besser begreifen. Die ganze Zeit über hatte sie aus dem Seitenfenster geblickt, wo nun die von dieser Tatsache völlig unbeeindruckte Landschaft grün in grün vorbeifloss, unter einem klaren blauen Himmel. Sie schaute Zweifel an. »Wo?«

»Jemand hat ihn heute Morgen im Kurpark gefunden.«

»Jemand?«

»Er ist dort aus großer Höhe auf eine Wiese gestürzt.« Zweifel wurde jetzt, da er es aussprach, erst richtig bewusst, wie absurd sich das anhörte. Willoughbys wachsames Auge traf ihn im Rückspiegel.

»Das verstehe ich nicht. Wie …?«

»Wir wissen noch nichts Genaueres, aber …«, er verstummte. Sie hatte eine Hand leicht erhoben, dann ließ sie sie wieder fallen.

»Mein Bruder hat extreme Höhenangst, Herr Zweifel.«

»Nun, der Arzt meinte, dass sein Herz vor Schreck stehen blieb während seines Sturzes.«

»Der Arzt?«

»Dr. Wollmaus.«

»Ja, sicher, Dr. Wollmaus. Das sieht ihm ähnlich.«

»Wie meinen Sie das?«

»Aber Herr Kommissar – sie sind doch Kommissar – ich frage Sie: Wie lange dauert wohl ein Sturz, selbst aus großer Höhe? Wie will er denn da mit Sicherheit feststellen können, wann das Herz meines Bruders …« Sie brach ab und verbarg ihr Gesicht in den langen, schmalen, weißen Händen. Der Schmerz kam mit Verzögerung. Zweifel hatte dies oft genug beobachtet. Er wartete einige Minuten ab, ohne sie anzusehen und dachte über ihren Satz nach. Es ärgerte ihn ein wenig, dass er die Behauptung des Arztes nicht hinterfragt hatte. Er wischte den Ärger jedoch gleich darauf beiseite. Nach der Obduktion würden sie hoffentlich klarer sehen. Und überhaupt: Von wo herab konnte er denn gestürzt sein? Unwillkürlich suchte er den Himmel ab und wusste mit einem Mal die Antwort. Dabei musste er an seine Assistentin denken. Melzick war ungewöhnlich clever, wenn es darum ging, Rätsel zu lösen. Außerdem hatte sie ein Talent dafür, die richtigen Fragen zu stellen. Was ihr fehlte, war, Geduld mit ihren Mitmenschen zu haben. Sie hatte auch keine Geduld mit sich selbst. Und das war wohl auch der Grund für ihre latente Aggressivität, ihre Art, anderen ins Wort zu fallen. Zweifel hatte sie von Anfang an respektiert – mit Aggressionen konnte er gut umgehen.

»Was werden Sie jetzt tun, Kommissar?« Marie-Theres Mindelburg hatte ihren ruhigen, beherrschten Ton wiedergefunden. Er schaute zu ihr hinüber und räusperte sich.

»Dasselbe wie immer – ich suche nach der Wahrheit.« Sie verzog die Lippen, dann hielt sie ihre rechte Hand mit vier langen weißen Fingern in die Höhe. Er konnte diese Geste nicht deuten.

»Sie werden sie nicht finden. Suchen Sie den Mörder.« Sie machte nach jedem Wort dieses Satzes eine kleine Pause. Es klang wie ein Befehl.

»Sie sind davon überzeugt, dass ihr Bruder umgebracht wurde?«

»Ich bitte Sie, Herr Kommissar. Er hatte krankhafte Höhenangst, wie ich schon sagte. Er war ganz sicher nicht freiwillig in einer solchen Höhe. Man muss ihn mit Gewalt dazu gezwungen haben. Ein Unfall kann es daher nicht gewesen sein.«

»Dann frage ich Sie ganz geradeheraus: wer hätte ihn denn umbringen sollen?« Sie zuckte mit den Schultern.

»Wir sind in fünfzehn Minuten am Hauptbahnhof, Madam«, kam Willoughbys Stimme von vorn. Zweifel war überrascht. Sie mussten mit einer Geschwindigkeit von weit über 2oo Stundenkilometern gefahren sein.

»Danke Willoughby«, sagte sie.

»Haben Sie einen Verdacht?«, wiederholte Zweifel seine Frage. Sie hatte ihre Hände nun gefaltet.

»Wissen Sie, Herr Kommissar, mein Bruder war ein eigenartiger Mensch. Niemand kannte ihn solange wie ich. Doch was heißt schon kennen?« Sie seufzte. »Ich weiß wie seine Stimme klang, welche Länder er bereist hatte, was er als kleiner Junge anstellte, um beachtet zu werden. Aber ich habe keine Ahnung davon, was in ihm vorging, was seine Pläne waren, seine Absichten. Es ist vielleicht seltsam, so etwas zu sagen, aber ich sehe ihn eher als Gast in meinem Leben. Ein Gast, der allerdings selten zu Besuch kam. Daher weiß ich nichts von seinen Freunden, wenn er welche hatte. Und noch weniger von seinen Feinden, wenn Sie danach fragen.« Zweifel rieb sich mit der linken Hand bedächtig über seine Glatze. Er richtete seine dunklen Augen auf sie.

»Dennoch steht für Sie außer Frage, dass er ermordet wurde. Er war demnach jemand, den Sie für geeignet halten, ermordet zu werden?«

»Sie haben eine merkwürdige Art, sich auszudrücken, Herr Zweifel, um nicht zu sagen, eine zynische Art. Finden Sie das angebracht?«

»Dann lassen Sie es mich anders formulieren. Hatte Ihr Bruder Talent dazu, sich Feinde zu machen?« Sie warf einen scharfen Blick auf ihn.

»Davon müssen wir konsequenterweise wohl ausgehen, oder nicht?«

»Wissen Sie, womit er sich in der letzten Zeit beschäftigte?«

»Er war Kunstsachverständiger. Soviel ich weiß schrieb er an einem Buch über verlorengegangene Gemälde. Er hat aber ein ziemliches Geheimnis daraus gemacht.«

»Hatten Sie den Eindruck, dass er mit diesem Buch ein Risiko einging?«

»Sie meinen, ob er jemandem auf der Spur war?« Sie zögerte etwas. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Aber ausschließen können Sie es ebenso wenig?« Sie nickte nach abermaligem Zögern.

»Hören Sie, Herr Kommissar, wir sind gleich am Hauptbahnhof. Ich habe dort eine eminent wichtige Verabredung.«

»Sie verreisen?«

»Das weiß ich noch nicht. Es könnte sich aus diesem Gespräch ergeben.«

»Und mit wem treffen Sie sich?« Sie schaute ihn an und versuchte ein Lächeln, doch sie beantwortete seine Frage nicht. Wieder rieb er kreisförmig mit der linken Hand über seinen kahlen, gebräunten Schädel. Für dieses Mal würde er ihr Schweigen akzeptieren.

»Ich möchte, dass Sie für uns in den nächsten Tagen erreichbar sind. Können Sie das einrichten?«

»Nun, falls ich verreise, ist es nur für ein oder zwei Tage. Ich werde mich ja auch um die Beerdigung kümmern müssen, nicht wahr?« Zweifel nickte. Willoughby bog gerade in die Taxibucht vor dem Haupteingang des Bahnhofs ein und hielt. Zweifel reichte Marie-Theres Mindelburg die Hand und Willoughby öffnete ihm schweigend den Wagenschlag. Fürs Erste war alles gesagt.

Mord aus heiterem Himmel

Подняться наверх