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Kapitel 8: Frau Oldenburg

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Frau Oldenburgs Wohnung erinnerte an einen Trödlerladen, voll gestopft mit angestaubtem Kitsch, für den sich keine Käufer fanden.

„Erinnerungsstücke“, klärte sie Eric auf.

Das Zweiersofa in der Stube war lediglich über einen engen Pfad erreichbar, der sich an wackeligen Bücherstapeln, Heiligenstatuetten und monströsen Eingeborenenmasken aus Papua-Neuguinea vorbeischlängelte. Auf dem Sofa konnte nur eine Person sitzen, die andere Sitzhälfte war ebenfalls mit Büchern verbaut.

„Nehmen Sie Platz“, forderte Frau Oldenburg ihn auf, nachdem sie ihn vor sich hergeschoben hatte.

Überall lagen Kristalle herum, Steine in allen Größen und Formen, Amethysten, Jaspisse, Onyxe oder Topasse, handgeschnitzte Figuretten aus Speckstein, die Jesus, Shiva oder Buddha darstellten, Pyramiden in allen Größen, aus Trinkhalmen selbstgebastelt, aus edlem Holz zusammengeleimt oder aus Marmor geschliffen. Von der Decke hingen Windspiele aus Thailand, aus Bali und aus dem Versandhaus. Wo man hinsah, konnte man magische Werkzeuge entdecken: Räucherstäbchen, Kräutergebinde, Wünschelruten, Pendel, Mandalakärtchen und -plakate, Hieroglyphen und mysteriöse Zeichen, in Türrahmen geritzt, auf Zettelchen gedruckt, die im Fensterkreuz klebten, an Tischbeinen, über dem Sofa und eines mitten auf dem Fernsehbildschirm. Und überall Bücher. Soweit Eric überblicken konnte, behandelten sie alle dasselbe Thema: Weiße Magie.

„Haben Sie die alle gelesen?“, fragte Eric erstaunt.

„Ich kenne sie in- und auswendig“, antwortete Frau Oldenburg stolz und quetschte sich neben ihn auf die enge Hälfte des Zweiersofas. „Sehen Sie die Kleine mit den schwarzen Haaren da drüben? Das bin ich. Oh, Verzeihung“, sagte sie schnell und sprang auf, um das eingerahmte Foto von der Wand zu nehmen. Sie hielt es Eric vors Gesicht.

Das Foto war vergilbt und zeigte Frau Oldenburg als Teenager, als sie noch zierlich war und das pechschwarze Haar streng zurückgebunden trug. Aus ihrem hübschen Gesicht funkelten zwei große Augen böse in die Kamera. Neben ihr stand ein Mann indischer Herkunft mit ungewöhnlich buschigen, pelzigen Locken. Er hielt einen Arm um ihre schmalen Schultern und schenkte der Kamera ein breites Grinsen. Frau Oldenburg hatte eine Schürze umgebunden, hielt in der einen Hand einen Putzeimer und in der anderen eine Klobürste.

„Ich war fünfzehn, als ich ins Kloster eintrat. Wo war das schon wieder? Pakdal oder so ähnlich. Jedenfalls lag es in den Bergen Nordindiens. Der Mann neben mir war unser Guru. Raj Brahmadanda nannte er sich. Ich war über beide Ohren in ihn verliebt. Gleich am Tag meiner Ankunft teilte Brahmadanda mir die Aufgabe zu, die Toiletten im Kloster zu putzen. Er meinte, bevor ich mein Seelenheil finden könne, müsse ich lernen, die irdischen Dinge zu akzeptieren.“ Sie lachte und lehnte ihren Kopf an Erics Schultern. „Ob Sie es glauben oder nicht, ich lernte diese Drecksarbeit zu lieben. Und bevor ich nachts todmüde ins Bett fiel, bedankte ich mich auch noch bei Brahmadanda für die wundervolle Arbeit. Tja, so blöd kann man sein.“ Lachend schmiegte sie sich an Erics notdürftig mit dem Bettlaken bedeckten Oberkörper. „Eines Nachts hat er mich in sein Bett geholt. Ich war im Himmel! Im Nirwana. Und zack, war ich schwanger. Als ich ihm von unserem künftigen Kind erzählte, war er alles andere als erfreut. Er sagte, ich solle das Baby wegmachen und ins Scheißhaus werfen. Genau in dem Moment, als jemand dieses Foto von uns machte. Die Sekunde danach ist leider nicht auf Zelluloid. Ich knallte ihm eine. Peng. Meine Faust mitten auf seinem Mund. Wenige Tage später bin ich abgereist.“ Sie schmunzelte zufrieden und rieb ihre Wange an Erics Oberarm.

„Und das Baby?“, fragte Eric und versuchte gleichzeitig von ihr wegzurutschen.

„Das habe ich ausgetragen.“

„Ich wusste nicht, dass sie ein Kind haben.“

„Kind?“ Sie lachte. „Einen alten Mann! Er steht kurz vor der Pensionierung. Er arbeitet schon vierzig Jahre bei derselben Telefongesellschaft und lebt mit seiner langweiligen Frau im langweiligsten Vorort von Brisbane.“

Sie streichelte Erics Hand. Ihre Haut fühlte sich weich an, und die Wärme, die von ihr ausging, kroch trotz der erdrückenden Hitze wohltuend durch seinen Körper. Auf einmal war es ihm angenehm, an diese alte Frau geschmiegt auf einem engen Sofa zu sitzen.

„Alles habe ich versucht“, fuhr sie etwas wehmütig fort, „ich habe mich gezwungen, ihn zu lieben. Immerhin bin ich seine Mutter. Aber es wollte nicht klappen. Ich habe den Jungen nie gemocht. Trotzdem klebt er an mir wie eine Klette. Er ruft jeden Tag an und erzählt mir seine langweiligen Geschichten.“ Plötzlich sprang sie auf. „Kommen Sie in die Küche. Ich wärme uns die gute Suppe auf.“

Eric hatte keine Chance, die Einladung auszuschlagen, denn Frau Oldenburg war bereits in die Küche verschwunden. Es war vier Uhr morgens, und heiße Suppe war das Letzte, was er sich antun wollte. Widerwillig stand er auf, warf sich das Bettlaken über die Schulter und folgte ihr an den Statuetten und Eingeborenenmasken vorbei in die Küche. Wenigstens wollte er endlich wissen, was Frau Oldenburg im Botanischen Garten zu suchen hatte.

Der Mikrowellenofen klingelte. Die Suppe war fertig. Zucchini mit etwas Reis und Hühnerfleisch. Nachdem Eric den ersten Löffel gekostet hatte, begann Frau Oldenburg endlich.

„Ich war neugierig, ob sie das Emotionsecho wirklich sehen können. Und ob ich es selber auch würde sehen können.“

„Und?“

„Ich habe Sie nirgends finden können.“

„Ach ja?“, sagte Eric ungeduldig, „haben Sie denn das Echo gesehen?“

Frau Oldenburg zuckte mit den Schultern. „Vielleicht“, sagte sie spitz und zog die Schultern noch weiter hoch. Trotz der stickigen Hitze in der Küche und trotz des heißen Dampfes, der von der Suppe aufstieg und kleine Schweißperlen aus Erics Stirn trieb, fröstelte ihn plötzlich.

„Vielleicht? Haben Sie es gesehen oder nicht?“

„Ja, aber nicht im Botanischen Garten“, gab sie zur Antwort. Sie nahm einen Löffel Suppe und redete mit vollem Mund weiter. „Ich war in der Nähe vom Südeingang, als mir plötzlich eine große dunkle Gestalt entgegenkam. Sie hatte keine Augen, bloß schwarze Löcher. Besonders das eine war so groß, dass eine Faust darin Platz gehabt hätte. Als sie auf meiner Höhe war, grinste sie mich an. Das unheimlichste Grinsen, das ich je gesehen habe. Dann ging sie durch mich hindurch und verschwand im Dunkeln.“ Frau Oldenburg leckte den Löffel ab und sah Eric ernst an. „Und wissen Sie was? Irgendwie kam mir diese Gestalt bekannt vor. Ja, ich habe sie schon mal gesehen, ich weiß nur nicht mehr, wo. Dabei müsste ich es doch wissen. Dass jemand ein großes schwarzes Loch im Gesicht hat, sieht man ja auch nicht alle Tage.“ Sie trug Suppenteller und Löffel zum Spülbecken und ließ Wasser ein. „Ich weiß, dass ich sie kenne. Aber es will mir nicht in den Sinn kommen.“

Eric kam sich auf einmal lächerlich vor: hörte sich von einer verrückten Nachbarin eine haarsträubende Geschichte an, während er nur in Unterhose und einem gestohlenen Bettlaken in ihrer Küche stand. Er bereute es, Frau Oldenburg von seinen Erfahrungen am Mount Buller erzählt zu haben, und fühlte sich beinahe schuldig, sie mit der Theorie des Emotionsechos verwirrt zu haben.

„Ich gehe jetzt“, sagte er, „es ist schon spät. Danke für die Suppe.“

Frau Oldenburg aber schien ihn nicht mehr zu hören. Sie rieb mit bloßer Hand den Teller und murmelte pausenlos vor sich hin.

Der harte Engel

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